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1
Neusprachliche Abhandlungen
aus den Gebieten der
Phraseologie, Realien, Stilistiii und Synonymik
unter BerücksiclitigiLiig der Etymologie.
Heransgegeben
von
Dr. Clemens Klöpper -Rostock.
Heft XV. XVL
Dresden und Leipzig, 1907.
C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung
(H. Ehlers).
Das Tier
im
Spiegel der Sprache.
Ein Beitrag
zur vergleichenden Bedeutungslehre
von
Richard Riegler,
Professor.
Dresden und Leipzig, 1907.
C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung
(H. KUen).
w
Vorwort.
Im Jahre 1878 erschien im Verlage von Adolf Marcus in
Bonn ein Werk mit dem Titel: Die Metaphern, Studien über
den Geist der modernen Sprachen von Friedrich Brinkmann.
Dieses großangelegte Werk, das eine vergleichende Metaphoro-
logie der modernen Sprachen hätte werden sollen, ist leider
Torso geblieben. Es liegt nur der erste Band vor, der die
Tierbilder der Sprache behandelt, jedoch mit Beschränkung
auf die Haustiere, unter die Brinkmann auch den Pfau, den
Schwan und die Biene einreiht. Das Buch, obwohl für ein
größeres Publikum bestimmt, hat über fachwissenschaftliche
Kreise hinaus trotz seiner Gediegenheit und allgemeinen Ver-
ständlichkeit keine Verbreitung gefunden, wohl hauptsächlich
infolge seines fragmentarischen Charakters. In der folgenden
Abhandlung soll nun der Versuch gemacht werden, eine Art
Ergänzung zu dem Buche zu liefern, indem die übrigen Tier-
namen, insofern sie semasiologisch und phraseologisch von
besonderem Interesse sind, in den Kreis der Betrachtung
gezogen werden.*) Hierbei sei von vornherein bemerkt, daß
vorliegende Untersuchung nicht auf derselben breiten Basis
wie das Brinkmannsche Werk angelegt ist. Auf ein kon-
sequentes Zitieren von Belegstellen aus Schriftstellern wurde
verzichtet. Was die Darstellung hierdurch an Breite einbüßt,
gewinnt sie an Übersichtlichkeit, die man bei Brinkmann
manchmal vermißt.
Was die Theorie der Metapher betrifft so sei auf die
einleitenden Kapitel bei Brinkmann verwiesen, der den Gegen-
*) AnffaUenderweise Uefern Tiemamen wie „Beb'', „Hirsch*', „Geier*^
nur spärliches Materiali was ihr Fehlen in dieser Studie erklärt.
"191565
VI Vorwort.
stand in erschöpfender Weise behandelt. Nur auf ein Moment,
das Brinkmann unberacksichtigt gelassen hat, möchte ich auf-
merksam machen. Es ist dies der Einfluß der Fabeldichtung
auf die Metaphembildung. Es gibt nämlich eine Anzahl
Metaphern, die unmittelbar auf allgemein bekannte Fabeln
zurückgehen, wie z. B. Eselstritt, Wolf im Schafs-
kleid, Löwenanteil, frz. dest la comeille cP^sope, ein
Beweis, daß die Fabel eine sehr populäre Literaturgattung
ist. Dabei darf nicht übersehen werden, daß ein aus dem
Altertum übernommener Grundstock von Fabeln Gemeingut
aller Kulturvölker geworden ist. Vor allem wurde diese
Literaturgattung von den Franzosen und Deutschen kultiviert
— es sei hier nur französischerseits an Lafontaine und
Florian, deutscherseits an Hagedom, Gleim und Lessing er-
innert. Wie beliebt das Tierepos im Mittelalter war, beweist
die Verdrängung des frz. goupil durch renard, den Namen des
Fuchses im Epos.
Ich habe es mir bei meiner Arbeit zum Prinzip gemacht,
mich auf das Wesentliche zu beschränken. Vollständigkeit
wurde nicht angestrebt. So wurden z. B. termini technici, von
denen manche auf Tiermetaphern beruhen — man denke
an die verschiedenen Bestandteile von Maschinen und In-
strumenten — nur in Ausnahmsfällen berücksichtigt; denn
diese Bezeichnungen haben lediglich für den Fachmann ein
Interesse, während der Laie ihnen völlig verständnislos gegen-
übersteht. Ebenso wurden Benennungen von seltenen Tieren
und Pflanzen ausgeschlossen, da solche Wörter meist gelehrtes
Fabrikat und daher linguistisch belanglos sind. Von Sprich-
wörtern, die ihrem Wesen nach meist auch auf Metaphern
beruhen, wurden nur die gebräuchlichsten aufgenommen. Bei
der Erklärung von Metaphern und metaphorischen Redens-
arten war ich bemüht, mich an das reale Substrat der Sprache
zu halten und Phantastereien, zu denen der Gegenstand an
und für sich verleiten konnte, zu vermeiden. Selbstverständlich
werde ich Ergänzungen, namentlich dialektischer Natur, wie
überhaupt Verbesserungsvorschläge, zu denen sich die Herren
Fachkollegen veranlaßt fühlen sollten, mit Freuden entgegen-
nehmen und bei einer etwaigen Neuauflage berücksichtigen.
Für Etymologien wurden als einzig zuverlässig die Wörter-
Vorwort. Tu
bücher von Kluge, Kluge-Lutz, Skeat und Körting benutzt.
Auf die Anfuhrung von etymologischen Zwischenstufen wurde,
als nicht dem Zwecke dieser Arbeit entsprechend, im allge-
meinen verzichtet Auf interessante Fälle von Bedeutungs-
wandel, die gerade bei Tiemamen nicht selten sind, wurde
besonders aufmerksam gemacht. Was die Zusammenstellung
der Sprachen betrifft, die für diese Untersuchung das Material
lieferten, so wurden im Anschlüsse an Brinkmann von modernen
Kultursprachen das Deutsche, Englische, Italienische, Spanische
und Französische, von den alten Sprachen gelegentlich das
Lateinische berücksichtigt.*) Das Altgriechische wurde als
zu fern liegend nur in seltenen Fällen zur Vergleichung heran-
gezogen. Hingegen wurde das Deutsche minder stiefmütterlich
behandelt als bei Brinkmann. Dialekte fanden Berücksichti-
gung, soweit es die spärlich fließenden Quellen ermöglichten.
Ich verhehle mir nicht, daß meine Untersuchung —
wenigstens scheinbar — an wissenschaftlichem Werte ge-
wonnen hätte, wenn ich mich im Gegensatze zu Brinkmann
auf ein einheitliches Sprachgebiet, z. B. ausschließlich auf die
romanischen Sprachen beschränkt hätte.**) Aber abgesehen
davon, daß es naturgemäß ist, wenn man bei vergleichenden
Untersuchungen semasiologischer Natur die Muttersprache zur
Basis nimmt, vertragen derartige Arbeiten, bei denen man
vom Begriffe und nicht vom Worte auszugehen pflegt, ein
Hinübergreifen auf ein fremdes Sprachgebiet sehr gut, ja sie
gewinnen dabei, während z. B. eine syntaktische Arbeit, die
die Erscheinungen der englischen Syntax mit denen der
italienischen, spanischen usw. vergleichen würde, vom wissen-
schaftlichen Standpunkte aus ein Unding wäre.
Wie nahe sich in semasiologischer Hinsicht oft zwei ver-
schiedenen Sprachgebieten angehörige Sprachen berühren, da-
für möge ein Beispiel statt vieler angeführt werden. Die
*) Anf das Portugiesische wurde nur ausnahmsweise hingewiesen, da
es sich in semasiologischer Beziehung meist mit dem Spanischen deckt.
**) Ein Muster einer derartigen strengwissenschaftlichen Untersuchung
ist die als erstes Beiheft der Zeitschrift f. roman. Philologie, 1905, er-
schienene Arheit yon Lazare SainSan : La cröation m^taphorique en fran^s
et en roman. Images tir^es du monde des animaux domestiques : Le chat,
avec un appendice sur la fouine, le singe et les strigiens.
Vin Vorwort
BezeichnoBg ,Affe^ für Eausch ist gemeinsam dem ItalienischM,
Spaniscben^ Deutschen und in gewissen ßedensarten auch dem
Englischen, fremd ist sie dagegen dem Französischen. So
sehen wir, wie in diesem Falle die südromanischen Sprachen
mit den germanischen, nicht aber mit der Schwestersprache
übereinstimmen.
Femer sei darauf hingewiesen, daß Untersuchungen
über Tiermetaphem der Völkerpsychologie einen nicht un-
wesentlichen Dienst erweisen, indem nämlich aus der meta-
phorischen und phraseologischen Verwertung von Tiernamen
sich ein Schluß ziehen läßt auf das gemütliche Verhältnis des
Menschen zum Tiere. Da sich diese Studie auf einem Gebiete
bewegt, woselbst Tierbiologie und Folklore mit der Linguistik
in engste Berührung kommen, so dürften die Vertreter der
erstgenannten Wissenschaften in diesen Blättern gleichfalls
manches finden, was sie interessiert.
Schließlich spreche ich an dieser Stelle meinem verehrten
Lehrer, Hofrat Schuchardt in Graz, meinen wärmsten Dank
aus für die wertvollen, den Wiedehopf und den Schmetterling
betreifenden Bemerkungen, die er mir brieflich zukommen
ließ. Femer bin ich meinem lieben Freunde und Kollegen
Prof. Adrian Achitsch sehr erkenntlich datür, daß er
sich nicht die Mühe verdrießen ließ, meine Arbeit vom Stand-
punkte des Naturhistorikers nachzuprüfen. Auch den Herren
Herausgeber und Verleger danke ich herzlichst für ihre Winke
und Batschläge.
Pola, im Juni 1907.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
I. Der Affe S. 1—10.
Etymologisches S. If. — Affe als Schimpfwort, als scherzhafte Be-
zeichnung S. 2. — Der ungeschwänzte, der geschwänzte Affe S. 2 f. —
Nachahmungstrieh, Putzsucht S. 3f. — Der Affe als foppendes, als ge-
fopptes Tier S. 4 ff. — Symhol der Dummheit S. 6. — Engl, to lead apea
in hell S. 6. — Reizbarkeit S. 6f. — Der Affe als komisches Tier, Ver-
gleich mit kleinen Kindern, span. mono S.U. — Affe für „Rausch" S. 8f. —
Geilheit S. 9. — Schlaraffe, Maulaffe, Rotzaffe usw. S. 9f.
n. Die Fledermaus S. 11—13.
Etymologisches S. 11 f. — Äußeres, unheimliches Aussehen S. 12. —
Angebliche Blindheit, lichtscheues Wesen S. 12 f. — Symbol des Wert-
losen S. 13.
in. Der Maulwurf S. 13—16.
Etymologisches S. 13f. — Angebliche Blindheit, Unbeholfenheit S. 14.
— Span, topocko S. 14. — Lebensweise S. 15. — Maulwurfsfänger S. 15 f.
IV. Der Igel S. 16-18.
Etymologisches S. 16. — Benennung stachliger Gegenstände nach
dem Igel S. 16 f. — Symbol des Stachligen auf moralischem Gebiet S. 17.
— Schweinigel S. 17 f. — Saufen wie ein Igel S. 18.
V. Der Luchs S. 18-20.
Etymologisches S. 18.f. — Scharfes Gesieht S. 19. — Symbol des
Scharfsinns S. 20. — Franz. loup - cetvier = Wucherer S. 20. — Höllen-
luchs S. 20.
VI. Der Löwe S. 20—26.
Etymologisches S. 20 f. — Popularität S. 21. — ÄuOere Erscheinung,
Symbol der Stärke S. 21 f. — Löwenanteil S. 22. — Symbol des Mutes
S. 22 ff., -^ der Macht S. 24 f. — Gefährlichkeit S. 25 f. — Benennung
verschiedener Tiere nach dem Löwen S. 26.
X Inhaltsverzeichnis.
Vn. Der Tiger S. 26-28.
Etymologisches S. 26. — Ändere Erscheinung S. 26 f. — Schnelligkeit
S. 27. — Angloamerik. three cheers and a tiger S. 27. — Grausamkeit
8. 27 f. — Symhol der Eifersucht S. 28. — Engl, tiger = Prahler S. 28.
Vin. Der Wolf S. 28-39.
Etymologisches S. 28f. — Physische Eigenschaften S. 29 f. — Auf-
fassung vom Wesen des Wolfes bei Germanen und Bömern S. 30 f. —
Gefräßigkeit S. 31 f. — Span, loho = Bausch S. 32 f. — Raubgier, Ver-
hältnis des Wolfes zum Schafe S. 33 f., — zum Menschen S. 34 f. — Zu-
sammenleben der Wölfe, gegenseitiges Verhalten S. 36. — Vorkommen des
Wolfes in nordischen Ländern, in waldreichen Gegenden S. 37. — Ver-
wandtschaft mit dem Fuchs S. 37. — Verhältnis des Wolfes zum Hunde
S. 38. — Werwolf S. 38 f.
IX. Der Fuchs S. 39-48.
Etymologisches S. 39 f. — Rolle des Fuchses in der Literatur S. 40. —
Farbe des Pelzes S. 40 f. — Der Schwanz S. 41 f. — Schlauheit S. 42 ff.—
Schlaf S. 43 f. — Der Fuchs im Trinkerargot S. 44. — Sein Verhältnis zur
Beute S. 44 ff. — Der Fuchs und der Jäger S. 46. — „Fuchs" als Spitz-
name für gew. Stände S. 46 f. — Geilheit S. 47. — Symbol des Teufels S. 48.
X. Das Wiesel S. 48—49.
Etymologisches S. 48f. — Schnelligkeit S. 49. — Magerkeit S. 49. —
Raubgier und Schlauheit S. 49.
XI. Der Bär S. 50—55.
Etymologisches S. 50. — „Bär" als Verstärkung des Begriffes S. 50 f.
— Winterschlaf S. 51. — Plumpheit S. 51 f. — üngeleckter Bär, Brummbär
S. 52 f. — Gutmütigkeit S. 53. — Bimenliebhaberei S. 53. — Seebär S. 53.
— Lebensweise S. 53. — Gefährlichkeit S. 53, — einen Bären anbinden,
aufbinden S. 54 f. — Großer und kleiner Bär S. 55.
XII. Das Eichhörnchen S. 56—57.
Etymologisches S. 56 f. — Schnauze S. 56. — Lebhaftigkeit S. 57.
Xni. Das Murmeltier S. 57—59.
Etymologisches S. 57 f. — Schlaf S. 58. — pigliar una marmotta
S. 58. — Herumzeigen der Murmeltiere S. 58f. — Bezeichnung einer Kopf-
tracht nach dem Murmeltiere S. 59. — Marmotte de Strasbourg S. 59.
XIV. Die Maus S. 60-69.
Etymologisches S. 60. — Äuitere Erscheinung S. 60 f. — Symbol des
Unbedeutenden und Wertlosen S. 61 f. — Das Mauseloch S. 62. — Färbung
S. 62 f. — Die Maus als Nagetier S. 63. — Hurtigkeit S. 63. — „Maus«
als Kosewort, zur Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsteils S. 64. —
Inhaltsverzeichnis. XI
Die Maus als Diebin S. 64f. — Mänschenstill, Kirchenmaus, Duckmäuser
und die fremdsprachlichen Analoga S. 65. — Maus = Schrulle S. 65 f. —
Naß wie eine gebadete Maus S. 66. — Die Maus nach dem Tode S. 66. —
Häufigkeit und Alter der Mäuse S. 66 f. — Verhältnis zwischen Maus und
Katze S. 67. — Die Mausefalle S. 67 f. — Die Lieblingsgerichte der
Maus S. 68f.
XV. Die Eatte 8. 69—77.
Etymologisches 8. 69. — ßattenkahl 8. 69. — Der Schwanz 8. 69 f.
— donner des rata aux passants 8. 70. — Übler Geruch 8. 70 f. — Die
Hatte als Gegenstand des Absehens 8. 71, — als Symbol des Erpichtseins
8. 71. — Die Wanderratte 8. 71 f. — Ratte = Laune, Grille 8. 72 f. —
Gewandtheit im Springen und Schwimmen 8. 73 f. — Aufenthaltsorte
8. 74 f. — Symbol des Geizes 8. 75. — Die Ratte als Diebin 8. 75 f. —
Schädlichkeit der Ratte, Mittel zu deren Bekämpfung (Falle, Katze) 8. 76.
— Rattenkönig 8. 76 f. — Schlafen wie ein Ratz 8. 77. — Frz. rate =
Müz 8. 77.
XVL Der Hase 8. 77—84.
Etymologisches 8. 77. — Äußere Erscheinung 8. 77 f. — Schlaf 8. 78.
— Furchtsamkeit 8. 78 f. — Schnellfüßigkeit 8. 79 f. — Der Hase als Wüd
8. 80 ff. — Verhältnis zum Hunde 8. 82 f. — Franz. gentUhomme ä lievre
8. 82 f. — Symbol der Verrücktheit 8. 83. — Schwaches Gedächtnis 8. 83 f. —
Böhnhase, Sandhase, Feldhase 8. 84.
XVn. Das Kaninchen 8. 84—88.
Etymologisches 8. 84 f. — Äußere Erscheinung 8. 85. — Furchtsam-
keit S. 85f. — Franz. brave comme un lapin 8. 86. — Intelligenz 8. 86. —
Schnellfüßigkeit 8. 86 f. — Schwaches Gedächtnis 8. 87. — Fruchtbarkeit
des Weibchens, Geilheit des Männchens 8. 87. — Lebensweise 8. 87. — Frz.
lapinj span. gazapo = Aufsitzer, Lüge 8. 87 f. — Engl, to buy the rahbit
8. 88. — Franz. monier en lapin 8. 88.
XVm. Der Elefant 8. 88—91.
Etymologisches 8. 88 f. — Größe und Plumpheit 8. 89 f. — Symbol
geistiger Plumpheit 8. 90. — Der Elefant als exotisches Tier S. 90 f. —
Altfranz, olifant 8. 91.
XIX. Das Kamel 8. 91—93.
Etymologisches 8. 91. — Häßlichkeit 8. 92. — Der Höcker, die
Schwielen 8. 92. — Symbol des Eigensinns und der Dummheit 8. 92 f. —
Das Kamel als Lasttier 8. 93. — Benennung anderer Tiere nach dem
Kamel 8. 93.
XX. Der Togel im allgemeinen 8. 93—105.
Etymologisches 8. 93 ff. — Der Vogel als Verkünder übermenschlicher
Weisheit 8. 95 f. — Symbol der Freiheit 8. 96. — Der Vogelfang 8. 97 f. —
Den Vogel abschießen 8. 99.- — „Vogel" als Bezeichnung verschiedener
Charaktertypen 8. 99 ff. — einen Vogel haben 8. 101. — Span. pajariUa^
Xn Inhaltsyerzeichnis.
Mils S. 101. — Der Flug S. 101 f. — Span, pajaroia, pajcurotada » frz.
canardj dentsch Ente S. 102 f. — Der Vogel im Sprichwort S. 108 ff.
XXL Der Adl«r S. 105-^108.
Etymologisches S. 105. — Der Adler als König der Vögel S. 105. *-
Ange S. 106. — Verstond S. 106. — Schnabel S. 106 f. — Symbol der
Schnelligkeit S. 107. — Hoher Flug S. 107. — Kampfeslust S. 107 f. —
Der Schreiadler 8. 108.
XXII. Der Falke S. 108—112.
Etymologisches S. 108 f. — Schärfe des Gesichtssinns S. 109. —
Schnabel S. 109. — Falkenjagd S. 1091 — Abrichtung S. llOf. — Opti-
mistische Auffassung vom Wesen des Falken im Deutschen S. 111. —
Intelligenz S. 111. — Franz. hohereau S. Ulf. — Benennung von Ge-
schossen nach dem Falken S. 112.
XXm. Eule, Uhu. Kauz S. 112^124.
Benennung nach der stimmlichen Betätigung S. 112 ff., — nach
physischen Merkmalen S. 114, — nach anderen Vögeln S. 115, — nach
abergläubischen Vorstellungen S. 115 ff., — ital. nottola, aasiolo, ahcco
S. 117. — Häßlichkeit S. 117 f. — Frz. chouette im lobenden Sinne S. 118. —
Äußeres und Benehmen des Kauzes S. 118. — Der Kauz als Lockvogel
S. 11 8 f. — Besondere Eigenheiten S. 119 f. — Sonstige auf physischen
Eigenschaften der Eule beruhende Metaphern S. 120. — Die Eule als
Nachtvogel S. 120 f. — Lebensweise des Uhus S. 121. — Die Eule als
Unglücksvogel S. 121 f. — Ihr Verhältnis zu anderen Vögeln S. 122 f. —
Symbol der Dummheit S. 123. — Die Eule im Altertum, Eulen nach Athen
tragen S. 123 f. — Franz. Uurron comme une chouette S. 124. — Spiel nach
der Eule benannt S. 124.
XXIV. Der Kuckuck S. 124—129.
Etymologisches S. 124 f. — Der Kuckuck als Frühlingsbote S. 125. —
Stimmliche Betätigung S. 125. — Der Kuckuck als Prophet S. 125 f. —
Das Kuckucksspiel S. 126. — Äußeres S. 126. — Kuckuck = Hahnrei S. 126 f.
— Symbol geistiger Beschränktheit S. 127. — Symbol des Betrügers S. 127 f.
— Kuckuck als Glimpfwort S. 128. — Erziehung des jungen Kuckucks
S. 128 f. — Ital. cucuh = Vogelnetz S. 129. — Franz. co%icou als Be-
zeichnung altmodischer Gegenstände S. 129.
XXV. Der Papagei S. 129—132.
Etymologisches S. 129 f. — Nachsprechen S. 130 f. — Buntheit des
Gefieders S. 131. — Der Papagei im Pariser Argot S. 131 f., — in der
Seemannssprache der romanischen Völker S. 132.
XXVI. Der Wiedehopf S. 132—134.
Etymologisches S. 132 f. — Unreinlichkeit S. 133. — Benennung des
Wiedehopfs nach dem Kuckuck S. 133. — Franz. hupp^ S. 133. — Franz.
Inhaltsyerzeichnis. Xül
dupe = huppe S. 133 f. — huppe = Federhaube S. 134. — tremare come
una buhbola S. 134 f.
XXVn. Die Schwalbe S. 134— 137.
Etymologisches S. 134 t — Schwanz S. 136. — Die Schwalbe als
Frühlings-, bzw. Zugvogel S. 135 ff. — Schwalbe = Ohrfeige S. 137. —
Franz. avoir une hirondelle dans le soliveau S. 137. — Die Schwalbe als
giückbringender Vogel S. 137. — Deutsch „schwälbeln^ S. 137.
XXVIII. Die Drossel (Amsel) S. 137—141.
Etymologisches S. 137 f. — Färbung S. 1381 — Geistige Fähigkeiten
&. 139. — Lebhaftigkeit der Bewegung, Gesang S. 139 f. — Die Drossel,
bzw. der Xrammetsvogel als Leckerbissen S. 140f. — Der Drosselfang S. 141.
XXIX. Die Nachtigall S. 141—143;
Etymologisches S. 141. — Gresang S. 141 f. — Franz. rossignol in über-
tragener Bedeutung S. 142 f. — Engl, nightingale = Krankenhemd S. 143.
XXX. Der Kahe S. 143—149.
Etymologisches S. 143 f. — Färbung S. 144 f. — Schnabel S. 145. —
Der Rabe als Leichenvogel S. 145 f,, — als Prophet S. 146 f., — als Symbol
des Diebes S. 147. — Der Eabe in der Bibel und in der mittelalterlichen
Tiersymbolik S. 147 ff. — Paarweises Vorkommen der Eaben S. 149. —
Verträglichkeit mit seinesgleichen S. 149. — Ital. corbellare S. 149. ^-
Hohes Alter S. 149.
XXXI. Die Krähe S. 150—157.
Etymologisches S. 150. — Färbung S. 150 f. — Lange Lebensdauer
S. 151. — Vorliebe für Aas S. 151 f. — Schnabel S. 152. — Die Krähe im
Sprichwort S. 152. — Die Krähe als ünglücksvogel S. 15?. — Krähenfüße
und Krähenauge S. 152 f. — Gangart S. 153. — Symbol des Ehrgeizes
S. 153, — der Häßlichkeit S. 153 f. — Stimmliche Betätigung S. 154 £. —
ünreinlichkeit und übler Geruch S. 155. — Krähe allgemein für Vogel
S. 155. — Fleisch S. 155 f. — Engl, crow-time S. 156. — Widersprechende
Auffassung vom Wesen der Krähe im Deutschen und Englischen S. 156 f.
— Diebischer Charakter der Saatkrähe S. 157. — Deren Nistgewohnheiten
S. 157. — Südwärtsziehen nördlich lebender Krähenarten S. 157.
XXXIL Die Elster S. 157—162.
Etymologisches 8. 157 f. — Gefieder S. 158. — Geschwätzigkeit S. 158 f.
— Unverträglichkeit S. 160. — Gangart S. 160. — Diebischer Charakter
S. 160 f. — Der Elstemfang S. 161 f.
XXXIII. Die Lerche S. 162—165.
Etymologisches S. 162 f. — Gesang S. 163 f. — Lerche allgemein für
Vogel S. 164v — Schmaokhaftigkeit des Fleisches S. 164 f. — Mstgewohn-
heiten S. 165 — eine Lerche schießen S. 165. — Lerchenfang S. 165.
XIV Inhaltsverzeichnis.
XXXIV. Der Fink S. 166—168.
Etymologisches S. 166. — Fink allgemein für Vogel S. 166. — Fink
identisch mit Spatz S. 166 f. — Munterkeit S. 167. — Symbol der Einfalt
S. 169. — Der Name des Gimpels in den modernen Eultorsprachen S. 167 f.
XXXV. Der Zeisig S. 168-170.
Etymologisches S. 168. — Färbnng S. 168 f. — Lebhaftes Temperament
S. 169. — Symbol der Einfalt S. 169. — Frz. seriner, serinette S. 169 f.
XXXVI. Der Sperling S. 170-177.
Etymologisches S. 170ff. — Spatz allgemein für Vogel S. 172f. —
Einsamer Spatz S. 172 f. — Geilheit S. 174. — Leichtsinn S. 174 f. —
Symbol unsteter Gedanken S. 175, — der Liederlichkeit S. 175, — der
Frechheit und Klatschsucht S. 177.
XXXVn. Die Waolitel S. 177—179.
Etymologisches S. 177. — Wohlbeleibtheit S. 177. — Wachtel = Ohr-
feige S. 177 f. — Geilheit S. 178. — Symbol der Schlauheit S. 178. —
Wachtel = Wachtelhund S. 178. — Der Wachtelfang S. 178 f.
XXXVin. Der Kranich S. 179—183.
Etymologisches S. 179. — Hals S. 179 f. — Schnabel S. 180 f. — Der
Kranich als Stelzenvogel S. 181. — Gestalt S. 181. — Symbol geistiger
Beschränktheit S. 181 f. — Der Kranich im Altertum S. 182. — Symbol
der Vorsicht S. 182. — Geselligkeit S. 182. — Der Kranich als Gegenstand
der Jagd S. 182. — Bedeutungserweiterung von engl, crane S. 182 f.
XXXIX. Die Solinepfe S. 188-186.
Etymologisches S. 183 f. — Schnabel S. 184 f. — Symbol der Dumm-
heit S. 185. — Schnepfe = liederliches Frauenzimmer S. 185 f. — Schnepfe
= gemünztes Geld S. 186.
XL. Der Strauß S. 186—187.
Etymologisches S. 186. — Gestalt S. 187. — Magen 187.
XLL Die SchUdkröte S. 187—189.
Etymologisches S. 187 f. — Panzer S. 188. — Langsamkeit der Be-
wegung S. 188 f. — Symbol der Heimtücke S. 189. — Franz. faire la tortue
« fasten S. 189. — Symbol der Häßlichkeit S. 189. — Schüdpatt und Schüd-
krott S. 189.
XLIL Die Eidechse S. 189—193.
Etymologisches S. 189 f. — Gestalt S. 190 f. — Färbung S. 190. —
Auge S. 190. — Raschheit der Bewegung S. 191 f. — Aufenthaltsort S. 192.
— Wärmebedürfnis S. 192. — Wehrlosigkeit S. 192. — Symbol der Hab-
gier und des Eigensinns S. 192 f. — Intelligenz S. 193. — Mehrmalige
Häutung S. 193. — Die doppelgeschwänzte Eidechse S. 193
Inhaltsverzeichnis. XV
XLm. Die Schlange (Natter) S. 193—204.
Etymologisches S. 193 f. — Gestalt S. 194 f. — Art der Fortbewegung
S. 195 f. — Sinnbild des Ärgers S. 196. — Verbale und adjektivische
Weiterbildung von „Schlange" S. 196 f. — Färbung S. 197. — Zischen
S. 197. — Vermeintliche Taubheit S. 197 f. — Nahrungserwerb S. 198. --
Festigkeit der Haut S. 198. — Abweichende Auffassung vom Wesen der
Schlange bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten S. 198 f.
— Der Brache S. 199. — Die Schlange als Symbol der Falschheit und
Bosheit S. 199 f., — des Zornes und Hasses S. 200, — des Neides S. 200 f.,
der Undankbarkeit S. 201. — Gefährlichkeit S. 201 f. — Giftigkeit S. 202.
— Span, culebrazo S. 202. — Die Schlange in der Bolle des Opfers S. 203.
— Symbol der Klugheit S. 203. — Die Schlange im Märchen und in
der Sage S. 203 f. — Ital. a hisda = in Menge S. 204. — Couleuvre =
schwangeres Weib im Pariser Argot S. 204.
XUV. Der Froseh S. 204—210.
Etymologisches S. 204 f. — Augen S. 205. — Symbol der »Auf-
geblasenheit" S. 205. — Nacktheit der Haut S. 205. ~- Fehlen des Schwanzes
und der Zähne S. 205. — Gestalt im allgemeinen S. 205 f. — Färbung
S. 206. — Symbol der Häßlichkeit S. 206. — Art der Fortbewegung S. 206 f.
— Stimmliche Betätigung S. 207 f. — Der Wasserfrosch S. 208. — Kalt wie
ein Frosch S. 209. — Kulinarische Verwendbarkeit S. 209. — Das Frösche-
fangen S. 209. — Der Frosch als Symbol moralischer und sozialer Minder-
wertigkeit S. 209 f.
XLV. Die Kröte S. 210-214.
Etymologisches S. 210 f. — Symbol der Häßlichkeit S. 211. — Giftig-
keit S. 211. — Art der Fortbewegung S. 211. — Gestalt im allgemeinen
S. 211 f. — Füße S. 212. — Beschaffenheit der Haut S. 212, — der Augen
S. 212. — Unreinlichkeit S. 212. — Symbol moralischer HäßKchkeit S. 212.
— Lebensweise S. 213. — Kröte als Bezeichnung für Kinder und schwache
Menschen S. 213. — Symbol der Feigheit S. 213. — Das „Krötenfressen"
S. 213 f. — Das „Krötenspeien" S. 214. — Die Scheu anf Kröten zu treten
S. 214. — Die stimmliche Betätigung der Feuerkröte S. 214.
XL VI. Der FiBch im allgemeinen S. 214r-224.
Etymologisches S. 214. — Ital. pesce = Oberarmmuskel S. 215. — Augen
S. 215. — Schwanz S. 215. — Stumm wie ein Fisch S. 215. — Geringe
Intelligenz S. 215. — Kaltes Blut S. 215. — Das Wasser als Element des
Fisches S. 215 f. — Der Fisch als Schwimmer S. 216. — Ital. bastonar i
pesci, engl, to feed the fish S. 216. — Das Fischen S. 217. — Der Fisch
als Symbol des Gewinnes S. 217 f. — Der Fischfang mittels Beusen S. 218.
— Im Trüben fischen S. 218. — Ital. pescar per s^ S. 218. — „Fischen"
im übertragenen Sinne S. 218 f. — ItaL pescare als Terminus der Seemanns-
sprache S. 219. — Das Bild vom unerfahrenen Fischer S. 219. — Der Fisch
als Symbol des Unsicheren, Unzuverlässigen S. 219. — Das Ködern als
Symbol des Überlistens S. 220. — Das Fischen mit der Angel S. 220. —
XVI Inhaltsverzeichnis.
Der Fisch als Gennßmittel S. 220. — Der faulende Fisch S. 221. — Die
Gräten S. 221. — „Brote und Fische" als Symbol der Nahrung S. 222. —
Die Fischbrühe S. 222. — Der Fisch als Raubtier S. 222. — Fischlieb-
haberei der Katze 8. 222 f. — Der Fisch in der Küche S. 223. — „Fisch"
zur Bezeichnung von Personen S. 223 f. — Bedeutungsentwicklung von
span. peacado S. 224.
XLVn. Hering, Sardine S. 224-^227.
Etymologisches S. 224 f. — Hering und Sardine, Symbole der Mager-
keit S. 225 f. — Färbung der Sardine S. 226. — Fang, Versendung und Ver-
packung S. 226. — Verschiedene Zubereitungsarten des Herings S. 227. —
Hering und Sardine, Symbole der Wertlosigkeit S. 227. — Heringsseele,
armer Hering S. 227. -— Engl, herring-pond S. 227.
XLVIII. Der Kabeljau S. 228—229.
Etymologisches S. 228 f. — Schwanzflossen S. 229. — Der gedörrte
Stockfisch S. 229. — Symbol der Gleichgültigkeit S. 229, — der Minder-
wertigkeit S. 229. — Wichtigkeit für den Handel S. 229.
XLIX. Der Aal S. 230-233.
Etymologisches S. 230. — Gestalt S. 230. — Schlüpfrigkeit der Haut
S. 230 f. — Beweglichkeit S. 231 f. — Der Aal als Nahrungsmittel, sein
Fang S. 232. — Lebensweise des Flußaals S. 232 f., — des Meeraals
S. 233. — Symbol der Einfalt S. 233.
L. Die Schnecke S. 233—238.
Etymologisches S. 233 f. — Gehäuse S. 234 f. — Schleimabsonderung
S. 235 f. — Wegschnecke S. 236. — Gehäuseschnecke S. 236 f. — Fort-
bewegung S. 237. — Symbol des Wertlosen S. 237 f., — der Harmlosigkeit
8. 238.
LI. Die Wespe S. 238—240.
Etymologisches S. 238. — Gestalt S. 238. — Symbol der Reizbarkeit
S. 238. — Egl. wasp = Einfall S. 239. — Das Wespennest S. 239. — Der
Stich und seine Folgen S. 239. — Beweglichkeit S. 239. — Summen S. 239 f.
LH. Die Ameise S. 240—242.
Etymologisches S. 240. — Symbol der Kleinheit S. 240 f. — Das Durch-
einanderwimmeln der Ameisen S. 241. — Hautreiz durch Ameisen hervor-
gerufen S. 241 f. — Aufenthaltsorte der Ameise S. 242.
LUX. Der KÄfer S. 243—244.
Etymologisches S. 243f. — Symbol der Kleinheit, bzw. Niedlichkeit
S. 243. — Der Mistkäfer S. 243. — Span, esoarahajo im tadelnden Sinne
S. 243 f. — Die Gefahr des Zertretenwerdens S. 244, — Symbol unbe-
sonnenen Handelns S. 244. — Weiterbildungen von span. escarahajo S. 244.
— Der „Käfer" im Kopf S. 244.
InhaltsverzeichniB. XVII
LIY. Der Sohmetterling S. 245—248.
Etymologrisches S. 245 f. -- Gestalt S. 246. >- Flügel S. 246 f. —
Färbung S. 247. — Ital. fakna, farfallino als Euphemismen S. 247. —
Symbol der Flatterhaftigkeit S. 247 f. — Schmetterling als Symbol des
Gedankens S. 248. — Flüchtigkeit der Erscheinung S. 248.
LV. Die Fliege S. 24Ö— 256.
Etymologisches S. 249. — Die Fliege im Zustand der Ruhe S. 249, —
im Fluge S. 249. — Das Fliegen als tertium comparationis S. 249 f. —
Ital. iwmo mosca = Seiltänzer S. 250. — Färbung S. 250. — Geringes
Gewicht S. 250. — Symbol der Wertlosigkeit S. 250 ff. — ünhörbarer Flug
S. 252. — Kurze Lebensdauer, Empfindlichkeit gegen Kälte S. 252. —
Massenweises Vorkommen S. 252. — Fliegenschmutz S. 252. — Zudring-
lichkeit S. 252 f. — Das Stechen S. 253 f. — Die Stechfliege S. 254. —
Ital. moscaio S. 254. — Die Fliege an der Wand S. 254 f. — Zwei Fliegen
mit einer Klappe S. 255. — Die Fliege als Symbol des Heuchlers, bzw.
Spions S. 255 f. -- Das Fliegenschnappen S. 256. — Vögel nach der Fliege
benannt S. 256.
LVI. Die Mücke S. 256—259.
Etymologisches S. 256 f. — Winzigkeit S. 257 f. — Zudringlichkeit
S. 258 f. — Vorliebe für alkoholische Getränke S. 259. — Die Mücke von
der Flamme angelockt S. 259.
LVn. Der Floh S. 259—263.
Etymologisches S. 259. — Kleinheit S. 259f. — Färbung S. 260. —
Springgewandtheit S. 260 f. — Das Blutsaugen S. 261 f. — Symbol der
Zudringlichkeit S. 262. — Die Hundeflöhe S. 262. — Die Verfolgung der
Flöhe S. 262 f. — Ital. pulciaio, frz. pucier S. 263.
LVm. Die GriUe S. 264—267.
Etymologisches S. 264. — Gestalt S. 264 f. — Symbol der Kleinheit,
bzw. Zierlichkeit S. 265. — Bedeutungswandel von frz. criquet S. 265. —
Gezirpes. 265 f. — Symbol des Hochsommers S. 266, — wirrer Gedanken
S. 266 f., — der Wertlosigkeit S. 267. — Lebensweise S. 267. — ltal.griüo
Glimpfwort für „Teufel" S. 267.
LIX. Die Heuselirecke S. 267—269.
Etymologisches S. 267 f. — Springgewandtheit S. 268 f. — Symbol
moralischer Minderwertigkeit S. 269.
LX. Die Wanze S. 269—271.
Etymologisches S. 269. — Gestalt S. 270. — Färbung S. 270. --
Übler Geruch S. 270. — Langsamkeit der Bewegung S. 270. — Das Blut
saugen S. 270. — Symbol der Zudringlichkeit S. 270f. — Aufenthaltsorte
S. 271. — Engl, bug = Käfer S. 271.
Xvui InhftltsTei^ichius.
LXL Die Imb S. 272—275.
EtTmologiflches S. 272. — Sjmbol dM Schmatzefl, bsw. des Bettlers
S. 272, — des Geises S. 272f. — Winzigkeit S. 2731 ^ Aufenthaltsorte
S. 2741 -^ Die Laus, die über die Leber Uiaft 8. 275. ^ Unse, eine Folge
▼ielen Wassertiuikens S. 275.
LXn. Die Spinne 8^ 275—280.
Etymologisches S. 275 f. — Äußere Erscheinung S. 276. — Giftigkeit
S. 276 f. — Unyerträglichkeit der Spinnen S. 277. — Symbol der Geizes
S. 278. — Die Spinne im Aberglauben S. 278. -- Die Spinne'' im Kopfe
S. 278. — Das Spinngewebe S. 278 f., — dessen zarte Struktur S. 279. —
Sjmbol des Wertlosen S. 279. — Spinngewebe = Netz S. 279 f. — Die
Spinne auf Beute lauernd S. 280.
LXIU. Der Krebs S. ^0—286.
Etymologisches S. 280 ff. — Vermeintliches Büdtwärtsgehen S. 282 f. —
Färbung des gesottenen Krebses S. 283 f. — Schale und Scheren S. 284. —
Ital. pigliar un granchio S. 284 f. — Wehrhaftigkeit der Krabbe S. 285. —
Symbol des Geizes S. 285, — der Trägheit S. 285. — Krabbe = kleines
Kind S. 285. — Weiterbildungen von ital. granchio S. 285. — Gangart der
Krabbe S. 285. — Lebensweise S. 285 f. — Bedeutungsentwicklung von
ital. canchero S. 286.
LXIV. Der Wurm S. 286—294.
Etymologisches S. 286 f. — Art der Fortbewegung S. 287 f. — Gestalt
S, 288. — Insekten als Würmer bezeichnet S. 288. — Der Wurm als yer-
meintlicher Krankheitserreger S. 288 ff. —^ Die Würmer aus der Nase ziehen
S. 290. — Der Wurm als Symbol zerstörender Einflüsse S. 290. — Der
Holzwurm S. 290 f. — Wurm = Obstmade S. 291. — Wurm == Motte
S. 291. — Frz. ver coquin S. 291. — Der nagende Wurm als Symbol
psychischer Zustände S. 291 f. — Der Wurm als Symbol des Grabes S. 292.
— Wehrlosigkeit des Wurmes S. 292 f. — Wurm als Ausdruck der Ver-
achtung S. 293. — Wurm als Symbol physischer und moralischer Häßlich-
keit im Span. S. 293 f. — Portug. Ucho^ bzw. bicha als Symbol des Kleinen
S. 294. — Scherzhafte Zusammensetzungen mit „Wurm^^ im Deutschen
S. 294.
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Zell, Tierfabeln und andere Lrtümer in der Tierkunde, 2. Aufl. (ohne
Jahreszahl).
Zell, Streifzüge durch die Tierwelt, 2. Aufl. (ohne Jahreszahl).
Außerdem wurden aus Fachzeitschriften verschiedene Notizen benutzt^
deren Verfasser an Ort und Stelle genannt sind.
Der Aflfe.*)
Deutsch Affe (mhd. äffe, ahd. affo) ist verwandt mit
engl, ape, das im Altengl. apa lantet. Die romanischen Be-
zeichnungen gehen teils auf lat. simia zurück, wie ital. scimmiay
span. jimia, frz. singe, teils sind sie, wie Schuchardt (Zeitschr.
f. roman. Philologie, XV, pag. 96) nachweist, volksetymologische
Umbildungen von türkisch maimun, wie ital. monna, ange-
glichen an mea dominaj span. mona, mono, altfranz. mone, wo-
von engl. monJcey. Hierher gehört auch das im 16. Jahrhundert
von oberdeutschen Schriftstellern gebrauchte tautologische
Munaffe. Im Ital. ist neben scimmia — monna hat in der
modernen Sprache nur die übertragene Bedeutung „Bausch*'
— auch berfuccia üblich, welches Wort das Diminutiv
von Berta ist, also eigentlich die „kleine Berta** bedeutet.
(V0. Sain^an, Crfeation mötaph., pag. 90, 5.) Im Franz. ist
für das Affenweibchen auch guenon üblich, das, wenn man
die Ableitung aus ahd. toinja „Freundin" gelten läßt, ein
semasiologisches Seitenstück zu ital. monna = mea domina
bildet. (Vgl. jedoch Sainfean, Crfeation m6taph., pag. 90, 4).
Ursprünglich bedeutete das Wort „Meerkatze", bezeichnete
also eine bestimmte Affenart und gelangte erst durch Be-
griffserweiterung zur jetzigen Bedeutung. Auf ganz dieselbe
Weise hat span. mico die spezielle Bedeutung „Meerkatze" zu
der allgemeinen von „Affe" erweitert. Interessant ist, daß
auch die Slovenen unser deutsches „Meerkatze" für „Affe"
gebrauchen. Dieser Bedeutungswandel erklärt sich wohl dar-
*) Die einzelnen Tiere werden in der von der Naturgpeschichte be-
obachteten Beihenfolg« besprochen.
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 1
iL
2 Der Affe.
aus, daß die Meerkatze als bekannteste Affenart zum Ee-
präsentanten der ganzen Gattung wurde. t)ie ital. Bezeich-
nung fiir „Meerkatze", mammone, geht auf das oben zitierte
türkische maimun zurück, ist also ursprünglich ein Synonym
von monna. Meistens begegnet es in Verbindung mit gatto =
gattomammone, was wörtlich „Katzenaffe" bedeutet, mit An-
spielung auf das entfernt katzenartige Aussehen dieser Affen-
art. Im deutschen „Meerkatze" erklärt sich „Meer" aus der
überseeischen Herkunft des Tieres. (Vgl. Meerschwein.)
Daß der Affe als das dem Menschen nächstverwandte
Tier in der Phraseologie eine hervorragende Rolle spielen
mußte, ist ohne weiteres einleuchtend. Zunächst erscheint er
dem Menschen als Karikatur seiner selbst; er fungiert daher
in den meisten Sprachen als Symbol der Häßlichkeit wie auch
das Wort „Affe" mit Vorliebe als Schimpfwort gebraucht wird.
Schon im Lateinischen gilt simia als kräftiges Scheltwort. Was
die modernen Sprachen betrifft, so ist diese Verwendung haupt-
sächlich dem Deutschen und Italienischen geläufig.
Nicht als Schimpfwort, sondern als scherzhafte Bezeich-
nung ist das Wort aufzufassen, wenn es, wie im Franz., von
der Frau dem Manne gegenüber oder vom Lehrling in bezug
auf den Meister gebraucht wird. Dagegen dient es im Deut-
schen zur Verstärkung in pejorativem Sinne in Ausdrücken
wie Affenschande, Affenvolk usw. Von einem häß-
lichen Menschen sagt man im Deutschen, er sehe aus wie
ein Affe. Ebenso heißt es im Ital.: Pare una bertmcia, und
hertuccione wird ohne weiteres in der Bedeutung „häßlicher
Mensch" gebraucht. Analog sagt der Franzose: II est laid
comme un singe, er ist häßlich wie ein Affe, und ein häßliches
Weib nennt er gern guenon oder gumuche „Affenweibchen".
Daher auch das Sprichwort: Pour epouser un singe, il faut
Mre guenon, um einen Affen zu heiraten, muß man eine Äffin
sein, was unserem deutschen „Gleich und gleich gesellt sich
gern" entspricht. (Vgl. auch Sainean, Greation metaph.,
pag. 92, 7.) Gleichfalls auf das Äußere des Affen bezieht sich
die französische Eedensart: etre fourni d' urgent comme un singe
de quem, mit Geld versehen sein wie ein Affe mit dem Schwanz,
d. h. keinen Heller Geld haben. Es ist hier jedenfalls eine
bestimmte Art von Affen gemeint, nämlich der türkische Affe
Der Affe. 3
oder Magot, der in Algier sehr liäufig ist und tatsächlich nicht
eine Spur von Schwanz hat. An eine ähnliche Affenart spielt
an engl, monkey-coat „Affenrock" als Bezeichnung eines Rockes
mit kurzen Schößen. Hingegen bezieht sich auf den ge-
schwänzten Affen, der bekanntlich in der neuen Welt zu
Hause ist, das englische höchst originelle Sprichwort: The
higher the ape goes, iJie more he shows his tau. Das analoge
deutsche, bzw. franz. Sprichwort klingt etwas kräftiger: Je
höher daß der Affe steigt, je mehr er seinen
Hintern zeigt, Tlus le singe s'äh)e, pltts ü montre son
derrihe pele.
Eine reiche Blüte von Metaphern hat in den meisten
Kultursprachen der dem Affen eigentümliche Nachahmungs-
trieb gezeitigt. Zunächst im Deutschen: Wenn man z. B.
behauptet, die Deutschen wären im 17. Jahrhundert die
Affen der Franzosen gewesen, so will man damit sagen,
daß sie französisches Wesen sklavisch nachahmten. Daher
auch das Adjektiv äf fisch und das Verbum nachäffen für
„ohne Verstand nachahmen". Genau so werden auch im Engl.
ape und to ape gebraucht. Dieselbe metaphorische Bedeutung
hat auch das ital. scimmia. Analog dazu wurde die Redensart
far la sdmmia a qd., wörtl. „jemd. den Affen machen", gebildet,
wofür man auch kurz scimmiottare sagt. Davon sind wieder
scimmiottata und scimmiotattura „Nachäfferei" gebildet. Auch
das Franz. hat sich diese Metapher nicht entgehen lassen,
wie die Wörter singeur „Nachäffer", singer „nachäffen", sin-
gerie „Nachäfferei" beweisen. Charakteristisch für die ge-
spreizte Ausdrucksweise der precieuses ist es, daß sie den Spiegel
singe de la naiure „den Affen der Natur" nannten. Was das
Span, betrifft, so kann mona^ mono gleichfalls in der Bedeutung
„Nachäffer" gebraucht werden. (Vgl. auch Sainean, Creation
metaph., pag. 92, 7.)
Mit dem Nachahmungstrieb des Affen hängt auch seine
Sucht zusammen, sich zu schmücken und herauszuputzen, wes-
wegen namentlich im Deutschen, Englischen und Spanischen
auf geckenhafte und eingebildete Personen gern der Name
dieses Tieres angewendet wird. Im Deutschen findet sich in
diesem Sinne häufig das Kompositum „Zieraffe". Berlinerisch
nennt man einen Stutzer einen lackierten Affen. Folger
1*
4 Der Affe.
ä«s SpridiwiMrt, das auf die genaimte Charaktereigenschaft de»<
AS^n. Bezog Rimmt^flsdet sich in allen Kultursprachen: Deutsch:
Affen bleiben Affen, wenn man sie auch in Seide und Sammei
kleidet« Engl.: An ape^s an ape, a varlet a varlet, though thetf
Im cM in 8äk and akarUt Ital : La scimmia h sempre scimmia^
auohe V08tita di seta, Span.: Äunque la mana se vista de seday,
wwa 90 queda. Franz.: Le singey füt-ü vitu de pourpre, reste^
twjours sifige^
In seinem Weaen zeigt der Affe ein merkwtirdiges Ge-
misch Ton Bosheit und Dummheit. Je na,chdem nun der eine
oder der andere Charakterzug als vorherrschend betrachtet
uärd» ^scheint der Affe in der Sprache bald als der Foppende^
bald ala der Gefoppte. Auf der Auffassung des Affen als
boshaften Tieres beruht im Deutschen der Aufdruck äffen
fftr „zum Besteu haben" und einen boshaften Maischen 9;^mt
man wohl auch einen ^^boshaften Affen". Ebenso sagt der
Franzose : M est maim camme un singe und payer qn. en numnait
de singe, jemd. mit Affengeld bezahlen, d. h. mit Grimassea
und Sprüngen, dann figtlrl. mit schönen Worten, also gar nicht
befahlen. Diese Rediensart, die sich au^ im Engl findet: to
pckjf in mmkey^s woney^ beruht auf einer Anspielung an einw
alten Brauch, dem zufolge in Frankreich die Gaukler kein
Wegegeld zu zahlen brauchten, wenn sie sich vor dem Zöllner
i«it. ihren Affen produzierten. (Vgl Kozan, Les animaux dans
les prov^bes, I pag. 336 ff.) Semasiologisch bemerkenswert
ist, daß im Span, mono y^fk^ geradezu für „Fratsoenschneid^"
gebraucht wird. Hierher gehört auch die ital. Bledensart dar
la ierta sowie berteggiare „verspotten". (Vgl. Sain^an, Cröation
m^taph., pag. 92, 6.) D&8 die von einem Tier ausgeübte Tätig*
k^ oder das Resultat derselben metonymisch nach dem Tier^
beoiannt wird, ist nicht allzu selten. (Vgl. lat cuniculus „Kanin-
chen" und „unterirdischer Gang".)
Dieselbe Auffassung des Affen zeigt sich auch in der frz.
Bed^sart: S^ u/n äne parm les singtis^ e£n Esel unter im
Affen^ d. h. die Zielseheibe des Spottes sein. Als foppende»
Ti^r erscheint der Affe auch in d^ engl. Redensart : to hold
on by somebody's manJc^y-taily sich an jemandes Affenschwanz
anJiaLten, d* h. jemid, me Aufschneiderei aufs Wort glauben^
Daher to be monkey^led, von einem Affen geführt, d. h. geäfft
Der Äff«. ^
iM^erden. Monhey4ml wird »lit wod;^teleiider Antehnati^ Hüi
tale „Geschichte^ atich selbständig für „i^f enhafte Geschiclito,
Autlsch^eiderei^ gebraucht*)
Nicht miMer originell sind die Metaphiem and Hedeivs-
arten, in denen der Affe als das dnmifte, gefoppte Tier er-
scheint. So heißt im Ital. ber^mGiaki „^ne von einem Affen
vollführte Tat"* geradezu „Dummheit" und im Eng^ bedeutet
god'^ ape „Gottes Afie" soviel als „Dummkopf". / mähe fäm
my ape, ich mache ihn eu meinem Affen, sagt der Engländer
von einem, den er zum Narren hält Ein Analogon hi^%
bietet im Span, die Redensart haeer mioo, einen Affen machen,
d. h. zu einem Stelldichein nicht kommen, wobei der vergeMich
Wartende mit einem gefoppten Affen verglichen wird. (Anders
«erklärt die Redensart Sain6an, Cr6ation m*6taph. pag. 92, 6.)
Auch sagt der Spanier, wenn ihm unvermutet ein Schimpf
zugefagt wird, über den er so verblüfft ist, daß er nichts zu
Antworten weiß: Me qued4 hecho una tnona, ich stand da wie
ein Affe. Wörtl.: Ich ward za einem Affen gemacht. (Vgl.
auch Sain6an, Creat. mötaph., pag. 92, 7.) Daher auch corrido
como una mona, beschämt wie ein Affe. Diese Redensart er-
klärt auch den metonymischen Gebrauch ven mono in der
Bedeutung „Debttt eines Schauspielers^. Sehr häufig endet
das erste Auftreten eines Mimen mit einem Fiasko und der
unglückliche Debütant steht wie ein mono corrido, ein be-
schämter Affe, vor dem Publikum. Hierher gehört auch uns
dem Engl, der Ausdruck monkmfs oMowance, des Affen Lohn,
d. h. mehr Schläge als Lohn, was sich auf den vom Gaukler
h^amgezeigten Affisn bezieht, der sehr häufig für seine Kunst-
stücke, wenn sie nicht nach Wunsch seines Herrn ausfallen,
statt Lohn Schläge erntet.
Dt^ im Deutschen „Affe'^ geradezu als Synonym von
„Narr** gebraucht wird, ergibt sich aus der Redensart: jemd.
Am Affenseil führen, wofür man häufiger sagt: jemd.
am Narrenseil führen. Ebenso sagt man : einen Affen
an jemd. gefressen haben für: einen Narren an
*) Hierher gehört auch ais dem älteren Engl die Redensart to put
an ape into one's hoodcap, jemd. einen Affen in die Kapnze setzen, im
Sinne ron „foppen**. (Vgl. diesbezüglich anch pag. "7 die Redensarten mit
fnonkey).
6 Der Affe.
jemd. gefressen haben. Nach Borchardt - Wustmann ist
diese Eedensart, die soviel bedeutet als „jemd. abgöttisch
lieben" so zu erklären, daß man nach der seinerzeit im Volke
herrschenden Auffassung einen albernen Menschen von dem
Tiere wie von einem Dämon besessen glaubte.
Als dummes Tier erscheint der Affe auch in dem Aus-
druck Affenliebe, womit man eine törichte Liebe meint. Man
gebraucht das Wort namentlich von der abgöttischen Liebe
der Eltern zu ihren Kindern, die diesen oft zum Verderben
gereicht. (Vgl. das ital. Sprichwort A ogni scimmia piacciono
i suoi sdmmioUij jedem Affen gefallen seine Äffchen.) Nach
einem alten Volksglauben drückt nämlich das Affenweibchen
seine Jungen manchmal vor Liebe zu Tode.
Möglicherweise jedoch ist der Ursprung dieser Metapher
in einer alten Tiersage, die sich in den Tierbüchem des Mittel-
alters verzeichnet findet, zu suchen. (Vgl. Kressner, Über die
Tierbücher des Mittelalters, Herrigs Archiv 55, S. 241 ff.) Es
wird dort nämlich erzählt, daß das Affenweibchen, wenn es
verfolgt wird, sein Lieblingsjunges in die Arme, die übrigen
aber auf den Rücken nimmt. Im Augenblick der höchsten
Bedrängnis wirft nun die Äffin, um schneller laufen zu können,
das in den Armen befindliche Junge weg und rettet sich mit
den minder geliebten, die sie auf dem Rücken trägt
Beiläufig sei hier erwähnt, daß man im älteren Engl, von
alten Jungfern sagte, daß sie Affen zur Hölle führen : they lead
apes in hell, welche Redensart übrigens auch im Deutschen belegt
ist. Offenbar findet sie ihre Erklärung in einem alten Volks-
glauben, nach welchem die alten Jungfern im jenseitigen
Leben für ihre Kinderlosigkeit eben dadurch bestraft werden,
daß sie junge Affen in die Hölle führen müssen.
Als reizbares, leicht in Wut geratendes Tier erscheint
der Affe im Ital., bzw. Franz. in der Redensart : dire il pater-
nostro oder Vorazion della hertucda^ dire la patenötre du singCy
das Affenvaterunser oder Affengebet aufsagen, d. h. Ver-
wünschungen zwischen den Zähnen murmeln, wobei an den
zähnefletschenden Affen gedacht wird. (Vgl. Sain6an, Creat.
metaph., pag. 91, 6). Im Engl, hat dieselbe Redensart : to say an
ape^s paternoster allerdings eine andere Bedeutung, nämlich
„vor Kälte zittern". Geradezu als Synonym von Zorn wird
Der Affe. 7
monkey im engl. Slang gebraucht, wo man von einem, der in
Zorn gerät, sagt, er wecke seinen Affen auf: he gas wp his
monkey, was übrigens zur mittelalterlichen Vorstellung stimmt,
daß die betreffende Person vom Tiere gleichsam besessen ist.
Analog sagt man, um einen Zornigen zu beschwichtigen:
take the monkey off your back, nimm den Affen von deinem
Rücken herunter, wobei an den Gaukler gedacht werden
kann, der den Affen auf den Schultern trägt, wie ja auch in
der deutschen Soldatensprache der Tornister als „Affe" be-
zeichnet wird. Nach Brewer (Dictionary of Phrase and Fable,
pag. 587) ist in diesen Redensarten der Affe geradezu Symbol
des Teufels. Ebendaselbst wird auch daran erinnert, daß in
alten Gemälden der Teufel nicht selten als Affe mit ver-
renkten Gliedmaßen auf den Schultern einer Person hockend
dargestellt wird. Da monkey sich in obigen Redensarten
häufig mit dem Zusatz bJack „schwarz" findet, so dürfte Brewer
wohl das Richtige getroffen haben. Gleichfalls als eine An-
spielung auf den reizbaren Charakter des Affen zu betrachten
ist die Redensart estar de monos „schmollen", hauptsächlich
gebraucht mit Bezug auf Liebende. (Vgl. portug. mono
„mürrisch"). Daß der Affe eben infolge seines zornmütigen
Wesens als gefährliches Tier erscheint, erhellt aus der ital.
Redensart: darsi alle bertucce, sich den Affen ergeben, d. h.
in Verzweiflung geraten. (Vgl. Sainean, Creation metaph., 90, 6.)
Nach der dieser Redensart zugrunde liegenden Auffassung ist
als verloren zu betrachten, wer den Affen in die Hände gerät.
Erscheint der Affe in den bisher besprochenen Metaphern
und Redensarten als ein dem Menschen durchaus antipathi-
sches Tier, so mangelt es doch auch nicht an solchen, in
denen der Affe mehr von seiner komischen Seite betrachtet
wird. Fordert doch das Tier, namentlich in seiner Jugend,
durch die außerordentliche Lebhaftigkeit seiner Bewegungen
— daher affenartige Geschwindigkeit, frsLnz. prestesse
de singe — sowie die unbezwingliche Komik seiner Grimassen
zum Vergleich mit kleinen, schalkhaften Kindern geradezu
heraus. Die Sprache hat sich diesen Zug auch nicht ent-
gehen lassen. Im Deutschen und Französischen wird Äffchen,
bzw. petit singe sehr häufig kleinen Bändern gegenüber als
Kosewort gebraucht. Einen tadelnden Sinn hat jedoch das
8 Der Af e.
Wort Grasaffe, wobei nach Sanders dasOras infolge seiner
griinen Farbe als Symbol des unreifen erscheint Auch im
Engl wird monketf anf Kinder angewendet ; allerdings erfährt
das Wort häufig eine Bedeutangsänderung in malam partem.
indem es im Sinne von „Bange" gebraucht wird.
So bezeichnet man sehr häufig ein allzu lärmendes Kind
als troublesame young monkey^ einen lästigen jungen Afifea.
JUonhey-tricks sind „kindische Possen" und to monhey bedeutet
geradezu „Possen treiben". Im Franz. erscheint der gestiefelte
Affe, U singe hatU^ ein Pendant zum chat botiS, als Symbol des
Faxenmachers. Im Ital. ist der übliche Ausdruck für „Schalk,
Schelm" numeüo (das Diminutiv von mofia für monna), das
genau so wie das engl, monhey eine pejorative Bedeutungs-
änderung erfahren hat und für „Gassenjunge" gebraucht werden
kann. Hierher zu ziehen ist auch aus dem Span, das Adjektiv
mono, das in semasiologischer Hinsicht interessant ist, da
es die ursprüngliche, der Etymologie entsprechende Bedeutung
„zum Lachen reizend, spaßhaft" zu der von „fein, hübsch"
entwickelt hat. Der Bedeutungsübergang ist nicht schwer zu
finden. Hübsch ist eben das, was ein wohlgefälliges Lächeln
erweckt. (Vgl. auch Sain6an, Cr6ation m6taph., pag. 92, 7).
Allen hier behandelten Sprachen mit Ausnahme des Franz.
gemeinsam ist die Bezeichnung des Rausches mit „Affe". So
sagt man im Deutschen von einem Betrunkenen: Er hat
einen Affen. Im Ital. heißt es: Ha pigliato la bertuccia, la
monna, er hat den Affen gekriegt, oder auch: J^ cotto come
una monna, er ist betrunken (wörtlich.: gekocht; vgl. franz.
la cuite „Rausch") wie eine Affe. Im Span, heißt es analog:
Sa cogido una mona. Für den Affen kann im Span, aber auch
der Wolf (Mo) oder der Fuchs (zorrd) eintreten, während
man im Ital. für hertuccia oder monna auch Bär {orso) sagen
kann. Übrigens wird im Span, mona metonymisch auch auf
den Betrunkenen selbst angewendet. Daß im Span, die Me-
tapher gar nicht mehi- gefühlt wird, beweist die Redensart:
dormir la mona, seinen Rausch ausschlafen.
In semasiologischer Hinsicht besonders bemerkenswert
ist der Gebrauch von monkey im engl. Matrosenslang, so z. B.
in der Redensart to such üis monkey, den Affen saugen, d. h.
sich hinter dem Rücken der Vorgesetzten betrinken, wobei
Der Affe. !9
daB Getränke metonymisch oacfa der von ihm hervorge-
brachten Wirkung benannt wird. Ja, das Wort wird sogar
«nf das GefaJS, welches das foeranschende Getränk enthält,
übertragen, indem nämlich das Glas, worin den Matrosen ilKre
Portion Grog gereicht wird, monkey genannt wird. (Metonymie
2. Potenz nach Brinkmannscher Terminologie.) Die Erklänmg
einer so vielen Spradien gemeinsamen Metapher kann nicht
schwer fallen. Der übermäßige Genuß alkoholischer Getränke
erweckt eben die im Menschen sdilummernden tierischen
Instinkte — spricht man doch im Deutschen von „viehischer
Betrunkenheit". Daß nun von allen Tieren vorzugsweise der
Affe als Symbol der Trunkenheit erscheint, ist nicht zu ver-
wundern, wenn man bedenkt, daß der Betrunkene durch die
Lebhaftigkeit seiner Gesten, seine Neigung zu allerhand Possen
und nicht zuletzt durch gesteigerte Seizbarkeit und daraus
resultierende Streitlust unwillkürlich an den Affen erinnert.
Sain6an erklärt die Metapher aus der Vorliebe der Affen fiir
«den Alkohol; allein diese Eigentümlichkeit « der Yierhänder
kann nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, die
Erklärung ist daher als gekünstelt abzuweisen. Zu unserer
Auffassung stimmt auch die deutsche Bedensart seinem
Affen Zucker geben, die man auf Betrunkene anwendet,
bei denen sich der Bausch in ausgelassener Lnstigkeit äußert.
Der „Affe" wird durch den erhaltenen Zucker eben fröhlich
gestimmt.
Daß der Affe in sexueller Beziehung ähnlich dem Bodce
^in übles Renommee genießt, beweisen ital. tnicco, span. mioo
als Bezeichnung fOr einen wollüstigen Menschen sowie das
franz. guenon, das geradezu die Bedeutung von „meretrix^
annehmen kann. Diese Metapher mag wohl auf dem Um-
;stand beruhen, daß der Affe gewisse Körperteile, die bei
anderen Tieren dem Blicke entzogen sind, unv^hüllt zur
Schau trägt. Hierher gehört auch der Gebrauch von mcmna
für cwnntM im Ital., womit sich im Altfranz, quine „Affe" als
Bezeichnung des männlichen Gliedes vergleichen läßt.
Zuletzt sei noch auf ein Wort hingewiesen, das in seiner
modernen Form allerdings sch^bar nichts mit dem Affen zu
tun hat. Es ist nämlich das merkwürdige Schlaraffe, mit
Betonung auf der zweiten Silbe. Die Etymologie des Wortes
10 Der Affe.
weist auf ein mhd. Seh In raffe, dessen erster Bestandteil
slur ist, das „Faulenzerei, faule Person" bedeutet. „Schlar-
aflFe" wäre demnach ein fauler Aflfe und war in älterer Zeit
als Schimpfwort für üppig lebende, gedankenlose Müßiggänger
sehr gebräuchlich. Zu dieser Auffassung des Affen als faulen
Tieres paßt vortrefflich das span. Sprichwort: Eso se quiere
la mona, pinoncitos tnondados, das würde dem Affen schmecken,
geschälte Piniennüsse, welches Sprichwort auf Personen an-
gewendet wird, die ohne Mühe einen Preis erringen wollen,
und an die Tauben erinnert, die den Bewohnern des Schla-
raffenlandes gebraten in den Mund fliegen.
Eine ähnliche Bildung wie Schlaraffe ist Maulaffe,
in welchem Worte der zweite Bestandteil allerdings noch
deutlich in seiner ursprünglichen Bedeutung gefühlt wird.
Sanders' Erklärung, wonach Maulaffe, das „Gaffer" bedeutet,
aus „Maul offen" entstanden sein soll, ist wohl zurück-
zuweisen. (Auf Sanders stützt sich auch Eichter, Deutsche
Redensarten, pag. 120.) Wird doch im Span, monote, ein
Pejorativum von mono, ganz in dem Sinne unseres Maulaffen
gebraucht. Im Wörterbuch der spanischen Akademie wird
das Wort definiert als „persona que parece no oir, ver ni en-
tender y estd fijo en un punto como un hito^. (Vgl. berlinerisch
äffen für „gaffen"). Die Erklärung der Metapher liegt auf
der Hand. Das Offenhalten des Mundes gibt dem Gesichte
einen geistlosen, beinahe tierischen Ausdruck und die Bezug-
nahme auf den Affen lag um so näher, als dieses Wort in
den verschiedensten Zusammensetzungen als Schimpfwort be-
liebt war. So finden wir im älteren Deutsch Rotz äffe,
Gähnaffe, Teigaffe, letzteres als Schimpfwort für den
Bäcker. Das Wort „Maul äffe*' bezeichnete offenbar zunächst
den Gaffer, also eine Person, und wurde dann metonymisch
auf den Zustand des Gaffens selbst übertragen, wie erhellt
aus der Redensart „Maulaffen feilhalten" im Sinne von „gaffen".
Man vergleiche damit das span. mona, das umgekehrt zu-
nächst den Zustand der Betrunkenheit und dann die in diesem
Zustand befindliche Person bezeichnet (Etwas anders er-
klärt die Redensart Borchardt- Wustmann , Sprichwörtliche
Redensarten, pag. 320).
Die Fledermaus. 11
Die Fledermaus.
Die metaphorische Verwendung dieses Tiernamens bietet
kein besonderes Interesse, wohl aber ist es in semasiologischer
Hinsicht interessant, die Bezeichnungen dieses Tieres in den
verschiedenen Sprachen miteinander zu vergleichen. Was zu-
nächst die deutsche Bezeichnung Fledermaus betrifft, so
geht dieselbe auf ein ahd. fledarmüs zurück und bedeutet so-
viel als „Flattermaus" mit Beziehung auf das nächtliche
Umherflattern. Hierher zu ziehen ist auch das im älteren
Englisch belegte flittermoiise. Zur Benennung „Maus" berechtigt
der mausähnliche Körper des Tieres. Hierzu stimmen auch
span. murcielago und frz. chauvesouris. Murcielago, daneben
auch murciegalOj beruht auf lat. mus caeculus, heißt also „blinde
Maus". Das lichtscheue Wesen des Tieres, das nur am Abend
und in der Nacht umherfliegt, während des Tages aber sich
verborgen hält, hat im Volke den Aberglauben gezeitigt, daß
es blind sei, wie ja beim Landvolk auch der Maulwurf für
blind gilt. Chauvesouris bedeutet „kahle Maus"; es bezieht
sich diese Bezeichnung auf die nackte Flughaut, die den
Körper halbkreisförmig umgibt. Gleichfalls nach dieser Flug-
haut und zwar nach ihrem lederartigen Aussehen ist das Tier
im Westfälischen benannt, wo es kerspecht, d. i. Lederspecht
heißt. Die Einreihung des Tieres unter die Vögel ist nicht
zu verwundem, für das Volk ist eben alles Vogel, was
fliegt. (Vgl. auch die ital-dialektischen Bezeichnungen uccello
di notte „Nachtvogel" und papilio de nocte „Nachtschmetter-
ling"). Mit leerspecht läßt sich der dänische Name der Fleder-
maus läderlapp „Lederlappen" vergleichen. (Siehe Nyrop,
Das Leben der Wörter, übersetzt von Vogt, pag. 167). Die
italienisch-schriftsprachliche Bezeichnung der Fledermaus ist
pipistreTlo, in welchem Wort das lat. vespertilio (von vesper
„Abend") enthalten ist. Es ist ohne weiteres klar, daß diese
Benennung, die sich auch im Spanischen findet (pipistrelö),
sich auf das abendliche, bzw. nächtliche Umhertreiben des
Tieres bezieht. (Vgl. hiermit den griechischen Namen der
Fledermaus = wmeQlg von ru^ „Nacht"). Interessant ist das
englische Wort für Fledermaus, bat, das im Mittelenglischen
12 Die Fledennans.
backe lautet und zweifelsohne zu germ. hakan „Speck" zu ziehen
ist Wie konnte aber die Fledermaus zum Speck in Beziehung
gesetzt werden?. Hier liefert abermals ein Volksglaube die
Erklärung. Da sich nämlich die Fledermäuse gern in Rauch-
längen aufhalten, so schloß man daraus auf ihre Vorliebe fär
geräuchertes Fleisch und Speck, während uns die Naturge-
schichte ausdrücklich lehrt, daB derartige Leckerbissen die
Fledermäuse kalt lassen. Zu dem engl, bat stimmt übrigens
^as in der Pfalz gebräuchliche Speckmaus. Merkwürdig
ist, da£ in demselben Dialekt der Ausdruck „Fledermaus^
wohl voAommt, aber für „Schmetterling" gebraucht wird. Aus-
nahmsweise m5ge auch die dänische Bezeichnung des Tieres
hierher gezogen werden, da sie ein besonderes setnasiologisches
Interesse bietet. Aftenbakke (aften = Abend) erinnert nämlich
einerseits an lat. vespertilio, andrerseits an engl, bat, deutsch-
dialektisch Speckmaus.
Was nun die paar Metaphern, die die Fledermaus der
Sprache geliefert hat, betrifft, so ist zunächst als auf die äußere
Oestalt des Tieres bezüglich anzuführen das ital. pipistrMo
als Bezeichnung eines Mantels mit Pelerine, der im Deutschen
den Namen „Havelock" führt und tatsächlich eine gewisse
Ähnlichkeit mit der ausgespan iten Flughaut der FiedenuMs
nicht verleugnen kann. Daß die originelle Erscheinung dieses
Tieres auf die Phantasie des Volkes einen besondem Eindrtt<A:
macht, beweist eine Art Maskentracht, die das Äußere des
Tieres zu kopieren sucht und auf Maskenbällen sehr beliebt
ist. Da das Erscheinen der Fledermaus zufolge ihres unheim-
lichen Aussehens und ihrer merkwürdigen Gewohnheit, den
Leuten in die Haare zu fahren, meist eine unangenehme Em-
pfindung hervorruft, so bezeichnet die deutsche Studentensprache
des 17. Jahrhunderts die Mahnzettel trefi'end als papierne
Fledermäuse. (Vgl. Kluge, Deutsche Studentensprache,
pag. 62.) Anspielend auf die nackte Flughaut, der die
Fledermaus im Franz. ihren Namen verdankt, gebraucht man
im Deutschen die Redensart: kahl wie eine Fledermaus.
Auf den Volksglauben, daß die Fledermaus des Ge-
sichtssinns beraubt sei, worauf übrigens, wie gezeigt wurde,
die Benennung des Tieres im Span, beruht, bezieht sich die
englische Redensart as blind as a bat Als Zeitwort fungiert
Der Maulwurf. 13
bat m der im amenkamseten Engl, üblichen Bedensart to
bat the eyes, wörtl. ; es mit den Augen machen wie eine Fledei?-
mMBy d. h. blinzeln, in welcher Wendung ua^er Tiwr zwar
siebt als blind, wohl aber al^; lichtscheu erscheint, wa»
s^em wirklichen Wesen entspricht. In analoger Weise ge-
braucht man auch im Deutschen „Fledermaus'^ gern von
U<ehtscheu«n Personen und im ItaL sagt man mit Erweiterung
des Begriffes von einem, der eist menschenscheues Leben führt r
il un pipisfyfeUo. Auf die abendlichen, b^w. nächtlichen Beute-
Züge des Tieres spielt aa im Span, die BezeichEung murcißliroi
oder mwrcigaHero für einra Dieb, der die DämmeruagsstuBden
benützt, um sicherer seinem Handwerk nachgehen zu komnen.
So wird auch im engl. Gant eine gewisse Art von Damen, die
ihr Gewerbe vorzugsweise in den Abendstunden ausüben, mit
„6a&" bezeichnet.
Schließlich wird im Deutschen der Name der Fledermaus
äJlüQUcfa wie das simpIex^ Maus, zur Bezeichnung des Gering-
fügigen^ Wertlosen gebraucht und tritt in dieser Eigenschaft
dann gern als Verstärkung zu einer Negation. So sagt man z. B.
üni Deutschen: Ich acht' es keine Fledermaus, d.h.: Ick
l^e der Sache durchaus keine Wichtigkeit bei. Häufiger ge<-
braucht man allerdmgs in diesemSinneden Ausdruck „Pfifferling'^.
Der MaiQwTirf.
Was die Etymologie von „Maulwurf^ anlangt^ so ist deir
zweite Bestandteil des Wortes ohne weiteres klar; „Maul''
aber ist hier nicht die vulgäre Bezeichnung von Mund, sondern
em» YOlksetymologische Umbüdung von mhd. rwM „Erde''. Moli-
i&erf, die Bezeichmung des Ti^es im MittelhochdeiKtschen, be-
amtet: das die Erde aufwerfende Tier^ wozu wir im Portu-
giesischen escava-terra „Erdgräber" (neben toupeira) ein Ana-
logen findeUk Neben Maulwurf kommt in Dialekten auch noch
Moltwurm, Maulwurm und Maulwolf vor. Zur ndui
Bezeichnung stimmt die mitteiengMisdie maldwerp, davon dann
in verkürzter Form das neuenglische mole.
Ein älteres Wort für Maulwurf ist Scher, mhd. sch^,
und mit verdeutlichender Zusammensetzung Schermaus.
14 Der Maulwurf.
Das Wort Scher gehört zur Wurzel sMr in „scheren" und be-
deutet also „Kratzer, Scharrer".
Die romanischen Bezeichnungen für Maulwurf gehen
auf lat. tdlpa zurück: ital. talpa, wozu in topo „Maus"
eine Doublette vorliegt, span. topo, franz. taupe. Daß das
Volk ähnliche Tiere verwechselt, ist keine auffallende Er-
scheinung, denn alle Sprachen bieten uns dafür Belege, wohl
aber ist zu verwundern, daß im Italienischen der gerade in
Italien seltene Maulwurf sprachlich als Repräsentant der so
häufig, vorkommenden Maus erscheint. Umgekehrt wird,
worauf schon oben hingewiesen wurde, im Deutschen für Maul-
wurf gelegentlich Schermaus gebraucht.
Bezüglich des Maulwurfs zeigen die verschiedenen Sprachen
eine auffallende Übereinstimmung der Metaphernbildung. Der
Umstand, daß die Augen dieses Tieres ganz im Pelze ver-
steckt sind, hat den Aberglauben gezeitigt, das Tier sei über-
haupt blind. Wahr ist allerdings, daß beim Maulwurfe der
Gesichtssinn infolge seines unterirdischen Daseins nicht be-
sonders entwickelt ist. Mole-eyed „maulwurfäugig" ist dem
Engländer gleichbedeutend mit „kurzsichtig" oder „blind".
Ebenso sagt der Franzose von einem Ganz- oder Halbblinden:
11 ne voit pas plus clair qu^une taupe. Auch das Wort taupe
selbst wird ebenso wie talpa im Ital. (vgl. auch deco come
una talpa) und topo im Span, im oben angedeuteten Sinne
gebraucht.
Mit dem Begriff der Kurzsichtigkeit hängt naturgemäß
der der Unbeholfenheit zusammen, daher bedeutet im Span.
topo einen ungeschickten Menschen, der über alles stolpert,
und als Adjektiv geradezu „stolpernd". Indem von der körper-
lichen Unbeholfenheit auf die geistige geschlossen wird, kann
das Wort im Span, sowohl wie auch im Ital. — seltener im
Deutschen — auf einen beschränkten Menschen angewendet
werden.
Ein span. Provinzialismus, der sich auf Venezuela be-
schränkt, ist topocho, das „untersetzt" bedeutet, mit Anspielung
auf die gedrungene Gestalt des Maulwurfs. Das franz. noir
comme une taupe, schwarz wie ein Maulwurf, hat keine Analoga
in den übrigen Sprachen. (Vgl. auch EoUand, Faune pop. I,
pag. 11, 14.)
Der Maulwurf. 15
Zahlreich sind, namentlich im Franz., die Metaphern, die
sich auf die so charakteristische, von der anderer Tiere \Süig
abweichende Lebensweise des Maulwurfes beziehen, der be-
kanntlich des Tags unter der Erde lebt, wo er mit bewunderns-
werter Technik ausgedehnte Gänge gräbt. (Vgl. franz. taupin
als Spitzname der Kandidaten der polytechnischen Hochschule).
Wenn der Engländer mole als Verbum gebraucht, so bezeichnet
er damit die vom Maulwurf hauptsächlich ausgeübte Tätigkeit,
nämlich das Wühlen in der Erde. Im Deutschen bezeichnet man
allenfalls im geheimen agitatorisch tätige Personen als „Maul-
würfe". Im Franz. sagt man von einem zurückgezogen lebenden
Menschen : II est sQt4^ terre comme une taupe, er lebt unter der
Erde wie ein Maulwurf, wie dem leichtlebigen Franzosen der
Maulwurf überhaupt das Symbol eines Duckmäusers ist. Von
€inem, der sein Geld vergräbt, heißt es: ü fait Ja taupe, er macht es
ivie der Maulwurf. Treffend ist die vulgäre Bezeichnung des
Friedhofs als royaume des taupes, Königreich der Maulwürfe.
Im Volksmund werden die Pioniere taupes de rempart oder
tawpins genannt ; ebenso heißen sie in der deutschen Soldaten-
sprache „Maulwürfe". Auch hat das Franz. von taupe ein Zeit-
wort gebildet, nämlich tauper, das zunächst die Bedeutung
von „arbeiten" hat, dann aber mit Anlehnung an taupe, „Duck-
mäuser", „duckmäuserisch leben" bedeutet. Keinen tadelnden
Sinn hat das Adjektiv taupinier, das man im Deutschen mit
„häuslich" wiedergeben könnte.
Die unterirdische Tätigkeit des Maulwurfs macht sich
■oberirdisch bekanntlich durch Erdhaufen bemerkbar, die der
Franzose taupinüres nennt, welches Wort auch zur verächt-
lichen Bezeichnung von kleinen Hügeln dient. Durch dieses
Aufwerfen der Erde richtet der Maulwurf namentlich in
Oärten Schaden an, weswegen im Franz. servir comme une
iaupe dans un pr^, *) nützen wie ein Maulwurf auf einer Wiese,
geradezu „schädlich sein" bedeutet. Daß der Maulwurf als
«chädliches Tier eifrig verfolgt wird, darf nicht wunder-
nehmen. Es gibt auf dem Lande sogar Leute, die die Jagd
nach diesen Tieren als Spezialität betreiben. Da es jedoch
*) Es soUte wohl richtiger heißen comme dans un jardin. Vgl. hier-
über Brehm, Tierleben (Neuausgabe) II, pag. 381.
16 Der Igel.
bei der hervorragenden Intelligenz des Maulwurfs nicht leicht
ist^ ihm beiznkommen, so ist zu dieser Art von Jagd eine^
nicht geringe Dosis von Schlauheit erforderlich. Man sagt
daher im Franz. von einem geriebenen Kerl geradezu: Cest
un preneur de tattpes, das ist ein Maulwur&fänger. Der Maul-
wurfqäger mufi ferner^ um das Tier nicht zn yerscheuchen^
leise und vorsichtig auftreten^ weswegen im Franz. marcher
comme un preneur de tmupes gleise auftreten^ bedeutet Anch
wird tcuu/pier = preneur de taupes im Sinne von ^Dttckm&user^^
gebraucht.
Der IgeL
Die romanischen Bezeichnungen fär Igel gehen mit Aus»
nähme des ital. spinoso oder porco apino, das eigentlich „Stachelr<
Schwein^ bedeutet, auf lat. ericeus zurück: itaL riccio^ span.
erieo^ frz. hiriesan. Auch engl, urchin ist romanisch, da es dem
Altfrz. entlehnt ist. Das ältere germanische Wort hedgehojt
bedeutet wörtlich „Heckenschwein^, womit sich das in deut-
sehen Dialekten vorkommendie Zaunigel vergleichen läßt.
Urchin und hedgehog verdrängten das altengl. iglj wogegen,
sieh das Wort im Deutschen als lebenskräftig erwies.
Was nun die metaphorische Verwendung des Wortes be-
trifft, so ist allen genannten Sprachen die Auffassung des
Igels als stacheligen Tieres gemeinsam, wie ja der Italiener
neben riccio auch parco spino oder spinoso gebraucht. Wenn
sich der Igel zusammenrollt, so^ sieht er tatsächlich einer
stacheligen Kugel täuschend ähnlich, weswegen die Sprache-
stachelige Gegenstände ohne weiteres mit „IgeP^ bezeichnet.
So wird im Deutschen und Engl sowie üi den romanischen^
Sprachen der Name des Tieres für Stachelfruchtpflanzen
und zwar namentlich zur Bezeichnung der stacheligen Schale
der Kastanie gebraucht Im Franz. und Span, werden auck
die Eisenspitzen, die man auf Mauern anbringt, um das Er-
klettern derselben zu erschweren „hMssons^^, resp. „erizoä^^ ge-
nannt. Auch auf andere Tiere, die mit dem Igel eine gewisse
Ähnlichkeit haben, wurde das Wort übertragen. Der See-
igel findet seine Analoga in engl, seorurchinj ital. riccio di
mare, span. erizo de mar. Ob firz. oursin auf ericeus zurück-
Der Igel. 17
geht, ist nicht ausgemacht; jedenfalls ist das Wort volks-
etymologisch an ours „Bär" angeglichen. Man vergleiche da-
mit frz. hirissonne, deutsch Bärenraupe. Das Span, und
Franz. weisen auch verbale Weiterbildungen auf: erizarse, se
hSrisser „sich emporsträuben", von Haaren gebraucht. Daher
auch span. erizado „borstig".
Mit dem Stachligen ist der Begriflf des Krausen ver-
wandt, daher ital. riccio „gekraust, lockig" und als Substantiv
geradezu „Locke", davon wieder als Metapher zweiten Grades
die Bedeutung „geringelter Hobelspan". Mit Bezug auf die
gekräuselten Schamhaare bezeichnete man im Deutsch des
16. Jahrhunderts den weiblichen Geschlechtsteil als „Igel" und
für den Beischlaf wurde der Ausdruck den Igel stechen
gebraucht.
Ohne weiteres einleuchtend ist die metaphorische Ver-
wendung des Wortes auf moralischem Gebiete. Von dem Bilde
des seine Stacheln als Schutzwaife gebrauchenden Igels her-
genommen ist der Gebrauch des Wortes für einen brummigen,
unzugänglichen Menschen. Hierin stimmen das Deutsche,
Ital., Franz. und Span, überein. Im selben Sinne kann hSrisson
im Franz. auch adjektivisch gebraucht werden. So spricht
man z. B. von einer humeur Mrissonne, einer „igelmäßigen" Laune.
Demgemäß sagt der Spanier auch von einem, der böse wird:
se eriza^ der Franzose: il se hörisse, — Eine auffallende Ab-
weichung zeigt nur das Englische. Dem Volke mag der Igel
infolge seiner Fähigkeit, sich in eine Kugel gleichsam zu ver-
wandeln, leicht als ein spukhaftes Wesen erscheinen, das den
Menschen foppt und ihn mit seinen Stacheln bedroht; daher
im älteren Engl, urchin zunächst „Kobold", dann aber auch
„ein neckisches Kind" und als Adjektiv „neckisch, boshaft"
bedeutet. (Vgl. die Fabel vom Igel und dem Maulwurf). Die
Bedeutungsspaltung in bonam et malam partem entspricht
völlig der Vorstellung des Volkes von den Kobolden, die sich
dem Menschen bald freundlich, bald feindlich gesinnt zeigen.
Einer besonderen Erklärung bedarf der Ausdruck Schwein-
igel, womit man einen unreinlichen, bzw. unflätigen Menschen
bezeichnet. Das Wort ist ein interessantes Beispiel für Volks-
etymologie. Es ist nämlich aus ursprünglichem „Schweinnickel"
entstanden, das übrigens auch noch gebraucht wird. Nickel
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 2
18 Der Luchs.
ist Koseform von Nikolaus und wurde wie viele andere Eigen-
namen (vgl. Stoffel, Rüpel, Hansel) zum Gattungsnamen. Es
findet sich namentlich in Zusammensetzungen wie Zomnickel,
Pumpernickel, Nickelmann. (Vgl. Waag, Bedeutungsentwick-
lung unseres Wortschatzes, pag. 160.) Die ümdeutung zu
„Schweinigel" konnte um so leichter geschehen, als der Igel
tatsächlich infolge des ihm anhaftenden unangenehmen Ge-
ruches im Rufe eines unreinlichen Tieres steht. Die ursprüng-
liche Bedeutung des Wortes ist Igel mit einer Schweins-
schnauze. Die ältere Naturgeschichte teilte die Igel nach der
Schnauzenform in Hundsigel und Schweinigel. Möglicherweise
ist auch die Redensart huren wie ein Igel hierherzustellen.
(Vgl. „Schwein" als tadelnde Bezeichnung für einen unzüch-
tigen Menschen.) Von Schweinigel wurde ein Abstraktum
Schweinigelei gebildet.
Rätselhaft erscheint auf den ersten Blick die Redensart
saufen wie ein Igel, denn die Tierbiologie weiß nichts
von einer besonderen Durstigkeit des Igels. Den Schlüssel zu
dieser Redensart finden wir im älteren Deutsch, wo man von
einem stets Durstigen sagte, er habe einen Igel im Leibe,
was eine Nachbildung folgenden franz. Scherzwortes ist: 11 a
un hirisson dans U venire \ sHl ne boit, il pique d. h. er hat einen
Igel im Bauch. Trinkt er nicht, so sticht er. (Vgl. auch:
ein „stechender" Durst.)
Der Luchs.
Das deutsche Luchs, das schon im Ahd. liihs lautete,
wahrscheinlich zur Wurzel luh in Licht gehörig — man
denke an die leuchtenden Augen des Tieres — ist stamm-
verwandt mit griechisch Avy§, das als Lehnwort ins Lateinische
aufgenommen wurde. Auf dieses lat. lynx gehen zurück ital.,
span. lince^ frz., engl. lynx. Doch ist in den romanischen Sprachen
neben dieser gelehrten auch eine volkstümliche Bezeichnung
üblich, nämlich ital. lupo cerviero, frz. loup-cervier, daneben auch
chat-cervier. Diese Benennung des Tieres als „ Hirsch wolf"
bezieht sich auf die Lieblingsbeute des Luchses, den Hirsch.
Hiermit läßt sich der in der Schweiz übliche Name des Tieres,
Der Luchs. 19
Tierwolf, vergleichen, wobei „Tier" die in der Sprache der
Jäger übliche Bezeichnung der Hirschkuh ist. Treffender ist
die frz. Bezeichnung chaUcervier „Hirschkatze", da der Luchs
ins Katzengeschlecht gehört und somit kein Verwandter des
Wolfes ist. Auf ein von lynx gebildetes lyncea gehen zurück
ital. lonza^ frz. mit mißverstandenem Anlaut Vonce^ mit welchem
Worte nicht der Luchs, wohl aber ein ihm nahe verwandtes
Raubtier, nämlich der Jaguar, bezeichnet wird. Auch ins
Deutscheist das Wort eingedrungen, und zwar in der Form Unze.
Was nun die EoUe betrifft, die der Luchs in der
Phraseologie spielt, so ist es zunächst sein scharfes Gesicht,
das eine metaphorische Verwertung erfahren hat. Glaubte
man doch früher, der Luchs könne mit seinen funkelnden
Augen durch eine Mauer hindurchsehen. Und zwar zeigen
hierin sämtliche Kultursprachen eine auffallende Übereinstim-
mung. So sagt man im Deutschen von einer scharfäugigen
Person, sie habe Luchsaugen. Ebenso gebraucht man im
Engl, lynx^s eyes, im Ital. occhi di lince, auch occhi lincei oder
vista di lince, im Span, ojos de lince oder, indem lince adjek-
tivisch gebraucht erscheint, ojos linces. Analog sagt man im
Franz. von einem, der gute Augen besitzt: 11 a des yeux
de lynx, was, auf die abstrakte Begriffssphäre übertragen,
auch bedeuten kann: Er durchschaut die Pläne anderer. Als
Symbol der Scharfaugigkeit wird der Luchs häufig in Gegen-
satz gebracht zum Maulwurf, dem Sinnbild der Blindheit. So
sagt man z. B. im Franz. von einem, der wohl die Fehler
der anderen, seine eigenen aber nicht bemerkt: 11 est lynx
envers ses pareils et taupe envers soi, er ist Luchs gegen seine
Nächsten und Maulwurf gegen sich. Auch im Span, findet
sich dieses Sprichwort. Im Deutschen wird „Luchs" über-
haupt verwendet zur Bezeichnung eines scharf aufpassenden
Menschen, wohl auch mit Beziehung auf die Gewohnheit des
Tieres, von einem Baumast aus auf das vorbeiziehende Wild
zu lauem, weswegen luchsen soviel als „lauem, aufpassen"
bedeutet.
Wie einerseits häufig Kurzsichtigkeit oder Blindheit als
Symbol geistiger Blindheit erscheint — es sei z. B. an den
Maulwurf erinnert — so gilt andererseits ein scharfes Auge
oft als Sinnbild eines scharfen Verstandes. Daher im Deutschen
2*
20 I>er Löwe.
„Luchs" nicht bloß Bezeichnung einer scharfäugigen, sondern
auch einer schlauen Person sein kann. An diesen Gebrauch
von „Luchs" knüpfen an die Zeitwörter abluchsen und
beluchsen. Das erstere bedeutet: jemd. auf schlaue
Weise etwas abschwindeln, das zweite ist ohne weiteres ein
Synonym von „begaunern". Auch kann das einfache „luchsen",
transitiv gebraucht, den Sinn von „stibitzen" annehmen. Der
Italiener scheint dem Luchs gleichfalls besondere Intelligenz zu-
zuschreiben, wenigstens spricht dafür der Name der bedeutendsten
Akademie der Wissenschaften in Italien : Äccademia dei Lincei,
(linceo ist ein von lince abgeleitetes, hier substantivisch ge-
brauchtes Adjektiv).
Nur dem Franz. eigentümlich ist der Gebrauch von
Luchs (loup'Cervier) als Bezeichnung für einen Wucherer.
Zweifelsohne denkt der Franzose dabei an die Art und
Weise, wie der Luchs sein Opfer zu Falle bringt. Wie
alle katzenartigen Raubtiere springt er dem Tiere auf den
Rücken und, indem er sich mit seinen Tatzen eingräbt,
beißt er dem Opfer die Halsschlagader durch und läßt erst
los, wenn das Tier tot zusammenbricht. So gibt auch der
Wucherer sein Opfer erst frei, wenn es pekuniär vollkommen
ruiniert ist. Schließlich sei noch erwähnt, daß Goethe in
seinem Faust den Mephisto gelegentlich mit dem Titel „Höllen-
luchs" beehrt. Der Vergleich ist treffend. Der Teufel belauert
nach christlicher Vorstellung sein Opfer ganz nach Art des
Luchses und wie dieser läßt er die einmal erfaßte Beute nicht
mehr los. Übrigens spielt der Luchs in germanischen Mythen
eine gewisse Rolle, indem z. B. Riesen sich gern in Luchs-
gestalt zu verwandeln pflegen.
Der Löwe.
Die romanischen Namen für dieses Tier : ital. leone, span.
leon, frz. Hon gehen sämtlich auf lat. feo zurück. EngL lion
ist Entlehnung aus dem Französischen. Das deutsche Löwe*)
*) Der Familienname „Löwe" beruht in den meisten Fällen auf Um-
deutung von „Lewy".
Der Löwe. 21
beruht auf ahd. lewo, lewo, und dieses geht gleich den roma-
nischen Bezeichnungen auf lat. fco zurück. Neben Löwe kommt
übrigens auch die Form Leu vor, die jedoch im Neuhoch-
deutschen nur in poetischer Sprache verwendet wird. (Vgl.
Seiler, Die Entwicklung der deutschen Kultur im Spiegel des
deutschen Lehnworts, n pag. 65.)
Obwohl exotischen Ursprungs, ist der Löwe in Europa
so bekannt geworden, daß er in Sprache und Literatur nahezu
wie ein einheimisches Tier behandelt wird. Häufig ist sein
Bild auch als Wappen, als Wirtshausschild, für Orden und
Münzen verwendet worden. (Über seine Rolle in der Heraldik
vgl. Sachs, Zusammenhang von Mensch und Tier, Neuphil.
Zentralbl. 1903, pag. 134.) Sogar auf Bettvorlegern erscheint
er, wofür man im Deutschen die scherzhafte Bezeichnung ge-
zähmter Löwe gebraucht. Die Ausnahmsstellung, die er
als „König der Tiere" in der Auffassung der Völker einnimmt,
spiegelt sich in der Sprache wieder. Bei allen Völkern er-
scheint er als Symbol der Kühnheit und Kraft und dem ent-
spricht auch die metaphorische Verwertung, die sein Name
in den verschiedenen Sprachen findet.
So auffallend des Löwen äußere Erscheinung auch ist, so be-
ziehen sich doch nur wenig Metaphern auf dieselbe. Es wäre im
Deutschen höchstens Löwenmähne zu erwähnen, womit man
meist ironisch überlanges Haupthaar bezeichnet Auf der Farbe
des Felles beruht span. leonado, das demnach „schmutziggelb,
fahl" bedeutet. Die Klaue des Löwen wird metaphorisch ver-
wendet in dem franz. Sprichwort A Tongle on connati le Hon, an
der Klaue erkennt man den Löwen (lat. ex ungue Uonem), d. h.
der kleinste Zug genügt, um einen großen Mann erkennen zu
lassen. Dieses Sprichwort, das sich auch im Ital. (dalV ugne
si conosce il hone) und im Engl, {you may know the lion hy his
claw) findet, ist klassischen Ursprungs. Lucian erzählt nämlich
von Phidias, er sei im stände gewesen, genau die Größe eines
Löwen anzugeben, sobald er dessen Klauen besehen habe.
(Vgl. Eozän, Les animaux dans les proverbes, pag. 231 ff.)
Der Löwe ist das starke Tier xav' e^oxrjv: daher im
Deutschen der Ausdruck löwenstark. Desgleichen be-
zeichnet man im Ital. hervorragende Stärke mit forza
leonina und wenn der Italiener von febbre da leoni „Löwen-
22 I>er Löwe.
fieber^ spricht, so meint er damit einen hohen Grad von
Fieber, wie ja auch die Namen anderer starker Tiere, wie
Bär und Pferd, in ähnlicher Weise verwendet werden. So
sagt man im Ital. auch fehbre da cavalli für febbre da leoni
Der metaphorische Gebrauch von Löwenanteil beruht
auf einer allen Literaturen geläufigen Fabel. Es ist dies die
Fabel von dem Löwen, der mit dem Fuchs und dem Esel auf
die Jagd zieht und den mit der Teilung der Beute beauf-
tragten Esel zerreißt^ da dieser wider sein Erwarten die Beute
in drei gleiche Teile geteilt. Der Fuchs, dem hierauf das
Geschäft des Teilens aufgetragen wird, weist schlauerweise
dem Löwen den größeren Teil zu und antwortet auf dessen
Frage, warum er anders teile als der Esel, mit den Worten:
„Das Unglück des Esels hat mich gelehrt, was ein Schwächerer
dem Mächtigeren schuldig ist.^ Wenn man übrigens von
jemand sagt, er habe den „Löwenanteil' erhalten, so meint
man damit nicht immer, er habe als Stärkerer sich wider-
rechtlich ein Plus angeeignet, sondern man will nur sagen, es
sei ihm aus diesem oder jenem Grunde der größere, bzw. größte
Teil zugefallen. Die Metapher hat demnach eine Bedeutungs-
erweiterung erfahren und wird in diesem Sinne auch in den
übrigen Eultursprachen gebraucht, so z. B. im Engl. : the liovCs
share, im Ital. : la parte del leone, im Span. : la parte konina.
Enger an den Sinn der Fabel schließt sich an das frz. maxime
leonine und das span. mdxima leanina, was man frei mit
„Löwenmoral" wiedergeben könnte und womit auf die Ant-
wort des Fuchses in der Fabel angespielt wird. Im Span,
kommt auch contrato leonino „Löwen vertrag" vor, womit
man einen Vertrag meint, bei welchem der Schwächere den
Kürzeren zieht.
Der Löwe ist aber nicht bloß Symbol der Stärke, sondern
auch des Mutes, mit der Nebenvorstellung des Großmutes
dem Besiegten gegenüber. Mut ist ja meistens nur die
moralische Folge physischer Überlegenheit. Schon im Lat.
bezeichnete man mit leo einen kühnen, herzhaften Mann. An
diese Auffassung haben sich sämtliche moderne Kultursprachen
angeschlossen. So sagt man im Deutschen von tapferen
Kriegern: sie kämpfen wie Löwen, und auch den übrigen
Kultursprachen ist diese Eedensart nicht fremd (z. B. ital.
Der Löwe. 23
combatiere da leovi). Ein beherzter Mann wird auch ein
löwenherziger Mann genannt und König Richard von
England, der tollkühne Kreuzfahrer, wurde infolge seiner
mannigfachen Heldentaten vom Volke mit dem Beinamen
lion-heart „Löwenherz" ausgezeichnet. (Vgl. auch lion-
hearted „löwenherzig".) Einem Bramarbas, der mit den
Taten seines zweifelhaften Mutes prahlen will, ruft der
Italiener zu: Non fare il leonel tue nicht, als wärst du
ein Löwe! während der Spanier von einem eisenfresse-
rischen Aufschneider sagt, er schlage dem Löwen die Kinn-
backen ein {desquijarar leoms\ was als das non plus ultra
der Kühnheit gilt. Wenn im Londoner Slang der Hase ,^lion^^
genannt wird, so beruht diese Bezeichnung auf Ironie, die
die Dinge nach ihrem . Gegenteil zu benennen pflegt, wie
ja tatsächlich der Hase als Symbol der Feigheit das Gegen-
spiel des Löwen ist. Daher sagt auch der Italiener cuore
di cofiiglio e pelle di leone, Kaninchenherz und Löwenfell,
von einem trotz seiner Körperstärke feigen Menschen. Eben-
so wird der Hirsch dem Löwen gegenübergestellt in den ital.
Sprichwörtern: / cervi non comandano ai leoni, die Hirsche
haben den Löwen nichts zu befehlen, d. h. der Schwache soll
nicht über den Starken herrschen, und Väl piü un leone a
capo di cento cervi che un cervo a capo di cento leoni, ein Löwe
an der Spitze von hundert Hirschen ist mehr wert als ein
Hirsch an der Spitze von hundert Löwen, d. h. im Kriege
kommt es hauptsächlich auf die Tüchtigkeit des Führers an.
Hierher zu ziehen ist auch das engl. Sprichwort: The lion's
not half so fierce as he is painted, der Löwe ist nicht halb so
wild als er gemalt wird (vgl. span. No es tan bravo el
leon como lo pintan), was dem deutschen Sprichwort entspricht:
Es wird nicht so heiß gegessen als gekocht wird. Einerseits
auf die Schlauheit des Fuchses, anderseits auf die Kühnheit
des Löwen bezieht sich im Engl, die sprichwörtliche Redens-
art to patch a fox's tau to a lion^s shin, einen Fuchsschwanz
an ein Löwenfell heften, d. h. Schlauheit mit Kühnheit ver-
einen, wozu im Franz. coudre la peau du renard ä celle du
lion, ein Fuchsfell an ein Löwenfell nähen, ein Analogon bildet.
Man sagt auch: Ce que lion ne petdj renard le fait, was der
Löwe nicht kann, macht der Fuchs. (Vgl. Rozan, Les animaux
24 I>er Löwe.
dans les proverbes, pag. 236 ff.) Ähnlich sagt der Italiener : La
volpe ne sa piü del Uone, der Fuchs weiß mehr als der Löwe.
Stärke mit Kühnheit gepaart verleiht Macht. Es er-
scheint der Löwe daher auch als Symbol der Macht, figuriert
er doch im Tierepos und in der Tierfabel als König der
Tiere. In diesem Sinne ist vom Löwen die Bede in dem
engl. Sprichwort: IVs better to he head of a lüard than tau
of a lion, das sich auch im Ital. findet: Meglio capo di
lueertola che coda di leone, besser Kopf einer Eidechse als
Schwanz eines Löwen, d. h. besser ist es, in kleinen Verhält-
nissen der Erste als in großen der Letzte zu sein. Anstatt
capo di lueertola heißt es auch capo di gatto „Kopf einer Katze''.
Analoga finden sich auch in anderen Kultursprachen. So im
Span. : Antes cdbeza de goto (raton) qtie coda de leön, im Franz. :
Mieux taut Hre tete de chat que queue de Hon. Im Engl, kommt die
Variante head ofa dog „Kopf eines Hundes" für head ofa Ivsard vor.
Der geringgeschätzte Hund wird zum mächtigen Löwen auch
in Gegensatz gebracht in dem deutschen Sprichwort: Ein
lebender Hund ist besser als ein toter Löwe, d.h.
besser arm und gesund als reich und krank (vgl. ital. ^ meglio
un carte vivo che un leone morto, franz. Chien en vie vaut miei4X
que lion mort), ferner in der sprichwörtlichen franz. Redensart
bcUtre le chien devant le lion, den Hund vor dem Löwen schlagen,
was unserem deutschen „den Sack schlagen und den Esel meinen'^
entspricht. Der Mächtige zieht den Bück der Menge auf sich,
daher im Engl, der Ausdruck lion of the day „Löwe des Tages"
für eine Modeberühmtheit, eine Person, die gewissermaßen
Herrscher ist im Bereich der Mode. Diese Metapher, die auch ins
Deutsche (vgl. Gesellschaftslöwe), Franz. und Ital. ein-
drang, entstand im 18. Jahrhundert in London, wo der neugierigen
Menge im Tower zum ersten Mal ein Löwe gezeigt wurde.
Hierauf bezieht sich auch die engl. Redensart to show the lions,
einem Fremden die Löwen, d. h. die Ortsmerkwürdigkeiten
zeigen. Demnach wird lion-hunter „Löwenjäger" metaphorisch
gebraucht für einen Menschen, der Berühmtheiten und Orts-
merkwürdigkeiten nachjagt. Bei der Häufigkeit solcher Indi-
viduen gerade unter den Engländern ist es nicht zu ver-
wundern, daß das Englische dafür einen eigenen Ausdruck
disponibel hat. Auch ein Verbum, to lionise, wird in derselben
Der Löwe. 25
metaphorischen Bedeutung gebraucht und bedeutet daher ent-
weder „jemand als Berühmtheit anstaunen" oder „die Orts-
raerk Würdigkeiten in Augenschein nehmen". Bezeichnete man
mit Hon den Modehelden, so nannte man die Modedame lioness,
was dem franz. Uonm entspricht, welches Wort mit der Zeit eine
etwas anrüchige Bedeutung bekam. (Vgl. das Drama von
Augier „Les lionnes pauvres".) Auch Uonceau „junger Löwe"
wird metaphorisch gebraucht, und zwar ironisch für einen
Stutzer plebejischer Herkunft, d^r die Manieren der feinen
Welt nachzuahmen sucht.
Bei aller Sympathie, die der Löwe dem Menschen einflößt,
bleibt er doch ein für ihn gefährliches Tier und es kommt auch
diese Seite seines Wesens in der Sprache zum Ausdruck. Er muß
gich's sogar gefallen lassen, daß die Bibel ihn als Vergleichs-
objekt für den Teufel benutzt, indem sie von letzterem be-
hauptet, daß er umhergehe wie ein brüllender Löwe.
{Vgl. brüllen wie ein Löwe.) Wenn der Engländer sagen
will, daß eine furchtbare Gefahr im Anzug ist, so drückt er
<lies gern aus mit den Worten: A lion is in the way , ein
Löwe ist auf dem Wege (stammt aus den Sprüchen Salomonis
26, 13), und von jemand, der sich einer großen Gefahr aus-
setzt, sagt er: He puishis head into the liorCs mouth, er steckt
seinen Kopf in des Löwen Eachen, während im Ital. und
Franz. der Wolf an Stelle des Löwen tritt. Im Deutschen
wendet man eine ähnliche Redensart an, nämlich sich in
die Höhle des Löwen wagen. Ihren Ursprung findet
man in der 246. Fabel des Äsop. Daselbst antwortet der
Fuchs dem in der Höhle krank liegenden Löwen auf dessen
Frage, warum er nicht nähertrete : „Ich träte ein, wenn ich nicht
die Spuren vieler Hineingehender, aber keines Hinausgehen-
den sähe". (Vgl. Büchmann, Gefl. Worte, pag. 411.) So nennt
auch der Spanier das Spielhaus eine Löwenhöhle {leonera), da
derjenige, der sich in ein solches Lokal wagt, den pekuniären
Ruin riskiert. Dementsprechend wird der Spielhalter leonero
genannt. Hierher zu ziehen ist ferner der Vergleich eines in
heftigen Zorn geratenden Menschen mit einem wütenden
Löwen, welche Metapher hauptsächlich dem Deutschen ge-
läufig ist. Auf die Raubtiematur des Löwen bezieht sich
auch die Redensart : Wenn der Löwe Blut geleckt ha*
26 Der Tiger.
(zu ergänzen: dann will er nichts mehr anderes), d. h. hat
man einmal angefangen, an einer Sache Gefallen zn finden,,
kann man nicht mehr von ihr lassen. Ebenso hei£t es engL
when the lion hos licked blood.
Schließlich mögen hier noch einige Tiere angeführt werden,,
die nach dem Löwen benannt sind. Da ist in erster Linie
der Leopard zu nennen. Das griechische keÖTtaQÖog drang
auf dem Umwege über das Lateinische in die modernen
Sprachen ein : ital., span. leopardo, franz. liopard, deutsch Leopard,,
engl, leopard. Im Span, existiert übrigens eine auf volks-
tümliche Angleichung an pardo „gefärbt" beruhende Form
leon pardo, was mit Anspielung auf das scheckige Fell des
Tieres „gefärbter Löwe" bedeutet. Indes ist in sämtlichen
Kultursprachen auch die einfache Form üblich: ital., span.
pardo, franz., engl, pard, deutsch Pardel. Femer ist zu
nennen der Seelöwe, ein durch Gesichtsbildung, Färbung
des Felles und nicht zuletzt durch seine Mähne an den Löwen
erinnernder Flossenfüßler ; die gleiche Benennung weisen die
übrigen Sprachen auf: engl, sea-lion, ital., span. leon {leon}
marino, frz. lion marin. Beim Löwenäffchen ist die Mähne
das tertium comparationis : engl, lion-monkey, ital. scimmia Uone^
frz. singe-lion, span. leoncito, was wörtlich „kleiner Löwe"
heißt. Erwähnt sei noch, daß im Span, die Biesenschlange
wegen ihrer außerordentlichen Stärke und Gefährlichkeit lern
„Löwe" genannt wird. Auch Geschütze und Schiffe führten
früher häufig seinen Namen und heute noch wird er in der
franz. Marine als Schift'sbild gebraucht.
Der Tiger.
In etymologischer Beziehung ist von dem Namen dieses
Tieres nicht viel zu sagen. Das Wort ist griechischen Ur-
sprungs (TiyQig), also bereits im Lat. Lehnwort. Auf lat. tigris
gehen ital., span., frz. tigre zurück. Engl, tiger, deutsch
Tiger sind ihrerseits wieder dem Eomanischen entlehnt.
Was in der äußeren Erscheinung des Tigers am meisten
auffällt, ist sein gestreiftes Fell. Hierauf ist es jedenfalls
zurückzuführen, wenn im Franz., seltener im Engl, das Wort
Der Tiger. 27
Tiger für einen Reitknecht oder Lakaien gebraucht wird,
indem die Livree dieser Bediensteten häufig gestreift ist und
so an das Tigerfell erinnert. Im engl. Slang wird ge-
streifter Speck mit „%er" bezeichnet. Auch werden Tiere
von ähnlicher Zeichnung nach dem Tiger benannt: Tiger-
hund, Tigerpferd, Tigerkatze, Tigerwolf (gestreifte
Hyäne). Engl.: tiger-dog, tiger-horse etc, frz.: chien tigre, cheval
tigre oder auch einfach tigre. Übrigens existieren im Span,
und Franz. verbale Weiterbildungen von tigre; span. atigrar,
frz. tigrer „tigerartig färben", wovon hauptsächlich die parti-
cipia perfecti atigrado, resp. tigrd gebräuchlich sind, denen das
ital. tigrato entspricht. So wird das deutsche „Tigerhund",
„Tigerpferd" etc. im Ital. mit cane tigrato, cavallo tigrato,
im Span, mit perro atigrado, cavallo atigrado wiedergegeben.
Das Engl, besitzt hierfür ein eigenes Adjektiv tigrine, während
tigrish sich auf die weiter unten zu erörternden ethischen
Eigenschaften des Tigers bezieht. Auf die Schnelligkeit des
Tieres spielt an engl, tiger-footed „tigerfüßig", für welche
Metapher sich in den übrigen Sprachen kein Analogon findet,
es sei denn, man zöge das im Pariser Theaterargot als Be-
zeichnung einer angehenden Tänzerin übliche tigre hierher,
wobei jedenfalls ironischer Weise die Entrechats der Tänzerin
mit den Sprüngen eines Tigers verglichen werden. (Vgl. rat.)
In semasiologischer Hinsicht bemerkenswert ist tiger im
amerikanischen Engl, als Bezeichnung eines Beifallsgebrülles:
three cheers and a tiger, drei Vivats und ein Brüllen. Diese
Metapher beruht auf einem interessanten Fall von Metonymie,
indem nämlich der Name des Tieres für die von ihm hervor-
gebrachten Laute gesetzt wird (Ursache für Wirkung). (Vgl.
in der deutschen Soldatensprache Frosch für den falschen
Ton des Hornisten.) Die entgegengesetzte Erscheinung, Be-
nennung eines Tieres nach seiner stimmlichen Betätigung,
kommt viel häufiger vor. Man denke an Tiernamen wie
Kuckuck, Uhu, Krähe etc.
Was nun die psychischen Eigenschaften des Tigers be-
trifft, so sind alle Kultursprachen darin einig, in ihm das
Symbol der Grausamkeit und Blutgier zu sehen, was übrigens
dem wirklichen Wesen dieses Eaubtieres durchaus nicht wider-
spricht. So charakterisiert Geibel in seinem grandiosen Ge-
28 Der Wolf.
dichte „Der Tod des Tiberius" den römischen Tyrannen vor-
trefflich, indem er ihn den „greisen Tiger** nennt. Wenn^der
Engländer von jemandem sagt, er sei tiger-hearted „tigerherzig",
so meint er damit, er sei grausam. In ähnlicher Weise
spricht der Italiener von instinti tigreschi „tigerhaften", d. h.
grausamen Instinkten (vgl. auch feroce come una tigre, wild
wie ein Tiger), der Spanier von einem corazön atigrado, der
Franzose von einem cceur de tigre. Übrigens wird auch das
Feminium metaphorisch verwendet. So bezeichnet der Spanier
ein grausames Weib mit %m, der Franzose mit tigresse.
Letzteres Wort wird hauptsächlich in ironischem Sinne von
erotischer Unnahbarkeit gebraucht, bezeichnet also eine mehr
passive Grausamkeit. Wenn der Franzose daher von einem
Weibe sagt: Elle rCest pas tigresse, sie ist keine Tigerin, so
meint er damit, sie sei nicht unerbittlich.
Weniger befindet sich die Sprache in Übereinstimmung
mit der Naturgeschichte, wenn sie den Tiger als Symbol der
Eifersucht verwendet. Brehm wenigstens weiß nichts von
einer besonderen Eifersucht des Tigers zu berichten. Gleich-
wohl sagt man im Deutschen sehr häufig: Er ist eifer-
süchtig wie ein Tiger. Ebenso heißt es im Franz.: //
est jaloux comme un tigre. Es mag hierbei an eine Eifersucht
gedacht werden, die sich in Wutausbrüchen und Gewalttätig-
keiten äußert. Dann hätten wir es hier mit einer Metonymie
zu tun, indem die Ursache für die Wirkung gesetzt erscheint,
gleichsam: Er ist (eifersüchtig und daher) wütend wie ein
Tiger. Ganz vereinzelt ist der Gebrauch von tiger im Engl,
für Prahler, namentlich in Kleidung und Benehmen. Diese
Metapher beruht wohl darauf, daß der Tiger in Europa als
exotisches Tier allgemein angestaunt wird und der Prahler
ein ähnliches Aufsehen zu erregen wünscht.
Der Wolf.
Das deutsche Wolf, das schon im Ähd. so lautet, und
das engl, wolf, altengl. toulf, beruhen auf germanisch umlfo — .
Die romanischen Bezeichnungen dieses Tieres gehen sämtlich
auf lat. lupm zurück : ital. lupo, span. loho, frz. loup, altfrz. leu,
Der Wolf. 29
das noch erhalten ist in der Redensart aller ä la quetie leu leu,
auf die wir weiter nnten zurückkommen.
. Die Metaphern, die auf physischen Eigenschaften des
Wolfes beruhen, sind nicht eben zahlreich. Besonders charak-
teristisch ist die Gangart der Wölfe. Diese Tiere gehen
nämlich eines hinter dem anderen her, worauf die frz. Redens-
art aller a la queue leu leu beruht. Dieses leu leu (richtiger
wäre le leu), ein nicht mehr verstandenes Überbleibsel aus
dem Altfranz., bedeutet soviel wie das moderne du loup. Die
wörtliche Übersetzung der Redensart wäre demnach „am
Wolfsschwanze gehen", was unserem deutschen ,,in Gänse-
marsch gehen" entspricht. Hingegen nimmt eine andere franz.
Redensart : marcher d pas de loup, im Wolfsschritt gehen, d. h.
leise auftreten, Bezug auf den leisen, fast unhörbaren Tritt
des Wolfes. Der Wolf gang wurde im Deutschen sogar zum
Taufnamen. Hierher zu ziehen ist auch das ital. loffh oder
loffia „crepitus ventris", das auf ein von lupus abgeleitetes,
supponiertes lupea zurückgeht und unserem „Schleicher" ent-
spricht. Ein interessantes Beispiel von Metonymie liegt vor
in saut de loup „Wolfssprung", einem militärischen terminus
technicus, mit dem man eine als Annäherungshindernis bei
Feldverschanzungen dienende Grube bezeichnet, in deren Sohle
man spitze Pfähle eintfeibt. Die Bezeichnung saut de loup
erklärt sich darausTaaB man in frühö-en Zeiten ähnliche
Gruben zum Fangen von Wölfen anlegte. Im Deutschen ist
dafür die Bezeichnung Wolfsgrube üblich. Im negativen
Sinne bezieht sich auf die Farbe des Wolfes die franz. Redens-
art: 11 est connu comme le loup blanc, er ist bekannt wie der
weiße Wolf, d. h. jedermann kennt ihn. Ein so abnorm ge-
färbtes Tier würde sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen und allerorten bekannt werden. Im Deutschen
sagt man ähnlich: bekannt sein wie ein roter oder bunter
Hund. Es ist selbstverständlich, daß es sich bei beiden Redens-
arten um ein Bekanntsein in schlechtem Sinne handelt. Wenn
der Spanier den Sohn eines Indianers und einer Negerin lobo
und der Italiener den Grauschimmel cavallo lupino nennt, so
ist das tertium comparationis gleichfalls die Farbe. Wird je-
doch im Deutschen eine durch starkes Reiten oder Gehen am
Gesäß hervorgerufene Entzündung „Wolf" genannt so wird
30 Der Wolf.
dabei die wund gewordene Haut mit dem rauhen Felle des
Wolfes verglichen. Gleichfalls auf die Rauheit des Felles
bezieht sich im Franz. die Bezeichnung täe de loup „Wolfs-
kopf" für eine runde, an einem langen Stabe befestigte Bürste,
die zum Reinigen der Zimmerdecke verwendet wird. Beiläufig
sei hier erwähnt, daß im älteren Engl. woJfs head „Wolfs-
haupt" (Metapher und Metonymie) für einen Geächteten ge-
braucht wurde, dem eben jeder wie einem Wolfe den Kopf
abschlagen durfte. Für die Spaltung des harten Gaumens,
eine angeborene Mißbildung, ist im Deutschen der Ausdruck
Wolfsrachen üblich (engl, wolfs jaw, ital. hocca di lupo,
frz. gueule-de-loup), wohl deshalb, weil dieser Defekt die Mund-
höhle größer erscheinen läßt.
Wenn früher im Franz. eine schwarze Sammetmaske mit
hup bezeichnet wurde, so ist darin wohl nicht eine Anspielung
auf die Beschaffenheit des Wolfsfelles zu sehen, sondern es
soll vielmehr damit ausgedrückt werden, daß eine solche Maske
dem Gesichte etwas Unheimliches, Furchterregendes verleiht.
Daß der Wolf als häßliches Tier gilt, ergibt sich aus dem
Gebrauch von span. lola „Wölfin" für eine häßliche oder ge-
schmacklos gekleidete Frau. Dasselbe Wort wird auch auf
ein unschönes Kleidungsstück angewendet, nämlich einen langen
Leibrock ohne Ärmel, wie ihn früher Studenten trugen.
Von ungleich größerer Wichtigkeit sind die Metaphern, die
von psychischen Eigenschaften des Wolfes hergenommen sind.
Zunächst Ist zu bemerken, daß alle modernen Kultursprachen in
der Auffassung vom Wesen des Wolfes eine auffallende Über-
einstimmung zeigen, und zwar erscheint der Wolf durchgehends
als antipathisches Tier, während bei anderen Raubtieren,
z. B. dem Bären, die Sprache doch hier und da eine gewisse
Sympathie durchblicken läßt. Wenn wir von dem ital. lupo
di mare, frz. hup de mer*) absehen, das als Bezeichnung eines
rauhen Seemanns unserem „Seebären" entspricht und daher
keinen tadelnden Sinn hat, so liegt sämtlichen auf den Wolf
*) In dem Frauen gegenüber als Kosewort gebrauchten mon petit loup
dürfte loup wohl nichts anderes sein als die eine Silbe des in der Einder-
sprache gebräuchlichen loulou „Herzchen, Liebchen". Die Schreibung mit
p beruht nur auf Angleichung an loup „Wolf".
Der Wolf. 31
hezüglichen Metaphern eine ungünstige Auffassung zugrunde.
Daß dem nicht immer so war und demnach in dem gemüt-
lichen Verhältnis des Menschen zu diesem Tiere ein Wandel
«ingetreten ist, beweist die altgermanische Mythologie, in der
der Wolf keine durchwegs unrühmliche Rolle spielt Als Über-
reste dieser alten Auffassung sind einige deutsche Taufhamen
anzuführen, in denen der Wolf geradezu als edles Tier er-
scheint, wie in Adolf aus Adalolf „Edelwolf", Rudolf aus
Ruodolf „Ruhrawolf". Besonders charakteristisch aber ist der
Name Wolfram, d. h. Wolfrabe, der direkt hinweist auf die
Bedeutung dieser Tiere in der altgermanischen Mythologie,
da Wolf und Rabe die unzertrennlichen Begleiter Odins waren.
Von Wolfgang war weiter oben die Rede.*) Diese Idealisierung
des Wolfes beschränkt sich jedoch auf die germanische Welt;
die alten Römer hatten trotz der Sage von Romulus und
Remus, in der dem Wolfe eine ehrenvolle Rolle zufällt, eine
mehr reale, dem wirklichen Wesen des Tieres entsprechende
Auffassung und bedachten ihn mit den wenig schmeichelhaften
Epithetis vorax, rapax, rdbiosus. Und als Symbol der Ge-
fräßigkeit, Raubgiet und Grausamkeit erscheint er uns noch
heute.
Was zunächst die Gefräßigkeit betrifft, so finden wir
in allen Sprachen Metaphern und Redensarten, die sich da-
rauf beziehen. Von einem gierig essenden Menschen sagt
man im Deutschen: Er frißt wie ein Wolf. Ebenso im
Engl.: He is ravenoics, greedy, hungry Jike a wolf, er ist ge-
fräßig, gierig. Hungrig wie ein Wolf Auch sagt der Eng-
länder scherzweise : He Jias a wolf in his stomach, er hat einen
Wolf im Magen, während man im Deutschen dafür sagt: Er
hat einen Wolfsmagen oder einen Wolfshunger. (Vgl.
den franz. Spruch: Jeune komme en sa croissance a un hup
dans sa panse.) Geradezu als Synonym von Hunger erscheint
wolf in der Redensart to Jceep the wolf from the door, den
Wolf von der Türe fernhalten, d. h. sein Auskommen haben,
so daß man nicht Hunger zu leiden braucht. Ferner sind im
*) Aßerdem findet sich das Wort „Wolf" in einer beträchtlichen An-
zahl aus der germanischen Zeit stammender Familiennamen (meistens
Oomposita), die man bei Heintze, Die deutschen Familiennamen, pag. 263 f.
Terzeichnet findet.
32 Der Wolf.
Engl. Weiterbildungen von u^lf vorhanden wie wolfer „Fresser",
%jf>olfish ,^gefräßig^', welche beiden Ausdrücke auch auf Säufer
angewendet werden können, womit sich im Pariser Argot
lauper in der Bedeutung „saufen" vergleichen läßt. Schließ-
lich kann wolf als Zeitwort gebraucht werden im Sinne von
„gierig essen". (Vgl, im „ßeineke Fuchs" Frau Giere-
mund als Name der Wölfin.) Allerdings kann to wolf mit
Bezug auf den räuberischen Charakter des Tieres auch „aus-
plündern" bedeuten. Wenden wir uns dem Ital. zu, so finden
wir Jupo in demselben Sinne gebraucht. Besonders zu be-
merken ist, daß im Ital. das Fem. von lupo^ lupa, ohne weiteres
für den Begriff „Heißhunger" verwendet wird, namentlich zur
Bezeichnung eines krankhaften Zustandes: ü male delJa lupa.
Auch heißt es in diesem Sinne im Ital. wie im Engl, (siehe
oben) acere nna lupa in corpo, eine Wölfin im Leibe haben.
l>er Spanier gebraucht hierfür ein von lobo abgeleitetes lohizno.
Das Ital. hat sich übrigens von lupo ein Verbum gebildet,
nämlich aJluparey das in der Weise gebraucht wird, daß man
z. B. sagt: Bo una fame ehr allupo^ ich habe einen Hunger,
daß ich zum Wolfe werde. Auch dem Franz. ist die
Redensart amir une faim de loup nicht unbekannt. (Vgl.
Kolland, Faune pop. I. pag. 116.") Als Bild unersättlicher Gier
erscheint der Wolf in dem franz. Sprichwort: Dieu garde la
Umr des Umps^ Gott bewahrt den Mond vor den Wölfen, was
an den altgermanischen Mythus von den Sonne und Mond
verfolgenden Wölfen erinnert In einer anderen Version heißt
das Sprichwort: Ia^ hnie w*(i rien a craindre des loups, der
Mond hat von den Wölfen nichts zu befürchten. (VgL
Kolland, Faune pop. I, pag. 123.) Im Deutschen sagt man
in ähnlichem Sinne : Gott sorgt dafür, daß die Bäume nicht in
den Himmel wachsen. Da Gier und Geiz nahe verwandte
Begriffe sind — im älteren Deutsch sind die beiden Wörter
sogar Synonyma — ist es erklärlich, daß dem Spanier der
Wolf Symbol des Geizes ist, wie erhellt aus der Redensart:
esperar del lobo came^ vom Wolfe Fleisch erhoffen, d. h. vom
Geizigen Freigebigkeit erwarten. Die mittelalterliche Symbolik
stellte die Figur des Geizes auf einem Wolfe reitend dar.
Wenn in den romanischen Sprachen ein kreisrundes Ge-
schwür unter der Haut „Wolf" genannt wird (span., ital. lupia^
Der Wolf. 33
frz. loupe)*) so beruht diese Bezeichnung wohl auf dem gierigen
TJnisichfressen und dem gefahrlichen Charakter dieses Ge-
schwüres. Interessant ist, daß im Franz. diese Metapher
wieder andere Metaphern gezeitigt hat. So bezeichnet man
mit loupe den Knorren eines Baumes, ferner den Höcker des
Kamels und schließlich ein rundes Vergrößerungsglas. In
den beiden ersten Fällen ist das tertium comparationis die An-
schwellung, in letzterem Falle die kreisrunde Form.
Daß im Span, lobo neben mona und zorra für Rausch ge-
l}raucht wird, wurde schon beim Aflfen erwähnt. Dieselben
Redensarten wie mit mona und zorra werden demnach auch
mit lobo gebildet. So sagt man coger un lobo, pillar un loho,
«inen Wolf fangen, d. h. einen Bausch kriegen. Die Redens-
art dormir el lobo, den Rausch ausschlafen, beweist, daß die
Metapher als solche nicht mehr gefählt wird.
Der Wolf ist infolge seiner Raubgier ein sehr gefährliches
Tier ; mit Vorliebe stellt er dem Schafe nach, das ihm wegen
seiner vollständigen Wehrlosigkeit eine bequeme Beute ist.
{Vgl. franz. avoir le courage du loup, den Mut des Wolfes
haben, d. h. nur Wehrlosen gegenüber mutig sein.) Auf das
feindliche Verhältnis zwischen Wolf und Schaf bezieht sich
«ine sprichwörtliche Redensart, die sich als lateinisches Erb-
gut in allen romanischen Sprachen findet. Im Lat. lautet die
Redensart: ovem lupo committere, das Schaf dem Wolfe anver-
trauen, wofür man im Deutschen sagt: den Bock zum Gärtner
machen (im älteren Deutsch aber auch: die Schafe dem
W 1 f e b e f e h 1 e n). Im Ital. heißt es : dar le pecore in guardia
<d lupo oder fare il lupo pecoraio, Span. : encomendar las ov^as
^l lobo. Franz.: donner la brebis ä garder au hup oder wohl
auch: enfermer le hup dans la bergerie, den Wolf im Schafstall
einschließen. (Vgl. auch engl, to give the wolf the wether to keep,
4em Wolf den Hammel zu hüten geben, wofür man jedoch
häufiger sagt to set the fox to tcatch the geese, dem Fuchs die
•Gänse in die Hut geben). Ein anderes Sprichwort, das gleich-
falls den Wolf als ein dem Schafe gefahrliches Tier erscheinen
läßt, heißt: Wer sich zum Schafe macht, den fressen
«die Wölfe. Ebenso engl.: He that makes himself a sheep^
*) Vgl. den medisdnischen Tenninus lupus.
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. ^
34 öer Wolf.
shaU he eaten by ihe wolf. Ital.: Chi pecora si fa, ü Iwpo lo
mangia. Franz. : Qui se fait brebis, le hup le mange. Mit Be-
ziehung auf die Fabel von dem Wolfe, der sich in ein Schaf-
fell hüllt, um die Lämmer leichter zu betören, nennt man
einen Heuchler, der seine bösen Absichten hinter harmlosem
Wesen verbirgt, einen Wolf in Schafskleidern, ebenso
engl.: a wolf in sheep's clothing. So sagt auch der Italiener
von einem Heuchler: II lupo s^d vestito della pelle d'agnello, der
Wolf hat sich in ein Lammsfell gekleidet. Vgl. lat. PeUe
sub agnina laiitat mens saepe lupina, unter einem Lammsfell
ist oft ein Wolfssinn verborgen, sowie im neuen Testament
die Stelle, Matth. 7, 15: „Sehet euch vor vor den falschen
Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig
aber sind sie reißende Wölfe". (Weitere auf das Verhältnis
zwischen Wolf und Schaf bezügliche Sprichwörter findet man
bei Brinkmann, Metaphern, pag. 495 ff. und bei Rozan, Les
animaux dans les proverbes, I, pag. 243 ff.)
Doch auch dem Menschen kann der Wolf gefährlich werden,
und zwar nach einem eigentümlichen, aus dem Altertum stammen-
den Aberglauben schon durch seinen bloßen Blick. Die Alten
glaubten nämlich, der Anblick eines Wolfes sei verderben-
bringend, und wenn er den Menschen eher sähe als dieser ihn, so
verliere der Mensch die Sprache. Daher bedeutet engl, to see a
wolf, ital. aver veduto il lupo, frz. avoir vu le loup „heiser werden,,
die Stimme verlieren". Die franz. fiedensart wird übrigens
auch im Sinne von „viel Erfahrung haben", namentlich in
sexueller Beziehung, gebraucht, z. B. von einem Mädchen, das
schon manche Liebschaft gehabt hat. Das plötzliche Auf-
tauchen eines Wolfes wirkt jedenfalls beunruhigend auf das
Gemüt, daher ital. aver veduto il lupo auch bedeuten kann
„Furcht haben, blaß sein" (Metonymie: Ursache für Wirkung)..
Auf die Gefährlichkeit des Wolfes wird ebenfalls angespielt, wenn
von jemand, der sich in einer gefährlichen Situation befindet^
gesagt wird, er halte einen Wolf bei den Ohren. Dem Deut-
schen ist diese Redensart zwar fremd, wohl aber findet sie-
sich im Engl.: to hold a wolf by the ears. Das analoge franz..
tenir le loup par les oreilles scheint direkt auf das lat. lupum
auribus tenere zurückzugehen. Eine ähnliche Redensart findet
sich im Span., nämlich ver las orejas al hbo, vom Wolf die
Der Wolf. 35
Ohren sehen, d. h. mit knapper Not einer Gefahr entgehen
und dadurch gewitzigt werden. Hierher zu ziehen ist ferner
die ital. Redensart aver provato il morso del lupo, den Biß des
Wolfes am eigenen Leib erfahren haben, was dem deutschen
„durch Schaden wird man klug" entspricht. Wenn jemand,
von dem eben die Rede war, plötzlich erscheint, so sagt man,
er sei gekommen wie der Wolf in der Fabel {lupus in
fcibidd). Ebenso ital. II lupo e neUa favola, span. El lobo estd
en la conseja. Es ist damit die uralte, internationale Kinder-
fabel von dem Wolfe gemeint, der von dem Hirtenknaben
mehrmals zum Scherze gerufen, plötzlich wirklich erscheint.
Darauf bezieht sich auch das deutsche Sprichwort: Wird
der Wolf (Fuchs) genannt, so kommt er gerannt.
Engl, dementsprechend: To mention the wolfs name is to see
the same, den Namen des Wolfes aussprechen und ihn sehen
ist dasselbe. Ital.: Chi ha il lupo in bocca, lo ha suUa coppa^
wer den Wolf im Munde hat, hat ihn im Nacken. Franz.:
Qttand on parle du hup, on en voü la queue, wenn man vom
Wolfe spricht, sieht man seinen Schweif. Auf die oben er-
wähnte Fabel nimmt auch Bezug die engl. Redensart to cry
wolfj „Wolf" rufen, d. h. blinden Lärm schlagen, sowie das
ital. Sprichwort: Non si grida al lupo, che non sia can bigio,
wenn es auch nicht immer ein Wolf ist, so ist es doch manch-
mal ein grauer Hund, d. h. etwas Wahres ist meistens an
einem Gerücht. Auf die Fabel vom Wolf und Kranich spielt
an der Ausdruck Wolfs dank für „Undank". In dieser
Fabel wird bekanntlich erzählt, daß der Wolf dem Kranich,
der ihm mit seinem langen Schnabel einen Knochen aus dem
Rachen gezogen hat und dafür einen Lohn verlangt, er-
widert, er könne froh sein, daß er ihm nicht den Hals abge-
bissen habe. Auf dieselbe Fabel zurückzuführen ist die engl.
Redensart to put his head into the wolfs mouth, seinen Kopf in
des Wolfes Rachen stecken, d. h. sich unnötigerweise einer
großen Gefahr aussetzen. Analog sagt der Italiener andare
in bocca al lupo und der Franzose se mettre ä la gueule du loup.
Der Wolfsrachen findet übrigens im Engl, und Span, auch in dem
Vergleiche as darJc as a u)olfs mouth, obscuro como boca de lobo,
finster wie eines Wolfes Rachen, metaphorische Verwendung.
(Über den medizinischen Terminus „Wolfsrachen" vgl. pag. 30).
3*
36 Der Wolf.
Wie gegen andere Gefahren, so sachte man sich im Mittel-
alter auch gegen den Wolf durch gewisse Zauberformeln zu
schützen. Daher die franz. Redensart savoir Ja patendtre du
lonpj das Wolfsvatenmser können, d. h. die Mittel wissen, wo-
durch sich irgend eine Gefahr beschwören läßt. (Vgl. Hozan,
Les animaux dans les proverbes, pag. 250 ff.) Geradezu als
Symbol der Gefahr erscheint der Wolf in dem franz. Sprich-
wort: On fait toujours le hup plus gros quHl n'est, man macht
den Wolf immer größer als er ist, d. h. die Furcht läßt die
Gefahr größer erscheinen als sie in Wirklichkeit ist. (Vgl.
engl. The liorCs not half so fierce as he is painted und span. No
es tan bravo el leon, como lo pintan.)
Auf das rudelweise Zusammenleben der Wölfe im Winter
nimmt Bezug das deutsche Sprichwort: Mit den Wölfen
muß man heulen, das sich auch in den übrigen Eultur-
sprachen findet. Es lautet engl.: Who keeps Company wiüi
wolveSy unll learn to howl, itaL : Chi pratica coi Jupi, impara a
urlare^ span.: Quien con lobos anda, ä auUar se ensena, franz.:
Avec les loups il faut hurler. Im Sommer lebt der Wolf einzeln,
daher nennt der Franzose einen einsam lebenden Sonderling
loup. (Vgl. deutsch „Bär".)
Daß sich das Volk nicht darum kümmert, ob seine Sprich-
wörter dem wirklichen Sachverhalt entsprechen, wenn nur die
Idee klar zum Ausdrucke kommt, beweist das deutsche Sprich-
wort: Ein Wolf frißt den andern nicht. Es ist im
Gegenteil eine bekannte Tatsache, daß die Wölfe, wenn es
ihnen an Beute mangelt, gern ihre kranken Brüder und so-
gar die eigene Nachkommenschaft auffressen. Obiges Sprich-
wort findet sich auch in den romanischen Sprachen : ItaL Lupo
non mangia lupo, span. Un lobo d otro no se muerden, franz.
Les lowps ne se mangent pas. Im Englischen tritt der Hund
an Stelle des Wolfes: Dog does not eat dog. (Vgl. deutsch:
Eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.) Einen
ähnlichen Sinn hat die span. Redensart: San lobos de una
camada, sie sind Wölfe von einem Wurf, d. h. sie sind von
einem Schlag. Eine genauere Kenntnis der Lebensweise des
Wolfes verrät das deutsche Sprichwort: Wenn ein Wolf
den anderen frißt, ist Hungersnot im Walde, das
sich auch in den anderen Kultursprachen findet: Engl. Ifs a
Der Wolf. 37
hard idnter, when one ioolf eats another, ital. Quando il lupo
mangia il compagnOj creder si deve sterile la campagna, span,
Ctiando un loho come ä otro, no hay que comer en el soto, franz.
H fait bien mauvais au bois, qtiand hs loups se mangent Tun
Vaufre. Auf das sich gegenseitig Vertilgen bezieht sich fem er
die franz. Redensart vivre en loup, wie die Wölfe leben, was
man von Leuten sagt, die sich gegenseitig auf jede mög-
liche Weise zu schaden suchen. Daneben kann die Redensart
aber auch bedeuten : leben wie die Wilden. (Vgl. das horazische
hämo homini lupus,) Demgemäß nennt der Franzose ein Land,
dessen Bewohner ungeschlachte Manieren haben, pays de loup
„Wolfsland". (Vgl. Eozän, Les animaux dans les proverbes, I, p.254.)
Das hauptsächliche Vorkommen des Wolfes in nordischen
Gegenden (nördliches Rußland, Schweden, Norwegen) erklärt
die ital. Metapher tempo da lupi „Wolfswetter" sowie die
franz. Redensart il fait un froid de loup, es hen'scht eine
Wolfskälte, d. h. es ist so kalt wie in den Ländern, wo Wölfe
vorkommen. Der Engländer nennt daher den Januar als
den kältesten Monat wolf-month „Wolfmonat" und im Deut-
schen wendet man „Wolf" auf einen verspätet eintretenden
Schneefall sowie auf einen Windstoß an, der sich in einem
warmen Zimmer bemerkbar macht. Hierher gehört ferner ital.
raffreddato come un lupo, franz. enrhum^ comme un loup, er-
kältet wie ein Wolf.
Auf das Vorkommen des Wolfes in waldreichen Gegenden
spielt an das deutsche Sprichwort: Der Hunger treibt
den Woli aus dem Walde, wozu sich in anderen Kultur-
sprachen Analoga finden. So engL : Hunger fetches the wolf out
of the wood, ital.: Im fame cacda il lupo dal bosco, franz.:
La faim fait sorür le hup du bois. Desgleichen gehört hierher
das ital. Sprichwort: Chi piii boschi cerca, piii lupi trova, je mehr
Wälder einer sucht, desto mehr Wölfe findet er, womit über-
triebene Wißbegierde getadelt wird.
Bei der nahen Verwandtschaft zwischen Wolf und Fuchs
ist es erklärlich, daß beide Tiemamen manchmal füreinander
gebraucht werden, so z. B. im deutschen Sprichwort: Der
Fuchs ändert den Balg und bleibt ein Schalk, wo-
für man auch sagt: Der Wolf ändert das Haar und
bleibt was er war. Dieses Sprichwort findet sich a'
38 Der Wolf.
in den anderen Knltursprachen , und zwar bezieht es sich
bald auf den Fuchs, bald auf den Wolf. (Vgl. die Zu-
sammenstellung bei Reinsberg-Düringsfeld, Die Sprichwörter
der geim. und rom. Sprachen, I, pag. 96.) Ganz deutlich
kommt aber die Verwandtschaft der beiden Tiere, namentlich
im Charakter, zum Ausdruck im span. Sprichwort: El lobo y
la vulpeja ambos son de una conseja, Wolf und Fuchs sind beide
von einem Schlag (wörtL : sie gehören beide in dieselbe Fabel),
wofür man deutsch sagt : Gleich und gleich gesellt sich gem.
Eine Eigenschaft, die der Wolf nicht bloß mit dem Fuchse,
sondern mit der ganzen Hundegattung teilt, ist die stark
entwickelte libido, weswegen lupa im Lat. und älteren Ital.
im Sinne von „meretrix" gebraucht wird. Dementsprechend
heißt im Lat. lupanar „Freudenhaus", welches Wort sich in
ital. lupanare erhalten hat. (Vgl. damit den Gebrauch von
zorra im Span.)
Trotz ihrer nahen Verwandtschaft sind sich Wolf und
Hund grimmig feind. Daher das deutsche Sprichwort: Zu
Wolfsfleisch gehört ein Hundszahn, d. h. ein
mächtiger Gegner muß mit entsprechend starken Waffen
bekämpft werden. Auch die romanischen Sprachen besitzen
dieses Sprichwort. So heißt es ital.: A cicda di lupo, zanne
di cane, span. A carne de loho diente de perro, franz. A chair
de loup dent de chien. Einen ähnlichen Gedanken drückt aus
das deutsche Sprichwort: Wer beim Wolf zu Gevatter
stehen will, muß einen Hund unter dem Mantel
haben. Ebenso ital.: Chi ha il lupo per compare, porti il cane
sotto il manteUo, und franz.: Qui a le loup pour compagnorij
porfe le chien sous le hocton. Auf die Verwandtschaft von Wolf
und Hund spielt auch an das dem deutschen „Vom Regen in
die Traufe" entsprechende franz. Sprichwort : Uun edle le loup
nous menace, de l'atdre le chien^ auf der einen Seite bedroht
uns der Wolf, auf der anderen der Hund. Im selben Sinne
sagt man : En fuyant le loup, on rencontre la louve, flieht man
den Wolf, so stößt man auf die Wölfin. Ähnlich sagt der
Italiener: Chi fugge il lupo, incontra il lupo e la volpe, wer den
Wolf flieht, stößt auf den Wolf und den Fuchs.
Schließlich sei noch des Werwolfs gedacht, mit welchem
Worte eine Schöpfung der Volksphantasie bezeichnet wird,
Der Fuchs. 39
nämlich ein Mensch, der die Fähigkeit besitzt, sich in Wolfs-
gestalt zu verwandeln. Früher deutete man das Wort als
„Mannwolf', indem man im ersten Teile des Wortes das
ahd. wer „Mann" sah. Neueren Forschungen zufolge ist
dieses wer jedoch verwandt mit ahd. wert- = altengl. wer- =
«ngl. to wear (Kleider tragen). Das Wort würde demnach
„Kleiderwolf' bedeuten. Das deutsche „Werwolf ' ist übrigens
ins Franz. eingedrungen, wo es ^u garou wurde, so daß im
modernen loup- garou eigentlich eine Tautologie vorliegt.
Dieses Wort wird metaphorisch auf einen ungeselligen
Menschen angewendet, da nach dem Aberglauben des Volkes
der Werwolf des Nachts allein in den Wäldern umherstreift.
(Vgl. Rolland, Faune pop., I, pag. 153 ff.) Die Sage vom Wer-
wolf ist auch in Italien verbreitet, und zwar ist die Bezeich-
nung des Gespenstes dort lupo mannaro. Letzteres Wort leitet
man von mania „böser Geist, Popanz" ab. Auf den Werwolf
spielt jedenfalls auch an das franz. Sprichwort II ne faut ni
Mre loup ni en affubler Ja peati, man soll weder Wolf sein noch
sich in sein Fell hüllen, d. h. man soll kein Bösewicht sein,
man soll aber auch nicht die Allüren eines solchen annehmen.
Der Fuchs.
Sowohl das deutsche Fuchs wie auch das engl, fox gehen
zurück auf ein germ. fohs-. Möglicherweise ist das vorgerma-
nische puM verwandt mit sanskrit. puccha „Schwanz, Schweift
Eine Parallele hierzu bietet die Etymologie des span. raposo,
das man auch mit rabo „Schwanz" in Zusammenhang bringt.
Die Benennung des Tieres nach seinem Schwänze ist begrifflich
sehr einleuchtend, da dieser gerade für den Fuchs durch seine
Dimension und Haarfülle besonders charakteristisch ist. Was
■die übrigen romanischen Bezeichnungen für „Fuchs" betrifft,
so ist lat. vulpes in ital. volpe, span. vulpeja, gulpeja = vulpe-
<iula und in frz. goupillon „Weihwedel" erhalten. Das übliche
Wort für „Fuchs" im Span, ist jedoch ^orro, ^orra, das ent-
weder aus griech. ipfhga „Krätze, Käude" entstanden oder
mit zurrar „gerben" in Zusammenhang zu bringen ist. Was
die Bedeutung anlangt, so decken sich beide Etymologien,
40 ^61* Fuchs.
insofern sie den Fachs, der bekanntlich im Sommer seine
Haare verliert, als das „räudige, schäbige Tier" bezeichnen.
Für zor^'o ist in einigen Gegenden Spaniens das bereits er-
wähnte ra'po%o {raposa) üblich. Im Franz. ist das alte, auf
vülpecula zurückgehende goupil durch renard verdrängt worden,,
welches ursprünglich die Bezeichnung des Fuchses im Tier*
epos war und vom Eigennamen zum Appellativum geworden
ist. Benard ist das deutschOt-ßejriwÄarrf, das „stark im Rat" be-
deutet, eine Anspielung auf die gro£e Schlauheit des Fuchses.
In sämtlichen hier zur Behandlung kommenden Sprachen
gibt es eine Fülle von Metaphern, metaphorischen Redens-
arten und Sprichwörtern, die sich auf den Fuchs beziehen
und von denen hier unmöglich alle angeführt werden können.
Wir müssen uns daher darauf beschränken, die gebräuch-
lichsten einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Der Fuchs
hat seit den ältesten Zeiten durch seine besonderen ethischen
Qualitäten, verbunden mit einem charakteristischen Äußeren,
die Phantasie aller Völker beschäftigt. Spielt er doch in den
Fabeln aller Literaturen die Hauptrolle, abgesehen davon,,
daß er im Mittelalter der Held eines über ganz Mitteleuropa
verbreiteten Epos war.
Betrachten wir zunächst die Metaphern, die auf die phy-
sischen Eigenschaften des Fuchses Bezug haben, so ist es vor
allem die rötliche Farbe seines Pelzes, der wir einige Metaphern
verdanken. So nennt man im Deutschen ein rothaariges Pferd
„Fuchs" und wendet dasselbe Wort auch auf Menschen mit
rötlichem Haupthaar an. Analog bedeutet im Engl, foicg
„rothaarig", daneben allerdings auch mit Bezug auf den
penetranten Geruch des Fuchses „stark und unangenehm
riechend". Ebenso denkt der Italiener an die Farbe des Fuchs-
pelzes, wenn er den Rost am Getreide, der bekanntlich ein
gelbroter Staub ist, volpe und das rötliche Holz des
Kastanienbaumes kgno volpino nennt. Gleichfalls mit Bezug
auf die Farbe des Fuchses bezeichet man im Deutschen
Goldstücke als Goldfüchse, was uns auch den Ge-
brauch von frz. renard für „Trinkgeld" verständlich macht.
In gewissen Gegenden Deutschlands wird der Rotwein
„Fuchs" genannt, womit sich der franz. Argotausdruck
i^enard für „Weinsuppe" vergleichen läßt. (In Frankreich
Der Fuchs. 41
wird allgemein Eotwein getrunken. Vgl. Nyrop, Das Leben
der Wörter, pag. 117.) Dieselbe Bedeutung mag wohl auch
ursprünglich das span. caldo de isorra gehabt haben, das
in den Wörterbüchern nur in der übertragenen Bedeutung
(Metapher 2. Potenz) „Heuchler, falscher Mensch" verzeichnet
ist, was zum Charakter des Fuchses vorzüglich stimmt.
Was in zweiter Linie am Fuchs besonders auffällt, ist
sein langer, buschiger Schwanz. In seniasiologischer Hinsicht
ist bemerkenswert, daß im Span, und Franz. metonymisch
für „Fuchsschwanz" „Fuchs" gesagt wird: span. zarro, frz.
goupillon, wörtl. „Füchslein", Diminutiv des ausgestorbenen
goupil. Zugleich haben die beiden Wörter eine Bedeutungs-
verengung erfahren, indem sie nämlich hauptsächlich die
zum Abstäuben gebrauchten Fuchsschwänze bezeichnen. Bei-
läufig sei bemerkt, daß im Deutschen und Span, gelegent-
lich auch für den Pelz der Name des Tieres gebraucht wird.
Von „Fuchsschwanz" abgeleitet ist Fuchsschwänzer und
fuchsschwänzeln, was soviel als „Schmeichler" und
„schmeicheln" bedeutet. Bei der Erklärung dieser Metapher
muß man wohl von der Redensart ausgehen den Fuchs-
schwanz streichen, d. h. sich bei jemandem einschmeicheln.
Das Streicheln ist der beliebteste Ausdruck der Zärtlichkeit.
(Vgl. Schrader, Bilderschmuck d. deutschen Sprache, pag. 215 ff.)
Auf den Fuchsschwanz bezieht sich ferner die deutsche Redens-
art: Das ist eine Meile, die hat der Fuchs gemessen
(zu ergänzen: und noch den Schwanz dazugegeben), d. h. das
ist mehr als eine Meile. Der Fuchs hat bekanntlich einen sehr
langen Schwanz. (Vgl. Schrader, Bilderschmuck der deutschen
Sprache, pag. 215.) Hingegen ist der Ursprung der (jetzt ver^
alteten) engl. Redensart to give a person a flap tmth the foxtail^
jemandem einen Schlag mit dem Fuchsschwanz versetzen, d. h.
ihn zum Besten halten, in einer verflossenen Epoche zu suchen.
Die Redensart wird sofort verständlich, wenn man weiß, daß
der Fuchschwanz seinerzeit Attribut der Possenreißer war.
(Vgl. Brewer, Dict. of Phrase and Fable, pag. 314.) Hierher
gehört auch die franz. Redensart se donner la discipline avec
une queue de renard, sich mit einem Fuchsschwanz, d. h. zum
Scheine geißeln, wie es die Scheinheiligen machen. Diese
Redensart wendet man auf Leute an, die nach außen hin Ent-
42 Der Fuchs.
sagung heucheln, insgeheim aber ein Wohlleben führen. (Vgl.
Eozän, Les animaux dans les proverbes, I, pag. 307 ff.)
Diese. Wendungen führen uns zu der langen Reihe von Meta-
phern und metaphorischen Redensarten, die sich auf die Schlau-
heit des Fuchses beziehen. Schon bei den Römern war der Fuchs
das Sinnbild der Verschlagenheit. Einen schlauen Menschen
nannte man vulpio oder vulpecula und für schlaues Handeln
gebrauchte man das Zeitwort vulpinari. In dieser Auffassung
vom Wesen des Fuchses stimmen alle modernen Kultur-
sprachen überein. überall gilt der Fuchs als Symbol listiger
Verschlagenheit, was übrigens schon ein kurzer Blick auf die
Geschichte der Fabel lehrt.*) Wie schon im Lateinischen,
so sind auch in den meisten modernen Sprachen Verba, die
„schlau sein" oder „schlau handeln" bedeuten, vom Fuchse
abgeleitet. So hat das deutsche fuchsen, neben der ge-
läufigeren Bedeutung „ärgern" auch die seltenere von „be-
trügen". In ähnlicher Weise wird im Engl, to fox und im
Span, raposear im Sinne von „heuchlerisch handeln" gebraucht.
Analog: wird das ital. volpeggiare verwendet in der Redens-
art: Con volpi convien volpeggiare, mit dem Fuchse muß man
Fuchs sein. Ebenso sagt der Franzose: Avec le renard on
renarde. (über die ursprüngliche Bedeutung dieser Redens-
arten siehe pag. 47.) Daß dem Fuchse nur durch Schlau-
heit beizukommen ist, besagt das deutsche Sprichwort:
Füchse mit Füchsen fangen kostet Mühe und
Arbeit, weil dann eben Schlauheit auf Schlauheit stößt.
(Vgl. engl.: With foxes you must play the fox, mit Füchsen
müßt ihr den Fuchs spielen.) Der Franzose drückt diesen
Gedanken auch aus durch die Redensart faire Ja guerre en
renard, d. h. den Krieg nach Art des Fuchses fahren. Dem-
entsprechend gibt es in allen Kultursprachen mit Ausnahme
des Deutschen Adjektiva, die vom „Fuchse" abgeleitet sind
und „listig, verschlagen" bedeuten wie ital. volpino, span.
raposuno (zorruno), frz. renardier, eugl. foxy. Von letzterem wurde
*) In der neuesten von Pechuel-Loesche besorgten Ausgabe des Brehm-
sclien „Tierlebens" wird dem Fuchse der seit jeher und überaU herrschenden
Anschauung zu Trotz jede „hervorragende Begabung" abgesprochen, wo-
gegen Zell in seiner beachtenswerten Broschüre „Ist das Tier unvernünftig?"
(pag. 117) energisch und überzeugend Einspruch erhebt.
Der Fuchs. 43
-wieder das Substantiv foxiness mit der Bedeutung „Schlau-
heit" gebildet, dem im Span, raposeria {zorreria) entspricht.
Das Portugiesische gebraucht den Namen des Tieres ^zorro'^
schlechtweg für „schlau". Daß der Fuchs seine arglistige
Natur niemals verleugnen kann, kommt zum Ausdruck im
deutschen Sprichwort: Der Fuchs ändert das Haar und
bleibt was er war, d. h. der Mensch kann sein Naturell
nicht ändern. Ahnlich lat: MMtoi pilum vulpes, non mores,
das Haar wechselt der Fuchs, den Charakter aber nicht.
Demgemäß sagt auch der Franzose: Dans sa peatt mourra le
renard, der Fuchs wird in seinem Balg sterben. Analog heißt
€S im Span. : La zorra rmidarä los dientes, mas no las mientes,
der Fuchs wird die Zähne, aber nicht die Gesinnung wechseto.
Im Ital. tritt hier der Wolf an die Stelle des Fuchses: II
lupo cangia ü pelo, ma no ü w'zio, der Wolf ändert das Haar,
aber nicht das Laster. Daß der Fuchs in den ältesten Zeiten
in demselben schlechten Ruf stand wie heutzutage, geht hervor
aus einer Stelle im neuen Testament, wo Jesus mit Anspielung
a.uf die Bosheit des Herodes diesen einen „Fuchs" nennt.
Beiläufig sei hier erwähnt, daß auf das Räudigwerden
des Fuchsbalges, auf das sich, wie wir weiter oben gesehen
habeu, möglicherw^eise die Etymologie von span. zorra gründet,
sich im Engl, der metaphorische Ausdruck fox-evil „Fuchs-
Äbel" bezieht, womit das büschelweise Ausfallen der Haare,
€in Symptom nervöser Erkrankungen, bezeichnet wird. Die
wissenschaftliche Benennung dieser Krankheitserscheinung ist
<dopecia von griech. &l(I)7trj^ „Fuchs". Der Italiener gebraucht
hierfür volpe schlechtweg. Auch sagt man im Deutschen von
«inem Pelz, der die Haare verliert, er wird fuchsig, und
analog gebraucht der Engländer das Verbum to fox von Papier
und Holz, das Moderflecken bekommt, indem diese mit den
durch das Ausfallen der Haare entstandenen Flecken ver-
glichen werden.
Dem Fuchs kommt seine Verstellungskunst besonders zu-
gute, wenn er auf Raub ausgeht. Belauert er seine Beute,
so sucht er eine möglichst harmlose Miene anzunehmen, ja er
stellt sich häufig sogar schlafend: daher im Engl, foxsleep
„Fuchsschlaf, verstellter Schlaf, scheinbare Unaufmerksamkeit"
bedeutet. Ebenso sagt der Spanier von einem, der Unwissen-
44 I>er Fuchs.
heit oder Zerstreutheit heuchelt, se kace el zorro, er macht
den Fuchs. Vom Standpunkte des überlisteten Opfers aus
gebraucht der Spanier zorrera für „Schläfrigkeit" und zorrer&
für „schläfrig, langsam, schwerfällig". Möglicherweise be-
ziehen sich diese Metaphern aber auf den wirklichen Schlaf
des Fuchses, der nach Brehm ein außerordentlich fester sein
soll. So heißt es von einem wortkargen Menschen: Estä
hecho un zorro, wörtl.: Er ist in einen Fuchs verwandelt,
was auch in Übereinstimmung mit zorrera und zorrero auf
einen schläfrigen Menschen angewendet werden kann. So be-
deutet auch tener zorra, einen Fuchs haben, „sich schwer im
Kopfe fühlen". Da nun die Schläfrigkeit oder die Kopfschwere^
sehr häufig eine Folge von übermäßigem Alkoholgenuß ist,,
so wird jsforra, indem metonymisch die Wirkung für die Ur-
sache gesetzt wird, im Sinne von „Rausch" gebraucht,,
womit sich im Engl, foxed „trunken" vergleichen läßt. De-
söllar la zorra^ den Fuchs häuten, heißt demnach logischer-
weise „den Kausch ausschlafen". Hierher zu ziehen ist jeden-
falls auch die im frz. Trinkerargot gebrauchte Redensart
piqmr un re^iardj einen Fuchs stechen, für „sich erbrechen"^
wofür auch renarder {queue de renard „Fuchsschwanz" = da»
Erbrochene) gebraucht wird. Das Erbrechen ist nämlich so-
wie die Schläfrigkeit häufig eine Folge von allzu kräftigen
Libationen. Setzen wir nun renard = zorra „Rausch",,
so haben wir es abermals mit einer Metonymie zu tun,
indem wieder die Ursache für die Wirkung gesetzt er-
scheint. Auch im älteren Deutsch (z. B. im Simplizissimus)
kommt in derselben Bedeutung die Redensart vor einen
Fuchs schießen;*) daneben heißt es auch einen Fuch&
machen, rupfen, streifen (eigentl. ihm den Balg ab-
ziehen, vgl. weiter oben span. desollar la zorra). Schraders^
Deutung (Bilderschmuck d. deutschen Sprache, pag. 212) klingt
nicht unwahrscheinlich, ignoriert aber die fremdsprachlichen
Analoga.
Eine Reihe von Sprichwörtern und metaphorischen Redens-
*) Obige Erklärung würde allerdings darch die im selben Sinne ge-
brauchte Redensart „einen Löwen schießen^ (bei Hans Sachs] in Frage
gesteUt werden, wenn man hierin etwas anderes als eine metaphorische
Analogiebildung sehen woUte.
Der Fuchs. 45
arten dreht sich um das Verhältnis des Fuchses zu seiner Beute.
Seine Lieblingsgerichte sind Hühner und Gänse, weswegen
•er als geschworener Feind des Hühnerhofes gilt. So ge-
braucht der Engländer die Eedensart to set the fox to Tceep
ihe geese, dem Fuchs die Gänse zu hüten geben, in demselben
Sinne wie der Deutsche „den Bock zum Gärtner machen"
oder der Italiener lasciar le pere in guardia aW orso. Ebenso
sagt der Franzose von einem, der das Interesse der ihm An-
vertrauten verrät: 11 vend la poule ati renard, er verkauft das
Huhn dem Fuchse. Von einem Heuchler, der die Unerfahrenen
zu überlisten sucht, heißt es : Le renard priche aux poules, der
Fuchs predigt den Hühnern. Dem entspricht im Deutschen
das Sprichwort: Wenn der Fuchs predigt, so hüte
4er Gänse. Genau so heißt es engl. : When the fox preaches,
take care of your geese. Im Ital. tritt wieder das Huhn an
Stelle der Gans : Quando la volpe predica, giuirdatevi^ galline.
Unser deutsches: Ein schlafender Fuchs fängt kein
Huhn erscheint im Franz. in folgender Form: Benard qui
-dort la grasse matinde, rCa pas la gueule emplumie^ ein Fuchs,
<ler bis in den Tag hinein schläft, hat das Maul nicht voll
Federn. Im Engl, lautet das Sprichwort : When the fox sleeps,
üö grapes fall in his motäh, wenn der Fuchs schläft, fallen
ihm keine Trauben ins Maul, im Ital.: Volpe che dornte
vwe sempre magra, ein schlafender Fuchs ist immer mager,
im Span.: Ä la vtUpeja dormida, no le cae nada en la boca^
<dem schlafenden Fuchs fällt nichts ins Maul. Von dem
um den Hühnerhof schleichenden Fuchs hergenommen ist
jedenfalls die engl. Redensart to fox about „umherspio-
nieren". In der Schulsprache bedeutet to fox auch „stibitzen"
mit Bezug auf den diebischen Charakter des Fuchses. Der
bekannten Fabel vom Fuchse und den Trauben entstammt
4ie Eedensart: Er macht es wie der Fuchs mit
den Trauben, die angewendet wird auf einen, der Ver-
achtung zur Schau trägt gegen das, was ihm zu erlangen
unmöglich ist, geradeso wie der Fuchs der Fabel von den
Tranben, die er nicht erreichen konnte, erklärte, sie wären
zu sauer. (Vgl. Nyrop, Leben der Wörter, pag. 181.) So heißt
«es auch im Engl.: When the fox cannot reach the grapes, he
says they are not ripe. Den romanischen Sprachen ist das Bild
46 I>er Fuchs.
vom Fuchs und den Trauben ebenfalls geläufig. (Vgl. Rolland^
Faune pop. I, pag. 169, 11.)
Da der Fuchs sehr häufig dem Jäger ins Gehege kommt
und ihm eine empfindliche Konkurrenz macht, so ist es er-
klärlich, daß dem Meister Keineke eifrig nachgestellt wird und
er gar oft trotz seiuer Ränke und Kniffe erliegen muß. Auf
diese Tatsache spielt an das deutsche Sprichwort: Alle
listigen Füchse kommen endlich beim Kürschner
in der Beize zusammen, das sich auch in den übrigen
Kultursprachen findet. Englisch lautet es: Every fox must
pay his own sMn to the flayer, jeder Fuchs muß sein Fell dem
Abzieher geben, ital.: Tutte le volpi si trovano in pellicceriay
franz. ebenso: Enfin les renards se trouvent diez le pelletier^
schließlich finden sich die Füchse beim Kürschner, span. Alld
nos veremos en el corral de los pellejeroSj dort werden wir uns
wiedersehen, im Hofe der Kürschner. Denselben Gedanken
drückt aus das deutsche Sprichwort: Man fängt auch
wohl den gescheitesten Fuchs, das sich auch im ItaL
findet: Anche delle volpi si piglia. Im Span, und Franz. heißt
es in etwas anderer Fassung: Mucho sähe la zorra, pero mäs^
quien la toma — Le renard en sait long, mais celui qui le prend
en sait un peu plm, viel kann der Fuchs, jedoch mehr, der
ihn fängt, d. h. ein Schlauer findet noch immer einen Schlaueren^
der ihn überlistet. (Vgl. ital. Molto sa il ratio, ma piü ne sa
il gatto.) Daß jeden Fuchs die Strafe ereilt, lehrt ein anderes
span. Sprichwort : No hace tanto la zorra en un ano como paga
en una hora, der Fuchs verbricht in einem Jahre nicht soviel
als er in einer Stunde bezahlt. Wenn der Spanier sagen will,,
daß er in irgend einer Sache sehr bewandert ist oder große
Erfahrung besitzt, so meint er: No es laprimera zorra qae he
desollado, das ist nicht der erste Fuchs, den ich gehäutet.
Dem Deutschen eigentümlich ist die metaphorische Ver-
wendung des Wortes „Fuchs" zur verächtlichen Bezeichnung
gewisser Stände wie Federfuchser, ein geringschätziger
Ausdruck für einen Schreiber, oder Schul fuchs, in tadeln-
dem Sinne auf einen pedantischen Schultyrannen angewendet.
Der in Norddeutschland gebrauchte Ausdruck Pfennig-
fuchser bezeichnet einen Knicker, der jeden Pfennig zählt,
bevor er ihn ausgibt. Hierbei möge vergleichsweise an den
Der Fuchs. 47
Bedeutungswandel von „karg" erinnert werden, das ursprünglich
„sehlau" bedeutete, was zum Charakter des Fuchses vorzüglich
paßt. Mit diesen Ausdrücken steht in begrifflichem Zusammen-
hange das schon erwähnte fuchsen in der Bedeutung von
„ärgern". Man muß wohl Schrader beistimmen, wenn er diese
Metapher von dem geprellten Fuchs hergeleitet wissen will. Das
Prellen des Fuchses war ehemals eine sehr beliebte Unter-
haltung der Landjunker. „Ein gefangener, lebendiger Fuchs
wird mit einem mehr langen als breiten von zwei Personen
gehaltenen Netze oder Tuche so lange in die Höhe geschnellt
oder geprellt, bis er völlig erschöpft oder tot ist." (Schrader,
Büderschmuck d. d. Spr., pag. 212 ff.) Vom Fuchsprellen stammt
möglicherweise auch „Fuchs" als terminus der Studenten-
sprache für einen angehenden Burschenschafter, da sich dieser
ja von den „Burschen" manche mehr oder minder derbe
Neckerei gefallen lassen muß. Kluge vermutet übrigens, daß
dieses Wort von dem alten „Feix" oder „Fex", das im
17. Jahrhundert für einen angehenden Studenten gebraucht
wurde, beeinflußt worden sei. Auch das Wort „Schulfuchs"
in der Bedeutung von „eben der Schule entronnener Fuchs"
mag hier mitgewirkt haben. Im zweiten Semester avancieren
die Füchse zu Brandfüchsen. Sanders gibt hierzu folgende
Erklärung: „Die Füchse werden am Anfange des zweiten
Semesters zu Brandern gebrannt, indem sie durch ein Spalier
laufen müssen, wo dann die Burschen versuchen, ihnen mit
talgbeschmierten, langen Fidibus die Haare anzuzünden. Wohl
Anspielung auf die Brände, die Simson den Füchsen anhing,
um den Philistern zu schaden." Zu dem studentischen „Fuchs"
stimmt auch der franz. Ausdruck renard für einen angehenden
Handwerksgesellen.
Auf eine eigentümliche Art des Fuchsfanges bezieht sich
der metaphorische Gebrauch von span. zorra in der Bedeu-
tung „meretrix", womit sich der deutsche Ausdruck eine aus-
ge fuchste Hure \rergleichen läßt. An einen Baum mitten
im Walde wird eine rennende Füchsin angebunden, um die
Männchen herbeizulocken, die sich dann in den ringsum auf-
gestellten Netzen fangen. Hierauf mögen wohl auch die oben
erwähnten sprichwörtlichen Redensarten wie „cow volpi convien
volpeggiare^, ^avec le renard on renarde^^ usw. basieren.
48 i>a8 Wiesel.
Auf folkloiistisches Gebiet fBhrt uds die Verwünschnngs-
formel: Hol ihn der Fuchs! worin „Fuchs" als Glimpf-
wort für „Satan" erscheint. Nach einem alten Volks-
glauben sah man im Fuchs eine Personifikation des Teufels.
Der ränkevolle Charakter des Tieres und namentlich die
Farbe seines Pelzes — rot ist die Farbe des Feuers —
machen diesen Aberglauben, der in der Behauptung des
Origenes, der Teufel trage einen Fuchspelz, eine Bekräftigung
fand, erklärlich. Hierher zu ziehen ist wohl auch der Aus-
druck fuchsteufelswild, was also heißt: wild wie ein
Fuchsteüfel, d. i. ein Teufel in Fuchsgestalt Schrader aller-
dings stellt diesen Ausdruck zu „fuchsen" im Sinne von
„ärgern". Dieselbe Auffassung vom Wesen des Fuchses be-
gegnet uns im Spanischen, wo der Ausdruck zorra vieja „alte
Füchsin" soviel bedeutet als „alte Hexe", womit sich auch
engl, vixen == Füchsin als Bezeichnung für ein altes, böses
Weib vergleichen läßt.
Das Wiesel.
Obwohl der Name dieses Tieres wenig zur Bildung von
Metaphern verwendet wird, so wollen wir ihn doch zum Gegen-
stand unserer Betrachtung machen, da die Bezeichnungen für
dieses Tier in den verschiedenen Sprachen semasiologisch
interessant sind, indem sie nämlich selbst äußerst durchsichtige
Metaphern repräsentieren. Die germanischen Benennungen
des Tieres, deutsch Wiesel, engl, ebenso toeasel, dieses
zurückgehend auf altengl. wb'sle, jenes auf ahd. toisula^ sind
allerdings etymologisch noch nicht sicher erklärt. Einige ver-
muten Anlehnung an „Wiese", es würde demnach das Tier
nach seinem Aufenthaltsorte benannt sein. Der lat. Name
des Wiesels, mustella, erweist sich als Diminutiv von mm
„Maus" ; bekanntlich rechneten die Alten Wiesel, Marder, Zobel
und ähnliche Tiere zum Mäusegeschlecht.*) Dieses Wort ist
in oberitalienischen Dialekten, im Provenzalischen und im
Altfranz, erhalten, im Neufranz, wurde es ersetzt durch belette.
*) über die romanischen Bezeichnungen des Wiesels hat ausführlich
gehandelt Flechia im Archivio glottologico, II, pag. 51.
Das Wiesel. 49
Dim. von helle ^ was „kleine Schöne" bedeutet, und in der
Tat besitzt dieses Tierchen, das das kleinste unter den
Raubtieren ist, eine schlanke, zierliche Gestalt, welche im
Verein mit dem schöngefärbten Pelz obige Bezeichnung voll-
kommen rechtfertigt. Zu der franz. Benennung stimmen nun
in auffallender Weise die Ausdrücke in den übrigen Kultur-
brachen. So hei&t das Wiesel im Mittelengl. fairie {fatry) „Fee",
im Ital. donnola „Dämchen", im Span, comadreja „kleine Ge-
vatterin^^ Ein Analogon hierzu findet sich in einigen deutschen
Dialekten, wo das Tier „Mühmchen" genannt wird, während
man es in anderen mit „Schöntierle" bezeichnet, was wieder
wörtlich zu franz. belette stimmt. Auch im Dänischen und im
Bretonischen geht die Bezeichnung für dieses Tier auf den Be-
griflf „schön" zurück. (Vgl im Neugriechischen wf4<pha „Bräut-
<chen" für „Marder".) Die in einigen Provinzen Englands
übliche Bezeichnung des Wiesels mit mmse-hound „Mäusehnnd"
bezieht sich auf die Mäuse, die Lieblingsnahrung dieses Tieres.
Was nun die Rolle betrifft, die das Wiesel in der deut-
schen Phraseologie spielt, so sind einige Redensarten zu ver-
zeichnen, die auf die Schnelligkeit seines Laufes Bezug nehmen
wie z. B. im Deutschen: Er ist behend wie ein Wiesel,
läuft wie ein Wiesel. Da Raschheit der Bewegung sehr
häufig ein Zeichen von Gesundheit ist, so hört man manchmal:
Er ist gesund wie ein Wiesel. So rasch das Wiesel
ist, wenn es gilt, eine Beute davonzutragen, so langsam
und bedächtig ist es in seinen Bewegungen, wenn es sich
^arum handelt, ein Opfer zu beschleichen, daher der Eng-
länder ganz im Gegensatz zum Deutschen eine schleichende
Person als tmusel bezeichnet. Auf die Magerkeit des Tieres
bezieben sich im Engl, die Metaphern weasel-faced, mit dem
Oesichte eines Wiesels, d. h. dünnbackig, und (vulgär) weaselr
gvMed „wieselbäuchig", d. h. dünnbäuchig, mager. Auf eine
moralische Eigenschaft des Wiesels, nämlich seine unersättliche
Raubgier, spielt das span. Rotwelsch an, indem es mit camadr^a
«inen Dieb bezeichnet^ vor dem niemand sicher ist Die
Schlauheit des Wiesels, das sich nicht leicht fangen läßt, er-
klärt die engl. Redensart to catch a weasel asleep^ ein Wiesel
schlafend fangen, d. h. eine schwer zu überlistende Person
•drankriegen. (Vgl Brewer, Dict of Phrase and Fable, pag. 947.)
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. ^
50 I^er Bär.
Der Bär.
Das deutsche Bär, ahd. beroy ist verwandt mit engl, bear^
altengl. bera, das ebenso wie bero auf ein gemeingermanische»
beran- zurückweist. Die romanischen Bezeichnungen für dieses
Tier: ital. orso, span. oso, frz. ours, gehen sämtlich auf lat.
tirsus zurück.
Wir betrachten zunächst die Metaphern, die von der
äußeren Erscheinung dieses Tieres hergenommen sind. Was
zunächst bei ihm auffällt, ist sein zottiges Fell. Daher sagt
man im Franz. und Ital. von einem stark behaarten Menschen:
11 est velu comme un ours, bzw. ^ peloso come un orso, er ist
zottig wie ein Bär, und analog nennt man im Deutschen einen
Menschen mit ungekämmten, struppigen Haaren einen Zottel-
bären. Mit Bezug auf die Dicke des Bärenfells sagt der
Italiener von einer Mark und Bein durchdringenden Kälte
fa un freddo da pelar Vorso {pelare = enthaaren), womit sich
deutsch Bärenkälte vergleichen läßt. Die Bärenmütze
bezeichnet der Franzose in familiärer Sprache mit ourson
oder oursin „kleiner Bär", welches letztere Wort auch
für den Seeigel gebraucht wird. Wahrscheinlich ist es in
dieser Bedeutung nicht direkt von ours abzuleiten, sondern
ist eine volksetymologische Umbildung von hirisson {eridus)
„Igel". Als gi'oßes, starkes Tier erscheint der Bär namentlich
im Deutschen, wie dies erhellt aus den Adjektiven bären-
haft, bärenstark,*) die allerdings — ebenso wie die B ä r e n -
t atzen als Bezeichnung großer Hände — den Begriff der
Plumpheit mit einschließen. Auf die ungeschlachte Gestalt
des Bären bezieht sich die metaphorische Verwendung de»
Wortes im Deutschen für den Rammklotz oder die Eamme,
ein Fallklotz zum Einstoßen von Pfählen. Auch das EngL
bezeichnet mit bear einen Holzklotz.
Das Wort „Bär" wird bei Substantiven in superlativer
Weise zur Verstärkung des Begriffes gebraucht. So sagt
man von etwas, das sehr teuer ist, es koste ein Bären«
*) Auf die Holle des Bären als Tierkönig^ in der deutschen Tiersage
sind zurückzuführen die deutschen Personennamen Bernhard, Berengar^
Eernot, Betz, Petz usw.
Der Bär. 51
geld. Ist man bei gutem Appetit, so hat man einen Bären-
hunger und trinkt man dementsprechend, so wird man
bärentrunken. Die letztere Metapher kann allerdings
noch anders gedeutet werden, nämlich im Zusammenhang mit
der ital. Kedensart pigliar Vor so oder dbbracciare Varso, den
Bären fangen, den Bären umarmen, d. h. einen Rausch
bekommen, auf welche Redensart schon beim Affen hin-
gewiesen wurde. Auch in Bärenschlaf mag man in dem
Bestimmungswort etwas anderes sehen als eine Superlative
Verstärkung. Der Bär hält eine Art Winterschlaf und es
ist sehr wahrscheinlich, daß sich die in Rede stehende
Metapher darauf bezieht. Nennt doch auch der Engländer
das Murmeltier wegen seines Winterschlafes bearmouse. Mit
Bezug auf den Winterschlaf, während dessen der Bär keine
Nahrung zu sich nimmt, sagt der Franzose von jemand,
dem der Abbruch an Nahrung keine sonderlichen Beschwerden
verursacht: II est de la nature de Vours, il ne maigrit pas pour
pätir, er hat eine Bärennatur, trotz der Entbehrungen magert
er nicht ab. (Vgl. im Gegensatz dazu deutsch „Bärenhunger".)
Hierher gehört auch die im franz. Theaterjargon gebräuchliche
Bezeichnung ours für Theaterstücke, die lange im Archiv ge-
schlafen haben, bevor sie aufgeführt wurden. (Vgl. Rozan,
Les animaux dans les proverbes, I, pag. 267 u. 278.)
Das schwerfällige, täppische Wesen des Bären, das mit seiner
plumpen Gestalt in bestem Einklänge steht, hat in allen Kultur-
sprachen Metaphern gezeitigt. So wird namentlich im Engl, das
Wort bear (auch bridled bear „gezähmter Bär") auf einen täppi-
schen jungen Menschen angewendet und der Hauslehrer oder
vielmehr Hofmeister eines solchen wird dann konsequenterweise
mit einem bear-leader „Bärenführer" verglichen. Demgemäß
bedeutet bearish geradezu „plump" und mit a bear^s play
„Bärenspiel" bezeichnet man täppische Zärtlichkeiten. Ein Ana-
logon hierzu bietet das span. hacer el oso, den Bären machen,
d. h. offen und in plumper Weise den Hof machen, was dann
erweitert werden kann zur Bedeutung: sich durch törichtes
Benehmen dem Spotte der Leute aussetzen. Der Pariser
Student hat, um das plumpe Courschneiden zu bezeichnen,
geradezu ein Verbum ourser gebildet, wovon dann wieder
ourserie „plumpe Courschneiderei". Auf den zum Tänzer
4«
52 I>er Bär.
abgemhteten B&ren bezieht sich die Bedessart tanzen wie
ein Bär, d. h. schlecht, ungraziös tanzen. Ebenso sagt der
Italiener baUare came un crso und far la parte delV orso danr-
zante, die Bolle des Tanzbären spielen, d. h. den Hans-
wurst machen. Gleichfalls vom Tanzbären, der einen Maul-
korb trägt, ist hergenommen die Redensart mettere la muse"
ruola aiV orso, dem Bären den Maulkorb anbinden, d. h. jemd.
zum Schweigen bringen. Ours ist femer im franz. Drucker-
jargon der Spitzname der Prefidrucker, deren Metier ein den
Bewegungen des Bären ähnliches Hin- und Herwiegen des
Körpers bedingt. (Vgl. Bozan, Les animaux dans les proverbes,
I, pag. 278.) Als geistig plumpes Tier erscheint der Bär in
der Lafontaineschen Fabel L'ours et Vamaieur des jardim,
wo erzählt wird, wie Meister Petz seinen schlafenden Herrn
ums Leben bringt, indem er ihm, um eine Fliege zu vertreiben,
einen großen Stein auf die Stirne schleudert. Mit Bezug auf
diese Fabel nennt man im Franz. einen ungeschickten Freundes-
dienst, der zum Schaden dessen ausschlägt, dem er nützen soll,
le pavi de Tours y den Stein des Bären. (Vgl. Rozan, Les
animaux dans les proverbes, I, pag. 278.)
Nach einem alten Volksglauben kommen die jungen Bären
in unföimlicher Gestalt zur Welt und werden erst durch eifriges
Belecken von selten der Bärin geformt. Daher nennt man
im Deutschen einen ungezogenen Menschen einen ungeleckten
Bären, im Engl, unlicked cuh. (Cub bezeichnet das Junge
wilder Tiere.) Das Lecken ist die Erziehung, die der Un-
gezogene eben vermissen lä£t. Ganz dieselbe Metapher
findet sich im Ital. und Franz. : tm orso mal leccaio^ un ours
mal Uchi. Im Ital. kann sich diese Metapher auch auf eine
im Äußeren vernachlässigte Person beziehen. Damit hängt
zusammen die familiäre franz. Redensart lecher Tours, die
soviel bedeutet als „sich instruieren^ und auf einen besonderen
Fall angewendet „sich genaue Kenntnis von etwas verschaffen^.
Da aber das Lecken der Bärin nicht immer von Erfolg be-
gleitet zu sein scheint, so kann die Redensart auch den Sinn
haben „unnötig Zeit mit etwas verbringen'^ Auf das Brummen
des Bären, das als eine Äußerung schlechter Laune aufgefaßt
wird, besüeht sich das deutsche Brummbär, womit wi
mürrischer MeuBch bezeichnet wird, der in unwirschem Tone
Der Bilr. 53
aatwortet. Auch im Ital. und Franz. kann arso, bzw. ours so
gebraucht werden.
Daneben macht sich allerdings eine andere Auffassung
Ifeltend, die den Bären trotz seiner äufieren Wildheit als
harmloses Tier erscheinen läßt, da er bei weitem weniger
aggressiv ist als der Wolf oder die katzenartigen Raub«
tiere. So spricht man im Deutschen von einem gut-
mütigen Bären und einen ähnlichen Sinn kann auch das
itaL orso haben. Auf die unschuldige Obstliebhaberei des
Bären spielen im Ital. einige sprichwörtliche Sedensarten
an, so z. B. invüar Vorso edle pere, den Bären zu Birnen ein-
laden, d. h. jemd. zu etwas auffordern, was er gern tut, las-
dar le pere in guardia alV orso, die Birnen der Hut des Bären
anvertrauen, wofür man im Deutschen sagt: den Bock zum
Gärtner machen. Dem deutschen „Mit großen Herrn ist nicht
gut Kirschen essen^ entspricht im ItaL, das Sprichwort: Chi
divide le pere colT orso, ri ha sempre meno qtse parte, wer die
Birnen mit dem Bären teilt, hat immer weniger als sein Teil.
Schließlich ist noch hierher zu ziehen das Sprichwort : Uorso
sogna pere^ der Bär träumt von Birnen, d. h. was man wünscht,
von dem träumt man. Im guten Sinne gebraucht man im
Deutschen Seebär, im Ital. orso marino, womit man einen
Seemann bezeichnet, der hinter seinem rauhen, kurz ange-
bundenen Wesen eine biedere Seele birgt. Auf die einsame
Lebensweise des Bären, der im Gegensatz zum Wolfe seines-
gleichen meidet, bezieht sich im Franz. die Redensart vivre
comme un ours, leben wie ein Bär.
In einigen Metaphern kommt eine der obigen direkt wider-
sprechende Auffassung vom Wesen des Bären zum Aus-»
druck, indem dieser als gefahrliches Tier mit Löwe, Wolf und
anderen Raubtieren in eine Linie gestellt wird. Daher nennt
man im Deutschen einen groben Menschen, der immer bissige
Antworten bereit hat, bärbeißig. (Die mittelalterliche
Symbolik stellte die Figar des Zorns auf einem Bären reitend
dar). Hierher zu ziehen ist auch die im älteren Deutsch belegte
Redensart einen Bären fangen oder stechen, d. h. etwas
Gefahrvolles unternehmen. In der gleichen Bedeutung gebraucht
der Italiener die Wendung peJar Vorso, dem Bären das Fell über
die Ohren ziehen. Eine analoge Auffassung des Bären findet
54 I>er Bftr.
sich im franz. Argot: Envoyer qn. ä Vours, jemd. zum Bären
schicken, heißt ihn ,,zum Teufel wünschen". Damit mag
zusammenhängen, wenn im Volksmunde die Polizeistube ours
genannt wird. Wer da drin sitzt, entkommt eben so schwer
wie einer, den der Bär in seinen Armen hält. Auf dem Aber-
glauben, daß, wer einmal auf einen Bären gestiegen, für immer
von Furcht geheilt sei, beruht die Redensart il le faut faire
monier sur Tours, man muß machen, daß er auf den Bären
steigt, d. h. man muß ihm Mut machen. (Vgl. EoUand, Faune
pop., I, pag. 42, 3.)
Wegen der Gfefahrlichkeit des Tieres gilt die Bären-
haut als schwer zu erringende Beute. Darauf bezieht sich
das Sprichwort: Man muß die Bärenhaut nicht eher
verkaufen, bis man den Bären hat, d. h. man soll
über eine Sache nicht eher verfügen, bis man in ihrem Be-
sitze ist, wohl mit Anspielung an die allen Literaturen be-
kannte Geschichte von den beiden Gascognern, die den Wirt
mit der Haut eines noch nicht erlegten Bären zu bezahlen
versprachen. Dieses Sprichwort findet sich auch im Engl.:
DonH seil the bear's skin, before you have cau^ht the bear. Ebenso
sagt der Italiener : Non si deve vendere la pelle delV orso prima
che sia morto und der Franzose : II ne faid pas vendre la peau
de Vours avant de Vavoir pris. Hier sei noch das deutsche
Bärenhäuter erwähnt, womit man einen Faulenzer zu
bezeichnen pflegt mit Anspielung darauf, daß die Germanen
ihre freie Zeit auf der Bärenhaut liegend verbrachten. Mit
der Auffassung des Bären als gefährlichen Tieres mag
zusammenhängen der scherzhafte Gebrauch des Wortes für
drückende Schulden. Wenn man bei jemd. Schulden macht,
sagt man, man binde ihm einen Bären an. Man wird
dem Betreffenden daher aus dem Wege gehen, um mit dem
gefährlichen Tier nicht in Berührung zu kommen. Bezahlt
man seine Schulden, so ist der Bär gewissermaßen losgebunden
und man hat nichts mehr zu fürchten. Daß diese übrigens
von Schrader zuerst versuchte Deutung die richtige ist, be-
weist das Französische, wo der dem Gläubiger angebundene
Bär mit jenem geradezu identifiziert wird, so daß man ours
für den Gläubiger selbst gebraucht. Etwas schwieriger zu
erklären scheint die Redensart jemd. einen Bären auf-
Der Bär. 55
T}inden, was soviel bedeutet als ,,jemd. etwas weis machen,
jemd. ein Märchen auftischen". Diese Eedensart, deren ver-
schiedene Deutungsversuche man bei Schrader*) nachlesen
möge, kann nur auf sprachvergleichendem Wege erklärt
werden. Im Pariser Argot bezeichnet man nämlich mit
ours eine langweilige, wenig glaubwürdige Geschichte und
im weiteren Sinn ein Buch das überall zurückgewiesen
wird. Der unglückliche Autor, der mit seinem Erzeugnis
vergebens hausieren geht, ist dann der marchand d^ours oder
meneur d'ourSj der „Bärenführer". Rozan (Les animaux dans
ies proverbes, I, pag. 279) führt diese Metapher auf die Scribe-
Saintinesche Posse Vours et le pacha zurück, in welcher ein
Tierhändler vorkommt, der einen Bären loszuwerden sucht
und jedermann zum Kaufe auffordert mit den Worten : Prenez
mon ours! Aber auch so läßt sich die Metapher erklären:
Der Bär ist ein schwerfälliges, plumpes Tier und es ist durch-
aus nicht auffallend, wenn ein langweiliges Geistesprodukt —
«ei es nun eine kurze Geschichte oder ein langer Roman —
als „ours'^ bezeichnet wird. So sagt man z. B. im Engl.:
Are you there with your bear? in dem Sinne von: Kommst du
«chon wieder mit derselben Geschichte? Im Pariser Argot
sagt man von einem, der langweilige Räuber- oder Gespenster-
geschichten erzählt, il pose un ours^ er stellt einen Bären hin,
und von dem, der sie glaubt, il attache Vours, er bindet den
Bären an (nämlich sich selber oder für sich, damit er ihm
nicht davonlaufe). Somit dürfte die deutsche Redensart „jemd.
'einen Bären aufbinden" erklärt sein.
Schließlich noch ein Wort über den „großen Bären" und
„kleinen Bären", die Namen zweier bekannter Sternbilder.
Diese Benennung beruht auf der Mißdeutung von sanskrit
nrch „glänzen", das die Griechen in das ähnlich klingende
ÄßXTog „Bär" umwandelten.**)
*) Bilderschmuck d. deutschen Sprache, pag. 223 f. Vgl. ferner die
Erklärungsversuche Euhins in Zeitschrift f. d. deutschen Unterricht, YIII,
pag. 598 f.
**) Auch in deutsch Batzen steckt der Name des Bären (Betz = Petz).
Dies Wort bezeichnete nämlich ursprünglich eine Bemer Münze mit dem
Berner Stadtwappen, einem Bären. (Vgl. ital. hezzi „Münzen*'.)
50 Das Eichhtoichen.
Das Eiohhömclien.
Die Etymologie des Wortes „Eichhorn" bietet Schwierig-
kdten. Sme urgermanische Form ist nicht zu ermitteln.
Der zweite Bestandteil des neuhochd. Wortes „Hörn" beruht
auf Yolksetymologischer Umbildung. Aus der Vergleichung^
mit den übrigen germanischen Sprachen ergibt sich sicher^
dafi die ursprüngliche Bedeutung des Wortes die von „Eich-
tierchen" ist, da die Eiche der Lieblingsbaum des Eichhorn*-
cbens ist. Die Angleichung an „Hom" ist wohl zu erklären
aofi dem buschigen, aufrechtstehenden Schwänze, der tatsächlich
eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Hörn hat. Übrigens wird
in vielen deutschen Gegenden Eichkätzchen anstatt „Eich-
hörnchen" gebraucht. Hiermit ist zu vergleichen die in Frank-
reich übliche volkstümliche Bezeichnung chat ecurieax für
ecureuü (mit volksetymologischer Anspielung an curieux „neu-
gierig"). Im Hessischen wird das Tierchen Baum fuchs ge-
nannt, wohl wegen der meist rötlichen Färbung seines Felles.
In den romanischen Sprachen gehen die Bezeichnungen für
„Eichhörnchen" — ital. sccjaUo, scqjattolo, span. esquirol, esquilo^
frz. ecureuü (eeurieu als Wappenausdruck) — auf lat. sciurus zu-
rück, woraus durch Metathese scuirus wurde. Dieses Wort hat das^
Lateinische dem Griechischen entlehnt, wo es (nuovQog lautet {OKut
„Schatten", ovQd „Schwanz"), was „Schattenschwanz" bedeutet.
Das lat. Wort ist auf dem Umwege über das Altfranz, (esquirrel)
auch ins Englische eingedrungen, wo es noch heute als squirrd
existiert. Lautlich und semasiologisch interessant ist das
sardische schitru, das einerseits deutlich das lat. Etymon er-
kennen läßt, andererseits aber seine Bedeutung geändert hat,,
indem es nämlich auf den Marder angewendet wird. Im Span,
wird übrigens neben esquirol auch ardilla gebraucht, das mög-
licherweise auf nitedula, nüella „Haselmaus" zurückgeht.
Der Phraseologie liefert das Eichhörnchen keinen besonder»
reichen Stoff. Die paar Metaphern und Redensarten, die von
diesem Nager hergenommen sind, beziehen sich — mit Aus-
nahme etwa des ital. mu^o aguzzo come uno scoiattölo, ein Maul
spitz wie ein Eichhörnchen — ausschließlich auf die außer-
ordentliche Lebhaftigkeit des Tierchens, das sich keinen
Das Mnrmeltder. 57.
Augenblick Ruhe gönnt und mit schwindelerregender Be*
hendigkeit von Ast zu Ast hüpft. (Vgl. ital. fuggire come uno
acoiattolo, fliehen wie ein Eichhörnchen.) Da Lebhaftigkeit
der Bewegung als Zeichen guter Laune gilt, so sagt man von
einem lustigen Kinde, es sei munter wie ein Eichhörn-
chen. In demselben Sinne gebraucht der Spanier ardüla und
der Franzose icureuil {vif comme un ecureuü). Während in
diesen Redensarten das rastlose Hin- und Hersehießen des
Eichhörnchens als Ausfluß einer besonders munteren Natur-
anlage betrachtet wird, erscheint es in anderen wieder als
^zweifelhaftes Symptom der Verrücktheit oder wenigstens
eines unberechenbaren Charakters. „Er lief über die Stiege
wie ein verrücktes Eichhörnchen" bekommt man in
der deutschen Studentensprache oft zu hören. Analog nennt
der Engländer einen zerfahrenen, strudelköpfigen Menschen
squirrel-minded, d. h. begabt mit der Gremütsart eines Eich-
hörnchens. Auf das resultatlose Auf- und Abschießen des
Tierchens in seinem Drehbauer bezieht sich die franz. Redens-
art faire TScureuil, das Eichhörnchen machen, d. h. eine über-
flüssige Arbelt tun. Einen tadelnden Sinn hat auch die
drastische deutsche Redensart: Er hat's im Maul wie das
Eichhörnchen im Schwanz, von jemd. gesagt, dessen
Mund fortwährend in Bewegung ist wie der Schwanz des
Eichhörnchens (hauptsächlich auf Prahler angewendet). Gleich-
falls mit Bezug auf die außerordentliche Behendigkeit des
Tierchens gebraucht der Engländer die Redensart to hunt (he
squirrel, das Eichhörnchen jagen, für das Haschenspielen der
Kinder.
Das Murmeltier.
Was zunächst die Etymologie des deutschen Wortes be-
trifl't, so ist Murmeltier durch volksetymolc^ische An-
gleichung von mhd. mürmendin, ahd. murmuntin, an „murmeln''
entstanden. Das althochdeutsche Wort gebt nach Kluge auf
I9A. murem (mus) montis zurück, woraus ital. marmotia, span.
marmota, frz. marmatte entstanden sei. Nach Jeanroy jedoch
ist marmotte Femininum zu marmat Junges Kind, Affe'' (im
älteren Franz. bedeutet auch marmatte „Affe"), und dieses ist
58 l^AS Murmeltier.
ein Diminutiv von afrz. merme = lat. minimm. Das ital.
marmotta sowie das span. marmota wären in diesem Falle
Entlehnungen aus dem Französischen. Wie dem auch sei,
jedenfalls hat bei dem franz. Worte ebenso eine Angleichung
an marmotter „murmeln" stattgefunden wie bei murmuntin an
„murmeln". Die Engländer, in deren Land das Tier nicht
vorkommt, haben die Bezeichnung dafür (marmot) dem Franz.
entlehnt. Auch wird — wie wir weiter oben gesehen haben
— hearmouse „Bärmaus" dafür gebraucht.
Von diesem Tiere sind nicht besonders viele Metaphern ge-
bildet, was bei der geringen Verbreitung desselben — es kommt
nur noch in den Alpen, Pyrenäen und Karpathen vor — nicht
zu verwundem ist. Gemeinsam ist dem Deutschen, Ital. und
Franz. die Redensart schlafen wie ein Murmeltier; ital.
dormire come una marmotta^ franz. dormir comme une marmoUe.
Auch bezeichnet man im Ital. mit dem Worte überhaupt einen
trägen Menschen. Tatsächlich hält das Murmeltier in selbst-
gegrabenen Höhlen einen Winterschlaf. Übrigens sagt man
ebenso häufig ital. dormire come un ghiro, franz. dormir comme un
loir, deutsch „schlafen wie ein Siebenschläfer". Im Deutschen ist
in diesem Falle umgekehrt der Name des Tieres eine Metapher.
Auf den Winterschlaf des Murmeltieres bezieht sich auch im
Ital. der Vergleich zitti come le marmoUe, ruhig wie die Murmel-
tiere, sowie die Redensart far la marmotta, das Murmeltier
spielen, d. h. die Zeit vertrödeln. Originell ist die pistojesische
Redensart pigliare una marmotta, sich einen Schnupfen holen,
wörtl.: ein Murmeltier fangen. Wer dieses Tier fangen will,
muß sich in die Regionen des ewigen Schnees begeben und
setzt sich so natürlich leicht der Gefahr einer Verkühlung
aus. (Metonymie: Ursache für Wirkung.) Bitteres Unrecht
tut man jedoch dem guten Murmeltier, wenn man es, wie dies
im Ital. geschieht, als Symbol eines menschenscheuen Ein-
siedlers gebraucht. Es ist im Gegenteil sehr geselliger Natur
und läßt sich auch leicht zähmen, was die vielen Savoyarden-
jungen beweisen, die sich ehemals mit diesem Tier den Lebens-
unterhalt verdienten und denen es seine Popularität zu ver-
danken hat. Wie populär es z. B. in Oberitalien ist, ersieht
man daraus, daß die Mütter ihren Kindern mit dem Murmeltier
drohen {Ecco la marmotta! Lasda stare! c'^ la marmotta!).
Das Murmeltier. 59
wie bei nns mit dem „Wauwau" oder dem „schwarzen Mann"
gedroht wird. Mit Beziehung auf das ehemalige Herumzeigen
von Murmeltieren seitens armer Savoyarden, die deswegen in
familiärer Sprache geradezu marmottiers genannt wurden, be-
zeichnet der französische Handlungsreisende seinen Muster-
kasten treffend als marmciU. Schließlich wird der Name des
Murmeltieres gebraucht zur Bezeichnung einer eigentümlichen
Kopftracht, die seinerzeit in gewissen Gegenden Frankreichs
und Spaniens bei Weibern und Kindern sehr beliebt war.
Man umwickelte nämlich den Kopf mit einem seidenen Taschen-
tuch, so zwar daß die Enden über den Ohren zusammenge-
bunden wurden. In den so entstandenen Zipfeln mag man
leicht eine gewisse Ähnlichkeit mit den kurz abstehenden
Ohren des Murmeltieres gesehen haben. (Vgl. ital. viso di
marmoUa „Murmeltiervisage".) Für den Tiergeographen nicht
minder interessant wie für den Semasiologen ist die franz.
Bezeichnung für „Hamster". Da dieses Tier in Frankreich
fast gar nicht, in Deutschland aber sehr häufig vorkommt, so
nennt es der Franzose deutsches oder Straßburger Murmel-
tier {marmotte d'Ällemagne^ marmotte de Strasbourg), wozu ihm
die große Ähnlichkeit der beiden Tiere ein gewisses Recht
gibt.*) Die Bezeichnung marmotte de Strasbourg muß allerdings
befremden, auch könnte sie leicht die irrige Meinung hervor-
rufen, daß in der Gegend von Straßburg der Hamster ganz
besonders zu Hause sei. Die Sache verhält sich aber ganz
anders. Die Stadt Straßburg ist dem Franzosen als die nächst-
gelegene größere deutsche Stadt die Eepräsentantin des Deutsch-
tums. Deutsches Bier, deutsche Würste, deutscher Schinken
werden allgemein mit dem Zusatz „de Strasbourg^ angepriesen,
auch wenn sie aus ganz anderen Gegenden Deutschlands
stammen, vielleicht wohl auch um das unsympathisch klingende
„d' Allemagne^ zu vermeiden. So sagt der Franzose in unserem
Falle in allerdings gedankenloser Weise für marmotte d^Älle"
magne marmotte de Strasbourg geradeso wie er für jambon
cPAllemagne jambon de Strasbourg sagt. Es liegt also hier ein
merkwürdiger Fall von Analogiebildung vor.
*) Anch wird manchmal geradezu das deutsche Wort „Hamster^
gebraucht.
00 IK« MaoB.
Die Maus.
Sowohl das deutsche Maus wie auch das engl, n^use^
gehen zurück auf ein gemeinsames müs^ das seinerseits wieder
mit lat mu8, griech. fiüg, sanskrit müS übereinstimmt. Kluge
sieht in diesem Umstand wohl mit Recht den Beweis, daß das
Tier den Indogermanen in ihrer Urheimat bereits bekannt
war, und zwar beruht nach ihm das Wort auf einer altindo^
germanischen Wurzel mm „stehlen^. Die Maus wäre dem-
nach die „Diebin". Wie wir weiter unten sehen werden, findet
diese Etymol(^ie eine Bekräftigung in dem metaphorischen
Gebrauch des Wortes. (Man denke z. B. an unser „mausen".)
Was die hier in Betracht kommenden romanischen Sprachen
anlangt, so hat sich das lat mus nur im Altspan, mur und im
einigen Ableitungen erhalten. Im Franz. ist es durch «ourtr
aus sorex, welches Wort im Lat. eine bestimmte Ai*t von
Mäusen, nämlich die Spitzmaus, bezeichnet, ersetzt worden.
(Erweiterung des Bedeutungsumfanges.) Im ital. topo ist tatpa^,
resp. taipus „der Maulwurf" dafür eingetreten, was insofern
nicht zu verwundern ist als die Alten alle möglichen Tier&
wie Ratten, Marder, Zobel zum Mäusegeschlecht rechneten^
(Das fem. topa kommt nur im Toskanischen vor, und zwar
als Bezeichnung der weiblichen Scham.) Daneben wird
sarcio aus sarex (übereinstimmend mit frz. souris) speziell für
die Hausmaus gebraucht. Das altspan. mur wurde duix^h
ratön verdrängt, das eigentlich „kleine Ratte" bedeutet.
Das Suffix on hat hier ausnahmsweise diminutive Kraft wie
im Franz. (Vgl. aiglon, oison etc.)
Die Maus findet sich überall, wo Menschen hausen, und ist
daher nahezu über den ganzen Erdball verbreitet. Es ist da-
her kein Wunder, daß alle Sprachen eine große Anzahl von Meta-
phern aufzuweisen haben, die sich auf dieses Tierchen beziehen.
Fassen wii zunächst die physischen Eigenschaften der Maus ina
Auge, so fällt zunächst ihre winzige Gestalt auf, zu der der
lange Schwanz in schreiendem Mißverhältnis steht. Wenn der
Italiener kleine EartofEelklöße topi nennt, so schwebt ihm da-
bei ebenso die kleine, gedrungene Gestalt der Maus vor, wie
dem Engländer, wenn er eine kleine Beule als mause bezeichnet.
Die Maus. 61
Singegen erinnert sich der Italiener beim Anblick einer langen,
•dünnen Zigarre oder einer feinen Seidentroddel an den Schwanz
^er Maus und er steht nicht an, Zigarre wie Troddel coda di
topo zu nennen. In der eigentlichen Bedeutung jedoch ist das
Wort zu nehmen in der Redensart pitiore di code di topi
„Mäuseschwanzmaler^, d. L ein Maler von geringer Bedeutung.
Wenn der Engländer aus dem Volke die Eurzsichtigkeit mit
mause-sight bezeichnet, so tut er dies in dem naiven Glauben,
da£ kleine Augen notwendig kurzsichtig sein müßten. Kleine
Zähne nennt der Italiener denti di iopo „Mäusezähne", der
Franzose analog dents de souris. Eine Metapher, die sich auf
die Gestalt der Maus bezieht, ist der Gebrauch des Wortes
für den Begriff „Muskel". Im Deutschen bezeichnete man mit
„Maus" ursprünglich jeden Muskel an Arm und Fuß, im Neu-
hochd. wird das Wort jedoch infolge Verengung des Be-
deutungsumfanges hauptsächlich auf den Muskelballen des
Daumens angewendet. Ja, das Wort Muskel selbst, das ein
Lehnwort aus dem Lat. ist (musculus = dim. v. wus) bedeutet
^Mäuschen". Hierzu finden sich Analoga in span. mureciUo,
4as Muskel im allgemeinen bedeutet, und in franz. souris,
womit in der Terminologie der Tierarzneikunst der Aufhebe-
muskel in der Oberlippe des Pferdes bezeichnet wird.
Wegen ihrer kleinen Gestalt erscheint die Maus häufig
als Symbol des Unbedeutenden, Wertlosen. So in dem engl.
u man or a mouse, ein Mann oder eine Maus, d. h. alles oder
nichts. Dieselbe Gegenüberstellung von „Mann" und „Maus"
findet sich im Deutschen. So sagt man z. B.: Ein Schiff
i&t mit Mann und Maus untergegangen, d. h. mit
allem, was auf dem Schiffe war, dem Wertvollen und dem
Wertlosen. Hierher gehört auch das häufig zitierte lat. Sprich-
wort: Parturiunt monteSj nasoetur ridicülus mus (nach Horaz,
Ars poetica 139). Es kreißen die Berge, zum Vorschein
kommen aber wird nur eine lächerliche Maus. Dies Dictum
wird auf Prahler angewendet, die mit Worten großtun,
wenn es aber zum Handeln kommt, eine jämmerliche Figur
spielen. Der Franzose sagt ähnlich: La numtagne en travaü
enfante une souris, der ki*eiße&de Berg gebiert eine Maus.
JBbenso der Italiener : II parte de la montagna : i nato un iopo.
Ton einem verlegen oder beschämt Dreinschauenden sagt der
62 I>ie Maus.
Engländer he looks small like a mome^ er sieht (klein) aus wie
eine Maus. (Vgl. deutsch „vor jemd. klein werden**.) Als
Bild des Unbedeutenden, Harmlosen erscheint die Maus auch
in dem deutschen Sprichwort : Den Schuldigen schreckt
eine Maus. Ebenso sagt der Italiener: Äl ladro fa paura
anche un sorcio und der Franzose: // ve faut qü'une souris
poiir faire peur au michant So klein wie die Maus ist auch
ihre Wohnstätte, weshalb man im Deutschen und Engl, ein
kleines Zimmer oder einen sonstigen kleinen Raum gern ein
Mauseloch, bzw. mouse-höle nennt. (Vgl. ital. casa da topi.)
Von einem Furchtsamen, der sich von einer Gefahr bedroht
sieht, sagt der Franzose : On le ferait cacher dans un trou de souris,
wie man analog im Deutschen sagt : er möchte vor Angst
in ein Mauseloch kriechen, d. h. dem Furchtsamen ist
kein Loch zu klein, um sich zu verstecken. Daß überhaupt die
Maus und ihr Loch zwei unzertrennliche Begriflfe sind, kommt
zum Ausdruck im franz. Sprichwort Nulle souris sans pertuis, keine
Maus ohne Loch, wofür der Deutsche sagt: Jede Maus hat
ihr Haus. Das Mauseloch spielt auch sonst in Sprichwörtern
eine gewisse Bolle, z. B. Ein arm Mäuslein, das nur
ein Loch hat, ist bald gefangen, d. h. man muß sich
auf mehr als eine Weise zu helfen wissen. Dieses Sprich-
wort findet sich in allen Kultursprachen. Engl, lautet
es: Ä mouse (hat hos btU one hole, is soon caught, ital.: Tristo
i quel sorcio che ha un sol pertugio per salvarsi, span.: Batön
que no sähe mos que un horado, presto es cazado, franz. : Souris
qui rCa qu'un trou est bientdt prise. Hierher gehört ferner das
ital. Sprichwort: // solito buco vien a noia anche ai topi, auch
die Maus steckt nicht gern immer im selben Loche, d. h.
jedermann sehnt sich nach Abwechslung. An die bekannte
Fabel vom Maulwurf und dem Igel erinnert das engl. Sprich-
wort: I gave the mouse a hole, and she is hecome my heir, ich
gab der Maus ein Loch und sie ist meine Erbin geworden,
d. h. sie betrachtete sich als Herrin der Behausung. Auch
im Span, findet sich dieses Sprichwort: Acogi al ratön en mi
agujero, y volviöseme heredero.
Auch die Farbe der Maus wird metaphorisch verwendet r
dem Deutschen mausgrau entspricht im Engl, mouse-gray^
im Ital. topino, im Franz. gris de souris. Zu erwähnen wäre^
Die Maus. 63
allenfalls noch, daß man im Ital. die Infanteristen wegen ihres
granen Mantels scherzweise sorcini nennt.
Die Maus gehört zu den Nagetieren, es ist daher das Nagen
eine fiir die Maus besonders charakteristische Tätigkeit; dement-
sprechend heißt ratonar im Span, „nagen" und in der Seemanns-
sprache bezeichnet man mltratones das zackige Gestein am Meeres-
grund, das die sich daran reibenden Ankertaue gleichsam an-
nagt. Auch im Deutschen denkt man an die Maus als Nagetier in
der Redensart : Da beißt keine Maus einen Faden ab,
womit man sagen will: An der Sache ist nichts zu ändern;
es ist einmal so. Hierher zieht Schrader die Redensart sich
mausig machen, was „sich anmaßen, sich zudringlich
benehmen" bedeutet, gleichsam wie die Maus, die mit ihren
scharfen Zähnen alles annagt, was ihr unterkommt. Heyne
und Kluge leiten jedoch das Wort von Mauser „Federwechsel"
ab und es würde dann „sich mausig machen" soviel heißen als
„die Federn wechseln, sich übermütig herausputzen, um sich
hervorzutun".
Auf das Flinke und Hurtige in den Bewegungen der Maus
beziehen sich nicht wenig Metaphern. Sie ist flink wie
eine Maus sagt man im Deutschen von einem behenden
Mädchen. In ähnlicher Weise gebraucht der Franzose die
Redensart etre eveille comme une potee de souris^ munter sein
wie ein Topf voll Mäuse, wie er auch das Wort souris
ohne weiteres auf ein lebhaftes Kind anwendet. Desgleichen
wird ein Kuß auf das Auge im Pariser Argot mit so wm bezeichnet,
indem ein solcher Kuß die Empfindung einer über das Auge
huschenden Maus hervorruft. Zur Bezeichnung gewisser intimer
Liebkosungen muß gleichfalls die Maus herhalten. So sagt
der Pariser für peloter „betasten" auch faire la souris, die Maus
spielen. (Über eine zweite Bedeutung derselben Redensart
siehe pag. 64.) An das Dahinschießen der Maus denkt
der Italiener, wenn er die Schwärmer bei einem Feuer-
werk toppi matti „verrückte Mäuse" nennt. Der Gebrauch von
„Maus" und „Mäuschen" als Kosewort beruht wohl haupt-
sächlich auf dem behenden Wesen der Maus, das, gepaart mit
der kleinen, rundlichen Gestalt, dem Tierchen ein charakte-
ristisches Gepräge verleiht. So nennt der junge Mann seine
Geliebte gern „mein süßes Mäuschen". Hiermit mag auch
64 ^c Maus.
der Gebrauch des Wortes f&r den Begriff ^cunnus^ in
einigen Gegenden Deutschlands zusammenhängen. Ein
Analogon hierzu findet sich im Toskanischen, wo topa „weib-
liche Maus^' Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsteiles ist.
In anderen Gegenden Deutschlands und allgemein in Frank-
reich wird in demselben Sinne „Kätzchen'^, bzw. chat, gebraucht,
das auch ursprünglich ein auf das Mädchen selbst angewendetes
Kosewort ist. Zugleich sind diese beiden Beispiele Belege fftr
den durch den Euphemismus verursachten Bedeutungswandel.
Goethe gebraucht in seinem Tagebuch und in seinen Briefen
für „Mädchen^ sehr häufig den Ausdruck Misel, was das
elsässische Diminutiv zu mtis „Maus^ ist (Vgl. Schrader,
Bilderschmuck d. d. Sprache, pag. 191.) Analog findet sich
bei Shakespeare das Wort motm-huntj wörtl. „Mäusejäger", in
der Bedeutung von „Mädchenjäger" gebraucht. (Über den
Ursprung der Verwünschung daß dich das Mäuslein
beiß' siehe Schrader, Bilderschmuck, pag. 188.)
Was nun die moralischen Eigenschaften der Maus anUngt,
so ist sie durch ihre Naschhaftigkeit, die sie zu allerlei kleinen
Diebereien verleitet, allgemein verrufen. Bedeutet doch das
Wort „Maus" selbst, wie oben dargetan wurde, „Dieb".
Demgemäß wendet man im Deutschen auf kleinere Diebstähle
das Wort mausen an. (Mausen bedeutet jedoch „Mäuse
fangen" in dem Sprichwort die Eatze läßt das Mausen
nicht.) Ein Analogon dazu bietet das span. Rotwelsch, wo
murcio (von mus) „Dieb" und murciar „stehlen" bedeutet. Auch
im Schriftspanischen wird ratear für „stibitzen", ratero für
„Dieb" und rateria für einen unbedeutenden Diebstahl ge-
braucht. Allerdings scheinen diese Wörter von rata „Ratte"
abgeleitet zu sein, was jedoch im wesentlichen an der Sache
nichts ändert, da ja der Spanier die Mäuse als „kleine Ratten"
betrachtet. Hierher zu ziehen ist auch die jetzt veraltete
franz. Redensart faire la souris, die Maus machen, d. h. jemds.
Tasche geschickt untersuchen und ausleeren. Auf den diebi-
schen Charakter dieses Tierchens spielt femer an die ital.
Redensart fare come i topolini degli speziali, es machen wie die
Mäuschen der Spezereiwarenhändler, d. h. immer mit Lecker-
bissen zu tun haben und doch nicht davon essen können, was
Die Maus. 65
ungefähr dem deutschen „keinen Löffel haben, wenn es Brei
regnet" entspricht.
Damit die Maus auf ihren Beutezügen nicht ertappt
werde, mufi sie leise und mit großer Vorsicht ans Werk gehen.
Daher der deutsche Ausdruck mäuschenstill, womit sich
die engl. Redensart to speak like a mouse in a cheese, wie eine
Maus in einem Käse, d. h. leise, fast unvemehmlich sprechen,
vergleichen läßt. In der deutschen Redensart arm wie
eine Kirchenmaus wird die Maus' zur Kirche in Be-
ziehung gesetzt. Die Kirchenmaus ist ärmer als eine andere,
weil es in der Kirche an Speisevorräten völlig gebricht. An
das deutsche „mäuschenstill" erinnert die franz. Redensart
on entendrait trotter une souris, d. h. man würde sogar eine
Maus laufen hören, so still ist es. Das vorsichtige, scheue
Wesen der Maus wird durch das deutsche Duckmäuser
trefflich charakterisiert. Das Wort, das aus „Maus" und
„ducken" zusammengesetzt ist, bezeichnet einen Menschen,
der seine Ziele auf Schleichwegen zu erreichen sucht und
seine bösen Absichten unter scheinbarer Harmlosigkeit ver-
birgt, geradeso wie die Maus es macht, wenn sie ihre Diebs-
gelüste befriedigen will. (Vgl. engl, to mouse in der Bedeutung
„leise umherschleichen".) Eine ähnliche Bildung ist Kai-
mans er, womit man einen Stubenhocker, Kopfhänger be-
zeichnet. Welche immer auch die Herkunft des der Studenten-
sprache entstammenden Wortes sein mag {cälamus „Feder"?
der Orden der Camaldolenser?), so viel ist gewiß, daß man
darin eine volksetymologische Angleichung an „Duckmäuser"
(mit Anspielung an „kahl") zu erblicken hat. (Vgl. Andresen,
Über deutsche Volksetymologie, 5. Aufl., pag. 238.) Da die überaus
kurzen Beine der Maus beim schnellen Laufen kaum sichtbar
sind, kann es leicht den Eindruck machen, als bewege sich
das Tier kriechend fort, weshalb im Span, ratero geradezu
„kriechend" und auf Vögel angewendet „nahe an der Erde
hinfliegend" bedeutet. Auf das moralische Gebiet übertragen,
bekommt ratero logischerweise die Bedeutung von „duck-
mäuserig, niederträchtig". Ebenso bedeutet das davon ab-
geleitete raferia „gemeine Denkungsart".
Nur dem Deutschen eigentümlich ist der Gebrauch von
„Maus" in der Bedeutung „Schrulle, Grille". So sagt man
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. &
6g Die MauB.
^ B. £r hat Mäuse im Kopf, Ihm steckt der Kopf
voll Mäusenester, Er macht ein Gesicht wie ein
Topf voll Mäuse. (Vgl. jedoch im ganz anderen Sinne
franz. äre iveiUi comme une poUe de souris. Siehe pag. 62.)
Nach Sanders werden die hin und her schwirrenden Gedanteen
mit Mäusen verglichen.
Auch für den Vergleich naß wie eine gebadete Maus
findet sich in den übrigen Sprachen kein Analogen.*) Diese
Redensart erklärt Schrader ansprechend, indem er darauf hin-
weist, daß die Maus als wasserscheues Tier in durchnäßtem
Zustand einen besonders jämmerlichen Eindruck macht Der
Franzose sagt mit einer dem Deutschen geradezu entgegen-
gesetzten Auffassung trempe comme un canard, naß wie eine
Ente. Da die Ente ein Wasservogel ist, so ist das Naßsein
bei ihr durchaus kein abnormaler Zustand. Mausetot, ein
scherzhafter Superlativ von „tot^^, heißt ursprünglich wohl : tot
wie eine Maus, die die Katze erlegt hat und in der kein
Fünkchen Leben mehr übrig ist. Bei der Häufigkeit der
Mäuse ist eine tote Maus ein alltäglicher Anblick.**) Eine
interessante Parallele zur deutschen Metapher bietet das engl.
Sprichwort tO'^ay a man, to-morrow a mouse, heute ein Mann,
morgen eine Maus, d. h. mausetot, das dem deutschen „Heute
rot, morgen tot" entspricht. Auf das häufige Vorkommen
dieser Tierchen bezieht sich auch die jetzt veraltete franz.
Redensart bräler les sauris, die Mäuse verbrennen, d. h. ein
Haus in Brand stecken. Es wird eben dabei angenommen,
daß in jedem Hause Mäuse sind, gleichsam als wäre die Maugf
ein integrierender Bestandteil desselben. (Vgl. das deutsche
Sprichwort: Kein Haus ohne Maus, keine Scheuer ohne
Korn, keine Rose ohne Dorn.) Daß die Bekanntschaft des
Menschen mit der Maus eine uralte ist, scheint im Bewußt-
sein des Volkes zu schlummern, wenigstens deutet die ital,
Redensart aver piü anni del primo topo, älter sein als die erste
*) Es wäre höchstens anzuführen aus dem Franz. der in der Gegen4
der Haute-Loire gebrauchte Vergleich baigne comme un rat, naß wie eine
(gebadete) Ratte (vgl. Bolland, Taune pop., I, pag. 22).
**) Andresen (Über deutsche Volksetymologie, 6. Aufl., pag. 25) führt
als Analoga aus dem Niederdeutschen an poggedod und huckedöd, tot wie
ein Frosch, bzw. eine Kröte.
x
s
^
Die Maus. 67
Maus, d. h. steinalt sein, darauf hin. (Hingegen bezieht sich
die Sedensart aver piü anni cPun serpente^ älter sein als eine
Schlange, auf das verhältnismäßig hohe Alter, das viele
Schlangen erreichen). Die Bedensart mettere fuori Varmi de^
dnque topi, die Wappen der fünf Mäuse heraushängen, d. h.
zu altern beginnen, beruht auf einem Wortspiel. Die floren-
tinische Familie Vecchieäi {vecchio = alt) hatte nämlich fünf
Mäuse im Wappen.
Zahlreich sind die Redensarten und Sprichwörter, die sich
auf das feindliche Verhältnis zwischen Katze und Maus be-
ziehen. Hier sollen nur die gebräuchlichsten angeführt werden.
Ein franz. Sprichwort z. B. sagt: Ce qui ne fut jamais ni ne
sera, c'est le nid d^une souris dans Voreille d^un chat, was niemals
war noch sein wird, das ist das Nest einer Maus im Ohr einer
Katze, womit etwas ganz Unmögliches bezeichnet werden soll.
Im Deutschen sagt man analog: Es hat noch nie eine
Maus einer Katze ins Ohr gebissen. Auf die hinter-
listige Art der Katze, Mäuse zu fangen, bezieht sich die franz.
Bedensart guetter qn. comme le chat faü la souris, auf jemd.
lauern wie die Katze auf die Maus. Unser deutsches Sprich-
wort: Ist die Katze aus dem Haus, tanzt die Maus
findet sich auch in den übrigen Kultursprachen. Im Engl,
lautet es : When the cat is away, (he mice will play, im Ital. :
Quando la gatta non d in paese, i topi bäUano, im Franz.:
Absent le chat, les souris dansent. Im Span, tritt, wohl um des
]Reimes willen, die Batte an Stelle der Maus : Vanse los gatos,
y estiendense los ratos, ziehen die Katzen fort, so breiten sich
die Batten aus.
Die Katze aber ist nicht die einzige Feindin der Maus,
der Mensch bedient sich auch anderer Mittel, um diesen
unerwünschten Hausgenossen loszuwerden. Er stellt ihr
Fallen. Die Sprache hat sich des Bildes von der Mause-
falle bemächtigt, um das Verhältnis zwischen Betrüger und
Betrogenem möglichst drastisch zum Ausdruck zu bringen.
Wenn man im Deutschen sagt: Er ist in die Falle
gegangen, so ist es dabei allerdings nicht absolut not-
wendig, an die Maus zu denken. Es kann einem auch ein
anderes Tier, der Fuchs z. B., vorschweben, dem ebenfalls
Fallen gestellt werden. Im franz. se jeter dans une souricüre
5*
68 Die Maus.
nnd im span. caer en una ratonera kann jedoch kein anderes
Tier als die Maus gemeint sein, was sich übrigens ohne weiteres
ans der Etymologie der beiden Wörter ergibt, denn souriciire
nnd ratonera sind unmittelbar von souris, bzw. raiön gebildet
Das ital. trappola, womit engl trap verwandt ist, verrät zwar
seine Bedeutung nicht durch die Etymologie, wird aber im
engeren Sinne nur von Mausefallen gebraucht. Das engl
mome-trap entspricht genau dem deutschen Mausefalle.
Von Sprichwörtern und Metaphern, die von der Mausefalle
gebildet sind, mögen angeführt werden aus dem Ital Ci sono
piü trappole che topi, es gibt mehr Mausefallen als Mäuse, d. h.
mehr Gauner als zu Begaunernde, womit gesagt werden will,
daß auf dieser Welt die ehrlichen Leute in der Minderzahl
sind. Übrigens liegen von trappola, das ganz allgemein im
Sinne von „Betrug, Gaunerei" gebraucht wird (Metonymie),
verschiedene Abteilungen vor wie trappolone „Gauner", trappo-
lare „begaunern", trappoleria „Gaunerei", lauter Wörter, die
gang und gäbe sind. Was das frz. souridire anlangt, so dient
es im Pariser Argot zur Bezeichnung des Zellenwagens, der
zum Transport flir Gefangene bestimmt ist. Auch eine Ver-
brecherkneipe kann souriciere genannt werden, wobei der an-
ständige Gast, der unversehens unter Gauner gerät, mit der
Maus verglichen wird. In derbkomischer Weise wird im engL
Volksmund die Ehe als des „Pfarrers Mausefalle", the parson's
mome-trap, bezeichnet.
Um die Mäuse in die Falle zu locken, gibt man ge-
wöhnlich Speck, das Lieblingsgericht dieser Tierchen, hinein.
So sagt ein deutsches Sprich wort :' M i t Speck fängt man
Mäuse, d. h. mancher läßt sich durch schöne Worte betören.
Darauf spielen auch an das frz. sauver son lard und das engl.
to save one's bacon, seinen Speck retten, d. h. seine Haut in
Sicherheit bringen wie die Maus, der es gelingt, sich des
Speckes zu bemächtigen, ohne von der Falle zerquetscht zu
werden. Auf die Speckliebhaberei der Mäuse bezieht sich
auch die deutsche Eedensart wie Mäuse in der Speck-
seite sitzen, d. h. sich irgendwo sehr behaglich fühlen,
sowie das engl. Sprichwort JVo larder hut hath its mice, keine
Speisekammer (wörtlich: Speckkammer), die nicht ihre Mäuse
hätte, was dem deutschen „Kein Haus ohne Maus" entspricht.
Die Ratte. 69
Eine andere Lieblingsspeise der Mäuse ist das Mehl.
Hierauf nimmt Bezug das deutsche Sprichwort: Wenn die
Maus satt ist, schmeckt das Mehl bitter, das sich
auch im Engl, findet: When the mause has had enough^ the
meal is bitter. Im selben Sinne sagt man im Deutschen:
Hunger ist der beste Koch.
Die Ratte.
In allen Kultursprachen ist die Bezeichnung dieses Tieres
dieselbe: deutsch Ratte, engl, rat, ital. ratto, span. rata {ratön
bedeutet „kleine Ratte, Maus"), frz. rat. Die Herkunft des
Wortes ist nicht sicher. Das Tier, ursprünglich nicht in
Europa heimisch, ist jedenfalls ein Import aus dem Osten, da
sein erstes Vorkommen zur Zeit der Völkerwanderung kon-
statiert wird. Im Deutschen existiert neben dem hochdeut-
schen „Ratte" ein oberdeutsches Ratz, das übrigens im
Hessisch-Thüringischen auf den Marder und sonst vielfach in
volkstümlicher Rede auf das Murmeltier und den Bilch an-
gewendet wird. Im Bayr.-schwäb. dient „Ratz" merkwürdiger-
weise zur Bezeichnung der Raupe. Im venezianischen Dialekt
heißt die Ratte pantegana (aus lat. pantex „Wanst"). Es wird
demnach die Ratte als das „dickbäuchige Tier" aufgefaßt.
Man vgl. damit Goethes Lied von der Ratte im Faust, wo es
von dem Tiere heißt:
„Hatte sich ein Känzlein angemäst,
Als wie der Doktor Luther".
Besonders charakteristisch im Äußern der Ratte ist der
lange Schwanz, der wie die Ohren nackt ist, daher im Deut-
schen der Ausdruck rattenkahl, der allerdings die falsche
Vorstellung erweckt, als sei der ganze Körper der Ratte un-
behaart.*) Korrekter ist die metaphorische Verwendung von
Rattenschwanz für einen dünnen Haarzopf, wofür der
Spanier einfach rata sagt, indem er metonymisch das Ganze
für den Teil setzt, genau so wie im franz. goupillon, das
Diminutiv von altfrz. goupil „Fuchs", für den Fuchs-
♦) Möglicherweise Volksetymologie von „radikal''. (Vgl. Andresen,
Über deutsche Volksetymologie, ö. Anfl., pag. 123.)
70 I>ie Hatte.
Schwanz gebraucht wird. Im Deutschen wird der Ausdruck
„Rattenschwanz" auch auf einen dünnbehaarten Pferde-
schweif angewendet. Scherzhaft nennt der Franzose dünne,
lange Zigarren queues de rat, welche Metapher auch dem
Deutschen nicht ganz fremd ist, während der Italiener mit
einer kleinen Nuance dafür code di topi „Mäuseschwänze" sagt.
Von drastischer Komik ist die dem Pariser Gaunerargot ent-
stammende Redensart prendre des rais par la quetie, Ratten
beim Schwänze nehmen, d. h. Uhren stehlen, wobei die ühr-
kette mit dem Rattenschwanz verglichen wird. Minder leicht
verständlich ist queue du rat als Bezeichnung einer gewissen
Art von Schnupftabaksdosen. Dieser Ausdruck beruht auf
einer Metonymie (Teil fürs Ganze), indem er nämlich eine
Tabatifere bezeichnet, deren Deckel mittels einer kleinen, ent-
fernt an einen Rattenschwanz erinnernden Lederschnur ge-
öffnet wird. Der umgekehrte Fall von Bedeutungswandel
(Ganzes für den Teil) liegt vor in rat de cave „Kellerratte"
als Bezeichnung einer dünnen, biegsamen Kerze. Da der
Rattenschwanz gegen das Ende zu immer dünner wird, so sagt
der Franzose von einer Affaire, die ursprünglich viel von sich
reden macht, schließlich aber im Sand verläuft, eile termine en
quem de rat, sie endigt in einen Rattenschwanz. (Vgl. Rozan,
Les animaux dans les proverbes, I, pag. 286 ff.).
Daß die Ratte dem Franzosen als ein besonders spaßhaftes
Tier erscheinen muß (vgl. portug. rata „drollig"), erhellt aus
einem ehemals sehr beliebten Karnevalsscherze, der darin be-
stand, daß man den Passanten Lappen in Gestalt einer Ratte
auf den Rücken heftete, was man donner des rats aux passants,
die Passanten mit Ratten beschenken, nannte. Diese Redens-
art wurde dann auch auf andere ähnliche Karnevalsscherze
übertragen, z. B. auf die weißen Striche, die man den Passanten
unvermerkt auf die Kleider machte, so daß das Wort rat
überhaupt zur Bedeutung „Ulk" gelangte wie z. B. in der
Redensart: Je sens un rat, ich rieche eine Ratte, d. h. ich
vermute einen Ulk. Ähnlich sagt der Engländer I smell a rat,
ich merke Unrat (vgl. deutsch Mäuse riechen in derselben
Bedeutung), wobei darauf hingewiesen sei, daß die Ratte als
Kloakenbewohnerin — der Pariser nennt die Kloakenreiniger
rais degout „Kloakenratten" — ein unreinliches und übel-
Die Ratte. 71
riechendes Tier ist, welcher Umstand bei der Entstehung
dieser Redensart gewiß nicht unwesentlich mitgespielt hat.
Nach Brewer (Dict. of Phrase and Fable, pag. 737) ist die
Redensart von der Katze hergenommen. Daß die Beziehungen
der Ratte zu den Geruchsnerven des Menschen nicht die
besten sind, geht auch hervor aus der derbdrastischen Redens-
art puer comme un rat mortj stinken wie eine tote Ratte,
womit das non plus ultra aller Übelgerüche bezeichnet
werden soll. *
Auch in der engl. Redensart to be in rais, sich in Kater-
stimmung befinden, ist die Ratte als Gegenstand des Absehens
aufzufassen, indem das Charakteristische am „Kater" eben
das Gefühl physischen und psychischen Ekels ist. Der Ab-
scheu vor den Ratten wird geradezu zur Furcht gesteigert
durch den im Volke verbreiteten Glauben, diese Tiere seien
giftig Darauf spielt zweifellos die franz. Redensart an garder
des rats ä qn,, jemd. Ratten aufheben, d. h. einen Groll gegen
jemanden hegen mit dem geheimen Vorsatz der Rache, die
eben darin bestehen würde, auf den Gegner Ratten loszulassen
und ihm so zu schaden. (Vgl. Rolland, Faune pop., I, pag. 22, 2).
Was die physischen Fähigkeiten der Ratte betrifft, so ist
hauptsächlich ihre Gewandtheit im Laufen, Springen und
Schwimmen hervorzuheben. Dabei zeichnet sich namentlich
die Wanderratte durch große Ausdauer aus, weshalb sie dem
Menschen als unzertrennliche Begleiterin überall hin nachgefolgt
ist. Man bezeichnet daher im Deutschen eine lästige, zudring-
liche Person gerne mit „Ratte". So liegt auch bei denMetaphem
Spielratte (Bezeichnung eines leidenschaftlichen Spielers) und
franz., span. rat de hibliotheqae, bzw. ratön de hiblioteca „Biblio-
theksratte" (vgl. deutsch „Bücherwurm"), das auf einen eifrigen
Bibliotheksbesucher angewendet wird, das tertium compara-
tionis im Begriff des Versessenseins. Gerade so wie die Ratte,
wo sie sich einmal festgesetzt, nicht zu vertreiben ist, ist der
Spieler nicht vom Spieltisch, der Bücherwurm nicht aus der
Bibliothek fortzubringen. Auf die Wanderratte bezieht sich
wohl auch die im Engl, übliche Bezeichnung eines politischen
Überläufers mit rat. Brewer (Dict. of Phrase and Fable,
pag. 737) denkt hierbei an die den Ratten angedichtete Eigen-
tümlichkeit, nicht seetüchtige Schiffe zu verlassen. Dieses
72 I)ie Batte.
Wort wird in analoger Weise in der Sprache der Arbeiter
auf einen Streikbrecher übertragen, da es sich ja hier auch
gewissermaßen um den Übertritt von einer Partei zur anderen
handelt. Schließlich wird der Ausdruck infolge Erweiterung
des Bedeutungsumfangs überhaupt auf jeden unter dem üblichen
Lohn arbeitenden Arbeiter angewendet. In derselben Be-
deutung wird auch das Verbum to rat und das Verbalsub-
stantiv ratting gebraucht.
Wenn man im Deutschen von jemand sagt, es laufe
ihm eine Batte durch den Kopf oder er habe
Ratten im Eopf, so meint man damit, er habe wunder-
liche, närrische Einfalle, und vergleicht die im Kopf unstet
hin- und herschwirrenden Gedanken mit dem raschen Um-
herhuschen des Rattenvolkes. Man gebraucht dafür auch in
gewiß noch ausdrucksvollerer Weise Namen von Insekten
wie „Grille" oder „Mücke" und sagt wohl auch, es habe
jemand einen „Vogel". Auch die den Ratten verwandten
Mäuse werden — wie bereits gezeigt wurde — in diesem
Sinne verwendet. Das Bild von den Ratten findet sich
übrigens auch im Französischen. So sagt z. B. der Franzose
von einem launenhaften Menschen II a des rats oder un rat
lui trotte dans la tite. Auch heißt es im Argot von einem, der
in ärgerlicher Stimmung ist: 11 a un rat dans la trompe, er
hat eine Ratte im Rüssel. Damit hängt jedenfalls die Redens-
art zusammen: Le fusil prend un rat, die Flinte kriegt eine
Ratte, d. h. sie versagt, wovon raier „versagen, verfehlen".
Brinckmann allerdings ignoriert den Zusammenhang mit rat
„Laune, Grille" und versteht die Redensart wörtlich, indem
er erklärt, die im Gewehrlauf steckende Ratte sei das Hindernis
für das Losgehen des Schusses. Wie dem auch immer sei,
so viel ist wohl sicher, daß rater von rat abzuleiten ist und
nicht von raptarius „raubvogelartig, gierig", welche Etymologie
begrifflich ganz unhaltbar ist.
Von rat ist auch ein Adjektiv gebildet, nämlich ratier^
das die analoge Bedeutung „launisch, grillenfängerisch" hat.
Daß übrigens der Zusammenhang zwischen rat und rater vom
Sprachbewußtsein des Volkes noch dunkel gefühlt wird, ersieht
man aus der im Argot gewisser Schulen üblichen Verwendung
des Wortes rat für einen zu spät kommenden Schüler, wobei
Die Ratte. 73
allerdings umgekehrt rat von rater abgeleitet erscheint (rat =
qui a rate Vheure de la rentree). Hierher zu ziehen ist gleich-
falls der dem Argot angehörige Ausdruck rat de soupe für
jemand, der zu spät zum Essen kommt {rater Vheure du dtner).
Wie im Deutschen und Franz. wird auch im Engl, das Wort
rat in der Bedeutung von „Laune, Grille" gebraucht. He hos
rats in his garret, er hat Hatten in seiner Dachstube, bedeutet:
Er ist geistig nicht ganz normal. Selbstverständlich ist mit
der „Dachstube" der Kopf gemeint. (Vgl. im Deutschen: Es
ist bei ihm im Oberstübchen nicht richtig und im Franz.:
11 a des araignees sous U plafond, er hat Spinnen unter der
Zimmerdecke). Hingegen ist to see rats, Ratten sehen, keine
Metapher, sondern wörtlich zu verstehen. Es ist damit das bei
hochgradigen Alkoholikern auftretende krankhafte Symptom
des Mäuse- und Rattensehens gemeint.
Mit ironischer Beziehung auf die Gewandtheit der Ratten
im Springen bezeichnet man im Pariser Theaterargot eine Ballett-
elevin mit rat, während die bereits ausgelernte Tänzerin
konsequenterweise tigre genannt wird, gewissermaßen als ver-
halte sich in der Springfertigkeit die angehende Tänzerin zur
vollendeten wie die Ratte zum Tiger. (Anders Rozan, Les
animaux dans les proverbes, I, pag. 294 ff.). Der Ausdruck rat
de ballet ist übrigens als Ballettratte ins Deutsche ein-
gedrungen. Da sich die Ballettänzerinnen in der Regel von
Liebhabern aushalten lassen, so hat sich im Franz. der Aus-
druck rat zu der Bedeutung von femme entret^nue erweitert.
Auf diese Metapher ist wohl auch der eigentümliche Gebrauch
von rat oder mit davon gebildetem Femininum rate als Lieb-
kosungswort weiblichen Wesen gegenüber zurückzuführen.
Wollte man die Metapher direkt vom Tiere ableiten, so könnte
man als Analogen crotte anführen, was eigentlich den sich an
die Schuhe heftenden Kot bezeichnet, in übertragener Bedeu-
tung aber als Liebkosungswort vom Manne der Geliebten
gegenüber gebraucht wird — selbstverständlich nur in den
untersten Volksschichten. Können doch auch im Deutschen
derbe Ausdrücke wie „Luder", „Aas", „Viehkerl" unter Um-
ständen einen lobenden Sinn annehmen. Übrigens gebraucht
auch der Engländer old rat „alte Ratte" im Sinne von „lieber
alter Kerl". (Vgl. in derselben Bedeutung old dog „alter
74 Die Ratte.
Hund"). Mit der Gewandtheit der Ratte im Laufen und
Springen geht die im Schwimmen Hand in Hand, weshalb
man im Deutschen von einem guten Schwimmer zu sagen
pflegt: er schwimmt wie eine Ratte.
Femer gibt es eine Reihe von Metaphern, die sich auf
die verschiedenen Aufenthaltsorte der Ratte beziehen. Auf
der Eigenheit des Tieres, sich unterirdisch Gänge zu graben,
beruht im Franz. die militärische Bezeichnung rat für einen
kurzen Minen gang (Metonymie: das Hervorbringende flir das
Hervorgebrachte). Ein Analogon hierzu findet sich im lat.
cuniculus „Kaninchen", das auch auf einen unterirdischen Gang
übertragen wurde. Von rat d'egout war bereits weiter oben
die Rede. Im Pariser Argot nennt man rat de cave „Keller-
ratte" den mit Erhebung der Getränkesteuer beauftragten
Steuerbeamten, während im Engl, das Wort eine Bedeutungs-
erweiterung erfahren hat und auf Steuerbeamte im allgemeinen
angewendet wird. In Gefängnissen mag es wohl auch Ratten
geben, wenigstens läßt darauf schließen die beim deutschen
Militär übliche Bezeichnung Ratz für den Gefängnisaufseher;
hingegen ist im Pariser Argot rat de prison „Gefängnisratte"
Spitzname des Rechtsanwaltes. Besonders gern hält sich die
Ratte im Stroh auf, weshalb der Franzose die Redensart Stre
comme un rat en paille, wie eine Ratte im Stroh sein, im Sinne
des deutschen „in der Wolle sitzen" gebraucht. (Vgl. portug.
estar como raio no qaeijo, wie eine Ratte im Käse sein.)
Wasserratte dient als scherzhafte Bezeichnung eines
alten, erfahrenen Seemanns, während dieser umgekehrt die
Bewohner des Binnenlandes Landratten nennt. Übrigens
wendet man Wasserratte auch auf Personen an, die gern
baden. In der Soldatensprache ist dies Wort Spitzname der
mit dem Brückenbau beschäftigten Pioniere. Da die Ratten
sich mit Vorliebe in alten, baufälligen Häusern aufhalten,
so bezeichnet man solche im Franz. gern als nids ä rats
„Rattennester", welche Metapher jedoch auch auf den Korn-
speicher angewendet werden kann, wo Ratten sehr häufig zu
finden sind.
Der deutschen Redensart „arm sein wie eine Kirchenmaus"
entspricht im Franz. Hre gmux comme un rat d^eglise. Die
Armut wird in diesem Falle — was schon bei Erklärung der
Die Ratte. 75
deutschen Redensart geltend gemacht wurde — durch deil
vollständigen Mangel an Lebensmitteln bedingt, da ja in der
Kirche solche nicht vorhanden sind. Im Span, jedoch bezieht
sich diese Metapher auf die Ratte im allgemeinen: ser mos
pcbre qm tma rata, ärmer sein als eine Ratte. Die Redensart
lieBe sich als eine Ellipse auffassen, sie läßt sich aber auch
80 erklären. So gefräßig die Ratte auch im allgemeinen ist
(vgl. das franz. Sprichwort: Voilä ce que les rats vlont pas
mangij das haben die Ratten übrig gelassen), so genägsam
ist sie im Notfalle, wo sie selbst Leder und Holz nicht ver-
schmäht. Übrigens wendet man im Franz. den Ausdruck
rat d'eglise auf einen frömmelnden Kirchenbesucher an, wie
ja auch z. B. Heine irgendwo von „frommtuenden Ratten"
spricht. Femer bezeichnet man mit rat (Teglise einen unteren
Kirchendiener.
Im Franz. ist die Ratte auch Symbol des Geizes. Die
Ratten verschmähen in ihrer bekannten Freßgier auch die
ekelhafteste und unverdaulichste Nahrung nicht. Geiz und
Gier sind, worauf schon beim Wolf hingewiesen wurde,
verwandte Begriffe. Im älteren Deutsch wurde „Geiz" ge-
radezu im Sinne von „Gier" gebraucht. So ist z. B. „Geiz-
kragen" ursprünglich einer, der die Nahrung gierig hinunter-
schlingt (Kragen = Hals). Auch als Adjektiv wird rat in
dieser Bedeutung gebraucht, z. B. 11 dement d'un rat! Der
wird aber geizig! Im Portug. gibt es sogar ein Verbum
ratinhar „knickern".
Wenn man span. ratear „stehlen", ratero „Dieb" (davon
abgeleitet rateria „Diebstahl"), von rata ableiten darf, so würde
die Ratte ähnlich der Maus als Sinnbild des Diebes erscheinen.
Die Definition, die das Wörterbuch der Akademie von
„ratero^ gibt, entspricht ganz dem Wesen der Ratte : el ladrön
que hurta con maha y catUela cosas de poco vahr. Eine Be-
kräftigung erfährt diese Etymologie durch franz. raten (Dim.
V. rat\ das in der Pariser Gaunersprache gewisse Spezialisten
im Diebeshandwerk bezeichnet, so z. B. einen Dieb, der des
Nachts die mit ihm in einem Zimmer Schlafenden bestiehlt.
(Vgl. portug. rata de armario „Schrankratte" für „Haus-
dieb"). Allerdings läßt sich gegen die Ableitung von ratero
in der Bedeutung „Dieb" aus lat. raptarius „raubvogelartig,
76 I>ie Batte.
gierig" weder lautlich noch begrifflich etwas einwenden.
Auch span. ratear „am Boden hinkriechen" dürfte von rata
abzuleiten sein.
Daß die Batte in keiner Weise Nutzen stiftet, sondern
im Gegenteil ein sehr schädliches Tier ist, kommt zum Aus-
druck im engl, ratty (abgeleitet von 7'at), welches Wort man
auf wertlose, schlechte Dinge anwendet. Ein Analogon hierzu
bietet der im amerikanischen Englisch übliche Ausruf rats!
als Ausdruck der Verachtung. Daß die Eatte wegen ihrer
Schädlichkeit allerorts verfolgt wird, ist begreiflich. Neben
der Eattenfalle, welches Wort im engl. Slang metaphorisch
für „Mund" gebraucht wird (rat-trap), verwendet man zu diesem
Zwecke eine eigens dazu abgerichtete Hunderasse, den Battier,
frz. chien rotier oder substantivisch gebraucht raiier. Auch
besonders mutige Katzen nehmen es mit den Batten auf.
Hierauf bezieht sich das ital. Sprichwort : Molto sa il ratio, ma
piü ne sa il gatto. Analog im Franz: Beaucoup sait le rat, mais
encore plus le chat, viel kann der Batz, doch mehr noch kann
die Katz', di. h. jeder findet seinen Meister. (Vgl. span. Mucho
sabe la zorra, pero mos quien la toma). Auf das Verhältnis
von Katze und Batte spielt auch an das franz. Sprichwort:
Qui ne nourrit pas le chat, nourrit le rat, wer die Katze nicht
nährt, nährt die Batte.
Besondere Erwähnung verdient der im Deutschen übliche
Ausdruck Battenkönig, womit eine eigentümliche Krank-
heit der Batten bezeichnet wird, die darin besteht, daß mehrere
von den Tieren mit den Schwänzen zusammenwachsen. Nach
Brehm ist dies Wort zu erklären aus einem alten Volksglauben,
dem zufolge man sich vorstellte, „daß der Battenkönig, ge-
schmückt mit goldener Krone, auf einer Gruppe innig ver-
wachsener Batten throne und von hier aus den ganzen Batten-
staat regiere." Die Bezeichnung ist dann auf die ganze Gruppe
der Batten übergegangen. Der hier vorliegende Bedeutungs-
wandel erweist sich also als Metonymie und ist außerdem
jenen Fällen zuzuzählen, in denen auf abergläubischen Vor-
stellungen beruhende Bezeichnungen sich auch nach dem
Schwinden des Aberglaubens erhalten und sich den modernen
Begriffen angepaßt haben. (Vgl. Waag, Bedeutungsentwicklung
unseres Wortschatzes, pag. 184 ff.). Das Wort „Battenkönig"
Der Hase. 77
wird metaphorisch für etwas Unentwirrbares gebraucht; so
spricht man z. B. von einem ,, wahren Rattenkönig unglaublicher
Verwicklungen^^ In den übrigen Kultursprachen findet sich
zu diesem Wort kein Analogen.
Irrtümlicherweise bezieht man auf die Ratte die Redens-
art schlafen wie ein Ratz. Unter „Ratz" ist hier
nicht die Ratte zu verstehen, sondeni das Murmeltier oder
der Bilch, welche Tiere vom Volke wegen ihrer Ähnlichkeit
mit der Ratte — tatsächlich gehöien sie zur selben Gattung
— Ratzen genannt werden und wirklich einen Winterschlaf
halten, was die Ratte nicht tut. Zur deutschen Redensart
stimmen auch frz. dormir cowwe une marmotte, d<trmir comme
un loir sowie das ital. dottnire come una marmotta, come
un ghiro.
Schließlich sei noch erwähnt, daß die Bezeichnung der
Milz im Franz., Ja rate, möglicherweise identisch ist mit dem
Feminium von rat Es gehört allerdings eine üppige Phantasie
dazu, um dieses Organ unseres Körpers mit einer Ratte zu
vergleichen, allein die Bezeichnung der Milz im Si^an. mit
pajanlla „Vögelchen" sowie sonstige Anwendungen von Tier-
namen auf Körperteile (z. B. lat. musculus „Mäuschen" und
^Muskel", Span, lagarto „Eidechse" und „Armmuskel") sprechen
für diese Hypothese. (Vgl Zauner, Die roman. Namen der
Körperteile, pag. 174 ff.).
Der Hase.
Weder die germanischen noch die romanischen Bezeich-
nungen dieses Tieres bieten irgendwelche etymologische
Schwierigkeiten. Das deutsche Hase (ahd. harn) ist dasselbe
Wort wie das englische hare (altengl. hird). Bemerkenswert
ist nur der Rhotazismus (s zu r). In den romanischen Sprachen
lebt das lat. Upus fort: ital. fepre, span. liebre^ frz. liioie^ da-
neben für Häsin hoAe vom deutschen „Hase'*. Andererseits ist
das frz. Wort ins Engl, eingedningen, wo es als leveret „Häs-
chen*' fortlebt.
Der Hase, der über ganz Europa verbreitet und wohl
das meistgejagte Wild ist, macht in der Sprache dem Fuchse
78 I>er Hase.
J^onkun^enz. Zahlreich sind die Metaphern und metaphoiiscben
Redensarten, die die Sprache dem Hasen verdankt. Auf
seiner äußeren Erscheinung allerdings beruhen nur wenig
Metaphern. Besonders charakteristisch für den Hasen ist die
gespaltene Oberlippe, eine Eigenheit, die sich in ähnlicher
Weise auch bei manchem Menschen findet und für die im
Deutschen seit dem 14. Jahrhundert die Bezeichnung Hasen-
scharte üblich ist, welches Wort sich auch im AltengL findet
(haeresceard), während man im Neuengl. hare4ip „Hasenlippe"
dafür sagt. Ebenso gebraucht der Italiener dafür labbro leprina
oder auch voglia della lepre „Hasenmal", während der Franzose
bec de lüvre „Hasenschnabel" sagt. Auffallend sind beim
Hasen die langen Ohren. Wir begegnen ihnen in der
franz. Redensart hailler le lievre par Toreille, den Hasen beim
Ohre hinreichen. Da nun der Hase, wenn er bei den
Ohren gefaßt wird, leicht entschlüpft, bedeutet die Redensart
soviel als „jeipd. foppen". In ähnlichem Sinne sagt man
hailler le chat par les pattes^ die Eatze bei den Pfoten hin-
reichen. (Vgl. Brinkmann, Metaphern, pag. 421 und Kozan,
Les animaux dans les proverbes, I, pag. 216). Der Ausdruck
lüvre cornu „gehörnter Hase" für „Chimäre, Hirngespinst" ist
der Fabel Lafontaines „Les oreilks du lüvre^ entlehnt, wo von
einem Hasen die Rede ist, der sich einbildet, seine Ohren
seien Homer. (Vgl. Rozan, Les animaux dans les proverbes,
I, pag. 216.)
Eine Eigentümlichkeit des Hasen ist das Schlafen mit
oflFenen Augen, das durch das Fehlen der Nickhaut bedingt
wird, vom Volke aber mit dem scheuen, furchtsamen Charakter
des Tieres in Zusammenhang gebracht wird, daher im Ital.
dormire a occhi aperti come la lepre, mit oflFenen Augen schlafen
wie der Hase, soviel bedeutet als „stets auf der Hut sein".
Ebenso gebraucht der Franzose dormir en lüvre. Im Deutschen
bezeichnet man einen leisen Schlaf als Hasenschlaf und
der Engländer nennt einen übertrieben vorsichtigen Menschen
hare-eyed „hasenäugig". Je älter der Hase, desto vorsichtiger
ist er. Daher sagt der Italiener von einem, der schlau um
eine Gefahr herumgeht : Fa lepre vecchia, er macht es wie der
alte Hase, womit sich im Deutschen die Redensart vergleichen
laut: Ich bin kein heuriger Hase, d. h. mich kriegt
Der Hase. 79
rs^m nicht so leicht dran. Analog sagt der Franzose : Je suis
m% vieux lapin, ich bin ein altes Kaninchen. Was nnn die
sonstigen moralischen Eigenschaften des Hasen anlangt, so
sind alle Knltnrsprachen darin einig, in ihm das Symbol der
Feigheit zn sehen, eine Auffassung, die von der Naturgeschichte
vollinhaltlich bestätigt wird. Schon die alten Eömer ge-
brauchten lepus zur verächtlichen Bezeichnung eines feigen
Menschen. Im Deutschen wird neben Hase in demselben
Sinne metonymisch Hasenherz und Hasenfuß gebraucht.
Zu dem deutschen „Hasenherz'^ stimmen frz. cceur de lüvre
(vgl. peureux comme un lihre^ furchtsam wie ein Hase)
sowie engl, hare-hearted „hasenherzig", während jedoch mit
engl, hare-foot nicht eine furchtsame, sondern eine schnellfüßige
Person bezeichnet wird. Ebenso wird im Span, liebre auf
einen furchtsamen Menschen angewendet. Von einem solchen
sagt man auch: Ha comido una liebre, er hat einen Hasen
gegessen. Von origineller Komik ist die Redensart das
Hasenpanier ergreifen, d. L ßeißaus nehmen. Mit dem
„Hasenpanier" ist wohl das Schwänzchen gemeint, das der
Hase beim Laufen in die Höhe reckt. Am bündigsten jedoch
charakterisiert der Engländer das furchtsame Wesen des
Hasen, indem er den Namen des Tieres als Verbum (to hare)
im Sinne von „erschrecken" gebraucht.
Mit der großen Furchtsamkeit des Hasen hängt seine
außerordentliche Schnellfüßigkeit zusammen. Sobald er die
geringste Gefahr wittert, saust er davon. (Vgl. ital. fuggire
come una lepre, fliehen wie ein Hase.) Daher, wie schon
oben angeführt, im Engl, hare-footed „schnellfüßig" bedeutet.
(Vgl. ital. lesto come una lepre, flink wie ein Hase). Hierauf
beziehen sich auch die ital. Redensarten invitar Ixi lepre a
correre, den Hasen zum Laufen auffordern, d. h. jemd. zu
etwas auffordern, was er gern tut, und insegnare le lepri a
correre^ die Hasen das Laufen lehren, d. h. jemd. etwas lehren
wollen, worin er ohnehin ein Meister ist (Vgl. insegnare i
pesci a nuotare, die Fische das Schwimmen lehren.) Hierher zu
ziehen ist femer das deutsche Sprichwort: Schulden sind
keine Hasen, d. h. sie laufen einem (leider) nicht davon,
vom Standpunkt des Schuldners gesprochen. Hingegen heißt
es im Franz. vom Standpunkt des Gläubigers aus: c'est up
80 I^ei^ Hase.
somme ä prendre sur le dos d^un lüvre, das ist eine Snmme,
die vom BQcken eines Hasen herunterzunehmen ist, d. h. eine
Summe, die auf Nimmerwiederselin dahin ist. Auf die Schnell-
füßigkeit des Hasen bezieht sich auch die engl. Redensart to
hiss ihe Harens foot, des Hasen Fuß küssen, d. h. zu irgend
etwas zu spät kommen. Brewer (Dict. of Phrase and Fable,
pag. 387) erklärt die Redensart so: Der Hase ist davongelaufen
und hat gewissermaßen als Qruß seine Fußspur hinterlassen.
(Vgl. franz. poser un hpin, jemd. ein Kaninchen hinsetzen,
d. h. ihn bei einem Stelldichein aufsitzen lassen).
Der Hase ist — wenigstens in Mitteleuropa — das meist
gejagte Wild ; kein Wunder daher, daß in allen Kultursprachen
die Hasenjagd eine große Anzahl von Redensarten geliefert
hat. Auf die stets bedrängte Existenz des Hasen, der keinen
Augenblick seines Lebens sicher ist, bezieht sich die franz.
Redensart mener une vie de liivre, ein Hasenleben, d. h. ein
elendes, ruheloses Leben führen, wozu sich schon im Alt-
griechischen ein Analogon findet {Xayib ßlov ^fjv). Ahnlich
sagt auch der Italiener stare come la lepre, wie der Hase immer
auf der Hut sein. Daß es bei der Hasenjagd auf Schnellig-
keit ankommt, besagt die deutsche Redensart: Das ist ja
keine Hasenjagd, womit man andeuten will, daß etwas
nicht mit Hast zu geschehen brauche, sondern in aller Ge-
mütlichkeit und Ruhe vor sich gehen könne. Eine Anspielung
auf das überaus scheue, furchtsame Wesen des Hasen enthält
die deutsche Redensart standhalten wie der Hase bei
der Trommel, d. h. Reißaus nehmen. Ein Analogon bietet
das engl. Sprichwort: Drumming is not ihe way to catch a hare,
mit Trommeln fängt man keinen Hasen. So sagt auch der
Franzose von einem, der zur Erreichung seines Zweckes das
ungeeignetste Mittel wählt : II veut prendre le lüvre au son du
tambour. (Vgl. hiermit das deutsche Sprichwort: Wenn das
geschieht, so wird der Hase mit der Trommel ge-
fangen, d. h. das geschieht nie und nimmer). Daß der
Jäger — und aufs allgemeine angewendet — der Mensch
überhaupt konsequent sein soll, lehrt uns das deutsche Sprich-
wort: Wer zwei Hasen zugleich hetzt, fängt gar
keinen, das sich auch in den übrigen Kultursprachen findet
Engl, lautet es: Who (hat hunts two hares, oft looseth both, itaL:
Der Hase. 8t
Chi due kpri caccia, una perde, e Vältra lascia , span. : J^l que
dJö$ Uebres caza, d vezes toma la una y muchas vezes ningtma)
franz.: 11 ne faut pas courir deux lihres ä la fois^ Von zwei
Personen, die denselben Posten anstreben oder überhaupt das-
selbe Ziel verfolgen, sagt der Franzose: Ils courent le mime
Uhrej sie jagen denselben Hasen, wie zwei Jäger, die sich
gegenseitig Konkurrenz machen. Wer so naiv ist, daß er
glaubt, er könne den Hasen mit den Händen fangen, dem wird
es schlecht ergehen. In dem Augenblicke, wo er den Hasen
zu haschen glaubt, wird er mit leeren Händen in den Kot
fallen. Daher im Span, coger una Uebre, einen Hasen fangen,
geradezu für „hinfallen" gebraucht wird. Von der Hasenjagd
hergenommen ist auch die span. Redensart levantar la Hebre,
den Hasen auftreiben, d. h. eine Sache zuerst aufs Tapet
bringen. Genau so im Franz. lever le lüvre. Dementsprechend
heißt dann im Span, seguir la Hehre „eine Sache verfolgen".
Den Erfahrungssatz, daß den Lohn für eine Mühe nicht immer
deijenige einheimst, der ihn verdient, versinnbildlicht der
Italiener durch das Sprichwort: Uno leva la lepre, e un ältro
la piglia, der eine treibt den Hasen auf und der andere fängt
ilHii Ähnlich sagt der Spanier: Uno levanta la liebre, y otro
la mata. (Vgl. das deutsche Sprichwort: Der eine klopft auf
den Busch, der andere fängt den Vogel).
Auf die Überraschungen der Hasenjagd spielt an das
engl. Sprichwort: The hare starts, when a man least expedß it,
der Hase springt auf, wenn man es am wenigsten erwartet.
Dieses Sprichwort, das dem deutschen „Unverhofft kommt oft"
entspricht, findet sich auch im Ital. : Di dove meno st pensa, si
leva la lepre und im Span.: Donde menos se piensa, salta la
li^e. Von jemand, der sich in einer Sache nicht auskennt,
sagt man: Er weiß nicht, wo der Hase liegt, wie der
unerfahrene Jäger, der nicht weiß, wo der Hase sein Lager
hat. Eine ähnliche Redensart ist: Da liegt der Hase im
Pf-effer, d. h. da steckt die Schwierigkeit, das, worauf es
allkommt. Analog heißt es ital.: Vediamo, dove giace la lepre^
franz.: Cest la que git le lüvre. Die romanischen Redens*
aMra sind ohne weiteres verständlich, im Deutschen bedarf
nttr- der Ausdruck „Pfeffer" einer Erklärung. Das Wort ist
1h€^ nicht in sein^ gewöhnlichen Bedeutung zu verstehe*^
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 6
82 ^^^ Hase..
sondern in der übertragenen von „gepfefferter Brühe'^ „Pfeffer'^
wird eben metonymisch für „Pfefferbriihe" gesetzt. Es ist
dies eine heiße, gewürzte Brühe, mit der der Hase hänfig
zubereitet wird. (Vgl. Schrader, Bilderschmuck d. d. Sprache,,
pag. 207 ff.). Auf das Lager des Hasen bezieht sich femer
das deutsche Sprichwort: Wo der Has gesetzt ist,
will er bleiben, d. h. jeder bleibt gern in seiner Heimat.
Einen ähnlichen Gedanken drückt das analoge franz. Sprich-
wort aus : Le lüvre revient Umjours ä son gtie, der Hase kommt
immer wieder in sein Lager zuiUck. Treffend sagt der
Franzose von einem Gläubiger, der seinen Schuldner in dessen
Behausung überrascht: II a trouve le lüvre au gite, er hat den
Hasen im Lager gefunden. (Vgl. Rozan, Les animaux dans
les proverbes, I, pag. 210).
Zur Hasenjagd wird der Hund verwendet. Auf diese Tat-
sache bezieht sich das deutsche, keiner Erklärung bedürftige
Sprichwort: Viele Hunde sind des Hasen Tod, das sich
auch im Lat. findet : MtUtüiido canum mors leporis. (Vgl. ital. :
Come poteva scampare una lepre da tanti cani? wie konnte ein
Hase so vielen Hunden entkommen?). Dem deutschen Sprich-
wort „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" entspricht im Engl.:
The foremost dog catches the hare, der vorderste Hund fangt
den Hasen. Von einem verräterischen oder doppelzüngigen
Menschen sagt der Engländer : He hölds wiüi the hare and runs
with the hounds, er hält mit dem Hasen und läuft mit den
Hunden.
Wenn der Italiener sagt: Ci sono piü cani che lepri, so
meint er damit, es seien mehr Bewerber als freie Stellen vor-
handen. Zwar nicht salonfähig, aber nichtsdestoweniger
treffend ist das ital. Sprichwort: JMentre ü cane pisda,
la lepre se ne va, während der Hund pi£t, geht der Hase
davon , d. h. wer an sein Ziel gelangen will , darf sich
durch nichts von dessen Verfolgung abbringen lassen. Von
der Angriffsweise des Hundes dem Hasen gegenüber her-
genommen ist die franz. Bedensart prendre le lüure au corps,
den Hasen am Leibe packen, d. h. ohne Umschweife, gerades-
wegs auf sein Ziel losgehen. (Vgl. deutsch : den Stier bei den
Hörnern packen.) Auf die Hasei^jagd bezieht sich schließlich,
auch die franz. Bezeichnung gentühomme ä lüvre „Hasenjunker".
Der Hase. g3
So nannte man früher in Frankreich einen armen Edelmann,
der zom Leben aaf die Erträgnisse der Hasenjagd angewiesen
war. (Vgl. deutsch „Krautjunker").
Der Hase ist namentlich in jUngeren Jahren ein äußerst
possierliches Tier und entbehrt selbst einer gewissen Grazie
nicht, was die Verwendung von lat. lepus als Liebkosung
(bei Plautus) erklärlich macht. Da aber possenhaftes Wesen
sehr häufig in Narrheit ausartet, so erscheint der Hase häufig
als Symbol des Narren, namentlich in den germanischen
Sprachen. Im Deutschen wird das Wort gern auf Personen
angewendet, die irgend ein Steckenpferd haben, so in den Ab-
drücken lateinischer Hase, Bücherhase. Ein verliebter
Mensch, der sich albern benimmt, wird gern ein verliebter
Hase genannt. (Vgl. bei Shakespeare: melancholy as a hare,
trübsinnig wie ein Hase). Sogar Weiterbildungen sind im
Deutschen zu verzeichnen: haselieren (bei Wieland und
Schiller) im Sinne von „Possen treiben", sowie Hase laut,
das neben „Narr" auch die Bedeutung „Prahlhans" haben
kann. Eine analoge Auffassung vom Wesen des Hasen, finden
wir im Englischen. In hare-mad oder mad as a March hare,
verrückt wie ein Märzhase, erscheint hare als Verstärkung
von mad. (Im März ist die Bammelzeit der Hasen). Dem-
gemäß heißt im Engl, to mähe a hare of somebody, einen Hasen
aus jemd. machen, soviel als „ihn zum Besten haben", womit
man die in demselben Sinne gebrauchte deutsche Redensart ver-
gleichen mag: jemd. mit Hasenschwänzen behängen.
Daß dem Hasen ein schwaches Gedächtnis zugeschrieben wird,
ist bei der von seinem Wesen obwaltenden Auffassung nur
natüi'lich. So sagt man im Deutschen von einem Menschen
mit schwachem Erinnerungsvermögen: Er hat ein Ge-
dächtnis wie ein Hase. Analog spricht man im Franz.
von cerveüe oder mimoire de liivre. (Ansprechend erklärt
Bolland, Faune pop., I pag. 85, 21 diese Metapher). Auf das
ischwache Gedächtnis des Hasen spielt an das ital. Sprich-
wort: Quando la lepre ha passato il poggiuolo, non si ricorda
jwM del figliuolo, wenn der Hase über den Hügel ist, erinnert
er sich nicht mehr an den Sohn, welches Sprichwort gebraucht
wird im Sinne unseres deutschen „Aus den Augen, aus dem
JSinn". Im Engl bezeichnet man jedoch mit hare-brain
6*
g4 ^M Kaninchen.
weniger einen vergeßlichen als einen flachtigen, unbesonnenen
Menschen. (Vgl. deutsch Hasenkopf.)
Schließlich sei noch der norddeutschen Ausdrücke Böhn-
hase und Sandhase gedacht. Böhnhase, soviel als ,, Boden-
hase^, bezeichnete zunächst die Katze (häufiger Dachhase^
dann den unzfinftigen Handwerker (namentlich Schneider), wohl
deshalb, weil dieser, um sein unerlaubtes Grewerbe auszuüben,
sehr häufig wie ein gejagter Hase auf den Dachboden (Böhn)
flüchten mußte. Da die Leistungen dieser unzünftigen Hand-
werker meistens minderwertig waren, so hat das Wort die
Bedeutung von „Stümper, Pfuscher" angenommen. Sandhase
ist zunächst dem Wortsinne nach ein in sandiger G^end
lebender Hase, dann wird das Wort aber auch metaphorisch
als ierminus des Kegelspiels gebraucht und bedeutet eine im
Sande verlaufende Kegelkugel. In der deutschen Soldaten-
sprache bezeichnet Sandhase einen Infanteristen, wozu das
im österreichischen Kasemenargot als Spitzname der Feld-
artilleristen übliche Feldhase ein Analogon bietet.
Da43 Kaninchen.
Die romanischen Bezeichnungen für „Kaninchen" gehen
größtenteils auf lat. cuniculus zurück : ital. comglio, span. conejo^
altfrz. connilj connifij wovon engl. cony. Auch unser deutsches
Kaninchen, das Diminutiv von kantne, ist auf dem Um-
wege über das Niederländische aus dem Franz. entlehnt und
war ursprünglich nur im Niederdeutschen üblich, wo neben
Kaninchen volkstümlich Karnickel gebraucht wird. In den
oberdeutschen Dialekten sind noch jetzt Formen üblich, die auf
mhd. küniklin aus lat. cuniculi^ zurückgehen : elsässisch küngel,
österreichisch verdeutlichend Kiniglhas, woraus durch Volks-
etymologie Königshase wurde.*) In neufrz. lapin, lapereau
steckt germanisch lappa „der Lappen". Das Wort bedeutet
demnach „das kleine Tier mit den Lappenohren". Im Engl.
*) Hehn - Schrader (Kulturpflanzen nnd Haustiere, Anmerkungen,
pag. 607) macht anf die slavischen Analoga — mssisch korolek, krolik,
poln. krolik, d. h. „kleiner KOnig** aufmerksam. Wahrscheinlich liegt hier
eine direkte Übersetsnng der entsprechenden deutschen Bezeichnung* vor.
Das Kaninchen. §5:
wird neben cony häufig rtibbit gebraucht^ dessen Etymologie
noch nicht sichergestellt ist. In dem neben con^o gebrauchten:
span. gazapo vermutet man das griech. daavTtovg „der raueh"
fttßfige Hase^.
Die nahe Verwandtschaft des Kaninchens mit dem Hasen
macht es ' erklärlich, daß die beiden Tiernamen zum großen
Teil dieselbe metaphorische Verwendung erfahren. Auch wird
in verschiedenen deutschen Dialekten, denen das Wort „Kanin-
chen^ fremd ist, dasselbe durch „Hase" ersetzt. So heißt das
Kaninchen im westl. Mitteldeutschland und in Schwaben Stall-
hase, in Oberhessen Grein hase oder auch schlechtweg Hase,
im Erzgebirge Kuh hase und in der Schweiz K tili hase.
Von den physischen Merkmalen des Kaninchens werden
die langen Ohren im Engl, metaphorisch verwendet, indem
nämlich rabbiUeared „langohrig" bedeutet, während der Franzose
in familiärer Bede den zugestutzten Backenbart {cöteUUes)
nicht unpassend mit Kaninchenpfoten {patt^ de lapin) ver-
gleicht. Mit Bezug auf das eigentumliche Spiel der Ober-
lippenmuskulatur, das man beim Kaninchen beobachten kann,
nennt der Spanier ein erzwungenes Lachen la risa dd cofiffjo^
das Lachen des Kaninchens (vgl. franz. rire jaune).
Eine moralische Eigenschaft, die das Kaninchen mit seinem
Vetter, dem Hasen, teilt, ist seine große Furchtsamkeit, daher
im Ital. aver il cuor di coniglio, ein Kaninchenherz haben, ferner
aver i conigli in corpo, die Kaninchen im Leibe haben oder auch
avermangiato carne diconiglio, Kaninchenfleisch gegessen haben^
soviel bedeutet als „furchtsam sein". Mit letzterer Bedensart
läßt sich vergleichen die oben zitierte span. Wendung comer
una liebre. (Nach einem mittelalterlichen Aberglauben bekam
der Mensch die Eigenschaften der Tiere, deren Fleisch er
aß.) Beiläufig sei hier erwähnt, daß Welsh rabbit „welsches
Kaninchen", womit man im Engl, ein aus Wales stammendes
Gericht, nämlich eine mit in Bier aufgeweichtem Käse tiber-
gossene, heiße geröstete Brotschnitte bezeichnet, möglicherweise
nichts mit dem Kaninchen zu tun hat, sondern eine Verball-
homung von rare bit „seltener (oder auch : halbroher) Bissen"
ist.*) Im Span, ist von conejo das Verbum conejear abgeleitet^
*) Das Kaninchen wird geschlachtet, indem man ihm einen heftigesn
Schlag auf den Hinterkopf versetzt {le coup du lapin) ; daher heißt recwoUr
g3 Das Kaninchen.
das „die Gefahr fliehen'' bedeutet. Auch im Altfranz. gibt es ein
von connü abgeleitetes conüler in dei^selben Bedeutung. (Vgl.
neufrz. dkaniUer „auskneifen"). Übrigens erscheinen Hase und
Kaninchen in der ital. Redensart andar dal coniglio älla lepre^
vom Hasen zum Kaninchen gehen, d. h. zwischen zwei furcht-
samen Personen verhandeln, als Symbole derselben Eigenschaft.
Auch im Franz. sagt man ironisch von einem furchtsamen
Menschen: 11 est brave comme un lapin, er ist mutig wie ein
Kaninchen.*) Dazu steht im merkwürdigen Gegensatz un rüde
lapin „ein handfester Kerl". Allerdings bezieht sich dieser
Ausdruck mehr auf körperliche Stärke, schließt aber die
moralische Tüchtigkeit, d. h. in diesem Falle den Mut,
nicht ganz aus. Und so ganz unrecht hat der Franzose mit
dieser Auffassung nicht. Die Kaninchen sind eben nur dem
Menschen und den sie verfolgenden Tieren gegenüber furcht-
sam; untereinander bekämpfen sie sich manchmal aufs hart-
näckigste, ja sie gehen zuweilen sogar gegen größere Tiere
aggressiv vor (siehe die Beispiele bei Brehm). Eine solche
Zwiespältigkeit der Anschauung finden wir auch bei der
Krähe (siehe bei „Krähe" pag. 145). Wie sehr sich übrigens die
Sprachen in der Auffassung vom Wesen des Kaninchens einander
widersprechen, zeigen das Engl, und Span. Während nämlich
im Engl, cony auf einen albernen oder törichten Menschen
angewendet werden kann, gebraucht der Spanier im direkten
Gegensatz dazu gazapo im Sinne von „Schlaukopf". Mit dem
Hasen hat das Kaninchen ferner die Schnellfüßigkeit gemein,
weswegen man im Franz. von einem rasch Laufenden sagt:
11 court comme un lapin, er läuft wie ein Kaninchen. Auch
die Neigung zu Kapriolen teilt es mit seinem Vetter, daher
im Franz. saut de lapin „Kaninchensprung" im Sinne von
„Purzelbaum" gebraucht und in der engl. Sportsprache ein
le coup du lapin, den Eaninchenschlag bekommen^ „altern infolge plötz-
lichen Kräfteverlustes".
*) Nach Kozan (Les animanx dans les proverbes, I, pag. 221) bedeutet
hrave comme un lapin auch : herausgeputzt {hahiUe de neuf) wie ein Kanin-
chen. Es hat sich also in dieser Metapher brave in der älteren Bedeutung
„schön, prächtig^, die bravo jetzt noch im Span, haben kann, erhalten.
Auch propre comme un lapin , sauber wie ein Kaninchen, sagt man im
Franz. Beide Metaphern sind hergenommen von der Gewohnheit des
Kaninchens, sich zu lecken und zu putzen.
Das Kaninchen. 87
unzuverlässiges Pferd mit rabbit bezeichnet wird. Scherzweise
nennt der Franzose die Katze lapin de gouttiire {gouttiire =
Dachrinne), während wir dafftr „Dachhase" sagen. Schließlich
schreibt der Franzose dem Kaninchen ebenso wie dem Hasen
ein schwaches Gedächtnis zu (avoir une mSmoire de lapin), wes-
halb ehemals in Frankreich der Genuß des Kaninchenfleisches
beim Volke als gedächtnisschwächend galt.
Indessen spielt das Kaninchen auch eine selbständigere
Rolle in der Sprache, indem es als Vertreter von Eigenschaften
erscheint, die die Sprache, sei es mit Eecht oder Unrecht,
nur ihm und nicht dem Hasen zuschreibt. Vor allem ist
hervorzuheben die große Fruchtbarkeit des Tieres, weshalb
man im Span, von einer kinderreichen Mutter sagt: Es mia
coneja und im Franz. : Gest une vraie lajrine. Wenn man jedoch
im Deutschen von kaninchenhafter Fruchtbarkeit
spricht, so meint man damit meistens geistige Produktivität.
Der Fruchtbarkeit des Weibchens entspricht beim Männchen
die hervorragende erotische Leistungsfähigkeit. Hierauf be-
zieht sich im Deutschen die Redensart huren wie ein
Karnickel, wozu sich in franz. chaud comme un lapin,
hitzig wie ein Kaninchen, ein Analogon findet. (Vgl. im
Span. cow<5;o, wohl angelehnt an cono ,,cunnus^, als vulgäre
Benennung des weiblichen Geschlechtsteiles sowie im engl.
Cant rabbit-pie „Kaninchenpastete" als Bezeichnung einer
Prostituierten). In seiner Lebensweise unterscheidet sich das
Kaninchen vom Hasen wesentlich dadurch, daß es in selbst-
gegrabenen, unterirdischen Gängen lebt, weshalb bereits im
Lat. ein unterirdischer Gang mit cuniculus bezeichnet wird,
ein interessantes Beispiel von Metonymie (Ursache für Wir-
kung). Analog bedeutet auch im Span, conejera „Spelunke" und
metonymisch „Gesindel". (Raum gesetzt für die Bewohner des-
selben; vgl. deutsch „Frauenzimmer", „Bursche".) Ähnliche
Bedeutung haben auch gazapön, gcusapera, gazapina. Ersteres
wird namentlich in dem speziellen Sinne von „Spielhöhle" an-
gewendet. Von gazapo ist übrigens auch ein Verbum gebildet :
gazapear „herumhuschen nach Art der Kaninchen".
Dem Franz. und Span, eigentümlich ist der Gebrauch von
lapin, bzw. gazapo in der Bedeutung „Fopperei, Aufschneider^^
Lüge". Sehr gebräuchlich ist in der franz. Umgangsspr
^ Der Elefant.
cUe Eedeasart poaer un lapin ä qn., jemd. ein Kanincheti hin,«
setzen, was namentlich angewendet wird anf einen, der za
einem Stelldichein nicht ergeheint. Die Redensart ist leicht
za erklären. Das Kaninchen, das ich jemd. irgendwo hlnsetza,
wird selbstrerständlich nicht geduldig warten, sondern daTon-
lanfen. (Analog sagt der Italiener, wenn er fürchtet, da£
jemand nicht wartet: Aspettasse tanio la lepre, möchte doch der
Saee (solange) warten.) Es wird daher im Franz. lapin über-
haupt gern angewendet, wo es sich um eine Fopperei oder
Prellerei handelt. (Derartige Redensarten aus dem Pariser
Argot findet man zusammengestellt bei Sachs, Zusammenhang
TOD Mensch und Tier, Neuphil. Zentralbl. 1904, pag. 69).
A.uch Span, gazapo kann die Bedeutung von „Lüge, Be-
Img" annehmen. Hauptsächlich wird das fem. gazapa in
diesem Sinne gebraucht Hierher scheint engl, to huy ihe
rabbit, das Kaninchen kaufen, d. h, hei einem Kaufe ttb^-
vorteilt werden, zu gehören, in 'Wrklichkeit aber ist die
Redensart wohl elliptisch aufzufassen und hieße vollständig
to huy ihe rabbit in ihe sack, das Kaninchen im Sack, d. h.
nnbesehen kaufen, wobei man natürlich sehr leicht betrogen
werden kann. Man mag dabei auch an das deutsche „die
Eatz' im Sack kaufen" denken, um so mehr als nach einige
Auslegern die Redensart so gemeint ist, daß die Katze für
einen Hasen gekauft wird.
Nicht in diese Gruppe ist dagegen zu rechnen alUr (imnter)
ett lapin, blind mitfahren. Lapin war früher eine verächtliche
Bezeichnung für einen Bedienten (der Bediente wii'd wie ein
Kaninchen im Hause gehalten), so daß die Redensart ur-
sprünglich bedeutet: als Bedienter, d. h. neben dem Kutscher,
mitfahren. (Vgl. Rozan, Les animaux dans les proverbes, I,
pag. 223.)
Der Elefant.
r Name dieses Tieres, der in allen Kultursprachen Aei'
st, ist griechischen Ursprungs (MeyoT-). Durch das
sehe wurde er den romanischen und germanischen
m vermittelt: Ital., span. elefante, frz. ^lephant, deutsch
;, engl, elephant. Kulturhistorisch interessant ist «s,
.-4
Der Elefant. 89
daß in gemeingermanischer Zeit mit dem Worte „Elefant'^ -^
got. ulhandus, altengl. olfend, ahd. oliwnta, mhd. olbent — das
Kamel bezeichnet wurde, eine höchst merkwürdige Yer-
wechselang zweier ganz verschiedener Tiere, die nur in der
exotischen Herkunft beider und in ihrer daraus resultierenden
Seltenheit ihren Grund hat. Im Mhd. wurde der Elefant auch
häufig heifant, helfeniier genannt mit offenbarer Anspielung an
helfen. Andresen (Über deutsche Volksetymologie 5. Aufl.,
pag. 84 f.) sieht darin eine Anspielung entweder an den tat-
sächlichen Nutzen dieses Tieres oder an die Heilki*äfte, die dem
Elfenbein im Mittelalter zugeschneben wurden. Im Ital. exi-
stiert neben ehfante heute noch eine volkstümliche Form &*o*
fante. Von altfrz. dlifant und deutsch Elfenbein wird weiter
unten die Rede sein. (Vgl. Seiler, Die Entwicklung der deut-^
sehen Kultur im Spiegel des deutschen Lehnworts, II, pag. 66 ff.)
In Anbetracht der Körperfülle und ungeschlachten Gestalt
des Elefanten ist es nicht zu verwundern, daß dieses Tier in
den meisten Kultursprachen als Symbol der Plumpheit er-
seheint, namentlich wenn dieselbe mit Körpergröße verbunden
ist. So wird „Elefant" im Deutschen, Franz., Ital. von großen
und schwerfälligen Personen gebraucht, im Deutschen mit vor-
zugsweiser Einschränkung auf weibliche Wesen. Hierher zu
ziehen ist auch das engl. Adjektiv elepha^itine, das „riesenhaft,
unbeholfen" bedeutet. Im Deutschen kann das Wort auch auf
einzelne Körperteile angewendet werden, indem man z. B.
dicke Beine als Elefantenbeine bezeichnet.*) Der Parisw
nennt im Argot nach unten weiter werdende Beinkleider
pantalon patte cCeUfant „Elefantenpfotenhosen". Mit Bezug auf
die zwei mächtigen Stoßzähne des Elefanten bezeichnet der
Italiener große Zähne als denti d'elefante „Elefantenzähne".
Im Engl, wird der Doppelzwirn, also ein dicker und starker
Zwirn, elephant thread „Elephantenzwirn" genannt. Ais
Symbol der Gi'öße, wobei die Nebenvorstellung der Plumps
heit in den Hintergrund tritt, erscheint der Elefant in dem
Sprichwort aus einer Mücke einen Elefanten machen,
d. h. eine unbedeutende Sache als sehr wichtig darstellen. In
''') Elephantiasis ist der medizinisclie Terminus für eine Krankheit,
bei der die Beine stark anschwellen.
90 I>er Elefant.
den übrigen Kultursprachen findet sich das Sprichwort auch^
Btr mit dem Unterschied, daß anstatt der Mficke im EngL^
Ital., Franz. die Fliege, im Span, der Floh als Sinnbild der
Kleinheit dem Elefanten gegenübergestellt wird. (Engl.: ta
change a fly into an dephant, ital. : far cTuna mosca un elefante,
span.: hacer de una pulga un elefante, frz.: faire d'une mouche
un eUfant), Der Elefant erscheint übrigens in der deutschen
Redensart bei einem Liebespaar den Elefanten
spielen auch als Symbol geistiger Schwerfälligkeit, indem —
in diesem Falle allerdings mit Unrecht — von der physischen
Plumpheit auf die geistige geschlossen wird. Obige Redensart
wird angewendet auf einen Oalan, auf den man — ohne daß
er von dem Manöver etwas merkt — des Ehemanns Eifersucht
lenkt, wenn ein anderer der Frau des letzteren den Hof
macht. Mit Abschwächung und gleichzeitiger Verschiebung
der ursprünglichen Bedeutung gebraucht man diese Redensart
mit Bezug auf die Anstandsperson, meist weiblichen Geschlechts,
die ein Brautpaar auf seinen Spaziergängen begleitet.
Da der Elefant ein exotisches Tier ist und daher sein
Erscheinen bei uns — namentlich in den unteren Volks*
schichten — ein gewisses Aufsehen erregt, so ist dieses Tier,
ähnlich wie der Löwe, im Engl, zum Sinnbild des Seltsamen,
Merkwürdigen geworden. Es heißt deshalb to see {to show) ihe
ekphant die Merkwürdigkeiten — besonders die unrühmlichen
— einer Stadt sehen, bzw. zeigen. Auch bezeichnet man mit
eJephant einen unbequemen Besitz, dessen man sich gern ent-
ledigen möchte. So bedeutet z. B. der Satz: Be found his
great house very much like a white elephant, es kam ihm sein
Haus wie ein weißer Elefant vor, „sein Haus wurde ihm
lästig". (Vgl. Muret, Wörterbuch der engl. u. deutschen Sp.^
pag. 786). Ist ein Elefant schon an und für sich wegen
seiner Größe und Schwerfälligkeit kein bequemer Besitz, so
müßte ein weißer Elefant doppelt lästig sein, da er durch
seine ungewohnte Farbe allgemeines Aufsehen erregen würde.
Als exotisches und infolgedessen seltenes Tier erscheint der
Elefant auch in der engl. Redensart to have seen the elephanty
den Elefanten gesehen haben (in der Urheimat nämlich), d. h.
gerieben sein. Gerieben aber wird nur der sein, der viel
Lebenserfahrung besitzt und sich fleißig in der Welt herum-
Das Kamel. 91
getummelt hat. Ein solcher mag auch in Länder ge-
kommen sein, wo der Elefant zu Hause ist. Diese Redens-
art wird ironisch auf ein Mädchen angewendet, für das die
Freuden der Liebe kein Geheimnis mehr sind. (Vgl. franz.
in derselben Bedeutung avair vu le hup, den Wolf gesehen
haben).
Semasiologisch interessant ist das altfrz. olifant, ein Wort,
das im franz. Rolandsliede als Bezeichnung von Rolands Hom
oft aufstößt. Das Wort ist nämlich wie das ital. liofatite eine
volkstümliche Benennung des Elefanten. Wie kommt es aber
zur Bedeutung „Hom" ? Wir haben es hier mit einer doppelten
Metonymie zu tun. Zunächst nahm olifant die Bedeutung
„Elfenbein" an. (Der Erzeuger für das Erzeugnis gesetzt.)
Der folgende Bedeutungswandel erweist sich ebenfalls als
Metonymie, indem die Materie zur Benennung des Gegen«?
Standes dient, aus der er gefertigt ist. Infolge Erweiterung
des Bedeutungsumfangs schließlich wurde jedes Hörn mit
olifant bezeichnet. Analog ist im älteren Ital. elefante in der
Bedeutung „Elfenbein^ belegt, wie auch das engl. Adjektiv
elephantine „elfenbeinern" bedeuten kann. Auch das deutsche
Elfenbein ist nichts anderes als „Elefantenbein".
Das Kamel.
Wie die Namen der meisten exotischen Tiere, so ist auch
der des Kamels griechischen Ursprungs (xdfirjXog). Auf dem
Umwege über das Lat. (camelus und cameUus) ist es in die
romanischen Sprachen übergegangen: ital. cammelh, span.
camdlo, frz. chameau. Das deutsche Kamel geht gleichfalls
direkt auf lat. camelus zurück, während engl, camel Entlehnung
aus dem Altfranz, ist. Im Mhd. war als Bezeichnung für das
Tier Kernel und daneben verdeutlichend Kemdtier üblich. Kernel
ist nach Baist dem arab. gemel nachgebildet und fand zur Zeit
der Kreuzzüge in Deutschland Eingang. (Vgl. Seiler, die
Entwicklung der deutschen Kultur im Spiegel des deutschen
Lehnworts, II, pag. 138 ff.).
Obgleich das Kamel in Europa nicht heimisch ist, so hat
es doch auf die Phantasie der abendländischen Völker einen
92 Das Kamel.
sehr nachhaltigen Eindruck ausgeübt, wofür etliche Metaphern
und metaphorische Redensarten in den modernen Eultursprachen
den deutlichsten Beweis liefern.
Was zunächst die äußere Erscheinung des Tieres anlangt,
so kann man sagen, daß sie allen Eegeln der Ästhetik
Hohn spricht und sehr wohl als Typus der Häßlichkeit gelten
kann, weswegen der Franzose ein häßliches Frauenzimmer
gern chameau nennt. Desgleichen kann das Wort auf ein gemeines
Weib angewendet werden, wobei die Häßlichkeit auf das
moralische Gebiet übertragen erscheint.
Neben dem Eindruck der Häßlichkeit macht aber das
Kamel auch den einer tiefen Traurigkeit, gleichsam als wäre
es sich seines unschönen Äußeren bewußt. Hierauf bezieht
sich der engl. Slangausdruck the cameVs complaint „die Kamels-
krankheit^ eine scherzhafte Bezeichnung der Melancholie.
Was an der Gestalt des Kamels besonders auffällt, ist sein
Höcker, daher im Engl, camehbacked (back = Rücken) „bucklig'*
heißt. (Vgl. ital. gobbo come un cammeUo, bucklig wie ein
Kamel). Hierher zu ziehen ist ferner span. camellön, womit in
der Gärtnerei der Erdrücken bezeichnet wird, der zwei Garten-
beete voneinander scheidet. Auch der Erdrücken, der beim
Pflügen zwischen zwei Furchen entsteht, wird so ge-
nannt. Von der Katze, die einen Buckel macht, sagt man in
gewissen Gegenden Italiens: Fa il eammello, sie macht das
Kamel. (Vgl. Zell, Streifzüge durch die Tierwelt, pag. 55 f.)
Auf eine andere physische Eigentümlichkeit des Kamels, die
Schwielen an den Knieen, spielt engl. cameUhneed an. Daß
das Kamel als Symbol der Größe der Mücke gegenübergestellt
wird, wird bei der Erklärung der auf letzteres Tier bezüg-
lichen Metaphern gezeigt werden.
Was die psychischen Eigenschaften des Kamels betriflft, so
weiß die Sprache darüber gleichfalls nichts Gutes zu berichten,
wobei sie sich mit der Naturgeschichte im vollen Einklang be-
findet. Störrisches Wesen und Mangel an Intelligenz sind die
beiden Hauptuntugenden des Kamels. Auf ersteres bezieht sich
das engl. Adjektiv camelish, das „eigensinnig" bedeutet, sowie der
ital. Vergleich fare come il cammello che piü del stio peso non vuol
portare, es wie das Kamel machen, das nicht mehr als seine
gewohnte Last tragen will, während im Deutschen das Kamel
Der Vogel im allgemeineii. 93
als beschimpfende Bezeichnung für minder intelligente Indi-
yidnen; dem Esel und dem Schaf erfolgreiche Konkurrenz
macht. Der Gebrauch von „Kamel" im letzteren Sinne ent-
stammt der Studentensprache, in der das Wort ursprünglich
auf einen Studenten angewendet wurde, der keiner Verbindung
angehörte, was für das stark ausgeprägte Selbstbewußtsein
der Verbindungsstudenten besonders charakteristisch ist. In-
dem man dann von dem Mangel an Intelligenz auf Eng-
herzigkeit in moralischer Beziehung schloß, bekam das Wort
— immer noch innerhalb der Studentensprache — die Be-
deutung „philisterhafter Mensch".
Auf die Verwendung des Kamels als Lasttier bezieht sich
das engL Sprichwort: Ä feather wül break a cameVs bacJc, eine
Feder bricht manchmal den Rücken eines Kamels, wofür man im
Deutschen sagt : Ein Tropfen bringts zuletzt zum Überfließen.
Nach dem Kamel sind schließlich noch andere Tiere
benannt, die mit ihm größere oder geringere Ähnlichkeit
haben. So heißt die Giraffe, bei der Beine und Hals an das
Kamel erinnern, deutsch auch Kamelparder^ engl. cameUh
pard^ ital. cammehpardo, span. camehpardcU, franz. camäeopardj
(wissenschaftl. : camelopardaiis giraffä). Die Bezeichnung
„Parder" bezieht sich auf die Zeichnung des Felles, das wie
beim Leopard scheckig ist. Auch der Strauß wird im Engl,
wegen seines langen Halses camel-bird „Kamelvogel" genannt,
was der wissenschaftlichen Bezeichnung strtdhio cameUis ent-
spricht.
Der Vogel im allgemeinen.
Deutsch Vogel, ein spezifisch germanisches Wort, beruht
auf mhd. vogdj ahd. fogal. Die altengl. Entsprechung lautet
fugcA^ woraus über mittelengl. foul sich neuengl. foucl entwickelt
hat, das infolge Bedeutungsverengung jedoch nur auf Hühner
angewendet wird. Das gebräuchliche Wort für „Vogel" ist
im Engl, hird^ das durch Metathese aus alt- bzw. mitteleng].
brid entstanden ist, welches Wort jedoch nur den jungen Vogel
bezeichnete. (Man vgl hiermit ital. ucceUo^ franz. oiseau laus
lat aviceUus „Vögelchen".) Möglicherweise hängt brid zu-
sammen mit breed „brüten" und braod „Brut".
94 ^^^ Vogel im allgeineinen.
Was die romanischen Ausdrücke für „Vogel" betrifft, so
hat sich lat. avis „Vogel" nur in span.-port. ave und in sard.
ae erhalten. ItaL ticcelh und franz. oiseau (altfrz. oiseT) gehen
auf das Diminutiv von avis, avkeUus, zurück. Jedoch hat auch
Span, ave die Konkurrenz von pdjaro zu befürchten. Dieses
Wort, das aus lat. passer hervorgegangen ist und demgemäß
ursprünglich „Sperling" bedeutet, hat infolge Begriffsverall-
gemeinerung — der Sperling ist der häufigste Vogel — die Be-
deutung von „Vogel" angenommen. (Siehe bei „Sperling".)
Umgekehrt wird sehr häufig „Vogel" durch Bedeutungsver-
engung auf bestimmte Vögel angewendet. So ist in den
romanischen Sprachen die Gans eigentlich das „Vögelchen",
indem ital., span. oca, frz. oie auf lat. avka, Dim. von avis
„Vogel", zurückgehen. Ein Analogen hierzu finden wir im
Deutsch des 16. Jahrhunderts, wo der Enterich kurzweg als
j,der Vogel" bezeichnet wurde. Im Mittelalter, wo die Falken-
jagd die alltägliche Belustigung der Vornehmen war, war der
Falke der Vogel xar" i^oxriv. Überreste von diesem Gebrauche
haben sich in der modernen Sprache erhalten. So ist z. B.
der bekannte Spruch Friß, Vogel, oder stirb von. der
Abrichtung des Falken hergenommen. Daß der Falke mit
Fleisch gefüttert wurde, erhellt aus der franz. Redensart ce
fCest pas viande pour vos oiseatix^ das ist kein Fleisch für eure
Vögel, d. h. das ist zu teuer für eure Mittel oder wohl auch :
das geht über eure Fassungskraft. Ebenso ist in der Redensart
Ure battu de Voiseau, vom Vogel geschlagen werden, d. h. den Mut
verlieren, mit oiseau der Falke gemeint, der seinem Opfer
mit Schnabel- und Flügelhieben zusetzt. (Vgl. Eozän, Les
animaux däns les proverbes, II, pag. 33.) Denselben Ursprung
hat das franz. Sprichwort: Le bon oiseau se fait de lui-niSniej
der gute Vogel, d. h. das Talent, bildet sich von selbst. Daß
mit „oiseau^ hier der Falke gemeint ist, erhellt ganz deutlich
aus dem engl. Analogen: The gentle hawk makes itseVy der
edle Falke bildet sich selbst. Ebenso bedeutet oiseler im
älteren Franz. „mit dem Falken jagen". Schließlich wird im
Patois von Limousin die Schwalbe kurzweg als der Vogel
(ozelo)*) bezeichnet. (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 315.)
*) ozdo ist das fem. Ton ozeu =^ oiseau.
Der Vogel im allgemeineu. 95
^u bemerken ist ferner, daß im älteren Deutscli das Wort
^Vogel^ einen weiteren Bedeutungsumfang hatte als heute,
Widern es nämlich jedes geflügelte, bzw. fliegende Tier be-
zeichnete. So wurden Biene, Heuschrecke, Fledermaus ohne
weiteres Vögel genannt. So heifit es z. B. bei Luther: Die
Biene ist ein kleines Vögelein. In einigen Gegenden
Deutschlands heifit der Schmetteiling heute noch Butter-
oder Sommervogel. (Vgl. dänisch sommerfugl.) Ein Ana-
logen hierzu findet sich im Span., wo llir kleine, geflügelte In-
sekten die Bezeichnung pajarilla, avecüla „ Vögelchon^' üblich ist.
Zu beachten ist, dafi im Nhd. „VogeP' selten auf Hühner
augewendet wird, im Gegensatz zum Engl., wo fowl nur Ge-
flügel bezeichnet. (Über die Verwendung von „Vogel" in
„Vogel Straufi" siehe bei „Straufi".)
Von der Fülle der Metaphern, die vom Vogel hergenommen
sind, sollen hier, dem vergleichenden Charakter dieser Studie
entsprechend, nur solche zur Besprechung gelangen, die Ge-
meingut mehrerer Sprachen sind. Dies gilt namentlich auch
von den auf den Vogel bezüglichen Sprichwörtern, deren voll-
ständige Aufzählung hier keinen Zweck hätte, abgesehen da-
von, dafi deren erschöpfende Anführung nahezu einen Band
füllen würde.
Als ein Rest alter heidnischer Vorstellungen sind die*
jeuigen Metaphern zu betrachten, in denen der Vogel als Ver-
künder übermenschlicher Weisheit erscheint. Man denke an
Vögel wie den Raben, den Kranich, die Eule, die in der
römischen wie germanischen Mythologie eine wichtige Rolle
spielten und denen zum Teil noch heute vom Volksglauben
divinatorische Fähigkeiten zugeschrieben werden. So ver-
kündet der Ruf des Käuzchens oder das Gekrächze des Raben
dem abergläubischen Volke Unheil. Daher nennt der Italiener
diese Vögel uccelU di mal augurio, der Franzose oiseaux de
mauvais augure^ oiseaux fantömes {fataiix\ der Engländer unlucky
birds oder birds of ül-oinen. (Vgl. jedoch deutsch spezialisierend
„Unglücksrabe" häufiger alsUnglücksvogeL) Metaphorisch
werden diese Ausdrücke auf Überbringer von Unglücksnach-
richten angewendet. Zu bemerken ist, dafi Deutsche und Fran-
zosen auch einen Glücksvogel, bzw. oiseau de hon augure
Jkeunen. Auch soust noch finden ^sich in modernen Sprachen
96 ^T^ Vogel im allgememen.
Spuren dieser in mythische Zeiten zurückreichenden Anffassung.
Man dachte sich gewisse Vögel im Besitze von Geheimnissen,
üe sie gelegentlich an ihnen sympathische Personen verrieten.
So sagt man noch heutzutage in gewissen Gegenden Deutsch-
lands, wenn man die Quelle einer überraschenden Nachricht
nicht verraten will: Ich habe ein Vögelchen davon
singen hören und ähnlich sagt der Engländer : Älittlebird
has tdld it to me, ein Vögelchen hat's mir gesagt Im älteren
Engl, nannte man auch ein Geheimnis the bird in the hosomj
den Vogel in der Brust. (Vgl. Borchardt-VTustmann, Sprich-
wörtl. Bedensarten, pag. 486.)
Der Vogel, der sich kraft seiner Schwingen in die Lüfte
erhebt und dem sozusagen die ganze Welt offen steht, ist bei
allen Völkern Symbol der Freiheit. Frei wie der Vogel
in der Luft bezeichnet im Deutschen das non plus ultra der
TJngebundenheit Ebenso sagt der Italiener von einem, der
durch keine gezwungene Beschäftigung in seiner Bewegungs-
freiheit gehindert ist: J^ come VucceUo suUa frasca, er ist wie
der Vogel auf dem Zweig. Diese Redensart, die sich auch
im Franz. findet — Stre comme Voiseau sur Ja branche — kann
allerdings unter Umständen einen tadelnden Sinn annehmen,
indem der Beschäftigungslose, wenn er nicht pekuniär gesichert
ist^ häufig in mißliche Lagen kommt, ebenso wie der Vogel
im Walde nicht immer vor Hunger geschützt ist. Gleichwohl
— meint der Italiener — i meglio esaer mcetto di boaco che
itcceUo di gabbia, es ist besser, Waldvogel als Eäfigvogel zu
s^n. Auch der Franzose hat dies Sprichwort: Mieux vaut
Stre omau de boia que de cage. (Vgl. franz. aiseau de cage für
„Gefangener".) Am prägnantesten bringt jedoch der Spanier
die Beziehung zwischen den Begriffen „Vogel" und „Freiheit"
zum Ausdruck, indem er das ungebundene ümherstreifen mit
pajarearj einem von pdjaro „Vogel" abgeleiteten Verbum, be-
zeichnet. Häufig wird das Wort im tadelnden Sinne auch auf
Pflastertreter (Substantiv: pajarero) angewendet, die auch der
FVanzose mit oiseaux de rue „Straßenvögel" bezeichnet. Hin-
gegen bedeutet deutsch vogelfrei nicht „frei wie dei^ Vogel^^
solidem „frei für den Vogel". Dieser Ausdruck bezieht sich
niämlich auf den E(^*per des Geächteten, der nach dem Tode
dM Vögeln zum Fräße preisgegeben wurde.
Der Vogel im allgemeinen. 97
Zahlreich sind die Metaphern, die sich anf die Vogeljagd
beziehen. Zunächst muß bemerkt werden, daß sich alle Sprachen
fBr den Begriff des Vogelfangens eigene Verba gebildet haben.
So sagt der Engländer to bird^ welches Wort mit Bedeutungs-
verengung hauptsächlich auf den Htthner- und Schnepfenfang
angewendet wird. Der Italiener bildete von ucceUo ucceüare
(mit dem Dativ: so heißt es z. B. ncellare aMe lodöle, ai tordi,
Lerchen, Drosseln jagen).
Auch im übertragenen Sinne wird dieses Yerbum gebraucht
und bedeutet dann ein Streben nach etwas. (UcceTlare agli
amri, a una ereditä, nach Ehren streben, nach einer Erbschaft
trachten). In transitiver Verwendung kommt das Yerbum
gleichfalls vor : ticcellare qd. heißt Jemd. foppen'^ wörtl. „ihn
wie einen Vogel behandeln^. Der Vogel, der auf den Leim
oder ins Netz geht, ist eben der Gefoppte. In diesem Sinne
sagt der Italiener auch umschreibend mandare qd. alV ticcelkUaio,
jemd. zum Vogelherd schicken. Von ucceUo sind ferner ge-
bildet die substantiva factitiva acceUatore und uccelkäura^ die
— mutatis mutandis — die Bedeutungen des Verbums über-
nommen haben. Von den übrigen Ableitungen des Wortes
wäre noch zu erwähnen uccellagionej das zunächst den Vogel-
fang, dann die Zeit desselben und schließlich metaphorisch
mit gleichzeitiger Begriffserweiterung „Verlockung" bedeutet.
Was das Spanische betrifft, so wird das bereits in der Be-
deutung „herumstreichen" angeführte pajarear auch für „Vogel-
fangen" gebraucht. Im Franz. wird flir älteres oiseler um-
schreibend prendre des oiseaux gesagt. Ursprünglich war oiselet*
ein Terminus der Falkonierkunst und bedeutete als solcher
„den Falken zur Beize abrichten" und „mit dem Falken
jagen". Von oiseler sind zwei substantiva factitiva abgeleitet,
nämlich oiseleur „Vogelfänger" und oiselier „Vogelhändler".
Zu nennen ist femer oisellerie, das neben „Vogelfang, Vogel-
handel" auch „Vogelhecke" bedeutet. Was das Deutsche an-
langt, so war in der älteren Sprache für „Vogel fangen"
vögeln üblich. Das substantivum factitivum Vogler lebt in
der Geschichte als Beiname des ersten sächsischen Königs
fort Mit Umlaut des o bezeichnet das Verbum die Vollziehung
des Geschlechtsaktes. Ursprünglich seiner Etymologie gemäß
nur auf Vögel angewendet, wurde der Gebrauch des Wortes
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 7
98 I^ßr Vogel im allgemeinen.
durch Bedeutungserweiterung auch auf den menschlichen
Koitus ausgedehnt.
Naheliegend ist der Vergleich des gefangenen Vogels mit
dem Betrogenen, bzw. des Vogelfangers mit dem Betrüger.
Jemd. ins Netz locken, ins Netz (ins Garn) gehen
sind Bedensarten, die allen Kultursprachen gemeinsam sind^
aber sich nicht ausschließlich auf den Vogelfang beziehen, da
sie ebensogut von der Fischerei hergenommen sein können
(siehe bei „Fisch"). Doch sagt man im Deutschen auch
metaphorisch einen Vogel ins Garn locken, einen
Vogel fangen, bzw. festhalten, wozu sich in den übrigen
Kultursprachen Analoga finden. Dementsprechend wird sach
Lockvogel, d. i. der Vogel, mit dem man lockt {engl, decoy-
duck „Lockente") im übertragenen Sinne gebraucht. Die
Kedensarten jemd. leimen für „anführen" und geleimt
werden oder auf den Leim gehen für „angeführt werden"
gehören gleichfalls hierher, da man mit Leim eben nur Vögel
und keine anderen Tiere fängt. Eine ähnliche Redensart
findet sich im Ital.: cadere nella pania, in den Leim fallen.
Auch der Engländer gebraucht für „betrügen" häufig to Urne.
Hierher gehört gleichfalls das im Pariser Argot gebräuch-
liche faire Voiseau, den Vogel machen, d. h. sich dumm an-
stellen. Ferner wird in den meisten Sprachen das unver-
mutete Verschwinden eines Gefangenen mit dem Entwischen
eines Vogels aus dem Käfig verglichen. So heißt es deutsch:
Der Vogel ist ausgeflogen, engl.: The bird hos flawn,
span.: El pdjaro (auch golondrino „Schwalbe") volo, franz.:
Uoiseau rCy est plus, Voiseau s^est envoU. Auf den Vogelfang
bezieht sich auch das engl. Sprichwort: There's no catching öld
bird toith chaff, einen alten Vogel kann man nicht mit Spreu
fangen. Denselben Gedanken, nämlich daß man im Alter
durch Erfahrung klug wird, drückt aus das span. Sprich-
wort: Pdjaro viejo no entra en jaula, ein alter Vogel geht nicht
in den Käfig, womit sich vergleichen läßt das ital. Sprich-
wort : Nuova rete non piglia ucceUo vecckio, ein neues Netz fangt
keinen alten Vogel. Mit feiner Ironie bezeichnet das Pariser
Argot mit oiseau die Jungfernschaft, die von den Mädchen
ängstlich wie ein Vogel im Käfig gehütet wird und die, einmal
verloren, gleich dem entwischten Vögelchen nicht wiederkehrt.
Der Vogel im allgemeinen. 99
Vom Wettschießen hergenommen ist die nur im Deut-
schen vorkommende Redensart den Vogel abschießen,
d. h. das Richtige treffen oder bei öffentlichen Leistungen, an
denen sich mehrere Personen beteiligen, sich vor allen anderen
auszeichnen. Mit dem Vogel ist hier nicht ein wirklicher
Vogel, sondern eine als Ziel dienende künstliche Nachbildung
eines solchen gemeint. (Gewöhnlich ein Papagei oder ein
Adler.)
Das intime Verhältnis des Menschen zum Vogelgeschlecht
wird am besten dadurch charakterisiert, daß er das Wort
„Vogel" auf seinesgleichen anwendet, u. zw. begegnet diese
Metapher hauptsächlich im Deutschen und Span. Hierbei
zeigt sich auf den ersten Blick eine Verschiedenheit der
Auffassung. Im älteren Nhd. nannte man nämlich einen un-
moralischen Menschen gern einen „Vogel", welche Metapher
wahrscheinlich der Studentensprache ihren Ursprung verdankt.
Im Gegensatz hierzu bezeichnet span. pdjaro einen sittlich
oder geistig hochstehenden Menschen. Dieser anscheinende
Widerspruch findet seine Erklärung darin, daß es eben unter
den Vögeln wie unter den Menschen moralisch und intellektuell
verschieden geartete Typen gibt und dem Deutschen bei An-
wendung dieser Metapher ein minderwertiger, dem Spanier
hingegen ein höherstehender Vogeltypus vorschwebt. (Man
denke z. B. an Gegensätze wie sie Adler und Sperling dar-
bieten.) Übrigens wird im Span, in familiärer Sprache pdjaro
im selben Sinne angewendet, den „Vogel" ehemals im Deut-
schen hatte. Im modernen Deutsch wird diese Metapher
durch Hinzutreten eines Attributs nuanciert. So spricht man
von einem losen, argen, frechen, leichtsinnigen,
sauberen, lustigen, schlauen Vogel. Der Spanier
kennt auch einen pdjaro gordo, einen dicken Vogel, d. h. eine
wichtige, reiche Person, einen pdjaro solitario, einen einsamen
Vogel, bzw. Menschen (s. bei „Sperling"), einen pdjaro de
cuenta, einen Vogel von Bedeutung, d. h. eine einflußreiche
Persönlichkeit. Unserem „lustigen Vogel" entspricht im Span,
das Adjektiv pajarero, das ,. lustig, munter, aufgeräumt" be-
deutet. Nebenbei sei bemerkt, daß pajarera als Substantiv
das aus Scheu oder Verlegenheit hervorgerufene Stocken in
der Rede bezeichnet, wohl mit Anspielung auf die Schüchtem-
■^ ■• ^ *
100 Der Vogel im allgemeineu.
heit gewisser Vögel. (Vgl. franz. oiseau effarauchi, scheuer
Vogel, als BezeichnnBg eines Menschen, der bei jeder Gelegen-
heit erschrickt) Aach ave wird in ähnlicher Weise meta*
phorisch verwertet, z. B. in am zanza, ein schwerflllliger Vogely
bzw.* Mensch. Mit avechudw, dem Pejorativ von awy bezeichnet
der Spanier einen häßlichen Vogel von unbekanntem Namen
und wendet das Wort auch metaphorisch auf einen häßlichen
Menschen an. Eine ähnliche Bedeutung hat pajarraeoy daß
Pejorativ v(m p&jaro. Das Deutsche bildet nach Analogie
von Baubvogel, Zugvogel, welch letzteres Wort Übrigens
auch wie franz. ciseau de passage auf einen viel umherwandem-
den Menschen angewendet wird, mit dem Worte „VogeP'
scherzhafte Komposita, die nur metaphorische Bedeutung haben,
wie Spaßvogel, Zankvogel, Pechvogel.*) Letzterer
Metapher begegnen wir auch im Engl.: gaUows-bird oder
Newgate birdj**) womit sich franz. oiseau de prison „Gefängnis-
vogel^ v^gleichen läßt. Femer gibt es im Engl, einen
early hird^ einen frühen Vogel, d. h. Frühaufsteher, einen
nactumal Mrd, einen nächtlichen Vogel, d. h. Nachtschwärmer.
(Vgl. deutsch Nachtvogel.) Auch dem Franz. ist — wie
bereits oben durch ein Beispiel gezeigt wurde — die meta-
phorische Verwendung von oiseau nicht fremd. Mit oiseau
schlechtweg bezeichnet man einen sonderbaren Menschen, mit
dem sich schwer umgehen läßt. (Vgl. deutsch spezialisierend
„Kauz".) Im selben Sinne gebraucht der Franzose drdle
d^oiseau, ein drolliger Vogel. Eine ironische Färbung hat bei
oiseau, schöner VogeL (Vgl. ital. bei merlo, engl fine bird.)
Oiseau de haut vol, ein hochfliegender Vogel, ist die Bezeichnung
eines „hochfliegenden^ Geistes. (Vgl. den metaphorischen Ge-
brauch von aigle.) Einen seltenen Gast nennt der Franzose
oiseau rare, ebenso der Spanier rara ave. Diese Metapher beruht
auf dem häufig zitierten rara avis CatuUs, das sich auf den
aus Indien stammenden Pfau bezieht. Schon Juvenal ge-
braucht den Ausdruck metaphorisch, indem er ihn auf Weiber
vom Schlage der Penelope und Lucretia anwendet. — Mit
*) Hingegen bezeichnen Galgenvogel (hängenswertes Subjekt) and
SpottYogel (spöttischer Mensch) zunächst wirklich existierende Vögel,
n. zw. dieses die Spottdrossel, jenes den Baben.
**) Newgate war früher das Kriminalgefängnis der City von London.
Der Vogel im allgemeiiien. 101
msecm de saint Luc, Vogel des heil. Lukas, ist der Ochse ge-
meint^ weswegen im Ital. uccello di San Luca aaf einen ein-
mütigen Menschen angewendet wird. Aach sagt der Franzose
von einem schlechten Sänger: II cJiante eomme Voiseau de 9aint
LuCf er singt wie der Vogel des heil. Lukas, und von einem
dicken, schwerfälligen Hinsehen : // est Uger comme Toüeau de
samt Luc, er ist leicht wie der Vogel des heil. Lukas. (Der
Ochse ist bekanntlich das Attribut des Evangelisten Lukas.)
Schließlich wird in allen Sprachen das Dim. von „Vogel^ als
Liebkosungswort f8r Kinder gelntiucht.
Von den obigen Metaphern wohl zu trennen ist die
deutsche Redensart einen Vogel haben, die man auf einen
geistig nicht ganz normalen Menschen anwendet. Diese
Metapher beruht auf einem Vergleich der wirren Gedanken
mit dem Hin- und Herflattem eines Vogels. (Vgl. die Argot-
i*edensart avoir une hironddle dans Je soUveau.) Vielfach werden
Insektennamen in diesem Sinne verwendet. Auch sonst wird
das Wort auf Lebloses angewendet. So bezeichnet der
Spanier die Schweinsmilz mit pajarilla „Vögelchen". (Vgl.
Zauner, Die roman. Namen der Körperteile, pag. 175.)
Allerdings beruht dieser Vergleich auf sehr oberflächlicher
Betrachtung. Benennungen von Körperteilen mit Tiemamen
sind übrigens nicht selten, worauf schon bei der Maus, pag. 61
hingewiesen wurde.*) Aus dem Deutschen ist hierher zu
ziehen die Bezeichnung von Goldstücken mit Goldvögeln
oder gelben Vögeln, mit scherzhafter Anspielung an das
Verfliegen des Geldes, ebenso engl, yellaw birds oder speziali-
sierend canaries „Kanarienvögel". (Vgl. span. mosca „Fliege'*
für „gemünztes Geld".) Evident ist die Bezugnahme auf das
Fliegen bei Anwendung von span. pqjara auf den Papier-
drachen der Kinder. Auf dem raschen Flug beruht auch
die Verwendung des Vogels als Symbols der Behendig-
keit. So sagt der Italiener von einem flinken Menschen: il
vispo came un uecelh, er ist behende wie ein Vogel, der Spanier
mit Unterdrückung des tertium comparationis : Es un ave^ er
ist ein Vogel, und der Franzose meint von einer Sache, die
"**) Im Franz. uud Ital. bezeichnet man mit oisean, bzw. uccelHno das
männliche Glied bei Kindern.
102 I^er Vogel im allgemeinen.
gat vonstatten geht: Qa va attx oiseaux, das geht nach
Vögelart.
Die Fähigkeit der meisten Vögel, sich in bedeutende
Höhen zu erheben, erklärt den Ausdruck aus der Vogel-
schau. So sagt man z. B. eine Landschaft aus der
Vogelschau betrachten, d. h. von einem erhabenen
Standpunkte aus. Diese Metapher findet sich in allen Kultur-
sprachen : engl. bircTs eye „Vogelauge" (adjektivisch gebraucht),
ital. a vol cFmcello {volo = Flug), span. d vista de ave {visia =
Blick), ä vuelo de ave (vuelo = Flug), franz. ä vue d^oiseau, ä
vol d'aiseau; letzterer Ausdruck bedeutet auch „in gerader
Linie^ (anspielend auf den geradlinigen Flug der meisten
Vögel). Mit Bezug auf die hochgelegenen Nester mancher
Vögel wird auf englischen Polarfahrern der zum Ausguck
dienende Mastkorb bird^s-nest „Vogelnest" genannt, wofür auch
crow's-nest „Krähennest" gesagt wird. (Siehe bei „Krähe"
pag. 151.)
Von ganz besonderem Interesse, auch für die deutsche
Metaphorologie, ist der Gebrauch von span. pajarotada, pqjarota
im Sinne von „Lüge, lügenhafte Nachricht". Im Franz. wird
in diesem Sinne canard gebraucht, im Deutschen „Ente". (Vgl.
„Zeitungsente".) Von den zahlreichen Interpreten, die sich
um die Erklärung der deutschen Metapher bemüht haben, hat
keiner über das Französische hinaus nach Analogien gesucht
und doch ist der sprachvergleichende Weg bei derlei Unter-
suchungen der einzig sichere und richtige.*) Das span. pajarotada
liefert uns den Schlüssel auch für die frz., bzw. deutsche
Metapher. Das span. Suffix ada tritt häufig zu Tiernamen
und bezeichnet im tadelnden Sinne die Handlungsweise des
betreffenden Tieres. So bedeutet z. B. perrada (von perro
„Hund") die einem Hunde eigene, d. h. eine hündische, nieder-
trächtige Handlungsweise. Vgl. auch noch asnada (v. asno „Esel")
„Eselei, Dummheit", gatada (v. goto „Katze") „Schelmenstreich",
monoM (v. mono „Affe") „Ziererei", gansada (v. ganso „Gans")
„Dummheit, Tölpelei". Pajarotada (v. pajarota „großer Vogel")
*) Die Sage vom Entenbaum, in der Bartels (Ztschr. f. d. deutschen
Unterricht, Y, pag. 355) den Ausgangspunkt der in Rede stehenden Metapher
gefunden zu haben meint, dürfte wohl umgekehrt der metaphorischen Ente
ihre Entstehung verdanken.
Der Vogel im allgememen. 103
bedeutet also irgend eine tadelnswerte Betätigung eines großen
Vogels. Welche Eigenheit berührt uns nun an größeren
Vögeln unsympathisch ? Das ist wohl die unangenehme JStimme,
die so ziemlich allen größeren Vogelarten gemein ist. Hierbei
denken wir zunächst an zahme Vögel, wie 6ans und Ente,
die wir als Haustiere in unserer unmittelbaren Nähe haben
und daher am häufigsten hören können. Von „Geschnatter^
zur Bedeutung „leeres Geschwätz, lügenhafte Nachricht" ist
nur ein Schritt. Daß auch dem Spanier hierbei die Ente vor-
schwebt, beweisen zwei von pato „Ente" abgeleitete Sub-
stantiva, nämlich patochada „Handlungsweise einer Ente, ein-
fiültiges Geschwätz", und wohl auch patrafia, das „Lüge,
Märchen" bedeutet, also geradezu ein Synonym von pajarotada
ist. (Vgl. Brinkmann, Metaphern, pag. 555, wo pato übrigens
irrtümlicherweise mit „Gans" übersetzt wird.) Wenn nun im
Span, für pajarotada pajarota und dementsprechend für „lügen-
hafte Nachricht" im Franz. canard, im Deutschen „Ente" ge-
sagt wird, so liegt hier ein ganz einfacher Fall von Metonymie
vor, indem nämlich für das Hervorgebrachte das Hervor-
bringende gesetzt wird. Übrigens hat schon Sanders in dem
Geschnatter der Ente das tertium comparationis für die be-
wußte Metapher vermutet.
Schließlich mögen die gebräuchlichsten der auf den Vogel
bezüglichen Sprichwörter, insofern sie nicht einzeln dastehen,
sondern in einer oder mehreren Sprachen Analoga haben, an-
gefahrt werden.
Deutsch. Es muß ein böser Vogel sein, der sein
eigenes Nest beschmutzt. — Engl. Ifs a bad bird that
fouls Ü8 own nest, — Span. Pdjaro de mal natio, el que se ensucia
en el nido. — Franz. (7 est un vilain oiseau que celui qui salit son
nid. —
Deutsch. Man erkennt den Vogel an den Federn.
— Franz. Uoiseau se connait aux plutnes. —
Deutsch. Vögel gleicher Feder fliegen zusammen.
— Engl. Birds of a feather flock together, — Span. Todas las
aves con sm pares. —
Deutsch. Besser ein Vogel in der Hand als zehn
über Land (auf dem Dache). — Engl. .4 bird in thehandis
wotih tivo in the bu^, ein Vogel in der Hand ist zwei im Busche
104 Der Vogel im allgemeineu.
wert« — ItaL & megVo un ucceUo in gabbia che quaUro in su la
fraseay es ist besser ein Vogel im E&flg, als vier auf dem Zweige.
— Span. Mäs vaie pdjfaro*) en mano que buiire vdando^ ein Vogel
(Spatz) in der Hand ist mehr wert als ein Geier, der fliegt —
Franz. Maineau en main vaut mieux qm pigeon qui voU^ ein
^latK in der Hand ist mehr wert als eine Tanbe, die fliegt. —
Die deutsche Entsprechung lautet: Ein Sperling in der
Hand ist mehr wert als eine Taube auf dem Dache.
(Über die zahllosen Varianten dieses Sprichworts vgl. Reias-
berg-Dflringsfeld, Sprichwörter der germanischen und romani-
schen Sprachen, vol. I, pag. 99.)
Deutsch. Jedem Vogel gefällt sein Nest. — Engl.
Every bird likes its otvn nest, — Ital. Ad ogni ucceUo stio mio
i hetto. — Span. A cada fajanUo agrada su nidiUo. — Franz.
A tout oiseau san nid est beau.
Deutsch. Federn zieren den Vogel. — Engl. FHne
feathers make fine birds. — Franz. La helle plume fait le bei
oieeau.
Deutsch. Jeder Vogel singt wie ihm der Schnabel
gewachsen ist. — Ital. Ogni uccello canta il stw verso, jeder
Vogel singt seine Weise. — Franz. Chaque oiseau chante sa propre
chansan, jeder Vogel singt sein eigenes Lied.
Deutsch. Nach und nach macht der Vogel sein
Nest. — Franz. Petit ä petit V oiseau fait son nid.
Deutsch. Alte Vögel sind schwer rupfen. —
Ital. Qtianto piü Tuccello i vecchio, piü mal volentieri lascia la
piuma, je älter der Vogel ist, desto unlieber läßt er das Ge-
fieder. — Franz. Plus Voiseau est vieux et moins il veut se difaire
de sa plume (wie itaL).
Deutsch. Kleine Vöglein, kleine Nestlein. — Engl.
A litüe bird wants but a little nest, ein kleiner Vogel braucht
nur ein kleines Nest. — Span. A chico pajarillo, chico nidiUo
(wie deutsch). — Franz. Tel oiseau j iel nid, wie der Vogel, so
das Nest. —
Der deutschen Redensart „zwei Fliegen mit einer Klappe
schlagen^ entspricht im Engl, to kiU two birds tvith one stone,
*) päjaro (v. lat. passer) scheint hier in der ursprünglichen Bedentang
;,Sperling'' gebraucht zn sein.
Der Adler. 105
im Span, matar dos paiaros de una pedrada^ zwei Vögel mit
einem Steinworf töten. Im Portug. tritt zuwdlen das Kaninchen
an Stelle des Vogels: cFuma ccQodada matar dous codkos, mit
mnem Schlage zwei Kaninchen töten.
Der Adler.
Deutsch Adler, zusammengezogen aus adelrar , bedeutet
ursprunglich ^edler Aar^, wurde also gegenüber dem einfachen
Aar, ahd. aro^ mhd. ar^ als edleres Wort empfunden, während
im Nhd. der umgekehrte Fall eingetreten ist, indem nämlich
„Adler'' als das gewöhnliche Wort, „Aar'' jedoch nur in poeti-
scher Diktion gebraucht wird. Ein merkwürdiges Beispiel vom
Steigen und Sinken des Gefühlswertes der Wörter! (Vgfl.
Waag, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes, pag. 35.)
Außer in „Adler" ist das Wort noch erhalten in Büß aar,
einer volksetymologischen Umbildung von „Bussard", und in
Sperber, ahd. spärwari, d. i. „Sperlingsaar, Adler, der von
Sperlingen lebt".
Was die romanischen Sprachen betrifft, so gehen ital.
aquila, span. äguila, frz. aigk auf lat. aquila zurück. Aigle
allerdings ist Lehnwort, das die lautgesetzliche Form aiUe
verdrängte. Auf aigle, bzw. afrz. egle, geht neuengl. eagk zu-
rück, während das altengl. mit „Aar" verwandte earn in neu-
engl. erne eine Bedeutungsspezialisierung erfahren hat, indem
es nämlich fftr „Seeadler" gebraucht wird. Vom itaL ventävdlo
^us ventus aquüus wird weiter unten die Rede sein.
Der Adler spielt unter den Vögeln dieselbe Rolle wie der
Löwe unter den Säugetieren. Der unverkennbare Adel seiner
äußeren Erscheinung sowie seine außerordentliche Stärke und
Kühnheit rechtfertigen die Bezeichnung „König der Vögel".
In der christlichen Symbolik ist der Adler das Sinnbild des
Evangelisten Johannes und aller „hochfliegenden" Geister. (Vgl.
Kollof, Die sagenhafte und symbolische Tiergeschichte des
Mittelalters, in Raumer, Histor. Taschenbuch, 1867, pag. 237.)
Dem entspricht auch die Auffassung seines Wesens in der
Sprache. Was zunächst die physischen Qualitäten des Adlers
betrifft, so spricht man im Deutschen mit Bezug auf s^n
106 Der Adler.
großes, feuriges Auge von einem Adlerauge, von einem
Adlerblick. Man verbindet hiermit die Neben Vorstellung
eines vorzüglich entwickelten Gesichtssinnes, wie ja der Adler
sich tatsächlich durch sein scharfes Gesicht auszeichnet. Dem
deutschen „Adlerauge^ entspricht engl, eagle^eye und mit eagk-
sighted bezeichnet der Engländer einen mit scharfem Gesichts-
sinn begabten Menschen.*) Ebenso sagt der Franzose von einem,
der ein scharfes und zugleich schönes Auge hat : II a des yeux
d^aigle, er hat Adleraugen. Wie beim Luchs, so schließt man
auch beim Adler von der Schärfe des Auges auf die Schärfe
des Verstandes, weswegen man im Engl mit eagletvit „Adler-
witz" („Witz" im älteren Sinne von „Verstand" gebraucht)
einen durchdringenden Verstand bezeichnet. Hierzu stimmt
es auch, wenn der Italiener von einem genialen oder talent-
vollen Menschen sagt: J^ un' aquila, er ist ein Adler, oder
häufiger negativ von einem minder begabten Individuum : Non
i uri aquila, er ist kein Adler, was manchmal euphemistisch
geradezu für „Dummkopf" gebraucht wird. Dieselbe Metapher
findet sich im Span, und Franz.: ser un äguila, etre un aigk.
Hiermit hängt es auch zusammen, wenn der Franzose geistig
hervorragende Männer gern mit „aigle^^ bezeichnet. So wird
z. B. der berühmte Kanzelredner Bossuet nach seinem Geburts-
orte Meaux „Vaigle de Meaux^^ genannt. Mit aiglon „junger
Adler" bezeichneten die Franzosen den Sohn Napoleons I.
Hierher zu ziehen ist auch die im span. Botwelsch gebräuch-
liche Bezeichnung dguüa für einen schlauen Dieb, wodurch die
Etymologie von frz. aigrefin „schlauer Mensch" = aigle fin
(feiner Adler) gestützt wird.
Nächst den feurigen Augen fällt am Adler der schwung-
voll gekrümmte Schnabel besonders auf, weshalb man im
Deutschen eine ähnlich geformte Nase „Adlernase" nennt.
Dieselbe Metapher findet sich in den romanischen Sprachen:
ital. naso aquüino, span. nari^ aguilena, frz. nez aquilin. Im
Span, spricht man übrigens auch von einem „Adlerantlitz"^
*) Hierher gehört ans dem span. Theaterargot aguila de butaca „Sperr-
sitzadler'', womit man einen Theaterbesucher bezeichnet, der von der GaUerie
herab mit scharfem Auge einen unbesetzten Sperrsitz erspäht und sich
dessen bemächtigt, natürlich ohne dafür zu zahlen.
Der Adler. 107
aguileno de rostro (wörtlich : adlergleich von Gesicht), womit ein
längliches, schmales Gesicht mit gebogener Nase gemeint ist.
Was am Adler besonders Bewunderung erregt, ist die
Schnelligkeit und Stetigkeit seines Fluges. (Vgl. franz. vokr
comme un aigle, fliegen wie ein Adler.) Daher ist dieser Vogel
in der germanischen Götterlehre Personifikation des Sturm-
windes und in der griechischen Mythologie Träger von Jupiters
Blitzen. Auf die Schnelligkeit des Adlei^uges spielt auch an
engl, eagle-speed und im span. Amerika bezeichnet man mit
caballo aguilüla „Adlerpferd" eine Pferderasse, die sich durch
besondere Schnelligkeit auszeichnet. Zur Auffassung des
Adlers in der germanischen Mythologie stimmt lat. aquilo als
Bezeichnung des Nordwindes, worauf höchstwahrscheinlich
ital. ventävolo (ventus aquilus) beruht. Dieses Wort; ein Syn-
onym des häufiger gebrauchten tramontana, würde demnach
„Adlerwind" bedeuten. Es soll damit wohl nicht bloß die
Schnelligkeit, sondern auch die Stärke dieses Windes ange-
deutet werden, wie z. B. auch in lat. aquilae smectus
„Adlersalter", d. h. rüstiges Alter, der Adler als Symbol der
Kraft erscheint. Hierher gehört ebenfalls die Bezeichnung
„Adler" für ein sechsunddreißigpfündiges Geschütz (17. Jahr-
hundert).
Auf den hohen Flug des Adlers bezieht sich engl, eagk-
cock „Adlerhahn", eine allerdings seltene Bezeichnung für
tveather-coclc „Wetterhahn", der sehr häufig auf Turmspitzen,
also in verhältnismäßig hohen Eegionen angebracht ist. Hier-
her zu ziehen ist ferner ital. aquilone „großer Adler" für den
Papierdrachen. (Vgl. in derselben Bedeutung span. päjara
„Vogel", franz. cerf-volant „Hirschkäfer", engl. Ute „Gabel-
weihe".)
Der Adler ist der stärkste Raubvogel und lebt mit den
anderen Vögeln in beständigem Kampfe. Es ist daher nur
natürlich, daß er im Altertum bei Römern sowohl als Ger-
manen als kriegerischer Vogel zar^ llopjv galt und gerade-
zu Symbol des Kampfes war. Als unzertrennlicher Begleiter
Odins zieht er mit diesem in die Schlacht und lechzt nach
dem Blute der Erschlagenen, daher heißt er auch der „Wal-
kjrenvogel". Eine ähnliche Rolle spielte der Adler bei den
Römern, verwendete man ihn doch als Standarte und fiihrte
108 ^er Falke.
er so gewissermaßen unter dem Schatze seiner Fittiche die
römischen Legionen dem Siege entg^en. Anf diesem r6»i-
sehen Brauch beruht die in manchen Ländern Übliche Ver-
wendung des Adlers als Wappen oder Orden. Nebenbei sei
hier bemerkt, daß im Franz. aigle merkwürdigerweise in seiiier
eigentlichen Bedeutung das Geschlecht geändert hat (tin aigU)^
während das Wort in der übertragenen Bedeutung „Standarte^
das ursprüngliche Geschlecht bewahrt hat {une aigle). Auch
eine von Karl V. geprägte Goldmünze trug das Bild des Adlers,
weshalb diese Münze kurzweg aguüa genannt wurde. (Vgl.
Sappe, Krone, Kreuzer.) Dem kriegerischen Adler wird die
sanfte Taube gegenübergestellt im deutschen Sprichwort:
Adler brüten keine Tauben, das sich auch in den
meisten romanischen Sprachen findet. So lautet es im Ital.:
Uctquüa noH nasce cohmba, im Portug. : Aa aguias näo produgem
potnbas, im Franz. : V aigle tCengendre point la colombe.
Kein Analogen in einer anderen Sprache hat die frz.
Kedensart crier comme un aigle^ schreien wie ein Adler, d. h.
ein lautes, durchdringendes Geschrei ausstoßen. Diese Redens-
art bezieht sich auf den Schreiadler, der durch einen schriOien,
weithin schallenden Ruf bekannt ist. (Vgl. Rolland, Faune
pop., II, pag. 5.)
Der Falke.
Die Etymologie des Wortes Falke — engl, /iafcow, ital.
faJco, fakonej span. haleön, frz. faucon — ist noch nicht ge-
sichert. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Hypothesen, die
man zur Erklärung des schwierigen Wortes aufgestellt hat, zu
erörtern. Kluge läßt sich in seinem etymologischen Wörterbuch
(pag. 113) ausführlich darüber aus. (Vgl. auch Hehn-Schrader,
Kulturpflanzen und Haustiere, pag. 374 ff.) Soviel scheint
festgestellt, daß das Wort germanischer Herkunft ist und
frühzeitig in die romanischen Sprachen eindrang. Im Engl,
wird neben fakon, dessen lautliche Gestalt auf Rttckent-
lehnung aus dem Altfranz, deutet, hawJc gebraucht, das auf
Altengl. heafoc zurückgeht und eigentlich „Habicht'^ be-
deutet, mit welchem Worte es auch verwandt ist. Da der
Der Falke. 109
Habicht zar Grattung der Falken gehört, liegt hier ein ganz
gewöhnlicher Fall von Bedentungserweiternng vor. Eine
spezielle Bezeichnung far das Falkenmännchen ist ital. terzuoh^
spwL taraudo, frz. tierceJet aas lat. tertiolus von tertius^ weil der
Sage nach das dritte Junge im Neste des Falken immer ein
Mftnnchen ist. Von lat. acuter = griech. Uqo^ leitet man ab
ital. sagro, span.-frz. sacre „der Würgefalke". Nach anderen
stammt das Wort aas dem Arabischen. Unsicherer Herkunft
ist frz. hobereau „der Baumfalke'^
In Anbetracht der wichtigen Bolle, die der Falke im
Mittelalter als Jagdvogel spielte, ist es nicht zu verwundern,
dafi er der Sprache eine verhältnismäßig grofie Anzahl von
Metaphern geliefert hat. Mögen zunächst die von physischen
Eigenschaften des Tieres hergenommenen Metaphern einer
Betrachtung unterzogen werden.
Mit den übrigen Baubvögeln teilt der Falke den scharfen
Gesichtssinn, weshalb man im Deutschen ein scharfes Auge
gern „Falkenauge'' nennt, wobei jedoch nicht wie beim
„Adlerauge'' die Nebenvorstellung der Schönheit mitwirkt.
Analogien hierzu finden sich in engl, hawk-eyed und fälcon-eyed
„falkenäugig" sowie in ital. occhi di fälco „Falkenaugen". Auf
den krummen Schnabel beziehen sich engl, hatek-nosed^ was
unserer „Geiemase" entspricht, und engl, falcon-bül „Falken-
schnabel", eine nur bei Shakespeare sich findende Bezeichnung
eines Streithammers, wobei hauptsächlich an die Schärfe des
Schnabels, mit dem der Falke auf seine Beute gleichsam los-
hämmert, gedacht wird.
Schon seit frühester Zeit hatte sich der Mensch die Baub-
tiematur des Falken, dessen Flug ungemein schnell, anhaltend
und in hohem Grade gewandt ist, zu nutze gemacht. Die
Jagd mit gezähmten Falken wurde in Europa namentlich im
Mittelalter leidenschaftlich betrieben, war aber im Altertum
schon bei den Indiem im Schwünge. (Vgl. das Kapitel über die
Falkenjagd bei Hehn-Schrader pag. 367 ff.) Die große Beliebt-
heit^ der sich die Falkenjagd erfreute, spiegelt sich noch heute
in der Sprache wieder. So existieren im Ital. (fakonare) und im
Engl, (to hawk) besondere Yerba, die das Jagen mit dem Falken
bezeichnen. Das engl, to hawk kann übrigens mit Erweiterung
des Bedeutungsumfanges auf jede Art von Jagd angewendet
110 Der Falke.
werden, auch bedeutet es unter Umständen „wie ein Falke
fliegen". Auf die Falkenjagd bezieht sich femer der engl.
Ausruf ivare the hawk! Hüte dich vor dem Falken! Sei auf
deiner Hut! wobei man die von einer Gefahr bedrohte Person
mit dem vom Falken bedrängten Vogel vergleicht. Auch wird
im Span, hakonear auf Weiber angewendet, die auf Männer
Jagd machen, wobei der in die Netze einer Kokette geratende
Mann mit der Beute des Falken verglichen wird. Analog
bezeichnet im ItaL falco eine in erotischer Beziehung er-
oberungslustige Person. Gleichfalls auf die Falkenjagd nimmt
Bezug das span. Sprichwort: 8i tantos halcanes la garza com-
baten, d fe que la maten, wenn so viele Falken den Reiher
bekämpfen, so muß er wohl unterliegen, d. h. wenn sich die
Menge gegen einen verschwört, ist jeder Widerstand vergeb-
lich. Im Deutschen drückt das Sprichwort „Viele Hunde sind
des Hasen Tod" denselben Gedanken aus. (Die von der
Falknerei hergenommenen Metaphern findet man ziemlich voll-
ständig zusammengestellt bei Bolland, Faune pop., VI, pag. 195 fT.)
Auf die Raubtiematur des Falken nimmt auch Bezug das
deutsche Sprichwort: Wer sich zur Taube macht, den
fressen die Falken, eine Variante des Sprichwortes : Wer
sich zum Schafe macht, den fressen die Wölfe. Analog heißt
es ital.: Chi colomba si fa, il falcone se la mangia.
Hierher gehört schließlich auch die engl. Redensart 1 know
a hawk front a handsaw, ich kann einen Falken von einer
Handsäge unterscheiden, d. h. ich lasse mir kein X für ein
ü vormachen, worin handsaw volksetymologische ümdeutung
von hernshaw (häufiger heronsew) = heran „Reiher" ist, so
daß der Sinn der Redensart ursprünglich war: Ich kann
einen Falken von einem Reiher, d. h. den jagenden Vogel vom
gejagten unterscheiden. (Vgl. Brewer, Dict. of Phrase and
Fable, pag. 392.)
Die Abrichtung von Falken bildete in früherer Zeit ein
eigenes, allem Anscheine nach sehr ehrenvolles und einträg-
liches Gewerbe. Auf die Häufigkeit der Falkner deutet
das Vorkommen des Wortes als Eigenname. Dem deutschen
„Falkner" entspricht engl, falconer oder hawker, ital. falcaniere,
span. halconero, frz. fauconnier. In welch hohem Ansehen die
Falkonierkunst ehedem stand, beweist der Umstand, daß in
Der Falke. Hl
England, Frankreich und Spanien das Amt des Hoffalkners
sich zu einem erblichen Eofamte herausgestaltet hatte. So
gab es in England einen Oreat Falconer of England^ in Frank-
reich einen Grand Fauconnier de France und in Spanien einen
Hakonero mayor. Auf der großen Beliebtheit der Falkenjagd
beruht auch der Bedeutungswandel von frz. fauconni^re, das
ursprünglich nur „Falknertasche^, dann aber infolge Erwdte-
rung des Bedeutungsumfanges „Reittasche" überhaupt be-
deutet.
In der deutschen Dichtung ist der Falke Symbol des
Mutes und des Edelsinnes ; es ließen sich hier aus verschiedenen
Dichtungen diesbezügliche Stellen anführen ; es sei jedoch nur
an das Nibelungenlied erinnert, wo erzählt wird, daß Kriem-
hilde träumte, ihr Lieblingsfalke sei von zwei Adlern zerrissen
worden. Ihre Mutter Ute legt ihr den Traum dahin aus, daß
mit dem Falken ein „edler Mann" gemeint sei. Zu der deut-
schen Auffassung stimmt span. halconear in der Bedeutung,
„stolz, mutig um sich blicken". Bei der großen Vorliebe für
diesen Vogel ist es begreiflich, daß er im Gegensatze zur
Eule als Sinnbild des Glückes .— wenigstens im Deutschen —
galt, wie ja auch in dem Sprichworte: Jedem dünkt seine
Eule ein Falke, d. h. jeder Ehemann hält seine Gattin
für die beste und schönste, die beiden Vögel einander gegen-
übergestellt werden. Auch war im älteren Deutsch die Redens-
art einen Falken fangen für „unverhofftes Glück haben"
gebräuchlich.
Auf die verhältnismäßig große Intelligenz des Falken
bezieht sich der Gebrauch von ital. falco für einen schlauen
Menschen und von span. sacre für einen geschickten Dieb, in
welch letzterem Falle allerdings auch an die Raubtiematur
des Falken gedacht wird. (Vgl. franz. epervier „Sperber" für
„Wucherer".) Was in sacre Nebenvorstellung ist, wird zur
Hauptvorstellung, wenn im engl. Slang hawk die Bedeutung
von „Falschspieler" annimmt.
Charakteristisch ist der in frz. hobereau zutage tretende
Bedeutungswandel von „Baumfalke", d. i. Falke von geringem
Werte zu „armer Edelmann", indem nämlich der Falke hier
zur Bezeichnung des Wertes dient, was sich nur wieder aus
der Vorliebe des Mittelalters für die Falkenjad erklärt. (Vgl
112 Eule, Uhu, Kauz.
Morgenroth „Zum fiedeutangswandel im Franz.^ in Zeitschrift
£ franz. Sprache n. Literatur, Bd. XV, Heft 1, pag. 22.)
Da der Falke bei der Jagd gewissermaßen die BoUe einer
Waffe spielte und sein pfeilschnelles Dahinschiefien tatsächlich
den Vergleich mit einem Geschosse nahelegte, so ist es vdl-
kommen begreiflich, daß der Name dieses Vogels zur Bezeieb-
nimg verschiedener Waffen verwendet wurde. So wurde eine
Art kleines Geschütz deutsch Falkaune, engl, falcony ital.
fakanetto (wovon deutsch Falkonett), frz. fauconneau ge»
nannt. Außerdem wurde im Ital. fälcone auch auf eine alte
Belagerungsmaschine, eine Art Mauerbrecher, angewendet.
Desgleichen diente ital. sagro, span.-frz. sacre, engl, saker sowie
deutsch Sakerfalk zur Bezeichnung einer kleinen Kanone^
die bei uns auch unter dem Namen „Feldschlange^ be-
kannt war.
Hierher zu ziehen ist ferner ital. moschetto, ursprünglich
Benennung eines kleinen, zur Beize dienenden Sperbers, dann
übertragen auf ein Wurfgeschütz, mit dem kleine Pfeile ge-
schleudert wurden. Nach Erfindung des Schießpulvers wurde
mit dem Worte eine kurze SchifGskanone und schließlich eine
kurze Flinte, der Karabiner, bezeichnet. In letzterer Bedeu-
tung ist das Wort auch ins Span, (mosqtiete) und ins Franz.
(mousquet) eingedrungen. Die semasiologische Entwicklung
dieses Wortes von „Pfeile schleuderndes Geschütz" zu „Schiffs-
kanone, Karabiner^ ist ein treffliches Beispiel jener Art von
Bedeutungswandel, als deren Ursache Waag „die Anpassung
an die Kulturverhältnisse" bezeichnet. (Vgl. Waag, Bedeu-
tungsentwicklung unseres Wortschatzes, pag. 177 ff.) Schließ-
lich sei noch ital. terzermlo genannt, das sich als Diminutiv
von terzmlo „männlicher Falke" erweist und für eine kurze
Pistole gebraucht wird. Im Deutschen ist Terzerol als
Fremdwort gebräuchlich.
Eule, Uhu, Kauz.^)
Die Benennungen dieser Vögel in den verschiedenen Sprachen
sind semasiologisch sehr interessant und stehen in engem Zu-
*) Bezüglich der deutschen Enlennamen und deren metaphorische
Eule, Uhn, Kauz. 113
sammenhange mit ihrer metaphorischen Verwendung, woranf
von Fall zu Fall hingewiesen werden soll. Die Etymologien
der verschiedenen Bezeichnungen lassen sich nach gewissen
semasiologischen Gesichtspunkten gruppieren, u. zw. ergeben
sich vier verschiedene Benennungsarten:
a) Benennung nach der stimmlichen Betätigung,
h) „ „ physischen Merkmalen,
c) „ „ anderen Vögeln,
d) ^ „ abergläubischen Vorstellungen.
Was die erste Gruppe, die man kurz als die onomato-
poetische bezeichnen kann, betrifft, so sind hier zu nennen
deutsch Eule, welches Wort mhd. iutoel, ahd. üwila lautet.
Mit letzterem verwandt ist altengl. üle, das ein neuengl. awl
ergab. Von deutsch Mlen, hetdm abzuleiten ist frz. hulotte
„Eule".'*') Ein Analogen hierzu bietet engl, hotolet, das ein
von howl „heulen" beeinflußtes Diminutiv von otcl ist (Vgl.
lat. tUfda „Eule" und ultäare „heulen".) Gleichfalls schall-
nachahmend ist frz. huette, von der Interjektion hu gebildet
(huer = schreien). Chat-huant „Nachteule" (wörtlich : heulende
Katze) ist volksetymologische Umbildung von chauany von
dem weiter unten die Bede sein wird. Ital. gufo „Ohreule"
scheint zusammenzuhängen mit ahd. güfan „schreien". (Vgl.
deutsch - dialektisch G auf für Uhu.) Span, zumacaya „Eäuz-
chen" ist zusammengesetzt aus schallnachahmendem zumöar
„summen" und caya aus ahd. kaha „Krähe".
Auf den ersten Blick als onomatopoetisch erweist sich
deutsch Uhu,'*^) mit den dialektischen Nebenformen Sehn hu,
Buhu. Letztere Form findet sich auch in span. buho (lat.
bubo). Bajuvarisch Auf hat sich lautgemäß aus ahd. üvo,
mhd. üve entwickelt. Möglicherweise schallnachahmend ist
femer Kauz aus mhd. kutze, kutz (ahd. nicht belegt), das jeden-
falls auf einer Wurzel ku beruht. Ganz sicher onomato-
poetisch ist ital. chiü „Käuzchen" und chiurlo, eine Weiter-
Verwendung vgl. Branky, Eulennamen. Ein kleiner Beitrag zur deutschen
Kultur- und Sittengeschichte. Separatabdruck aus Mitteilungen des omitho-
logischen Vereins in ViTien „Die Schwalbe**, XYI. Jahrg.
*) Nach Winteler direkt schallnachahmend.
**) Vgl. die ZnsammensteUung der onomatopoetischen Bildungen bei
Winteler, Naturlaute und Sprache, pag. 10.
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. B
114 Eule, ühu, Kauz.
bildung davon. Indirekt bezieht sich auf den klagenden Buf
des Eäuzchens ital. friggibuco, womit ursprünglich wohl das
Geräusch des aus einer Öflfhung hervorsprudelnden Wassers
bezeichnet wurde {friggere „wallen, brodeln" und buco „Loch").
Dann nimmt das Wort infolge Begriflfserweiterung die Be-
deutung „leises Weinen, Klagen" an und wird schließlich
metonymisch (Wirkung für Ursache) zur Bezeichnung des
Käuzchens.*)
Auf physische Merkmale beziehen sieh ital. barbagiamii
„Schleiereule" und span. mochtielo „Ohreule". Barbagiamii
(bei Körting fehlend) ist ein zusammengesetztes Wort wie
barbacane, barbabietola u. dgl. Der erste Bestandteil, barba
„Bart", bezeichnet die im Deutschen „Schleier" genannten
Flaumfedern im Gesichte des Vogels. Gianni ist Koseform
von Giovanni^ entspricht also unserem „Hans". Es bedeutet
demnach das Wort „Hans mit dem Bart". (Vgl. jedoch Sainean,
Crfeation m6taph., pag. 104, 9 b.) Belege für Benennungen von
Tieren und namentlich Vögeln mit Taufnamen finden sich in
allen Sprachen. (Vgl. deutsch Staarmatz, Lehmhans, frz.
pierrot j martin pecheur etc.) Span, mochuelo „Ohreule" geht
offenbar auf lat. mutüus „verstümmelt" zurück. Die Ohr-
büschel dieses Vogels sehen nämlich aus, als ob sie abge-
schnitten wären. Darf man span. autillo „Ohreule" von dem
gleichbedeutenden griech. S)Tog ableiten, so würde sich diese Be-
zeichnung gleichfalls auf die Ohrbüschel beziehen, denn Sjtoc^
kommt von oig „Ohr". Verschiedene Deutungen hat der Name
des Uhus im Franz., dtic, erfahren. (Vgl. ital.-dial. dugOj gran
duca, deutsch-landschaftl. Großherzog.) Nach Adelung heißt
der Vogel so, weil ihm, wenn er sich bei Tage sehen läßt, ein
verfolgendes Heer von Vögeln nachzieht. Branky (Eulennamen,
pag. 22) führt den Namen auf eine Stelle bei Aristoteles zu-
rück, wo von dem Vogel berichtet wird, daß er die Wachteln
auf ihrer Eeise im Herbste begleitet. Auch das würdevolle
Aussehen des Vogels und seine Vorliebe für Burgruinen und
verfallene Schlösser mögen hierbei mitgespielt haben. (Vgl.
Sainean, Cr6ation metaph., pag. 100, 6 u. Anmerkung.)
'^) Auf die klagende Stimme zurückzuführen sind auch die deutschen
Dialektnamen: Klag, Klagefrau, Klagemutter, Wehklage. (VgL
Branky, Eulennamen, pag. 17.)
Eule, Uhu, Kauz. 115
Eine andere Reihe von Benennungen bernlit, wie schon
oben angedeutet wurde, auf volkstümlicher Verwechslung mit
anderen Vögeln, hervorgerufen durch größere oder geringere
Ähnlichkeit des zu benennenden Vogels mit einem anderen.
So geht frz. hibou „Eule'^ nach Baist auf bretonisch hibök zurück,
das seinerseits wieder auf altengl. heafoc „Habicht'' beruhen
soll. Eule und Habicht haben das gemeinsam, daß sie
beide zur Gattung der Raubvögel gehören.*) Auffallend ist
die Verwechslung von Krähe und Kauz, zwei äußerlich ganz
verschiedenen Vögeln, die höchstens in ihrer stimmlichen Be-
tätigung und in ihrem Raubtiercharakter Berührungspunkte
aufweisen. Ahd. suppon. kdwa „Krähe" gilt als Etymon von
ital. ciovetta, civeäa, neufrz. chouan^ cJumette, chevSche „Käuz-
chen".**) (Vgl. deutsch-dialektisch Nachtrapp = Nachtrabe
als Bezeichnung des Waldkauzes.) Das bereits oben erwähnte
chat-huant^ was wörtlich „heulende Katze" bedeutet, ist wahr-
scheinlich volksetymologische Umbildung von (Aouan. Die Be-
zeichnung „Katze" ist insofern berechtigt, als der Eulenkopf
tatsächlich ein katzenartiges Aussehen hat, wie auch in
einigen deutschen Gegenden die Waldeule Katzenkopf,
Katzeneule genannt wird. (Vgl. testa de gatto im ligurischen
Dialekt.) In span. chova „Dohle" und choya (altfrz. choe) „Stein-
krähe" hat sich die Grundbedeutung des Etymons erhalten.
In Tirol heißt die Waldohreule Habergeis, wohl mit Bezug
auf die meckernde Stimme des Vogels. In einigen Orten Nieder-
österreichs bezeichnet man sie als Nachtfledermaus.
Folkloristisch interessant sind die Benennungen, die auf
dem alten Volksglauben beruhen, die Eule sei ein unheilverkün-
dender Vogel. So bedeutet im Ahd. hölzmuoja zugleich „Wald-
eule" und „Hexe".***) (Analoge Beispiele siehe bei Sainfean,
*) Wahrscheinlicher ist onomatopoetischer Ursprung. (Vgl. ViTinteler,
Natnrlaute und Sprache, pag. 10 u. 36.)
**) Winteler (Naturlaute und Sprache, pag. 10) hält chouette und
cJieveche für direkt schallnachahmend und steUt dieses zu den deutschen
Dialektnamen Tschafytlein, Tschavitle, Wichtl, jenes zu mhd.
kutze „Kauz".
***) Am Lechrain nennt man die Eule Holzweihl und hält sie für
eine Hexe in Vogelgestalt. In Niederösterreich hei£t das Eäuzchen Wichtl,
was das Diminutiy von ahd. wiht „Dämon, böser Geist" ist. (Vgl. Höfer,
8*
116 Eule, Uhu, Kauz.
Cr6at. mötaph., pag. 115, 25.) Frz. effraie „Schleiereule" ist
von effrayer „erschrecken** gebildet und bedeutet also wörtlich
„Schreckvogel". Ein Analogen hierzu bietet span. espan-
tada „Turmeule" von espantar „erschrecken". Frz. fresaie
„Käuzchen" hat im lat. praesaga (ml avis) sein Etymon. Es
ist demnach der „weissagende Vogel". (Das f ßir p erklärt
sich durch Anlehnung an das ungefähr gleichbedeutende
effraie.)*) Span, chucha „Nachteule" ist auf lat. suctiare „saugen"
zurückzuführen, weil dieser Vogel nach einem alten Aber-
glauben an schlafenden Kindern saugt. (Vgl. im schlesischen
Dialekt die Bezeichnung Kindermelker für die Waldohreule.)
Dieser Volksglaube mag dem Umstände, daß die Eule höchst
selten Wasser trinkt und ihren Durst mit dem Blute ihrer
Opfer stillt, seine Entstehung verdanken. Hierher gehört auch
das bei Körting fehlende lechuza „Sumpfeule", das wohl auf
einem lat. laducea (lactem = lecke „Milch") beruht und in einem
ähnlichen Aberglauben wie chucha seine Erklärung findet.
Nur wurde es sich hier nicht um ein Blut-, sondern um ein
Milchsaugen handeln. Man vergleiche hiermit im Deutschen
Die Yolksnamen der Vögel in Niederösterreich, pag. 6.) Winteler (Natur-
lante und Sprache, pag. 10) führt das Wort anf den Ruf des Vogels „kuwiW
zurück. Wahrscheinlich ist „Wichtl** eine volksetymologische Umdentnng
dieses Bnfes. (Vgl. engl, oaf „Elfe" als dial. Enlenname.) Anf diesem
Xfutoi^ beruhen anch die Dialektnamen Eomittchen und Gehmitvogel,
mit Anspielung auf „mitgehen", nämlich ins Jenseits. (Vgl. Branky, Eulen-
namen, pag. 17.) Bei den alten Bömem spielte die Eule {strix^ wovon das
ital. Buchwort atrige) in den Ammenmärchen die Bolle einer Unholdin, die
den Kindern in der Wiege das Blut aussog, daher siriga = Hexe, wovon
ital. strega^ das infolge eines merkwürdigen Spieles des Bedeutungswandels
im Sardischen {isiriaf striaf strea) wieder zur Bezeichnung der Eule wurde.
*) Daß die Eule als Todesbotin gilt, geht hervor aus den deutschen
Dialektnamen Leich, Leichenhuhn, Leichenhähnchen, Toten-
vogel. Andere volkstümliche Namen deuten darauf hin, daß man die
Eulen für dämonische Vögel hält, deren Gestalt der Teufel annimmt oder
die mit ihm wenigstens im Bunde stehen. (Vgl. Branky, Eulennamen,
pag. 21.) Brehm meint, daß es der Uhu ist, der die Sage vom wilden
Jäger ins Leben gerufen, wie ja tatsächlich dieser Vogel in gewissen
Gegenden Deutschlands wilder Jäger genannt wird. Die Bezeichnung
Waldteufel dürfte aUerdings auf volksetymologischer Umdeutung von
ursprünglichem „Waldäufl" (Auf = Uhu) beruhen. (Vgl. jedoch diavoh di
movdxtgna in ital. Dialekten.)
Eule, Uhn, Kanz. 117
die . volkstümlichen Bezeichnungen ^Ziegensauger'' , ,.Euh-
sauger", „Milchsauger" für die Nachtschwalbe.*)
Schließlich sind noch zu erwähnen als lat. Bi*bgut drei
Bezeichnungen von Nachteulen im Ital., nämlich nottoia**) aus
fwctua von nox „Nacht", assiolo aus oxioltMj dem Dim. von axio
(bei Körting fehlend), und alocco aas aluccus. Von der Weiter-
entwicklung letzteren Wortes in den romanischen Sprachen
wird weiter unten die Bede sein. (Vgl. BoUand, Faune pop.,
II, pag. 38 ff. und Sainöan, Gr^ation m6tapL, pag. 96, 1 — 12.)
Was zunächst die Metaphern betrifft, die sich auf das
Äußere der Eule beziehen, so ist vor allem zu bemerken, daß
sie als häßlicher Vogel gilt, weswegen es durchaus keine
Schmeichelei ist, wenn man im Deutschen von einem weiblichen
Wesen sagt, es sehe aus wie eine Eule.***) Mit Bezug auf
die stark gebogene Nase des Vogels nennt der Italiener eine
krumme Nase naso dt civetta. Einen tadelnden Sinn hat auch
engl awheyed „eulenäugig" d. h. glotzäugig, und owl-faced „mit
dem Gesichte einer Eule". Ein Analogen hierzu bietet span.
leckuzoy lechuza „Mann, bzw. Frau mit einem Eulengesicht", sowie
ital. mtMo a civetta „Eulengesicht".****) Wenn der Engländer von
jemd. sagt: He hoks liJce an awl in an ivy-bushj er sieht aus wie
eine Eule in einem Efeubusche, so meint er damit ein un-
vorteilhaftes, klägliches Aussehen. Als Symbol der Häßlichkeit
erscheint die Eule femer im deutschen Sprichwort: Es ist
keine Eule, die nicht schwüre, sie hätte die
schönsten Jungen, wozu sich im Engl ein Analogen findet:
The awl thinks all her young ones beauties. Im Ital. übernimmt
der Bär die Bolle der Eule: AIP arso pqjon belli gli orsacchi
stwiy dem Bären scheinen seine Jungen schön. (Vgl. deutsch:
*) Nach einem in Schlesien yerbreiteten Aberglauben trinkt die Nacht-
eale das Öl ans den Kirchenlampen, daher die Bezeichnung Öldieb, wozu
sich in südfranz. Mundarten Analoga finden.
**) Nach Giglioli, Avifauna itaUca, pag. 196 f. u. 228 sind nottola,
fiottoUme die schriftsprachl. Namen der Nachtschwalbe, während man mit
nottolo auf Elba die Ohreule bezeichnet (in Pisa jedoch ist nottolo = Nacht-
schwalbe).
***) Besonders wird das Wort auf alte Jungfern angewendet, mit
gleichzeitiger Anspielung auf das ehelose, einsame Leben.
****) Umgekehrt heifit im Neapel, die Schleiereule facciommo „Menschen-
gesicht''. (Vgl. Giglioli, Avifauna italica, pag. 220.)
118 Eule, Uhu, Kauz.
Äffin, was sind eure Jungen schön!) Auch im Franz. be-
zeichnet man mit vieille chouette ein altes, häßliches Weib.
Hierzu steht in direktem Gegensatz der Gebrauch yon chouette
im Argot. So entspricht das pariserische une femme chouette
ungefähr dem „feschen Weiberl" des Wieners. Es er-
scheint hier also chouette im lobenden Sinne gebraucht,
wie im Pariser Argot überhaupt chouette substantivisch auf
eine hübsche Cocotte angewendet wird. Diese sich wider-
sprechenden Auffassungen in ein und derselben Sprache (aller-
dings in verschiedenen Sprachsphären) erklären sich wohl
daraus, daß im ersten Falle nur an das Äußere des Vogels
gedacht wird, während im zweiten die Metapher sich zu-
nächst auf das Benehmen des Tieres bezieht und dann erst
auf das Äußere übertragen wird. Die Schilderung, die Brehm
von dem Wesen des Vogels liefert; trägt dazu bei, diese Be-
deutungsentwicklung vollkommen glaubwürdig zu machen. Er
sagt ungefähr folgendes: „Der Kauz verdient die Zuneigung
des Menschen. Er ist ein allerliebstes Geschöpf. Er ist nicht
so lichtscheu als andere Eulen und weiß sich bei Tage sehr
gut zu benehmen. Im Sitzen hält sich der Kauz gewöhnlich
geduckt; sobald er aber etwas Verdächtiges sieht, richtet er
sich hoch empor, macht Verbeugungen, faßt den Gegenstand
seiner Betrachtung scharf ins Auge und gebärdet sich höchst
sonderbar. Sein Blick hat etwas Listiges, aber nichts Bös-
artiges, sondern immer etwas Einnehmendes.'' Diese Be-
schreibung ist für uns auch sonst wertvoll, weil sie noch
andere auf den Vogel bezügliche Metaphern erklärt. Die ge-
duckte Stellung beim Sitzen macht den einstigen Gebrauch
von kauzen für „kauern^ begreiflich. Die „sonderbaren
Gebärden'^ erklären uns den sonderbaren Kauz als Be-
zeichnung für einen wunderlichen Menschen, eine Metapher,
die als solche nicht mehr gefühlt wird. (Die oft zitierte
Redensart „Es muß auch solche Käuze geben'' entstammt
Goethes Faust, 1. Teil. Mit diesen Worten sucht Faust
den Mephistopheles Gretchen gegenüber zu entschuldigen.)
Der lebhaften Mimik des Tieres, wie sie sich aus der
Brehmschen Schilderung ergibt, entspricht der Gebrauch
von ital. civetta für „Kokette''. Hierbei darf nicht über-
sehen werden, daß der Kauz als Lockvogel benutzt wird.
Eule, Uh\i, Kauz. 119
(Vgl. Schuchardt, „Liebesmetaphern" in „Romanisches und
KeltiscIies'S pag. 237.) Diese Metapher hat zahlreiche Sprossen
getrieben, wie civettare „kokettieren", civetteria, civettio, civettismo
„das Kokettieren", civettino „Geck", dfoeUuola „die kleine
Kokette".
Originell ist die scherzhafte Bezeichnung von Goldstücken
mit occhi di civetta „Käuzchenaugen" (vgl. span. c^'o de buey
„Ochsenauge" fUr „Duro"), wobei man jedenfalls zunächst
an die gelblich glänzenden Augen des Vogels zu denken
hat.*) Dabei ist die auf der Verlockung des Goldes be-
ruhende Nebenvorstellung des Kokettierens nicht ausge-
schlossen. Es ist kein Zufall, daß diese Metaphern gerade
im Italienischen entstanden sind, denn in Italien hat man
mehi* als sonstwo Gelegenheit, diesen Vogel zu beobachten.
Der Italiener benutzt den Kauz zum Vogelfang, indem er
sich das feindliche Verhältnis zwischen diesem und den
übrigen Vögeln zunutze macht. Der Vogelfanger stellt den
Kauz aus und umgibt ihn mit Leimruten, auf denen sich
die Vögel, die herbeigeflogen kommen, um ihr Mütchen an
dem bei Tage wehrlosen Feind zu kühlen, fangen. Auf diese
Art des Vogelfangs beziehen sich mehrere JRedensarten, wie
impaniare Ja civetta^ den Kauz mit der Leimspindel fangen,
d. h. einen Gauner begaunern. Mit Anspielung auf die jämmer-
liche Figur, die die gefangenen Vögel spielen, sagt der Italiener
von einem, der unbeholfen in seinen Bewegungen ist: Pare
preso a civetta, er sieht aus, als ob man ihn mit dem Kauz
gefangen hätte. Hierher gehört auch die Redensart schiacciare
il capo alla civetta, dem Kauze den Kopf zerdrücken, d. h. um
des gegenwärtigen Gewinnes willen sich einen anderen größeren
für die Zukunft verscherzen. Unter dem größeren Gewinne
sind die Vögel zu verstehen, die der Besitzer des Kauzes
mittels desselben fangen könnte. Auf das Auf- und Nieder-
heben des Kopfes bezieht sich die Redensart far civetta, es
machen wie der Kauz, d. h. den Kopf rasch senken, um einem
Schlage auszuweichen (nicht zu verwechseln mit far Ja civetta
^) Vgl. die in der Steiermark für die Waldohreale übliche Bezeichnung
Glnrvogel. (Glnren sind große, unheimlich leuchtende Augen (vgl.
Branky, Eulennamen, pag. 29). Hierzu stimmt die Ableitung Yon griech.
ylav^ „Eule" Yon yXaijaaeiv „leuchten".
120 Snle, Uhu, Kauz.
= civettare). Auf die merkwürdige Eigenheit der Eule, große
Stucke Fleisch hinunterzuschlucken, ohne sie früher zu zer-
hacken, ist zurückzuführen die italienische Bedensart mangiare
come Je civeUe, essen wie die Eulen, d. h. ohne zu kauen.
(Vgl. gufo als tadelnde Bezeichnung eines gierig Essenden.)
Allerdings kann obige Redensart auch bedeuten „essen ohne
zu trinken'^, da die Eulen monatelang das Wasser entbehren
können. Kulturhistorisch interessant ist die Bezeichnung
„Eule^^ für einen sechzigpfundigen Mörser (im Deutsch des
17. Jahrhunderts), denn sie beweist die Verwendung der
Eule als Beizvogels.
Von Metaphern, die auf physischen Eigentümlichkeiten
der Eule beruhen, sei noch angeführt aus dem Deutschen der
Gebrauch dieses Vogelnamens für eine Art Kinderhaube,
die deswegen Eule genannt wird, weil sie dem Gesichte
ein eulenartiges Aussehen verleiht. (Vgl. span. fnartnata,
frz. marmotte „Murmeltier" als Benennung einer weiblichen
Kopftracht.) Auch ital. gufo „Uhu" als Bezeichnung des Pelz-
mäntelchens der Ghorherm ist hierherzuziehen. (Vgl. Sain6an,
Cr6at. metaph., pag. 108, 15.) Fem er bezeichnet man im
Deutschen mit dem Worte Eule*) einen zum Reinigen der
Zimmerdecke dienenden Besen, dessen Haare wohl mit dem
Eulengefieder verglichen werden. (Vgl. frz. Ute de loup.) An
die hörnerähnlichen Ohrbfischel der Waldeule denkt der
Italiener, wenn er von einem alten Manne, der ein junges
Mädchen heiratet, sagt: Fa come i barbcigianni che mettono
corna in vecchiaia, er macht es wie die Waldeulen, denen die
Homer erst im Alter wachsen.
Auf die charakteristische Lebensweise der Nachteule, die
wie die Fledermaus sich des Tags verbirgt und des Nachts
auf Raub ausgeht, beziehen sich, besonders im Englischen,
eine Reihe von Metaphern. Im allgemeinen wird die Eule,
die bei den Ägyptem Symbol des Todes, der ewigen Nacht,
war und in der christlichen Kirchenlehre mit dem im Finstem
schleichenden Satan verglichen wird, als Bild der Lichtfeinde
*) Niederdeutsch ühle (Uhl), davon nhlen, d. h. mit der Uhle
reinigen (von Yoß im siebzigsten Geburtstage gebraucht). Nach Branky
(Enlennamen, pag. 6) ist darunter ein Federbesen mit einem Eulenkopf zu
verstehen.
Enle, üha, Kauz. 121
in Gegensatz gebracht zu dem Adler, der in der indischen
Mythologie geradezu als Personifikation der Sonne erscheint.
So bezeichnet der Engländer mit owl einen Nachtarbeiter oder
Nachtschwärmer (vgl. deutsch Nachteule) und wendet das
Wort zeitwörtlich auch auf das nächtliche Schmuggeln an — da-
her owler „ Schmuggler '^ Eine Weiterbildung von owl ist owJert/j
das in eigentlicher Bedeutung „Eulennest'' heißt, dann aber
übertragen „eulenhafte Gewohnheiten" bedeutet, wie z. B.
Spazierengehen zur Nachtzeit. Mit cwTrlight „Eulenlicht"
bezeichnet der Engländer das Zwielicht, in dem sich die
Eulen bewegen, womit sich im Deutschen die poetische
Metapher Eulen flucht vergleichen läßt^ das ist die Stunde,
in der die Eulen ausfliegen. Im amerikanischen Englisch ist
in familiärer Sprache für einen Nachtzug die Bezeichnung
owJrtrain „Eulenzug" üblich. Im Pariser Argot ist hibou ein
Dieb, der nur bei Nacht stiehlt Da die Eule sehr empfindlich
ist gegen das Tageslicht (vgl. die franz. Redensart roukr les
yeux comme une chouette qu'on Mige ä regarder le soleiT) und
oft ihre Augen zur Hälfte schließt, so glaubt das Volk, sie
sei ganz oder halb blind, daher im Englischen owly für einen
Halberblindeten gebraucht wird. (Vgl. die auf Fledermaus
und Maulwurf bezüglichen Metaphern.)
Mit Bezug auf die einsame Lebensweise des Uhus (Uhu
== Ohreule) sagt der Deutsche von einem zurückgezogen
lebenden Menschen: Er lebt wie ein Uhu, womit ent-
schieden ein tadelnder Sinn verbunden wird. Dasselbe Bild
ist den romanischen Sprachen geläufig. So sagt der
Italiener von einer menschenscheuen Person: E un gufo, der
Spanier: Es un buho, der Franzose: CPest un hibou oder: 11 fait le
hibou. Da die Eulen gern in alten, verfallenen Schlössern
hausen, so wird ein solches Schloß im Deutschen auch
Eulennest genannt, dem frz. reiraite de hibou entspricht.
(Vgl ital. gufarsi „sich verkriechen".)
Schon bei der Besprechung der Etymologien wurde
hervorgehoben, daß einige Bezeichnungen für „Eule" und
„Uhu" auf dem Aberglauben beruhen, diese Vögel seien Un-
glflckspropheten. (Vgl. frz. effraie^ fresaie.) Zur Entstehung
dieses Volksglaubens mag weniger die einsame Lebensweise
und das bizarr - häßliche Äußere des Vogels als vielmehr
122 Eule, Uhu, Kauz.
der unheimliche Ruf beigetragen haben, den die Eule des
Nachts von Zeit zu Zeit erschallen läßt. Diese stimmliche
Betätigung der Eule wird in Gegensatz gebracht zum schönen
Gesang der Nachtigall, und zwar in dem deutschen Sprich-
wort: Des einen Eule ist des anderen Nachtigall,
d. h. was dem einen schön dünkt, dankt dem anderen häßlich,
ttber den Geschmack läßt sich nicht streiten. Als Un-
glficksYogel gilt die Eule nicht bloß im Französischen (vgl.
effraicj fresaie), sondern auch im Deutschen, Englischen und
Spanischen. So sagt man z. B. in manchen Gegenden Deutsch-
lands, wenn eine Sache mißglückt ist: Da saß eine Eule,
und analog sagt der Seemann, wenn das Segelschiff den
Wind plötzlich von vom bekommt, es habe eine Eule
gefangen. Hierher gehört femer aus dem Englischen der
Slangausdruck to tahe owl at a thing, an einer Sache eine Eule
finden, d. h. etwas übel nehmen. Als Unglücksvogel erscheint
die Eule ferner in der engl. Redensart to live ioo mar a tcood
to he fvightened by an owl, zu nahe am Walde wohnen, um von
einer Eule in Furcht gesetzt zu werden. Von einem erschreckt
Dreinschauenden sagt der Engländer : He stares as if he saw an
owl^ er starrt, als sähe er eine Eule. Auch der Spanier ist
der Eule abhold, wie erhellt aus der Redensart tomar (cargarse)
el mochueloy die Eule, d. h. den schlechtesten Teil bekommen.
Analog sagt man im Span., wenn man sich einer lästigen
Arbeit, die niemand übernehmen will, unterziehen muß: Me
toca el mochuelo, mir wird die Eule zuteil.
Auch das Verhältnis der Eule zu den anderen Vögeln
spiegelt sich in der Sprache wieder. Die Eule, die bei Tag
hilflos ist, wird sehr häufig von den Vögeln, die sie bei Nacht
verfolgt; angegriffen und gleichsam geneckt und verhöhnt.
Ganz besonders haben es die Krähen auf sie abgesehen ; daher
sagt man im Deutschen von einem Menschen, der der Gegen-
stand allgemeinen Spottes ist : Er lebt wie die Eule unter
den Krähen und im Franz.: II est la chouette de la sodete.
m
Analog sagt der Engländer to make an otvl of a i}er8on^ aus
jemd. eine Eule machen, d. h. ihn verspotten, wobei der
Spottende stillschweigend mit einer Krähe verglichen wird.
Das Ital. hat von gufo sogar ein Verbum gebildet: gufare
„verspotten". (Vgl. weiter oben gufarsi.) Auch sagt man im
Eule, Uhu, Kauz. 123
franz. Spielerargot von einem, der allein gegen mehrere spielt:
II fait la chouette, was mit Erweiterung der ursprünglichen
Bedeutung heißen kann : Er hat es allein mit mehreren zu tun.
Was die geistigen Fähigkeiten der Eule betrifft, so be-
findet sich die Sprache in vollkommener Übereinstimmung mit
der Naturgeschichte, wenn sie diesen Vogel als geistig plumpes
Tier betrachtet und häufig als Symbol der Dummheit ver-
wendet. So wird im Engl, owlish, owlishness für „dumm", bzw.
„Dummheit", gebraucht; desgleichen wendet der Italiener gufo,
harbagianni oder ahcco auf einen dummen oder tölpelhaften
Menschen an und mit cdoccheria bezeichnet er treffend das
dreiste Umschwärmen einer Dame, indem ihm dabei die plumpen
Flugbewegungen der Eule vorschweben. Was äbrigens älocco
betrifft, so wird das Wort mit Aphärese des anlautenden
Vokals, also in der Form locco, in eigentlicher und Übertragener
Bedeutung gebraucht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß davon
span. loco „töricht, verrückt" abzuleiten ist, welche Etymologie
in der metaphorischen Verwendung des Wortes im Ital.
eine Bekräftigung erfährt. (Vgl. Sain^an, Cröation m^taph.,
pag. 113.) Aus dem Ital. gehört femer hierher der Gebrauch
von capo cPasmlo „Eulenkopf" im Sinne von „Dummkopf".
Ganz im Gegensatze zur modernen Auffassung galt die
Eule den Alten als kluger Vogel. War sie doch das Attribut
der Minerva, der Göttin der Weisheit ! *) Allerdings ist darunter
nicht unsere gewöhnliche Eule zu verstehen, sondern eine
kleinere Abart, in der Naturgeschichte Kauz der Minerva
{athene noctua) genannt, der vor den übrigen Eulen zwar nicht
größere Intelligenz, wohl aber größere Beweglichkeit voraus
hat Auch bewunderten die Alten an dem Vogel seine
Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, und so wurde, wie beim
Luchs und Adler, von der Schärfe des Gesichtssinns auf die
Schärfe des Verstandes geschlossen. Aus der Vorliebe der
Athener für diesen Vogel erklärt sich die Redensart
Eulen nach Athen tragen, engl, to bring otols to Athens,
d. h. etwas Überflüssiges tun. Als Lieblingsvogel der Athener
war die Eule in Athen sehr häufig, es war also daselbst
durchaus kein Bedürfnis nach diesen Tieren vorhanden. Die
*) Daher ist die Enie das Wappentier der Bachhändler.
124 ^^^ Kuckuck.
Redensart ist vom Griechischen (ylctiht^ elg l4^vag) zunächst
ins Lateinische (ululas Athenaa) und von da in die modernen
Sprachen eingedrungen, wo sie jedoch infolge ihres klassischen
Ursprungs rein gelehrten Charakter hat. In volkstfimlicher
Sprache finden sich zahlreiche Analoga. So sagt man im
Deutschen: Wasser in den Brunnen tragen, nieder-
deutsch auch: Water in de See dragen. Genau so in
den romanischen Sprachen: ital. portar cccqua dl mare^ span.
echar agua en el mar, frz. porter de Peau ä la mer. Im älteren
Deutsch ist auch belegt: Holz in den Wald tragen.
Dasselbe Bild findet sich im Lateinischen und in einigen
romanischen Sprachen: lat. in silvam ligna ferre, ital. portare
legna al boscOj span. Uevar Jena äl monte. Der Engländer sagt
mit einer kleinen Variante: to carry leaves into the wood, Blätter
in den Wald tragen, oder mit lokaler Färbung : to carry coals
to NewcasÜCj Kohlen nach Newcastle tragen, womit sich ital.
portare cavöli a Legnaia, Kohl nach Legnaia tragen, vergleichen
läßt. Über die geistigen Fähigkeiten anderer Eulenarten
urteilten die Griechen weniger günstig, ihre Auffassung von
dem Wesen dieser Vögel näherte sich der unsrigen. Dies
beweist die Anwendung von griech. &rog „Ohreule" auf einen
dummen Menschen.
Auf die Raubtiematur der Eule spielt nur das Französische
an in der Redensart etre larron comme une chouette, diebisch
sein wie eineEule,"^) wofür man im Deutschen sagt: „stehlen
wie ein Rabe, wie eine Elster". Jeu de la chouette ist im
Franz. ein Kinderspiel, wobei einer dem anderen etwas weg-
nimmt; hingegen bezeichnet man im Ital. mit fare a eivetta
das „Plumpsackverstecken", wohl mit Bezug auf die geduckte
Stellung des Vogels beim Sitzen und sein kokettes Gebaren.
- Der Kuckuck.
Das Wort Kuckuck ist — wie sofort erkennbar —
eine onomatopoetische Bildung nach dem Ruf des Vogels.
(Vgl. Winteler, Naturlaute und Sprache, pag. 6 f.) Dazu
*) RoUand (Faune pop., 11, pag. 46) vermutet, daß diese Redensart
auf volkstümlieher Verwechslung des Kanzes mit der Dohle beruht.
Der Kuckuck. 125
Stimmt lat. cmulus mit seinen romanischen Entsprechungen:
ital. cuculo, ctMcü, span. cuquühj cucliUo, frz. coiumi. Im
Ital. findet sich auch cucco, das auf ein lat. neben cucultts
sich findendes cucus zurückgeht. Was das deutsche „Kuckuck'^
betrifft, so ist das Wort in Süddeutschland erst im 15. Jahr-
hundert üblich geworden. Früher gebrauchte man dafür
Gauch,"^) mhd. gouch, ahd. goidh, yerwandt mit altengl. gSaJc,
woraus schottisch gowk Das engl. Wort für Kuckuck ist
gleichfalls onomatopoetisch, nämlich cuckoo, wovon cuckold
„Hahnrei".
Was den Kuckuck von anderen Vögeln besonders unter-
scheidet, ist sein eigentümlicher Buf. Da der Kuckuck als
Zugvogel regelmäßig im Frühling erscheint und in dieser
Jahreszeit seinen Buf erschallen läßt, so gilt er als Frühlings-
bote, weswegen man im Engl, den Frühling auch als cuckoo-
Urne „Kuckuckszeit" bezeichnet Ebenso werden Frühlings-
blumen gern nach dem Kuckuck benannt» so heißen z. B. die
Himmelsschlüssel (primtda acaulis) frz. pain de caucau „Kuckucks-
brot«.**)
Auf die ermüdende Eintönigkeit des Kuckucksrufs bezieht
sich im Engl, die Bedensart to sing like a cucJcoo, wie ein
Kuckuck, d. h. schlecht singen. So gebraucht man im Engl.
a,uch cuckoO'Song für „alte Leier" und sagt von einem, der
immerfort dasselbe drischt : He repeats the cuchoo-song, er wieder-
holt den Kuckuckssang. (Vgl. ital. Ja canzone delV ucceUino,
das Lied des Vögelchens.) Das Span, und Franz. haben vom
Namen des Kuckucks Zeitwörter gebildet: span. cuclear^ frz.
comouer, coucoukr „wie ein Kuckuck schreien".
Dem Kuckuck wird ähnlich wie dem Hahn, dem Baben
und dem Käuzchen vom Volke die Gabe der Prophezeiung
zugeschrieben. Aus seinem Buf erfährt man die Zahl der
noch übrigen Lebensjahre, und wenn man Geld in der Tasche
hat in dem Augenblick, da sich der Vogel vernehmen läßt,
so geht es das ganze Jahr nicht aus. Auf diesem Volks-
''') Im 15. Jahrhundert kommt auch die Umbildnng Gnckganch vor.
**) Wenn BoUand, Fanne pop., IT, pag. 81, 16 von der Farbe dieser
Blnme die Anwendung des Gelben als Symbols der betrogenen Ehemänner
(coucou =3 cocu) herleitet, so scheint dies wohl sehr weit hergeholt. Ist
doch gelb ganz allgemein die Farbe des Neides nnd der Eifersncht.
126 öer Kuckuck.
glauben beruht die im Deutschen häufig gebrauchte Bedens-
art: Das weiß der Kuckuck! (Vgl. Rolland, Faune pop.,
II, pag. 90 ff.)
So häufig sich aber der Kuckuck hören läßt, so selten
läßt er sich blicken. Er ist ein sehr scheuer VogeL Die
Eander rufen daher beim Versteckspiel „Kuckuck!" und das
Spiel wird geradezu als Kuckucksspiel bezeichnet. Ebenso
sagt man im Franz. faire coucou, jauer ä coucou.
Was das Äußere des Kuckucks^ betrifft^, so gebraucht man
im Franz. in Bezug auf die schlanke Gestalt des Vogels den
Vergleich maigre comme un coucouj mager wie ein Kuckuck,
wofär sich in den übrigen Sprachen kein Analogen findet."^)
Mit weniger Berechtigung sagt der Franzose maigre comme
une chouette, mager wie ein Käuzchen.
In semasiologischer Hinsicht merkwürdig ist der Ge-
brauch des Wortes Kuckuck für „Hahnrei". Im Deutschen
hat das Wort an und für sich nicht diese Bedeutung, wohl
aber sagt man jemd. ein Kuckucksei ins Nest legen.
Mit dem Kuckucksei ist zunächst ein im Ehebruch gezeugtes
Kind, das der betrogene Gatte für sein eigenes hält, gemeint,
dann wird der Ausdruck überhaupt auf ein fremdes Er-
zeugnis, das einem Ahnungslosen als sein Werk untergeschoben
wird, angewendet. Das ältere Gauch wurde auch in
der Bedeutung „Hahnrei" gebraucht, wozu das engl von
cnckoo abgeleitete cucJcold sowie span. cucliUo Analoga bieten.
Hingegen ist das franz. cocu, wie Brinkmann (Metaphern,
pag. 521 ff.) überzeugend nachgewiesen hat, von coq „Hahn"
abzuleiten, wohl aber wird vulgär auch coucou für „Hahnrei"
gebraucht. (Vgl. Borchardt -Wustmann, Sprichwörtl. Redens-
arten, pag. 283.)
Wie aber ist diese Metapher zu erklären? Bekannt ist
die Eigentümlichkeit des Kuckucks, seine Eier in die Nester
fremder Vögel zu legen, worauf die oben zitierte deutsche
Redensart anspielt. Demnach wäre der Kuckuck vielmehr mit
dem Ehebrecher als mit dem betrogenen Ehemann zu ver-
*) In Südfrankreich sagt man hingegen gras comme un coucou^ fett
wie ein Encknck, offenbar deshalb, weil er in dem Angenblicke, wo er
Europa verläßt, wohlgenährt ist. (Vgl. Rolland, Faune pop., II, pag. 88, 11.)
Der Kuckuck. 127
gleichen, was, wie weiter unten gezeigt werden wird, in einigen
8praclien wirklich, geschieht. Die Diezsche Erklärung, daß
der Kuckuck als der Betrüger per antiphrasim f&r den Be-
trogenen gesetzt wird, kann nicht befriedigen. Brinkmann
will in der ital. Bedensart covar nel nido degli altri come il
cucuhj im Nest der anderen brüten wie der Kuckuck, den
Schlüssel zum Verständnis unserer Metapher finden. Daraus
ergebe sich, daß der Kuckuck nach der Auitfassung des
Volkes nicht bloß seine Eier in fremde Nester legt, sondern
sie auch ausbrütet. Indem er aber dabei auch die Eier des
fremden Vogels ausbrüte, sei er gewissermaßen der Betrogene.*)
Schon im Lateinischen finden wir (bei Plautus) cuculus
als Schimpfwort für einen dummen Menschen, der sich leicht
übertölpeln läßt. Im Ital. bedeutet demgemäß cucco „dumm'^
und cuculiare „dummes Zeug schwatzen". Von einem, der in
der Gesellschaft die Zielscheibe von Spöttereien ist, sagt man :
E ü cucco deUa hrigata^ er ist der Kuckuck der Gesellschaft.
Analoga finden sich auch in den germanischen Sprachen. Wie
im älteren Deutsch mit Gauch, so wird im schottischen
Dialekt mit gotdk ein beschränkter Mensch bezeichnet, woher
die Redensart to give a person the gau^k, jemd. den Kuckuck
geben, d. h. ihn zum Narren halten, und das Adjektiv gowJcy
mit der Bedeutung „albern, dumm". Im ähnlichen Sinne ge-
braucht das Wort Shakespeare in „Heinrich IV." (A. 2, 4, 387).
In modernem Engl, wird nicht das Wort cuckoo selbst, son-
dern eine Weiterbildung davon, nämlich cucköld, für „Hahnrei"
gebraucht. Als Verbum bedeutet dann cucköld logischerweise
„zum Hahnrei machen". Originell ist die Bedensart to cuckoJd
the parson, wörtl. : den Pfarrer zum Hahnrei machen, d. h. ihn
betrügen durch intimen Umgang vor der Trauung. Cucköld-
mdker „Kuckucksmacher" ist der Ehebrecher und cuckoldry,
eine Weiterbildung von cuckoM, der Ehebruch.
Im Gegensatz zur Auffassung des Kuckucks als Betrogenen
kommt in einigen Sprachen die gegenteilige, dem wirklichen
Sachverhalt entsprechende Anschauung zum Ausdruck, nach
'*') BoUand (Faune pop., II, pag. 88, 15) erklärt cocu „Hahnrei" aus
dem Bafe coucou, bzw. cocUy mit dem man die betrogenen Ehemänner Ter-
spottete. Dieser Ruf sei dann zur unmittelbaren Bezeichnung des Hahnreis
geworden.
128 I^or Encknck.
welcher der Kuckuck der Betrfiger ist So hatte Gauch im
älteren Deutsch neben der Bedeutung „Narr" auch die von
„Schelm, Schurke'^ und bei den BOmem bezeichnete cucülus
nicht den betrogenen, sondern den treulosen Gatten."^) Dem-
entsprechend wird im ItaL cucülaccio^ d. L „häßlicher Kuckuck",
auf einen Wüstling angewendet, der den Frauen anderer nach-
stellt, wie auch cucüliare neben der oben angegebenen Be-
deutung die von „verhöhnen, hintergehen" hat Im Span,
findet man gleichfalls Spuren dieser Auffassung. Von einem,
der schlauer Weise aus dem Streit zweier anderer Vorteile
zieht, sagt man Por vos cantö d euclülo^ für dich sang der
Kuckuck. So bedeuten auch im Span, cucar „verhöhnen^', cuco
„schlau, verschmitzt" im Gegensatz zu ital. cucco.^)
Daß im Deutschen der Kuckuck als unheilvoller, böser
Vogel gilt beweisen die Flüche : Zum Kuckuck! hol dich
der Kuckuck! scher dich zum Kuckuck etc., wo
Kuckuck geradezu ein Glimpfwort für Teufel ist (Vgl. das
Kapitel „Fuchs" pag. 48.)
Semasiologisch bemerkenswert ist der Gebrauch von ital.
cucco in der Bedeutung „Nesthäkchen, Schoßkind". Von der
Eigentümlichkeit des Kuckucks, seine Eier in fremde Nester
zu legen, war schon die Rede. Nun kommt es häufig vor, daß
der junge Kuckuck seine viel kleineren und schwächeren
Genossen aus dem Neste drängt, so daß sich die liebende
Sorgfalt der Pflegeeltern auf ihn allein konzentriert Diese
haben vollauf zu tun, um den Hunger ihres Pflegekindes
halbwegs zu stillen, daher die franz. Redensart manger comme
unjeune coucauj fressen wie ein junger Kuckuck. Hierher
gehört auch das span. Adjektiv cuco in der Bedeutung
„niedlich, zierlich, nett". Daß Tiemamen ohne weiteres als
Adjektiva verwendet werden, ist im Span, und Portug. keine
seltene Erscheinung. (Vgl. span. mono „hübsch", topo „kurz-
sichtig", port. zorro „schlau".) Auf das Verhalten des Kuckucks
*) Ein Analogon hierzu findet sich in der Mundart der Champagne,
wo cocu im aktiven Sinne gebraucht wird. (Vgl. Rolland, Faune pop., II,
pag. 89, 15 f.)
**) Nach BoUand, Faune pop., n, pag. 89, 14 ist die Bedeutung dieser
Wörter davon abzuleiten, daß man den Kuckuck hört, ihn aber nicht zu
sehen bekommt, gleichsam als foppe der Vogel den ihn Suchenden.
Der Papagei. 129
gegen seine Pflegeeltern, die er nach dem Glauben des Volkes
sogar auffrißt, wenn er groß geworden, bezieht sich die
Anwendung dieses Vogelnamens auf einen Undankbaren im
Deutschen und Franz. (ingrat camme un coacou).
Interessant ist es, daß man im Ital. eine gewisse Art
von Vogelnetz mit cuculo bezeichnet. Der Kuckuck wird
in Italien wie so viele andere Vögel des Waldes gegessen,
und daher wird ihm fleißig nachgestellt. Man wandte cuculo
zunächst metonymisch auf ein zum Fange der Kuckucke
bestimmtes Netz an (die Vorrichtung benannt nach ihrem
Zweck, ein allerdings seltener Fall von Bedeutungswandel),
dann wurde das Wort infolge Erweiterung des Bedeutungs-
umfangs für „Vogelnetz" überhaupt gebraucht.
Im Franz. bezeichnete man die Schwarzwäldernhren mit
horloges ä cmicoti (auch deutsch „Kuckucksuhren") oder schlecht-
weg mit coucous (pars pro toto) u. zw. deshalb, weil bei den
meisten dieser Uhren die Stunden von einem aus dem Uhr-
gehäuse herausschnellenden Kuckuck ausgerufen wurden. Da
diese Art von Uhren jetzt außer Gebrauch ist, so ist es
begreiflich, daß mit dem Worte coucou gelegentlich der Begriff
des Altertümlichen verbunden wird, was sich auch bei seiner
Übertragung auf andere Objekte geltend macht. So wird
coucou zunächst auf einen alten Gesellschaftswagen, der ehe-
mals namentlich zu Sonntagsausflügen benutzt wurde, und dann
allgemein auf jeden alten, schlechten Wagen angewendet.
Der Papagei.
Der Name dieses Vogels ist — wie dieser selbst —
exotischen Ursprungs. Arab. habagäh drang zunächst in die
romanischen Sprachen ein und wurde ital. zu pappagallo (wohl
mit Anlehnung an gallo „Hahn"), span. zu papagayo, altfrz.
zu papagai. Von diesem wieder rühren her deutsch Papagei
und engl, popinjay*) Betreffs des altfrz. papagai sei bemerkt,
daß dieses Wort im Neufranzösischen sich als papegai erhalten
*) Mit Yolksetymologischer Anspielung an pope „Papst^ und jay
Häher^. (Vgl. Andresen, Über deutsche Volksetymologie, 5. Aufl., pag. 54.)
Rieglet, Das Tier im Spiegel der Sprache. 9
130 I^er Papagei.
hat, allerdings mit beträchtlicher Verengung des Bedeutungs-
umfanges. Es wird nämlich für den als Schießscheibe dienenden
hölzernen Vogel gebraucht, wohl deshalb, weil dieser ursprüng-
lich die Gestalt eines Papageis hatte. In derselben Bedeutung
gebraucht der Spanier papagallo neben papagayo. Auch im
Deutschen bezeichnete „Papagei" ursprünglich nur den
Schützenvogel. Den wirklichen Vogel nannte man Sittich
(ahd. psittich aus lat. psütacm), welches Wort heute noch neben
„Papagei" weiterlebt. (Vgl. Seiler, Die Entwicklung der
deutschen Kultur im Spiegel des deutschen Lehnworts, II,
pag. 114 If.) Eine andere Benennung des Papageis ist ital.
parrocchetto, frz. perroquet, span. perico, welche Wörter Diez
sämtlich als Ableitungen von Petrm „Peter" auffaßt, wonach
der Papagei „Peterchen" hieße. Für das Spanische, wo
Perico*) tatsächlich Diminutiv von Pedro ist, muß man diese
Etymologie ohne weiteres zugeben — Übertragung von Tauf-
namen auf Tiere ist nichts Seltenes, — allein ital. parroc-
chetio ist wohl davon zu trennen, da es offenbar Diminutiv
von parroco „Pfarrer" ist. (Vgl. deutsche Vogelnamen wie
Dompfaff, Mönch, Kardinal, ital. monachino, span. frailecülo)
Was frz. perroqmt betrifft, so ist es zweifelhaft, ob es
dem Italienischen oder Spanischen entlehnt ist. Echt fran-
zösisch hingegen ist das in engl, parrot „Papagei" (für
älteres perrot) erhaltene pierrot, womit in modernem Franz.
jedoch nicht der Papagei, sondern der Sperling bezeichnet
wird. Auch franz. perroquet findet sich im Engl., u. zw. als
parraheet, womit speziell die Langschwanzpapageien bezeichnet
werden.**)
Durch seine auffallende exotische, von den heimischen
Vögeln sich stark abhebende Erscheinung fordert der Papagei
zur Metapherbildung geradezu heraus. Was ihn besonders
charakterisiert, ist seine Fähigkeit, einzelne Wörter wie ganze
Sätze nachzusprechen. Wir haben in allen Kultursprachen
Redensarten, die sich darauf beziehen. So sagt man im
Deutschen plappern wie ein Papagei, ital. favellare
*) Mit loro, einem Wort malaiischer Herkunft, bezeichnet man im
Span, eine Art knrzschwänziger Papageien mit rotgefärbter Unterseite.
**) In Niederösterreich heißt der grüne Papagei Peruquetl. (Vgl.
Höfer, Die Volksnamen der Vögel in Niederösterreich, pag. 6.)
Der Papagei. X31
come un pappagaUo, frz. parier comme un perroquet, span. hablar
como un papagayo, d. h. viel und sinoloses Zeug schwatzen,
da der Papagei die ihm vorgesagten Wörter nur mechanisch
nachsagt. Das Portug. besitzt in derselben Bedeutung ein
von papagaia direkt gebildetes papagaiar. Auch hat der
Italiener von pappagaUo das Substantiv pappagalleria gebildet,
das sich im Deutschen mit „Nachäfferei" wiedergeben ließe. Da
femer der Papagei die vorgesagten Wörter nur unvollkommen
nachspricht, so bezeichnet der Italiener eine mangelhafte Aus-
sprache mit pronunda pappagallesca. Charakteristisch ist für
den Engländer der Gebrauch von popinjay im Sinne von
„Windbeutel". Dem schweigsamen Engländer sind geschwätzige
Leute besonders verdächtig und er steht nicht an, aus ihrer
Geschwätzigkeit einen ungünstigen Schluß auf ihren Charakter
zu ziehen. (Vgl. im span. Argot perico als Bezeichnung eines
liederlichen Frauenzimmers.) Hingegen wird parrot im Sinne
von „Nachbeter" gebraucht und das Wort auch als Verbum
verwendet (to parrot), wovon die Verbalsubstantiva parroter
„Nachbeter", parrotry „das Nachbeten", sowie das Adjektiv
parroty „papageienhaft, verständnislos nachplappernd".
Was sonst beim Papagei besonders auffällt, ist sein buntes
Gefieder, daher sagt man im Deutschen von einer in geschmack-
loser Weise bunt gekleideten Frauensperson, sie sei der
reinste Papagei und ebenso sagt der Spanier vestirse de
papagayo, sich als Papagei, d. h. bunt kleiden. Da die vor-
herrschende Farbe im Gefieder des Amazonenpapageis, der
bei uns bekanntesten Art, grün ist, so nennt der Franzose in
familiärer Sprache den grünlich schillernden Absinth perroqmt,
und wenn er ein Gläschen von diesem Getränke geleert hat,
sagt er konsequenterweise, er habe einen Papagei erwürgt
{itouffer Je perroquet). Auch sonst spielt der Papagei im
Pariser Argot keine unbedeutende EoUe. In Wein getauchtes
Brot wird als „Papageisuppe" (de la soupe ä perroquet) be-
zeichnet, da man diesen Vogel gern damit füttert. Eine
krumme Nase heißt mit Bezug auf den stark gekrümmten
Schnabel des Papageis un nez en hec de perroquet „eine Papagei-
nase", wozu engl, parrot -nosed „papageinasig" ein Analogen
bietet. (Vgl. deutsch „Geiernase".) Die Amsel muß sich die
Bezeichnung perroquet de savetier „Schusterpapagei" gefallen
9*
132 I>er Wiedehopf.
lassen, da der savetier, der arme Flickschuster, sich anstatt
des kostspieligen Papageis lieber die bescheidene Amsel hfilt.
Schließlich sei noch der Gebrauch von ital. parrocchettOj
frz. perroquety span. perico, periqueto als terminus technicus der
Seemannssprache erwähnt. Es wird damit nämlich der Mast
bezeichnet, auf dem der Mastkorb aufgetakelt ist, offenbar
mit Beziehung auf den bdtan de perroqmt, das Stäbchen, auf
dem der gefangene Papagei auf und ab klettert. Das Wort
wurde dann auf die Segelstange und schließlich auf das
Segel selbst übertragen. (Vgl. Hatzfeld - Darmesteter , Dic-
tionnaire g6n6ral de la langue frangaise unter „perroquet^.)
Der Wiedehopf.
Der Wiedehopf hat der Sprache zwar wenig Metaphern
geliefert, wohl aber sind die Benennungen dieses Vogels in
den verschiedenen Sprachen von großem Interesse. Die Be-
zeichnungen des Wiedehopfs sind größtenteils onomatopoetisch,
und zwar beruhen sie auf dem hohlklingenden Paarungsruf
des Vogels. (Vgl. Naumanns Naturgeschichte der Vögel, Bd. IV,
pag. 376, wo man eine Unzahl von dialektischen Benennungen
des Wiedehopfs aus allen möglichen Sprachgebieten zusammen-
gestellt findet.)
Im Ital. ist lat. upupa unverändert erhalten, daneben
kommt ein aus dialektisch bubba diminutiv gebildetes buhbola
vor, womit die span. Bezeichnung des Vogels, abubiUa^ tiber-
einstimmt. Im Span, findet sich auch putput, das gleichfalls
auf unmittelbarer Schallnachahmung beruht, ebenso wie frz.
pu(t)put, huppe, dupe und die englischen Namen hoopoe, hoopoo,
hoop und whoap. (Vgl. EoUand, Faune pop., II, pag. 99flf.)
Die deutschen Namen für den Wiedehopf bieten lehrreiche
Beispiele för die volksetymologische Umdeutung von Schall-
wörtem. So wurde im Ahd. der Ruf des Vogels zu wüehopfo
„Holzhüpfer" umgedeutet, auf welche Form unser Wiede-
hopf zurückgeht. Ebenso sind die meisten deutschen Dialekt-
namen dieses Vogels volksetymologische Umbildungen, z. B.
frankfurtisch Wiggflgel = Weidenhahn, bajrr. Wieshopf
Der Wiedehopf. 133
= Wiesenhüpfer. (Weitere Beispiele siehe bei Winteler,
Natnrlaute und Sprache, pag. 26.)
Neben diesen onomatopoetischen Benennungen gibt es
noch andere, die sich auf die Lebens- oder genauer Er-
nährungsweise des Vogels beziehen. Der Wiedehopf holt sich
nämlich mit seinem langen, spitzen Schnabel aus dem Kote
der Tiere seine Nahrung hervor und steht daher mit Becht
im Rufe der ünreinlichkeit. Demgemäß wird er im Deutschen
auch Stinkhahn oder Eothahn genannt, dem die frz. Be-
zeichnungen coq ptiant und coq merdeux entsprechen.*) Mit
Bezug auf die ünreinli/shkeit dieses Vogels gebraucht der
Franzose den Vergleich saU comme une huppe, schmutzig wie
ein Wiedehopf, wie auch im Deutschen der Name dieses
Tieres im Sinne von „Schmutzfink" verwendet wird.**) Da
der Wiedehopf regelmäßig vor dem Kuckuck bei uns eintrifft,
wird er in einigen Gegenden Deutschlands Kuckucks-
küster, Kuckucksbote, Kuckucksknecht genannt.
Was an dem Vogel besonders auffallt und ihm ein statt-
liches Aussehen verleiht, ist die große, aufrichtbare, zierliche
Federhaube, die er auf dem Kopfe trägt. Darauf beruht frz.
hupp4j „stattlich gekleidet, herausgeputzt, vornehm". Un
monsieur huppe wird im ironischen Sinne von einem Hoch-
gestellten gebraucht und entspricht ungefähr unserem „hohen
Tier". Im ähnlichen Sinne, aber mit einer kleinen Bedeutungs-
nuance wird hupp4 gebraucht in der Redensart Les plus huppds
y sont priSy die Sachs in seinem Wörterbuch frei übersetzt mit
„die Klügsten fallen hinein". Huppi heißt hier wohl eigent-
lich „der auf seine hohe Stellung, bzw. Klugheit Eingebildete".
Daß frz. dupe „Dummkopf" identisch ist mit huppe^ hat
Schuchardt überzeugend nachgewiesen. (Zeitschrift für rom.
Philologie, XV, pag. 98 ff.) Übrigens ist gerade im Franz.
der Gebrauch von Vogelnamen als Schimpfwörter sehr häufig :
vgl. buse^ butor, dinde, grue, linotte oie^ serin etc. Als Ana-
*) Mit dieser Eigenheit des Wiedehopfs hängt anch sein Dialektnanie
Herdenvogel zusammen, er hält sich eben gern in der Nähe von Hinder-
herden auf. (Vgl. dänisch haerfugl,)
**) Nach Naumann, Naturgeschichte der Vögel, Bd. IV, pag. 383 findet
sich die Redensart stinken wie ein Wiedehopf im Deutschen. Engl.
Norweg. und Franz.
134 I>ie Schwalbe.
logon ZU dupe ließe sich anführen der österreichisch-dialektische
Gebrauch von Hopf = Wiedehopf für einen dummstolzen
Menschen. Aus dem Pariser Argot ist hierher zu ziehen daim
huppe als Bezeichnung eines Geldprotzen. Daim, eigentlich
„Damhirsch", wird an und für sich wie unser „Hirsch" auf
einen beschränkten Menschen angewendet.
Semasiologisch bemerkenswert ist, daß htippe metonymisch
für die Federhaube gebraucht wird (Ganzes für den Teil ; vgl.
gowpillon „Füchslein" für „Fuchsschwanz") und infolge Be-
deutungsgeneralisierung überhaupt den Schopf der Vögel be-
zeichnet. Ein Analogon hierzu bietet, portug. powpa, das auch
„Wiedehopf" und „Federhaube" bedeutet. Es ist daher nicht
absolut notwendig, für huppe „Federhaube" Beeinflussung von
houppe „Troddel, Quaste, Haarbüschel" anzunehmen, wohl aber
mag man in den umgeformten Bufnamen hoppe (holl.) und
Huppet (plattdeutsch) eine Anspielung auf die Federhaube
des Vogels sehen. (Vgl. Winteler, Naturlaute und Sprache,
pag. 26.)
Auf die große Furchtsamkeit des Wiedehopfs, der bei der
geringsten Gefahr in Schrecken gerät, bezieht sich die ital.
Redensart tremare come una bubbola, zittern wie ein Wiede-
hopf. Schuchardt (briefl. Mitteilung) bringt diese Redensart
in Zusammenhang mit dem onomatopoetischen Zeitwort buhbolare
(von einem Schallworte bu bu\ das 1. „donnern", 2. „murmeln",
3. „vor Kälte zittern" bedeutet. Es läge demnach in obiger
Redensart eine Kontamination von bubbolare „zittern" und
bubbola „Wiedehopf" vor.
Die Schwalbe.
Deutsch Schwalbe geht zuiiick auf mhd. stmlwe, ahd.
swalawa; es ist verwandt mit engl, swallow, das seiner-
seits auf altengl. swealwe, altsächsisch swala beruht. Die
romanischen Bezeichnungen: ital. rondine, rondineUa, span.
golondrina, frz. hirondelle, Diminutiv von altfrz. aronde, gehen
sämtlich auf lat. hirundo zurück. Für verschiedene Schwalben-
arten wird der Name des heil. Martin gebraucht, so frz.
martinetf Diminutiv von martin, für „Hausschwalbe"; ebenso
Die Schwalbe. 135
Span, martinete für „Uferschwalbe" und engl, martin oder
martinet für „Schwalbe" überhaupt (die Spezialisierung erfolgt
durch Vorsetzung eines Substantivs, wie bank-martin, house-
maHin etc.). Auch auf andere Tiere wird dieser Taufname
angewendet. So werden im Ital. mit martinaccio „häßlicher
Martin" die Silbermöwe, der Eisvogel und die Gartenschnecke
bezeichnet. Für den Regenpfeifer wird neben piviere auch
martinello (Diminutiv von martinö) gebraucht. Im Span, heißt
der Seeaal martina. Der Eisvogel wird span. maHin pescador
„Martin der Fischer", frz. martin picheur genannt, während
im Ital. mit martin pescatore ein Seefisch bezeichnet wird. Ein
interessantes Beispiel von Bedeutungsspezialisierung ist die
Bezeichnung der Schwalbe im Patois von Limousin mit ozdo
„Vogel", wozu sich in galizisch aviön (von atis) ein Analogon
findet. (Vgl. ital., span. oca, frz. oie „Gans" aus lat. avica
„Vögelchen".)
Auf das Äußere des Vogels bezieht sich im Deutschen
der metaphorische Gebrauch von Schwalbenschwanz,
womit man zunächst die spitz zulaufenden Frackschöße und
dann metonymisch den ganzen Frack bezeichnet. Die Be-
ziehung auf die langen Schwanzfedern des Vogels liegt
auf der Hand. Dieselbe Metapher findet sich im Engl.
{swallow-tait) und im Ital. {abito a coda di rondine), während
der Franzose queue de mortie „Stockfischschwanz" dafür sagt.
Schwalbenschwanz ist übrigens auch die Bezeichnung
eines Schmetterlings mit geschwänzten Hinterflügeln: engl.
swalloW'tail, frz. qneue dlnrondeUe. Ferner ist frz. martinet hier
zu nennen als Bezeichnung eines Leuchters mit schwalben-
schwanzartigem Griffe.
Die Schwalbe ist ein sehr beliebter Vogel und erfreute
sich schon bei den Alten großer Sympathie, wie aus dem Ge-
brauche von hirundo als Liebkosungswort (bei Plautus) her-
vorgeht. Unsere Vorliebe für die Schwalbe mag wohl zum
großen Teile auf dem Umstände beruhen, daß ihr Kommen
ein Anzeichen der schönen Jahreszeit ist, und sie somit als
Frühlingsbote gilt.*) Hierauf bezieht sich das allen Kultur-
sprachen geläufige Sprichwort: Eine Schwalbe macht
*) Bei den Engländern heißt der 15. April swalUnc-day „Schwalbentag".
136 I>ie Schwalbe.
noch keinen Sommer, d.h. ein Beispiel macht noch keine
BegeL Engl.: One swallotv does not make a summer, Ital. :
Una rondine non fa primavera. Frz. : üne hirondelle ne fait pas
le printemps. Span.: üna golondrina no hace verano. Dieses
Sprichwort beruht auf der 304. Fabel des Äsop „Der ver-
schwenderische Jüngling und die Schwalbe", wo erzählt wird,
wie ein Jüngling; der seine Habe bis auf den Mantel vertan,
auch diesen verkaufte, als er die erste Schwalbe heimkehren
sah. Danach aber fror es noch so, daß die Schwalbe starb
und der frierende Verschwender ihr Worte des Zornes über
die Täuschung nachrief. (Vgl. Büchmann, Geflügelte Worte,
pag. 411 flf.) Auf die Schwalbe als Frühlingsvogel bezieht
sich auch ital. fico rondinino „Schwalben-, d. h. Frühfeige".
Treffend bezeichnet der Pariser die italienischen Kastanien-
händler und savoyardischen Schornsteinfegerjungen, die im
Winter nach Paris kommen, um daselbst ihr Brot zu ver-
dienen, mit AirowefeZfe^d'Äiwr „Winterschwalben". Ebenso werden
die aus der Provinz angekommenen Arbeiter gern hirondeües
genannt. (Bei uns heißen die im Frühling eintreffenden ital.
Arbeiter „Schwalben".) Auf den Zugvogelcharakter der
Schwalbe bezieht sich femer span. golondrino als Bezeichnung
eines unsteten Menschen ; im Soldatenargot wird dieses Wort für
einen Deserteur gebraucht. Dem Deutschen „Der Vogel ist aus-
geflogen" entspricht im Span. Volö el golondrino, das Schwalb-
chen ist fort. Das unermüdliche Hin- und Herschießen der
Schwalbe in der Luft*) erklärt die Verwendung des Wortes
für Leute, deren Beruf es mit sich bringt, beständig von
einem Ort zum anderen zu wandern. So werden im Pariser
Argot Handlungsreisende und Mietkutscher hirondelles genannt.
Der Gendarm muß sich sogar die Bezeichnung hirondelle de
potence „Galgenschwalbe" gefallen lassen. Hierher zu ziehen
ist auch ital. rondone „Mauerschwalbe", womit der Italiener
einen Pflastertreter bezeichnet. Überhaupt gilt die Schwalbe
dem Italiener als Sinnbild der Lebhaftigkeit und Baschheit,
daher er von einer flinken Person gern sagt, sie sei behende
wie eine Schwalbe {essere vispo, lesto come una rondine). Auf
*) Speziell anf die Hansschwalbe, die gern durchs Fenster ein- und
ausfliegt, spielt an die ital. Bedensart fare la via delle rondinif den Weg
der Schwalben machen, d. h. durchs Fenster steigen.
Die Drossel (Amsel). 137
den Zugvogelcharakter der Schwalbe spielt ferner an das frz.
Sprichwort: Ami par interit est une hirondelle sur le toU, ein
egoistischer Freund ist eine Schwalbe auf dem Dache, d. h.
man kann auf ihn nicht zählen, denn er kann einen jeden
Augenblick verlassen geradeso wie die Schwalbe.
Auf einem Vergleich der zu einem Backenstreich aus-
holenden Hand mit der die Luft in raschem Fluge durch-
schneidenden Schwalbe beruht im Deutschen der allerdings
landschaftlich beschränkte Gebrauch von Schwalbe für
„Ohrfeige" (vgl. „Wachtel"). Sieht man genau zu, so liegt
hier eigentlich eine Metonymie vor, indem die Ursache für
die Wirkung gesetzt erscheint.
Wenn der Pariser von einem, bei dem es nicht recht
richtig zu sein scheint, sagt: II a une hirondelle dans le soliveauj
er hat eine Schwalbe unter dem Dach, so vergleicht er dabei
die wirren Gedanken mit der hin- und herschwirrenden
Schwalbe. Man vergleiche damit die deutsche, im selben
Sinne gebrauchte Redensart „einen Vogel haben".
Die Schwalbe gilt vielfach im Gegensatze zur Eule als
glückbringender Vogel,*) worauf im Ital. des 16. Jahrhunderts
die Redensart andar di rondone im Sinne von „gut ausfallen"
beruht {rondone = Mauerschwalbe).
Auf das fröhliche Gezwitscher der Schwalbe bezieht sich
das deutsche „schwalb ein", d. h. schwatzen, plaudern.
Die Drossel (Amsel).
Deutsch Drossel aus mhd. drdschel, ahd. droscala, drosca
ist verwandt mit engl, throstle aus altengl. prostle. Eine zweite
Form thrmh geht auf altengl. prysce zurück. Darauf beruht
auch frz. tröle.
Eine spezielle Bezeichnung für die Schwarzdrossel ist
deutsch Amsel**) aus ahd. amsala, verwandt mit engl, ousel
*) Man denke an den sagenhaften Schwalbenstein (celldonid), der
Angenübel heilt. — Ein Schwalbennest zerstören gilt in den meisten Ländern
als Sacrileg. Im D6p. der Charente heiüt die Schwalbe poule de Dieu
„Gotteshuhn". (Vgl. RoUand, Faune pop., 11, pag. 317 ff.)
**) Schwarzamsel oder Dreckamsel wendet man im pfälzischen
138 ^ie Drossel (Amsel).
,,AinseP' aus altengl. ösle {ös ist entstanden ans Qtns, ams).
Das gewöhnliche Wort für „Amsel" im Engl, ist jedoch black-
hird „schwarzer Vogel". Vögel werden in allen Sprachen
gern nach der Farbe des Gefieders benannt. Die romani-
schen Benennungen der Drossel gehen sämtlich auf lat. turdus
zurück: itaL, span. tordo^ firz. tourd^ tourde. Tourd bezeichnet
übrigens auch einen Fisch, den „grünen Klippfisch". Da-
neben existiert im Franz. grive, dessen Etymologie jedoch noch
nicht feststeht. Nigras Hypothese, daß grive das Fem. von
altfrz. griu „griechisch" sei, ist wohl aus semasiologischen
Gründen zurückzuweisen. Wie käme die Drossel, die über
ganz Europa verbreitet ist, dazu, die „Griechin" genannt zu
werden? Nigra selbst äußert sich auffallenderweise mit
keinem Worte darüber. Die romanischen Bezeichnungen für
die Amsel, ital. merla, merlo, span. mierlo, mirla, frz. merle
beruhen auf lat. merula, worauf wahrscheinlich auch die
romanischen Benennungen des Stockfisches : ital. merluzzo, span.
merluza^ frz. merluche (merlan bedeutet „Weißling") zurückgehen.
Da das Äußere der Drossel nichts Auffallendes hat, so
kommt dasselbe für den metaphorischen Gebrauch dieses Vogel-
namens wenig in Betracht. Nur auf die Färbung des Ge-
fieders beziehen sich einige Metaphern. So bezeichnet man
im Span, mit caballo tordo ein drosselgraues Pferd; ebenso
spricht man im Franz. von einem gris tordüle „Drosselgrau"
(aber nur mit Bezug auf Pferde).
Auch das schwarze Gefieder der Amsel lieferte eine
Metapher — im engl. Cant nannte man nämlich die ge-
fangenen Neger am Bord eines Sklavenschifi'es blackbirds
„Amseln". Das Wort wurde im metaphorischen Sinne so-
gar zeitwörtlich gebraucht, indem auf das Einfangen der
Neger der Ausdruck to blachUrd angewendet wurde. Wie
man im Deutschen von einem „weißen Raben" spricht und
damit etwas sehr Seltenes meint, so wendet der Franzose die
weiße Amsel als Symbol des Seltenen an in der Redensart äre
rare comme un merle blanc, selten sein wie eine weiße Amsel.
(Die weiße Färbung ist bei der Amsel ebenso wie beim Raben
Dialekt auf einen schmutzigen Menschen, sowie auf ein brünettes Mädchen
au. H a a r a m s e 1 ist eine scherzhafte Bezeichnung der Laus. (Vgl. Heeger,
Tiere im pfälzischen Volksmund, 2. Teil, pag. 11, § 24, 9.)
Die Drossel (Amsel). 139
eine Anomalie, die auf der pathologischen Erscheinung des
Albinismus beruht.)
Sehr verschieden ist die Auffassung von den geistigen
Fähigkeiten der Drosseln. Die Naturgeschichte schildert uns
die der Drosselgattung angehörigen Vögel als sehr intelligente
Tiere und in Übereinstimmung damit wird im Ital. merJo
(verstärkend: dal becco gicdlo „mit gelbem Schnabel") und im
Franz. fin merk auf einen schlauen, verschmitzten Menschen
angewendet. Hierauf bezieht sich auch die ital. Eedensart
canta merlol Sing nur, Amsel! mit welchem Zuruf man einem
schlauen Verführer zu verstehen gibt, daß man seine Absichten
durchschaut und sich durch seine Überredungskünste nicht
fangen läßt. Im direkten Widerspruche zu dieser Auffassung steht
ital. tordo als Bezeichnung eines unpraktischen oder geistig be-
schränkten Menschen sowie ital. merlone, merloUo (jenes Augmen-
tativ, dieses Diminutiv von merlo) oder merh grullo, dem etwa
unser „Einfaltspinsel" entsprechen würde. (Davon abgeleitet
merlotaggine „Dummheit".) Analog nennt der Franzose einen
dummen Menschen gern beau merk „schöne Amsel". Hierher
gehört femer die ital. Eedensart dar la caccia ai merli, auf die
Amseln Jagd machen, was man auf Mädchen anwendet, die sich
ihre Liebhaber auf der Straße suchen.*) (Vgl. engl, to go ot4 spar-
roW'Catching, auf die Spatzenjagd gehen.) Von pessimistischer
Auffassung zeugt auch der Gebrauch des deutschen Drossel
als verächtlicher Bezeichnung für ein altes Weib (dialektisch
alte Trutschel), wozu wir in frz. vilain merk „garstige
Amsel", das auf einen widerwärtigen Menschen angewendet
wird, ein Seitenstück finden.
Auf die große Lebhaftigkeit der Drossel, die vom frühen
Morgen bis zum späten Abend immer in Bewegung ist und
schier unermüdlich scheint, bezieht sich eine Reihe von
Metaphern. Bedeutet doch tordo loco, die Bezeichnung der
Schwarzdrossel im Span., wörtlich „verrückte Drossel" mit un-
verkennbarer Anspielung auf die außerordentliche Munterkeit
der Amsel. Hierauf ist möglicherweise zurückzuführen die frz.
Redensart Stre soül comme une grive, betrunken sein wie eine
*) In oberitalienischen Dialekten wird mit merlo das männliche Glied
bezeichnet, wohl mit obscöner Anspielung anf das Einfangen in den Käfig.
140 l^iö Drossel (Amsel).
Drossel, die auf einer Metonymie beruhen würde, indem nach
einem leicht begreiflichen Analogieschluß als Ursache der
Lustigkeit Trunkenheit angenommen würde. EoUand hin-
gegen (Faune pop., II, pag. 235) führt diese Kedensart auf
die Vorliebe der Drosseln für die Weintrauben zurück und
weist auf eine veraltete Bedeutung von grive hin = personne
qui a trop hu ou trop mange, jemand, der zu viel getrunken
oder gegessen hat. (Vgl. ital. grasso come un tordo, fett wie
eine Drossel.) Ein Analogen hierzu findet sich in der deut-
schen Studentensprache des 16. Jahrhunderts, wo man für
„Bierzecher" auch Bieramsel sagte. Von grive abgeleitet
ist grivoiSj das in der Bedeutung von „lustig, schlüpfrig" ge-
braucht wird und auch substantivisch auf einen lustigen
Menschen angewendet werden kann. Anders erklärt Nigra
die Herkunft von grivois (Archivio glottologico, XV, pag. 116).
Die Drosseln, bzw. Amseln, sind aber nicht nur lustige, sondern
auch dreiste Vögel, worauf der Gebrauch von frz. grivoise als
Bezeichnung einer etwas zu resoluten Frauensperaon beruht.
Eine günstigere Beurteilung findet das ungenierte Wesen der
Amsel in der frz. Redensart etre franc comme une merle, oft'en-
herzig sein wie eine Amsel. Brehm nennt den Vogel sogar
„freisinnig", was zu frz. franc trefflich stimmt. Speziell auf
die Amsel als Singvogel bezieht sich im Deutschen die Redens-
art wie eine Amsel, d. h. schön singen. Auf die ün-
ermüdlichkeit dieses Vogels im Gesänge spielt der Franzose
an in den Redensarten siffler, jaser comme un merle, wie eine
Amsel (deutsch: Staarmatz) pfeifen, schwätzen.
Einigen Drosselarten stellt man ihres schmackhaften
Fleisches wegen eifrig nach. Vor allem gilt der Krammets-
vogel als ein Leckerbissen, wie erhellt aus dem frz. Sprich-
wort fauie de grives*) on mange des merles, wenn man keine
Krammetsvögel hat, so ißt man Amseln, wofür man im Deut-
schen derber sagt : In der Not frißt der Teufel Fliegen. Eine
ähnliche Redensart findet sich im Ital., wo es von einem,
der bald in Überfluß, bald in Elend lebt, heißt: Ora a tordi,
ora a grilli, bald lebt er von Krammets vögeln, bald von
Grillen. Wenn der Italiener von einem, der Maulaffen feil-
*) grive bezeichnet speziell die Wachholderdrossel (Krammetsvogel).
Die NachtigaU. 141
hält, sagt : Aspetto ü merlo, er wartet auf die Amsel, so meint
er damit natürlich auch eine gebratene Amsel. Im Deutschen
tritt an Stelle der Amsel die Taube, im Franz. die Lerche.
(S. bei „Lerche" pag. 160.) Von dem Drosselfang hergenommen ist
die im 16. Jahrhundert gebräuchliche ital. Eedensart schiacdare
il capo dl tordo, der Drossel den Kopf zerdrücken, d. h. einen
Schlag ausführen, einer Sache ein Ende machen.*) Hierher ge-
hört auch der frz. Ausdruck dinicheur de merles „Ausnehmer
von Amseln" für einen Glücksritter. Die Amseln werden hier
mit dem unlauteren Gewinn verglichen, auf den es der chevälier
d'indtistrie abgesehen hat.
Die Nachtigall.
Deutsch Nachtigall aus mhd. nahtegal, ahd. nahtigala,
dem engl, nightingale aus altengl. nightegala entspricht, bedeutet
„Nachtsängerin". Der erste Bestandteil des Wortes ist ohne
weiteres klar, der zweite geht auf altgerm. galan „singen"
zurück. (Vgl. hiermit die griechische Bezeichnung für „Nachti-
gall", &r]dd}v von q!deiv „singen".) Die romanischen Namen
für diesen Vogel: ital. usignuolo^ frz. rossignol, span. ruisenor
beruhen sämtlich auf lat. lusciniola (Dim. von Imdnia).
Die Nachtigall'ist namentlich durch ihren schönen Gesang
bekannt, was im Deutschen und Engl., wie oben gezeigt
wurde, im Worte selbst zum Ausdruck kommt. Daher ver-
gleicht man gern eine gute Sängerin mit einer Nachtigall.
Sie singt wie eine Nachtigall ist das höchste Lob, das
man einer Sängerin zollen kann. So auch im Franz. : Gest un
rossignol, eile a une voix de rossignol, eile a des rossignols dans la
gorge, das ist eine Nachtigall, sie hat eine Stimme wie eine
Nachtigall, sie hat Nachtigallen in der Kehle. Rossignoler heißt
geradezu „schön singen" und analog bildet der Engländer von
*) RoUand, Faune pop.^ n, pag. 236, zitiert femer fare che il tordo
non dia dietrOf machen, daß die Drossel nicht zurückweicht, non ne passa
ogni giomo di questi tordi^ solche Drosseln ziehen nicht aUe Tage vorüber,
il tordo h andato nella ragna^ die Drossel ist ins Netz gegangen, pigliar
due tordi ad una pania, zwei Drosseln mit einem Leim fangen (vgl. deutsch
zwei Fliegen mit einem Schlag).
142 I>ie Nachtigall.
nighUngak nightingdlise, ein allerdings selten gebrauchtes Wort.
Da die Nachtigall durch ihren schönen Gesang alle Herzen
gewinnt, so sagt man im Franz. von einem Weibe, das viele Er-
oberungen macht : Cest un rossignol, auch wenn dies mit anderen
Mitteln als mit dem Gesänge geschieht (Bedeutungserweiterung).
Auch im folgenden Sprichwort erscheint die Nachtigall als Symbol
des Sängers, bzw. der Sängerin : Quand le rossignol a vu ses petits,
il ne chante plus, wenn die Nachtigall ihre Kinder gesehen
hat, singt sie nicht mehr, d. h. hat man erst Kinder, ist's mit
dem sorglosen Leben vorbei. Dieses Sprichwort beruht übrigens
auf einer ganz richtigen, von der Naturgeschichte bestätigten
Beobachtung. Im ironischen Sinne bezeichnet man im Franz.
einen schlechten Sänger als rossignol d'Ärcadie, arkadische
Nachtigall. Ein Analogon hierzu findet sich in ital. usigmwlo
di maggio „Mainachtigall", einer scherzhaften Bezeichnung des
Esels. Ahnlich nennt der Franzose das Schwein rossignol ä
glands „Eichelnachtigall", mit Anspielung auf die Lieblings-
kost dieses Tieres. Auf den schönen Gesang der Nachtigall
bezieht sich ferner der Gebrauch dieses Vogelnamens als Epi-
thetons für Dichter. So nannte man z. B. Luther mit An-
spielung auf seine geistlichen Lieder die „Nachtigall von
Wittenberg", Hans Sachs die „Nürnberger Nachtigall". Auch
auf Gedichte selbst wurde diese Metapher metonymisch ange-
wendet. Die 1822 edierten „Neuen Lieder" von Hoffmann von
Fallersleben betiteln sich „Schöneberger Nachtigall". (Vgl.
Sachs, Zusammenhang von Mensch und Tier, Neuphil. Zentralbl.
1904, pag. 165.)
Im Franz. hat rossignol noch verschiedene andere Be-
deutungen, wie „Dietrich", „schlechte, alte Ware", „alte
Jungfer", die mit dem Grundbegriff des Wortes in keinem
Zusammenhang zu stehen scheinen. Gleichwohl lassen sie sich
alle von der eigentlichen Bedeutung ableiten, wie im folgenden
gezeigt werden soll. Von „Nachtigall" zu „Dietrich" ist ein
großer Sprung und dennoch ist die zweite Bedeutung aus der
ersten unmittelbar hervorgegangen. Rossignol für „Dietrich"
war offenbar ursprünglich ein Ausdruck der langue verte, des
Verbrecherargots, der in kühnen und originellen Metaphern
Unglaubliches leistet. Tatsächlich gehört der Dietrich zu
den unentbehrlichen Werkzeugen des Einbrechers. Wenn
J
Der Rabe. 143
dieser nun seinen Nachschlüssel, mit dem er vorzugsweise in
der Nacht arbeitet, „Nachtigall" nennt, so ist das tertium
comparationis zweifelsohne die Nacht, während welcher sich
die Nachtigall im Gesänge betätigt. Verdankt doch auch
im Deutschen der Nachschlüssel die Bezeichnung „Diet-
rich", was eigentlich ein nomen proprium ist, dem Gauner-
witz, der diesem Instrument noch andere Taufnamen, wie
„Peterchen" und „Klaus", beilegt. (Vgl. Waag, Bedeu-
tungsentwicklung unseres Wortschatzes, pag. 163.) Ein
Dietrich ist kein besonders wertvoller Gegenstand und so
wurde das Wort, indem es den Umfang seiner Bedeutung er-
weiterte, zur Bezeichnung wertloser und daher schwer an den
Mann zu bringender Waren. Auf Personen übertragen, ge-
langte es schließlich zur Bedeutung „alte Jungfer", wobei das
„schwer an den Mann bringen" wörtlich zu verstehen ist.
Nichts mit dem Vogel zu tun hat im Engl, nightingdle
als Bezeichnung einer Art von Krankenhemden aus Flanell.
In diesem Falle ist nightingale ein zum appellativum gewordenes
nomen proprium. (Vgl. deutsch Heller, Kaiser, frz. renard,
cälepin etc.) Diese Hemden sind nämlich nach einer Dame,
Fhrence Nightingale, benannt, die sich im Krimkriege als
Krankenpflegerin hervortat.
Der Rabe.
Deutsch Rabe*) geht zurück auf mhd. rahe, ahd. rdbo.
Daneben existiert im Mhd. eine Form raben^ die im Ahd.
rahan oder hrdban lautet. Hierzu gibt es eine verkürzte
Doppelform, mhd. ram, ahd. hram, die noch in den Tauf-
namen Bertram und Wolfram erhalten ist.**) Mit
Babe verwandt ist engl, raven, das auf altengl. hraefn beruht.
Eine Nebenform zu Rabe ist Rappe, womit man im Nhd.
ein schwarzes Pferd bezeichnet, das ursprünglich nur eine
oberdeutsche Scheideform zu mitteldeutsch „Rabe" ist. Hier-
*) Nach Brehm Schallwort vom Rufe des Vogels (raab).
**) Außerdem in westpfälzisch Bamm, sowie in den Ortsnamen
Ramberg, Ramstein. (Vgl. Heeger, Tiere im pfälz. Volksmunde, 2. Teil,
pag. 10, § 24, 8.)
144 Der Rabe.
her gehört ferner Rappe als Bezeichnung einer schweize-
rischen Münze im Werte von fünf Centimes. Der heute rätsel-
haft scheinende Zusammenhang mit Rabe ergibt sich sofort,
wenn man weiß, daß diese zuerst in Freiburg i. B. geprägte
Münze ursprünglich einen Vogelkopf trug. Dieses Wort ist,
wie übrigens auch andere Münzbezeichnungen, z. B. Gulden,
Krone, ein lehrreiches Beispiel für den durch die Anpassung
an die Kulturverhältnisse geschaffenen Bedeutungswandel.
(Vgl. Waag, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes,
pag. 181.) — Die romanischen Bezeichnungen für „Rabe" be-
ruhen sämtlich auf lat. corvus:*) ital. corvo, span. cuervo, frz.
corbeau = corbellm (Dim. von corbits = corvus).
Die große Verbreitung dieses Vogels, der nahezu in ganz
Europa zu finden ist, erklärt zur Genüge die wichtige Rolle,
die er in der Phraseologie der modernen Kultursprachen spielt.
Beginnen wir mit den auf das Äußere des Raben bezüglichen
Metaphern, so finden wir zunächst, daß die glänzendschwarze
Farbe seines Gefieders in allen hier zur Behandlung gelangen-
den Sprachen verwertet ist. Die rabenschwarzen**) Haare
finden ein Analogon in engl, raven-locks „Rabenlocken", wie
auch häufig raven-black „rabenschwarz" gebraucht wird. Ebenso
geläufig ist diese Metapher den romanischen Sprachen. Niger
tamquam corvus, schwarz wie ein Rabe, sagten schon die Römer
und ebenso gebraucht heutzutage der Italiener nero come un
Corvo,***) der Frsiiizosenoircommeun corbeau. ^to dt cort?o „Raben-
flügel" ist im Ital. die Bezeichnung einer schwarzen Farben-
sorte. Hierher zu ziehen ist gleichfalls das span. Sprichwort: No
ptiede ser el cuervo mos ne-gro que las alas, der Rabe kann nicht
schwärzer sein als seine Flügel, d. h. ein größeres Unglück
kann nicht mehr geschehen. Eine adjektivische Weiterbildung
von ital. corvo liegt vor in ital. corvino: z. B. chioma corvina
„Rabenhaar". So beruht auch der Gebrauch von Rappe,
einer ursprünglichen Nebenform von Rabe, für ein schwarzes
Pferd auf einer Metapher, bei der das tertium comparationis
*) Schall wort vom Rufe kiork, kolk, wovon auch deutsch Knikrabe,
Kolkrabe. (Vgl. Winteler, Natnrlaute und Sprache, pag. 14.)
**) Verstärkt kohlrabenschwarz.
***) Im Venezianischen sagt man : El non vederia un corvo in un caMn
de latte, er würde einen Baben in einer Schüssel Milch nicht sehen.
Der Rabe. 145
eben die schwarze Farbe ist. Da mit dem Raben der Begriif
dieser Farbe unzertrennlich verknüpft ist, so wurde der
weiße Rabe zum Symbol des Seltenen, Unerhörten. (Weiße
Raben sind, worauf bereits bei der Amsel hingewiesen wurde,
Anomalien und daher äußerst selten.) Schon bei Juvenal 7, 202
finden wir den corvus albus als Bezeichnung für einen Aus-
nahmemenschen. (Vgl. Büchmann, Gefl. Worte, pag. 502.)
Dementsprechend sagt man im Ital. : Una cosa i piü rara dei
corvi biancM, eine Sache ist seltener als die weißen Raben.
Im selben Sinne wird im Deutschen diese Metapher gebraucht.
Im Franz. tritt — wie andernorts gezeigt wurde — an Stelle
des weißen Raben die weiße Amsel, Je merle Uanc, (Vgl.
Rolland, Faune pop., 11, pag. 111 ff.) Einen Raben weiß
waschen heißt im Schweizerdeutsch: etwas Unmögliches
versuchen. Hierher zu ziehen ist auch das deutsche Sprich-
wort: Es hilft kein Bad am Raben. (Vgl. engl.: Crows
are none the whiter for washing themselves, Krähen werden nicht
weißer, wie sehr sie sich auch waschen.)
Auf den starken, gekrümmten Schnabel des Vogels be-
zieht sich der Gebrauch von lat. corvm als Bezeichnung einer
Stange mit Widerhaken, die die Alten bei Belagerungen zum
Einbrechen von Mauern benutzten. Daher frz. mit dem Bei-
satz dimolisseur „Zerstörer". Neben corvus wird für diese
Belagerungsmaschine grus „Kranich" gebraucht, da dieser
Vogel auch einen kräftigen Schnabel hat.
Früher bezeichnete man im Franz. mit corbeau eine
Enterbrücke, wozu das ital. becco corvino „Rabenschnabel" als
Benennung des Enterhakens ein Analogen bietet. Hierher zu
ziehen ist ferner frz. bec-de-corbin oder bec-de-corbeau, womit die
Splitterzange der Wundärzte bezeichnet wird. Im Deutschen
wird Rabenschnabel gleichfalls in diesem Sinne gebraucht.
Da der Rabe ein großer Freund von Aas ist, so wird er
als zur Umgebung von unbeerdigten Leichen gehörig betrachtet
und erscheint geradezu als Leichenvogel. Darauf nimmt Be-
zug das ital. Sprichwort : I corvi volano dove sono le carogne,
die Raben fliegen dorthin, wo Aas ist. Im Deutschen tritt der
Geier, der ebenfalls ein aasfressender Vogel ist, an Stelle
des Raben: Wo Aas ist, da sammeln sich die Geier. Auf
dieser Eigenheit des Raben beruht auch die Bezeichnung eines
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 10
146 ^er Rabe.
aufgemauerten Richtplatzes mit Rabenstein, dem wörtlich
engl, ravenstone entspricht. Daher wird Rabenaas im
Deutschen als Schimpfwort gebraucht. (Vgl. den griechischen
Fluch dg nÖQCMag sowie das deutsche Sprichwort: Was den
Raben gehört, ertrinkt nicht.) Hingegen ist es bei
dem Gebrauch von ital. corvo, frz. corheau, span. cuervo als
Spitzname für Priester zweifelhaft, ob sich diese Metapher auf
die schwarze Tracht oder auf die wichtige Rolle bezieht, die
der Priester bei der Beerdigung spielt.*) Möglicherweise haben
beide Momente bei der Bildung dieser Metapher mitgewirkt. Im
Franz. werden auch die Leichenträger corheaux genannt. Bei uns
nennt man sie „Leichenvögel'^, wobei man wohl an Raben denkt.
Im Engl, ist hier an Stelle des Raben die in England viel
häufigere Krähe {crow) getreten. Diese pessimistische, jedoch
immerhin auf dem wirklichen Wesen des Tieres beruhende
Auffassung hat ihre Wurzeln in altgermanischer Zeit, wo der
Rabe als mythischer Vogel galt. Ist er doch der stete Be-
gleiter Odins, mit dem er in die Schlacht zieht, wo er sich
vom Blute der Gefallenen nährt. Hierher zu ziehen ist auch
die Bezeichnung „Galgenvogel" für Rabe in einigen Gegenden
der Schweiz und Österreichs.
Das heisere Gekrächze des Raben, das eine gewisse
Mannigfaltigkeit von Tönen aufweist, sowie seine außer-
ordentliche Intelligenz — man vergleiche die deutsche
Metapher ein weiser Rabe — machen es begreiflich,
daß die Alten ihm die Gabe der Weissagung zuschrieben,
u. zw. galt er nicht als Unglücks vogel schlechtweg, es
wurden vielmehr sein Flug und Gekrächze zur Rechten
als glückverkündend gedeutet. Bei den modernen Kultur-
völkern wird der Rabe ähnlich der Eule vorzugsweise als
Unglücksvogel betrachtet, u. zw. wohl wegen der ihm an-
haftenden Leichenatmosphäre. (Siehe weiter oben.) So nennt
man im Deutschen den Überbringer schlechter Botschaften
einen Unglücksraben und in demselben Sinne spricht der
Italiener von einem corvo delle male nuove, der Franzose
von einem corheau de mauvais augure. (Vgl. den deutschen
'^) In der Languedoc glaubt man, daß die schlechten Priester nach
ihrem Tode Baben werden und die Nonnen Krähen. (Vgl. Rolland, Faune
pop., II, 117, 8.)
Der Rabe. 147
Spruch: Rab' auf dem Dach, Fuchs vor der Tür,
hüt' sich Mann und Roß dafür.) Überhaupt gilt der
Rabe als ein Ausbund aller schlechten Eigenschaften, was im
Deutschen zum Ausdruck gelangt in dem anderen Tieren
gegenüber gebrauchten Schimpfwort Rabenvieh. So macht
z. B. die deutsche Hausfrau ihrer Entrüstung über die Katze,
die ihr ein Stück Fleisch gestohlen, mit diesem kräftigen
Worte Luft, wobei das tertiura comparationis hauptsächlich
in dem Begriff des Stehlens liegt, da der Rabe als diebischer
Vogel mit Recht verschrieen ist. Er stiehlt wie ein Rabe,
sagt man im Deutschen von einem frechen Dieb. (Vgl. frz.
^oler comme une chouäte.)
Wichtig für die Metaphorologie des Raben ist die Rolle,
die der Vogel in der Bibel spielt. Auf dieser beruht zum
großen Teil die mittelalterliche Tiersymbolik, die in der
Sprache manche Spuren hinterlassen hat. Die in der heiligen
Schrift vom Wesen des Raben vorherrschende Auffassung ist
eine pessimistische. Da ist vor allem der Rabe Noahs, der
von seinem Herrn aus der Arche als Kundschafter ausgesandt
wird, sich am Aase gütlich tut und darüber das Wiederkommen
vergißt. (Vgl. frz. ne pas revenir comme le corbeau de Tarche,
nicht wiederkommen wie der Rabe der Arche.) Hierauf be-
ruht im Ital. die Redensart aspettare ü corvo, den Raben er-
warten, d. h. vergeblich auf jemd. warten. Ebenso wünscht
der Spanier einem unliebsamen Gaste beim Abschiede die ida
(Abreise) del cuervo an. (Dieser Zug von der ünverläßlichkeit
des Raben findet sich in der griechischen Mythologie wieder.)
Auch sonst ist in der Bibel vom Raben mehrfach die Rede;
so beschuldigt z. B. der gottesfürchtige Hiob den Raben, daß
er die Jungen aus dem Neste werfe. Ebenso heißt es in einem
Psalme Davids: Gott gibt den jungen Raben, die zu ihm
schreien, ihr Futter. Die mittelalterliche Symbolik erblickte
in dem herzlosen Verhalten der alten Raben den Ausdruck
des Unwillens darüber, daß die Jungen mehr weiß als schwarz
zur Welt kommen. Diese würden aber auf das liebevollste
gepflegt, sobald sie gefiedert seien. (Vgl. Kolloff, Die sagen-
hafte und symbolische Tiergeschichte des Mittelalters in
Raumers Histor. Taschenbuch 1867, pag. 239 ff.) In Wirk-
lichkeit ist gerade das Umgekehrte der Fall. Die alten
10*
148 ^er Rabe.
Baben hegen und pflegen ihre Jungen so lange, als sie noch
nicht flügge sind. Sie werfen sie aber nach Raabvögelart
aus dem Neste, sobald sie ausgewachsen sind. (Vgl. Zell,
Tierfabeln, Anhang, pag. 84.) Hierauf gründet sich im Deut-
schen der Gebrauch von Rabenvater und Rabenmutter,
bzw. Rabeneltern für lieblose Eltern.
Die umgekehrte Auffassung, nach welcher der junge
Rabe als Symbol der Lieblosigkeit und des Undanks gegen
die Eltern erscheint, ist vertreten in dem deutschen Sprich-
wort: Erziehst du dir einen Raben, so wird er
dir ein Aug' ausgraben, wozu sich Analoga in den
romanischen Sprachen finden. So lautet es ital. : Nutrim ü corvo,
cMa fin ti caverä gli occhi, span.: Cria cuervos y te sacardn los
qjos, franz.: Nourris un corbeau, il te crh)era Tceü, Auch das
Deutsche schließt sich mit Metaphern wie Rabensohn und
Rabentochter (im Gegensatz zu „Rabenvater", „Raben-
mutter") dieser Auffassung an, die auf der Verquickung zweier
verschiedener Tiersagen beruht. Vom Raben berichtet nämlich
die Tiersymbolik im Anschluß an die Salomonischen Sprich-
wörter, daß er mit Vorliebe nach den Augen hacke. Hin-
gegen erzählt sie vom Geier, der auch ein Raubvogel ist
und daher viele Züge mit dem Raben gemein hat, daß sich
die Jungen an den alt und schwach gewordenen Eltern für
die ihnen zuteil gewordene grausame Behandlung rächen,
indem sie sie ohne weiteres töten. Direkt an die Stelle des
Geiers tritt der Rabe in dem lat. Sprichwort : Mali corvi malum
Ovum, von schlechtem Raben schlechtes Ei. Analoga bieten
die romanischen Sprachen: Ital. Di mal corvo mal tuwo,
span. Cual el cuervo, tal su huevo, franz. De mauvcns corbeau
mauvais cmf. Im Deutschen heißt es generalisierend : Schlechter
Vogel, schlechtes Ei, aber schwäbisch: Üble Raben, üble
Eier. Im Engl, übernimmt die nah verwandte Krähe die
Rolle des Raben: lAJce crow, like egg, wie die Krähe, so das
Ei. Im Gegensatz zu dieser ungünstigen Auffassung erscheint
der Rabe in der Bibel einmal als Helfer in der Not. Er
bringt im Auftrage Gottes dem Propheten Elias in der
Wüste sein tägliches Brot Daß gerade dem Raben diese
Rolle übertragen wurde, ist kein Zufall, sondern beruht auf
scharfer Naturbeobachtung, denn bei der unersättlichen Freß-
Der Rabe. 149
gier der jungen Raben müssen die Eltern unaufhörlich darauf
bedacht sein, ihnen Nahrung zu verschaffen. Mit Bezug auf
diesen biblischen Raben gebraucht der Spanier die Redensart
viene el cuervo, es kommt der Rabe, im Sinne von : „Die Hilfe
naht." Auch im Deutschen findet sich manchmal „Rabe"
ähnlich gebraucht. (Vgl. das deutsche Sprichwort: Die
jungen Raben brauchen Futter.)
Originell ist im Span, die Bezeichnung eines Kupplers
mit echacuervos, d. h. einer, der Raben paart Das paar-
weise Vorkommen dieser Vögel mag wohl der Anlaß zur
Entstehung dieser Metapher gewesen sein. Brehm sagt dies-
bezüglich: „Der Rabe lebt gewöhnlich, also auch im Winter,
paarweise. Hört man den einen des Paares, so braucht man
sich nur umzusehen, der andere ist nicht weit davon." Da
Kuppler in der Regel verworfene Leute sind, so wurde mit
Erweiterung der ursprünglichen Bedeutung echacmrvos auf
einen lasterhaften Menschen im allgemeinen angewendet. Von
echacmrvos sind abgeleitet echacorveria „Kuppelei" und echa-
corvear „kuppeln". Auf die Verträglichkeit der Raben unter-
einander bezieht sich das frz. Sprichwort : Le corbeau r/arrache
paint V (eil au corbeau. Ebenso heißt es ital.: Corvi con corvi
non si mangian gli occhi, portug.: corvos a corvos näo se tiräo
OS olhos. Im Deutschen und Engl, tritt an Stelle des Raben
die Krähe: Eine Krähe hackt der anderen kein
Auge aus (aber bairisch: Ein Rab' hackt dem anderen
das Auge nicht aus). One crow never pulls out another^s
eye. Schließlich sei noch des ital. Zeitworts corbellare „necken,
zum besten halten" gedacht, das man von corvus^ bzw. corbus,
abzuleiten geneigt ist. Diese Ableitung erscheint insofern
sehr wahrscheinlich, als der Rabe tatsächlich in gezähmtem
Zustande zu jeder Art von Neckerei aufgelegt ist und nament-
lich an Kindern gern seinen Mutwillen ausläßt. Auch legte
man im Mittelalter das Rabengekrächze als höhnisches Ge-
spött aus.
Auf das hohe Alter, das die meisten Raben erreichen,
bezieht sich im Deutschen die Redensart alt sein wie ein
Rabe mit der Nebenvorstellung der sich auf Lebenserfahrung
gründenden Weisheit.
150 I>ie Krähe.
Die Krähe.
Die Benennungen der Krähe beruhen in allen Sprachen
auf dem Ruf des Vogels. (Vgl. Winteler, Naturlaute und
Sprache, pag. 14 f.) Deutsch Krähe, mit „krähen" zusammen-
hängend, geht zurück auf ahd. kräja {krätoa), mhd. krcee {krd,
Icrdtoe), Hiermit verwandt ist engl, crow^ das auf altengl.
crdtoe beruht. Lat. cornicula, Dim. von cornix, ist das Etymon
für die romanischen Bezeichnungen der Krähe : ital. cornacchia
(möglicherweise durch gracchia beeinflußt), span. corneja, frz.
Corneille. Ein anderes Wort für Krähe (namentlich die Turm-
krähe bezeichnend) ist lat. gracula oder gractdus, das im Ital.
gracchia (veraltet), gracchio und graccio, im Span, graja, grajo,
im Franz. graule und daneben grolle (Saatkrähe) ergab. Ein
Synonym von grolle ist freiix^ das über altfrz. frvsc auf alt-
ndfränk. Äröife zurückgeht. Dieses hrök findet sich auch im
Altengl. Neuengl. lautet es rook und bedeutet wie freux
„Saatkrähe". Für die Turmkrähe wird im Deutschen Dohle
gebraucht, das auf mhd. dähele, tdle, tähe, ahd. tdha ^surück-
geht, lauter onomatopoetische Bildungen. Gleichfalls schall-
nachahmend sind nach Winteler (Naturlaute und Sprache,
pag. 15) die Benennungen der Dohle in den übrigen Sprachen :
engl, chough, daw, ital. taccola (früher auch „Elster"), span.
cayOj frz. choucas. Engl. jacMaw (jach = Jakob) beruht auf
volksetymologischer ümdeutung des Eufes jäck.*)
Da die Krähe eine nahe Verwandte des Raben ist, so ist
es begreiflich, daß beide Tiernamen in ihrer metaphorischen
Verwendung eine gewisse Analogie aufweisen. So spielt
im Englischen die Krähe die Rolle, die in anderen Sprachen
dem Raben zugedacht wird, was darauf hindeutet, daß in
England der Rabe selten, die Krähe aber häufig ist. Während
in den romanischen Sprachen als Spitzname für den Priester
„Rabe" üblich ist (siehe bei „Rabe" pag. 143), wird im Engl.
crow oder rook dafür verwendet. Auch in Bezug auf die vom
*) In Körtings lat.-rom. Wörterbuch figuriert ein suppon. altd. käwa
(belegt ist kaha) als Etymon von span. chova „Dohle", choya „Saatkrähe",
altfrz. choe „Alpenkrähe", doch dürften diese Namen wohl auch direkt
schallnachahmend sein. (Vgl. „Eule", pag. 115.)
Die Krähe. 151
schwarzen Gefieder hergenommenen Metaphern macht im Engl,
die Krähe dem Raben erfolgreich Konkurrenz. As black as a
crow, schwarz wie eine Krähe, hört man häufiger als raven-
black „rabenschwarz". Ein Analogon hierzu findet sich im
Altfrz. — noir come choe, — was von Littre und Godefroy
falsch gedeutet wird, indem sie, durch neufrz. chouette irre-
geführt, choe mit „Eule" wiedergeben, was ganz widersinnig
ist, da es keine schwarzen Eulen gibt. Daß mit choe die
Alpenkrähe gemeint ist, hat Cornu überzeugend nachgewiesen
(Zeitschrift f. rom. Phil., XVI, pag. 520). Dem „weißen Raben"
entspricht im Engl, die „weiße Krähe". So sagt der Engländer
von einem Aufschneider treflfend: Eis crow is the whit^ evei-
Seen, seine Krähe ist die weißeste, die man je gesehen. Weiße
Krähen sind für das Volk ebenso unerhört wie weiße Raben.
Auf die gleiche oder ähnliche Färbung beider Vögel nimmt
Bezug ein span. Sprichwort, u. zw. in Form eines kurzen
Dialogs zwischen Krähe und Rabe: Dijo la corn^a al cuervo:
quitate aUd, negra; y el cuervo d Ja corneja: quitdos vos alldj
negra. Zum Raben sagte die Krähe: Geh' weg von hier.
Schwarzer; und der Rabe zur Krähe: Geht weg von da.
Schwarze. (Vgl. frz. taupe vaut marotte) Denselben Gedanken
drückt aus das deutsche Sprichwort: Der Rabe hat der
Krähe nichts vorzuwerfen. Hierher gehört auch das
derbe, aber eine gesunde Moral verratende span. Sprich-
wort : La puta y la Cornea, mientras mds se lava — mds negra
senieja, die Hure und die Krähe, je mehr sie sich waschen,
desto schwarzer scheinen sie, wozu sich im Franz. des 17.
Jahrhunderts ein Analogon findet: Putain fait comme la Corneille,
plm se lave et plm noire eile est. Hiermit läßt sich vergleichen
das engl. Sprichwort: Crows are none the whiter for washing
themselves, Krähen werden nicht weißer, wie sehr sie sich auch
waschen, wofür man im Deutschen sagt: Einen Mohren kann
man nicht weiß waschen.
Mit dem Raben teilt die Krähe die lange Lebensdauer,
daher dieser Vogel im Lat. häufig die Epitheta annosa {seil,
cornix) „bejahrt" oder vetula „alt" bekommt. In den modernen
Sprachen findet sich hierzu kein Analogon ; im Deutschen gilt
der Rabe als Symbol des hohen Alters.
Wie dieser ist auch die Krähe eine Liebhaberin von Aas.
152 I>ie Krähe.
worauf die derbe engl. Redensart to give the crows a ptidding^
den Krähen einen Pudding geben, d. h. sterben, beruht. Dem-
entsprechend nennt man im Engl, eine Schindmähre, die dem
Verrecken nahe ist, treflfend crow-bait „Krähenköder". Auch
der Schnabel der Krähe mußte wie der des Eaben zur Bildung
von Metaphern herhalten. Crow's-bül „Krähenschnabel" heißt
im Engl, die Splitterzange des Chirurgen, während sie im
Deutschen und Franz. „Rabenschnabel", bzw. bec - de - corbeau
genannt wird. (Vgl. pag. 145.) Mit cornacchia bezeichnete man
im Ital. früher häufig einen Türring in Form eines Krähen-
schnabels, womit sich im Griech. die Verwendung von Tcoga^
„Rabe" für einen Türklopfer vergleichen läßt. Schließlich er-
scheinen die beiden Tiernamen als metaphorisch gleichwertig,
wenn man das deutsche Sprichwort: Eine Krähe hackt
der anderen das Auge nicht aus vergleicht mit den
analogen Sprichwörtern im Ital. und Franz., wo an Stelle der
Krähe der Rabe tritt. Auch der Aberglaube schlingt ein ge-
meinsames Band um beide Vögel. Das Gekrächze der Krähe wird
wie das des Raben vom Volke als unglückverheißend gedeutet.
Daher ruft der Italiener aus : Uh, che cornacchia, Hu, was für eine
Krähe ! wenn ihm jemd. irgend etwas Unangenehmes prophezeit.
Indessen hat die Krähe in der Metaphorologie ihre eigene
Domäne, wie aus den folgenden Metaphern und Redensarten
hervorgeht.
Was zunächst den deutschen Ausdruck. Krähenfüße
betrifft, so wird er mit Bezug auf die schwarzen Füße der
Krähe zunächst für ein unleserliches Gekritzel gebraucht,
wofür der Italiener ähnlich raspattira di gaUina (wörtlich:
von Hühnern aufgescharrter Boden), der Franzose pattes de
mouche „Fliegenfüße" oder pattes de chat „Katzenpfoten" sagt.
Nur mit Anspielung auf die Form, nicht aber auf die Farbe,
wird dieselbe Metapher im Deutschen und Engl, {crow's-foot)
zur Bezeichnung der sich im Alter an den äußeren Augen-
winkeln bildenden Fältchen verwendet. Hiermit läßt sich
vergleichen im Span, patas de gallo „Hahnenfüße" und im
Franz. pattes d'oie „Gänsefüße". Es ist also hier — wie sich
aus dem Vergleiche mit anderen Sprachen ergibt — nicht ein
charakteristisches Merkmal, das die Metapher veranlaßt hat,
sondern es erscheint die Krähe infolge ihrer Häufigkeit als
Die Krähe. 153
Vertreter der ganzen Vogelgattung überhaupt. Am deutlichsten
zeigt sich dies im engl, scarecrow oder crotv-keeper „Krähen*
scheuche", wofür man im Deutschen „Vogelscheuche" ge-
braucht. Hierher gehört auch der metaphorische Ausdruck
Krähenauge als populäre Bezeichnung der als Arznei
gebrauchten giftigen Samenkörner der nux vomica, wofür
man ebensogut „Vogelauge" sagen könnte, da sich das Auge
der Krähe nicht wesentlich von dem anderer Vögel unter-
scheidet. Dieselbe Metapher wird im Norddeutschen auf die
hornartige, schmerzhafte Verhärtung an den Zehen ange-
wendet, wofür man allgemeiner „Hühnerauge" sagt, genau so,
wie der Spanier für „Krähenfüße" patas de gallo gebraucht.
(Vgl. frz. ceil de perdri^ „Rebhuhnauge".) Hierbei ist das
tertium comparationis einerseits die Wölbung, anderseits die
kreisrunde Form. Auch „Elsterauge" ist in manchen deutschen
Gegenden üblich.
Auf die schrittweise, steife Gangart der Krähe, die leicht
als Ausfluß des Stolzes oder der Selbstüberhebung erscheinen
mag, bezieht sich die engl. Redensart to strut like a crow in
a guUer, wie eine Krähe in einer Rinne (deutsch dafür: wie
der Storch im Salat) einherstolzieren.
Als Symbol des Ehrgeizes erscheint die Krähe in der be-
kannten Asopschen Fabel von der „stolzen Krähe und dem
Pfau". Es ist daselbst die Rede von einer Krähe, die sich
mit den Federn eines Pfaues schmückt, aber damit weder bei
den Pfauen noch den Krähen Anklang findet. Auf dieser
Fabel beruht die deutsche Redensart sich mit fremden
Federn schmücken, die angewendet wird auf einen, der
bemüht ist, fremdes Verdienst als sein eigenes darzustellen.
Der Franzose nennt ein solches Individuum schlechtweg la
Corneille d'^sope^ „die Krähe des Äsop".
Die Gesamterscheinung der Krähe macht durchaus keinen
vorteilhaften Eindruck, ja, dieser Vogel erscheint im Deutschen
gelegentlich sogar als Sinnbild der Häßlichkeit, wie z. B.
Goethe für ein häßliches Mädchen irgendwo den Ausdruck
„Krähe" gebraucht. So gaben auch die Franzosen der dritten
Tochter Ludwigs XV. wegen ihrer Häßlichkeit den Spitz-
namen graille „Krähe". (Vgl. das engl. Sprichwort : The crow
ihifiks her own hirds the fairest, die Krähe hält ihre Jungen
154 Die Krähe.
für die schönsten.) Mit dem unsympathischen Äußeren steht
im Einklänge die tiefe, heisere Stimme des Vogels, der un-
aufhörlich sein häßliches kra kra ertönen läßt, nach welchem
Kufe die Krähe in allen Sprachen benannt ist. Hierauf
beruht die im Deutschen übliche Bezeichnung Krähe flir
einen Menschen, der sich mit lautem Geschrei breit macht.
Da sich die meisten Krähenarten zur Nachahmung fremder
Laute, einige sogar zum Sprechen abrichten lassen, so ist es
einleuchtend, daß die Krähe, die schon bei den Römern die
Epitheta loquax, garrula hatte, zum Symbol der Geschwätzig-
keit wurde. So ist im Deutschen Krähwinkel die Bezeich-
nung eines Klatschnestes. (Über die Genesis dieser Metapher
vgl. BüchmanU; Gefl. Worte, pag. 253.) Dieselbe metaphorische
Verwendung erfährt die Krähe in einigen romanischen Sprachen.
Was zunächst das Ital. betrifft, so nennt man ein schwatz-
haftes Weib gern cornacchia. Von dieser Metapher sind als
Weiterbildungen zu verzeichnen cornacchiare „schwätzen" und
cornacchiaia „Geschwätz". In merkwürdigem Gegensatze hierzu
bezeichnet man einen einsamen, verschlossenen Menschen mit
cornacchia di campanile „Turmkrähe", was wohl so zu erklären
ist, daß man von der Vorliebe dieser Vögel für alte Türme
und sonstige unzugängliche Örtlichkeiten auf ihre üngesellig-
keit schließt. Gleichfalls mit Bezug auf das übeltönende Ge-
krächze der Krähe nennt man in Pistoja die durch ihr
schnarrendes Geräusch das Ohr unangenehm berührende Kar-
freitagsklapper cornacchia (schriftsprachl. : tabella). Zahlreiche
Sprossen hat im Ital. gracchio (gracchia) getrieben. Zu aller-
erst ist das Verbum gracchiare zu nennen, das zunächst von
dem Gekrächze der Krähe auf die stimmliche Betätigung
anderer Tiere übertragen wurde, dann aber auf das laute
Schimpfen und Schelten von Personen angewendet wird.
Gracchiare in der Bedeutung „ohne Sinn und Verstand
schwätzen" bezieht sich auf die zum Nachsprechen von Wörtern
abgerichtete Krähe. Von gracchiara wiederum abgeleitet sind
die Verbalsubstantiva gracchiamento, gracchiata, gracchio „das
Krächzen, das Geschwätz", femer gracchiatore „Schwätzer,
Schreier, keifende Person" und gracchione „Zänker".*) Span.
*) Auch von taccola „Dohle" liegen Ableitungen vor, die einen ahn-
Die Krähe. 155
^rajear wird nur in der eigentlichen Bedeutung von „krächzen"
verwendet, hingegen wird frz. graiUer von dem heiseren Ge-
krächze der Krähe auf die heisere Stimme des Menschen
übertragen. Auch kann das Wort „ins Hifthorn blasen" be-
deuten, wobei es einen Bedeutungswandel in bonam partem
erfahren hat. Von grailler abgeleitet ist graülonner „Schleim
aushusten", worin wir eine Metonymie zu erblicken haben,
indem die Ursache für die Wirkung gesetzt erscheint, denn
nicht die Schleimaussonderung selbst, sondern nur das der-
selben vorhergehende Räuspern kann mit dem Gekrächze der
Krähe verglichen werden.
Die Krähe ist ein sehr unreinlicher Vogel und verbreitet
^inen unangenehmen Geruch. Daher nennt der Franzose ein
unreinliches Weib Marie Graillon (grailhn = Dim. von graule).
Ein Analogon hierzu bietet, mit Übertragung auf das moralische
Gebiet, ital. cornacchia als Bezeichnung eines Freudenmädchens
{bei Cellini). Auf den Geruch bezieht sich frz. graillon „übler
Fettgeruch" sowie span. grajo „Negergeruch", wobei in
zweiter Linie auf die Farbe angespielt wird. (Metapher und
Metonymie.) Von grajo abgeleitet ist grajiento „nach Neger
duftend".
Infolge der großen Verbreitung der Krähe wurde, wie
schon oben angedeutet, ihr Name in Fällen metaphorisch
verwendet, wo man ganz allgemein das Wort „Vogel" ge-
brauchen könnte. Hierher gehört zunächst die frz. Redens-
art : bayer aux corneiUes, den Krähen zusehen (nämlich wie sie
fliegen), d. h. Maulaflfen feil halten. Von scarecrow (crow-
keeper) war weiter oben die Rede. Hierher zu ziehen sind
auch aus dem Engl, crow^s-nest „Krähennest" als Bezeichnung
des Mastkorbes auf Walfischfahrem sowie crow-flight {as the
crow flies, wie die Krähe fliegt) „Krähenflug" für „Luftlinie".
Nach Brewer (Dict. of Phrase and Fable, pag. 198) zeichnet
sich die Flugart der Krähe durch besondere Geradlinigkeit aus.
Die Krähe bringt, wenigstens unmittelbar, keinen Nutzen.
Ihr Fleisch ist im Gegensatze zu dem vieler anderer Vögel
nicht oder kaum genießbar. Hierauf bezieht sich die engl.
liehen Sinn haben, jetzt aber veraltet sind, wie taccolare „schwätzen",
taccolata taccoleria „Geschwätz" taceoUno „Schwätzer".
156 I>ie Krähe.
Redensart to tat (row, Krähenfleisch essen , was unserem
deutschen „in den sauren Apfel beißen" entspricht. Eben in-
folge der Ungenießbarkeit des Fleisches ist es eine ganz un-
nütze Arbeit, wenn man die Krähe rupft, weswegen im Engl.
to plucJc (he craw, die Krähe rupfen, „sich um ein Nichts be-
mühen" bedeutet. Unmittelbar an diese Redensart schließt
sich eine andere an, nämlich to have a crow to pltick with a
person, mit jemd. eine Krähe zu rupfen haben, d. h. mit
jemd. zu tun haben, und zwar in unangenehmer Weise^
um eine Streitsache auszumachen. Das Rupfen einer Krähe
ist eben wegen der Nutzlosigkeit der Arbeit, der dabei auf-
zuwendenden Mühe — die Krähenfedem sitzen fest — und
nicht zuletzt wegen des dem Vogel eigenen üblen Geruchs
keine angenehme Beschäftigung. Im Deutschen tritt an Stelle
der Krähe das Huhn (ein Hühnchen mit jemd. zu pflücken
haben), was die Erklärung der Redensart bedeutend erschwert.
(Siehe Schrader, Bilderschmuck der deutschen Sprache, pag. 240.)
Auch im Span, erscheint das Krähenrupfen als Symbol einer
unangenehmen Sache, der man lieber aus dem Wege geht.
No entiendo de graja pelada, ich verstehe nichts vom Krähen-
rupfen (wörtlich: von der gerupften Krähe), sagt der Spanier
namentlich dann, wenn er hinter irgend einem Handel einen
Betrug wittert, was zum Bilde vortreflflich paßt^ da, wer die
Krähe rupft, um sich an ihrem Fleische zu laben, der
Gefoppte ist. Eine Metapher, die in den übrigen Sprachen
kein Analogen hat, ist das engl, landschaftlich beschi'änkte
crow'time „Krähenzeit" für „Abendzeit". Bevor sich nämlich
die Krähen zu ihrem Schlafplatze begeben, versammeln sie
sich in der Dämmerungsstunde auf großen, freien Plätzen.
Von den ethischen Eigenschaften der Krähe wird nur
eine einzige, und zwar in anscheinend widersprechender
Weise, metaphorisch verwertet. Während im Deutschen die
Krähe nicht selten als Symbol der Feigheit erscheint, wird
im Engl, das allerdings landschaftlich beschränkte crowish
„krähenhaft" im Sinne von „mutig" gebraucht. Was auf
den ersten Blick ein Widerspruch scheint, erweist sich als
ganz logisch, wenn man der Sache auf den Grund geht.
Wenn der Deutsche einen Feigling „Krähe" schilt, so denkt
er dabei an das Verhalten der Krähe dem Menschen gegen-
Die Elster. 157
Über. Bekanntlich sind die Krähen infolge der Nachstellungen,
deren Gegenstand sie sind, äußerst scheu. Der Engländer
hingegen, der in der Krähe ein Bild des Mutes sieht, denkt
an das Verhältnis der Krähe zu den anderen Vögeln, z. B.
dem Uhu, der von den Krähen mit großer Entschiedenheit
angegriffen wird.
Speziell auf die Saatkrähe {rook), die dem Landmann
wegen des Aufpickens von Getreidekörnern und Wegstibizens
reifer Früchte ein Dorn im Auge ist, bezieht sich im Engl,
der Gebrauch von to rook für „stehlen, betrügen". Auch als
Substantiv wird rook für „Gauner, Schwindler** gebraucht.
(Vgl. deutsch stehlen wie ein Rabe.) Treffend ist die
Bezeichnung rookery „Krähengenist" für ein schmutziges, ver-
rufenes Stadtviertel. Die Saatkrähen nisten nämlich in großen
Massen, so daß nach Brehm ein Baum oft gegen 20 Nester
beherbergt. Ein solcher Brutplatz ist infolge des unreinlichen
und lärmenden Wesens seiner Bewohner ein nichts weniger als
anmutiger Ort.
Die Gewohnheit der nördlich lebenden Krähenarten, bei
strenger Winterkälte Streifzüge nach südlicheren Gegenden zu
unternehmen, erklärt das deutsche Sprichwort : Eine Krähe
macht keinen Winter, ein Analogen zu dem häufiger
gebrauchten: Eine Schwalbe macht keinen Sommer.
Die Elster.
Deutsch Elster beruht auf mhd. egelster, ahd. agalstra*)
Daneben sind in den verschiedenen Gauen Deutschlands eiüe
Unzahl von Dialektformen üblich, die man bei Winteler,
Naturlaute und Sprache, pag. 30 ff., zusammengestellt findet.
Davon ist die gebräuchlichste wohl atzel, das auf ahd. agazza
zurückgeht.**) Damit ist verwandt altengl. agu, das jedoch
im Neuengl. durch das romanische pie (magpie), von dem weiter
unten die Rede sein wird, ersetzt wurde. Zahlreich sind auch
*) Nach Winteler onomatopoetisch.
**) Die Form AI st er findet sich in den Ortsbezeichnnngen Alster-
weiler, Alstertal. (Vgl. Heeger, Tiere im pfälz. Volksmimde, 2. T.,
pa«:. 10.)
158 Die Elster.
die Benennungen der Elster in den romanischen Sprachen.
Das lat. pica (picm = Specht) ist erhalten in ital. ptca, span.
pega, picaza, frz. pie, wovon engl. pie. Im Ital. wird ferner
puäa „Mädchen'^ aus lat. putida „stinkend^' für die Elster
gebraucht, wie auch verschiedene Mädchennamen zur Be-
zeichnung dieses Vogelnamens herhalten müssen. So im Ital.
Checca, Cecca = Dim. von Francesca, Berta, span. Marica = Dim.
von Maria, Urraca (jetzt als Eigenname nicht mehr ge-
bräuchlich), frz. Jacque, Jaquette, Margot = Dim. von Mar-
gtierüe; dementsprechend engl, mag = Dim. von Margaret
(landschaftlich beschränkt). (Vgl. Rolland, Faune pop., 11^
pag. 132.) Das allgemein gebräuchliche Wort für „Elster"
im Engl ist magpie, eine Zusammensetzung von mag und pie.
Auf ahd. agazza gehen zurück ital. {a)gazza {gazzera) sowie frz.
agace und afrz. agacin „Hühnerauge". (Vgl. deutsch land-
schaftlich Elsterauge.) Span.' cotarra (bei Körting fehlend)
ist möglicherweise onomatopoetisch. Über ital. taccola vgl.
pag. 160.
Was zunächst die äußere Erscheinung der Elster, an der
vor allem das butschillernde Gefieder auffällt, betrifft, so be-
zieht sich darauf der Gebrauch von pie im Franz. und Engl,
zur Bezeichnung von scheckigen Tieren. So nennt man im
Franz. ein scheckiges Pferd chevaJ pie, eine scheckige Taube
pigeon pie. (Vgl. im älteren Fremz. pioU, pigeassi „scheckig".)*)
Wenn im älteren Englisch im Volksmunde der Bischof
magpie „Elster" genannt wurde, so verglich man dabei die
Schleppe des bischöflichen Talars mit dem langen Schwänze
der Elster. (Vgl. ital. abito a coda di gazza, Rock mit Elstem-
schwanz.) Es ist diese Metapher ein interessantes Seitenstück
zu den Vogelnamen, die der kirchlichen Hierarchie entlehnt
sind, wie „Mönch", „Dompfaff", „Prälat", „Kardinal". Auf
den bläulichen Schimmer des Gefieders bezieht sich ital.
gazzerino „elsternfarben". So gebraucht man namentlich occhi
gazzerini.
Was aber die Elster besonders charakterisiert, ist ihr
*) Winteler, Naturlaute und Sprache, pag. 33, wiU auch deutsch
scheckig von Schack (Schackelster), einem dialektischen Namen der
Elster, ahleiten und weist vergleichsweise auf die etymologische Verwandt-
schaft von lat. picus „Specht" und griech. TtotxiXoe „hunt" hin.
Die Elster. 159
Geschrei, das sie mit staunenerregender Uneimüdlichkeit
stundenlang ertönen läßt. (Vgl. ital. noioso come una gcuszera,
lästig wie eine Elster.) Daher gilt der Vogel mit Recht als
Symbol der Geschwätzigkeit, u. zw. in allen Eultursprachen.
Schon Petronius gebraucht pica im Sinne von „Schwätzerin".
Dieselbe metaphorische Verwendung weisen die romanischen
Sprachen auf: ital. gazza und gaiszera werden zwar an und
für sich nicht in übertragener Bedeutung gebraucht, wohl
aber sind von diesen Wörtern einige Ableitungen zu ver-
zeichnen, die nur metaphorisch verwendet werden, wie gazzarra
„Freudenlärm", gazzeroiio „Schwätzer", gazzetta „Zeitung",
eigentlich „Schwätzerin".
In der ital. Redensart fare come le ptäte al lavatoio hat
ptitta, das jetzt für „Elster" gebraucht wird, noch die ältere,
ursprüngliche Bedeutung von „Mädchen". (Vgl. venezianisch
putela „Mädchen".) Die Redensart bedeutet also: es machen
wie die Mädchen am Waschtrog, d. h. schwätzen. Übrigens
liegt in der Bezeichnung der Elster mit dem Worte puita eine
Metapher vor, die ein interessantes Gegenstück zu den oben
angeführten Redensarten bildet. Während man nämlich von
einem plauderlustigen Mädchen sagt, es sei eine Elster oder
schwätze wie eine Elster, nennt man umgekehrt die Elster
ein „Mädchen". Auch dem Span, ist das Bild der geschwätzigen
Elster geläufig. So sagt der Spanier von einer geschwätzigen
Frauensperson: Habla mos qtie una urraca, una cotorra, sie
spricht mehr als eine Elster. Von cotorra, das auch den Sittich,
eine Papageienart, bezeichnet (tertium comparationis ist eben
die Geschwätzigkeit), abgeleitet sind cotorrear „schwätzen",
cotorreo „Weibergeschnatter" , cotorrera „Papageiweibchen,
geschwätziges Frauenzimmer", cotorreria „Schwatzhaftigkeit".
Aus dem Franz. ist gleichfalls anzuführen, bec de pie „Elster-
schnabel" für Schwätzerin, ferner jaser comme une pie,
schwätzen wie eine Elster, sowie jacasser „plappern" von Jaque^
einer dial. Bezeichnung der Elster. (Vgl. Rolland, Faune pop.,
II, pag. 133, 8.)
In den germanischen Sprachen finden wir dieselbe
Metapher. Während im Deutschen geschätzig sein wie
eine Elster zu den alltäglichen Redensarten gehört, ge-
braucht der Engländer aus dem Volke das Wort mag „Elster"
160 I>ie Elster.
im Sinne von „Geplapper'^ Der Bedeutungswandel ist der,
daß mag zunächst metaphorisch die Zunge und dann meto-
nymisch die von derselben hervorgebrachte Wirkung, das Ge-
schwätz, bezeichnet. Ganz deutlich erhellt dies aus der in
volkstümlicher Sprache gebräuchlichen Redensart: Hold your
mag für hold your iongue, halt deine Zunge, wo mag direkt für
tongue gesetzt wird. Auch wurde pie in älterer Sprache auf
eine schwatzhafte Person, namentlich weiblichen Geschlechtes,
angewendet und heute noch wird to mag im Slang im Sinne
von „plaudern" gebraucht.
Auf dem Verhältnisse der Elster zu anderen Vögeln beruht
die Redensart zänkisch sein wie eine Elster, wozu
sich engl, to mag „zanken" sowie frz. iaquiner „necken" (wenn
zu taccola gehörig) und schließlich agacer „reizen" von agace
stellen lassen. (Vgl. diesbezüglich Borchardt - Wustmann,
Sprichwörtl. Redensarten, pag. 119.) Der streitsüchtigen
Elster wird die sanfte Taube gegenübergestellt in dem deut-
schen Sprichwort: Keine Elster heckt eine Taube.
Mit Bezug auf den unbeholfenen Gang der Elster, den
Brehm als ein „erbärmliches Hüpfen" bezeichnet, gebraucht
man im Deutschen das Sprichwort: Die Elster läßt das
Hüpfen nicht im Sinne von: Art läßt nicht von Art.
(Vgl.: Der Fuchs läßt seine Tücke nicht, die Katze läßt das
Mausen nicht.) Der Umstand, daß die Elster den Schwanz
wippend bewegt, erklärt die frz. Redensart se carrer comme
une pie, sich brüsten wie eine Elster. (Vgl. engl, to strtU like
a crow in a gutter, deutsch: umherstolzieren wie der Storch
im Salat.)
Bekannt ist die Sucht der Elster, glänzende Gegen-
stände zusammenzutragen. Besonders locken Gold und Silber
den Vogel an. Daher ist die Elster in nahezu allen Sprachen
Symbol des Diebes. So sagt man im Deutschen von einer
Person, die sich gegen das siebente Gebot zu vergehen
pflegt, sie sei diebisch wie eine Elster, im Engl, he
steals like a magpie, im Franz. ü est larron comme une pie,
im Ital. h ladro come una gazza. Im engl. Slang wird to mag
ohne weiteres für „mausen" gebraucht. Hierzu findet sich
in ital. gazzerare, das infolge Bedeutungserweiterung „betrügen"
bedeutet, ein Analogen. (Vgl. im Altfranz, den Vergleich plus
Die Elster. 161
fausse que pie, falscher als eine Elster, von weiblichen Wesen.)
Möglicherweise sind auch ital. taccagno, span. tacano „geizig"
zu taccola „Elster" (jetzt „Dohle") zu stellen. Eine Bekräfti-
gung fände diese Etymologie in der span. Metapher urraca =
geizige Person sowie in der ital., bzw. franz. Redensart dar
beccare dlla puUa, donner ä mang er ä la pie, die Elster füttern,
was man auf knickerige Spieler anwendet, die ihren Ge-
winnst heimlich in die Tasche stecken. Ebenso stimmt tacano
in der Bedeutung „betrügerisch" vortrefflich zu ital. gazzerare
„betrügen". (Vgl. das deutsche Sprichwort: Der Elster
ist ein Ei gestohlen, das man auf einen betrogenen Be-
trüger anwendet.) Auf der Sucht der Elster nach glänzenden
Dingen beruht ferner span. pka, eine gelehrte Scheideform zu
pega, womit in der Medizin der Hunger nach ungewöhnlichen
Dingen benannt wird.
Der Elster wird aus verschiedenen Gründen eifrig nach-
gestellt, zunächst wohl deshalb, weil sie sich leicht abrichten
läßt und in gezähmtem Zustande äußerst amüsant ist; dann
aber werden ihr in einigen Gegenden Deutschlands und Frank-
reichs auch Zauberkräfte zugeschrieben. So gewähren die an
den Hauseingang gehefteten Elsternflügel Schutz gegen Fliegen
und die Asche des verbrannten Vogels ist ein Heilmittel gegen
Epilepsie. Materialistisch gesinnte Gemüter, die sich lieber ans
Tatsächliche halten, lassen den erbeuteten Vogel in die Küche
wandern, nicht um ihn zu verbrennen, sondern um ihn zu
braten, denn sein Fleisch soll recht genießbar sein. Nach
alledem ist es begreiflich, daß der Fang einer Elster als ein
Glück betrachtet wird, um so mehr als dem Vogel sehr schwer
beizukommen ist. Hierauf beruht die frz. Redensart trouver la
pie au nid, die Elster im Neste finden, im Sinne von „etwas
Seltenes finden. Glück haben". Auf die Eigenheit der Elster,
auf den höchsten Baumwipfeln zu nisten, bezieht sich offenbar
die frz. Redensart itre au nid de la pie, im Elsternneste sein,
im Sinne von „auf dem Gipfel des Glückes stehen". Anders
— u. zw. nicht sehr überzeugend — erklärt die Redensart
Brinkmann (Metaphern, pag. 21 und 536 ff.). Auf den Elstern-
fang, der namentlich in Italien eifrig betrieben wird, spielt
auch an das ital. Sprichwort: Nido fatto, gazza morta, das Nest
ist fertig, die Elster tot, das man auf einen anwendet, der gerade
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 11
162 I>ie Lerche.
dann stirbt, wenn er anfängt, in günstige Lage zn kommen.
Ähnlich heißt es span. : La jatda hecha, picaza muerta, der Käfig
ist fertig, die Elster tot. Hierher zu ziehen ist ferner die
Eedensart pelar la gazza senza farla stridere, die Elster rupfen,
ohne sie schreien zu machen, d. h. eine derbe Zurechtsetzung
beabsichtigen, aber aus Zaghaftigkeit nicht mit der Sprache
herausgehen, sich glimpflich ausdrücken. Im Deutschen und
Franz. tritt die Henne an Stelle der Elster: die Henne rupfen,
ohne daß sie schreit — plumer la poule sans la faire crier.
Auf die gezähmte Ekter bezieht sich die ital. Metapher pidfa
scodata „Elster ohne Schwanz". (Der gefangenen Elster
werden die Schwungfedern gestutzt, damit sie nicht davon-
fliegen kann.) Hiermit bezeichnet man einen sehr schlauen
Menschen, da die angeborene Intelligenz der Elster durch die
Abrichtung noch bedeutend erhöht wird.
Die Lerche.
Deutsch Lerche beruht auf mhd. lerche, ahd. lerahha.
Hiermit ist verwandt engl, lark aus altengl. Idwrice. Lat.
alauda, ein Wort keltisch-gallischen Ursprungs, ist das Etymon
von ital. allodola, lodola, altfrz. aloe, wovon neufrz. dim. aloueUe,
altspan. aloa, aloefa, neuspan. alondra, angeglichen an caiandra,
„Kalenderlerche". Ebenfalls keltischen Ursprungs ist frz.
mauviette „gemeine Lerche", verwandt mit mauvis „Rohrdrossel".
(Vgl. Rolland, Faune pop., II, pag. 243.) Eine andere roma-
nische Bezeichnung einer Lerchenart, und zwar der soge-
nannten Kalenderlerche, die hauptsächlich im Süden Europas
vorkommt, beruht auf griechisch ^iXavöga^ das direkt in die
romanischen Sprachen eingedrungen ist: ital. caiandra, span.
calandria, frz. calandre. Im Deutschen wurde das unverständ-
liche calandre volksetymologisch zu „Kalender** umgebildet,
daher die Bezeichnung Kalenderlerch e.*) Die über ganz
Europa verbreitete Haubenlerche ist in allen Kultur-
sprachen nach dem beweglichen, haubenähnlichen Federbüschel
*) Über die Bedeutung der Kalenderlerche in der mittelalterlichen
Tiersymbolik vgl. KoUoflf, Die sagenhafte und symbolische Tiergeschichte
des Mittelalters in Baumers bist. Taschenbuch, 1867, pag. 249 ff.
4
I
Die Lerche. 163
benannt, das sie auf dem Scheitel trä^. So heißt sie engl.
<:rested, copped, tufted larh „geschöpfte" Lerche, ital. loddla
cappelluta, cappellaccia (Pejorativ von cappeUo „Hut"), span.
cogujada, (lat. cucullm „Hülle des Kopfes"), frz. cochevis =
cochet (Dim. von coq) + altfrz. vis = vivus (heißt also wörtlich :
„lebhaftes Hähnchen"). Daneben wird umschreibend dlouette
Jhuppee „geschöpfte Lerche" gebraucht. Ital. toUavüla^ span.
cotovia, totovia sind wahrscheinlich onomatopoetischen Ursprungs.
(Anders erklärt diese Wörter Eönsch, Jahrbuch für rom. und
engl. Sprache und Literatur, XV, pag. 343.)
Die Mehrzahl der Metaphern, die die Lerche der Sprache
liefert, bezieht sich teils auf die Sangesfreudigkeit, teils auf
die kulinarische Verwendbarkeit dieses Vogels, so daß sowohl
die idealistische als auch die realistische Seite der Betrach-
tungsweise in der Sprache zum Ausdruck kommt.
Als Symbol des Sängers erscheint die Lerche besonders
in der deutschen Poesie des 18. Jahrhunderts, daher sie in
poetischer Sprache den Namen Barde oder Bardel führt.
Auf dem fröhlichen Charakter des Lerchengesanges beruht im
Deutschen und Engl, der Vergleich munter wie eine
Lerche (merry a$ a lark), den man namentlich auf junge
Mädchen anwendet, deren muntere Laune sich in fröhlichem
Liede äußert. Analog sagt der Italiener von einem sanges-
lustigen Mädchen: Cania come una calandra, sie singt wie
^ine Lerche.*) (Die Kalenderlerche übertriflft an Melodien-
reichtum bei weitem unsere deutschen Lerchenarten.) Daß
die Lerche eine Frühaufsteherin ist, kommt zum Ausdruck
in der frz. Redensart s^Sveiller au chant de Valottette, mit dem
Oesang der Lerche, d. h. sehr früh aufwachen. Auch hört man
wohl im Deutschen: Er steht mit den Lerchen auf.
Auf die ünermüdlichkeit der Lerche im Gesang bezieht sich
im Ital. der Gebrauch von calandra als Bezeichnung eines
Schwätzers und der von calandria im span. Rotwelsch als
Spitzname für einen öffentlichen Ausrufer.**) Häufig gebraucht
*) Heeger, Tiere im pf&lz. Volksmunde, 2. T., pag. 12, führt lercheln
an für „flöten wie eine Lerche".
**) Da die Ealenderlerche sehr häufig als Stuhenvogel im Bauer ge-
iialten wird, nennt der Spanier aus dem Volke einen Obdachlosen, der sich
11*
164 I^ie Lerche.
der Franzose „Lerche" (mauviäte), wo wir ganz allgemein
„Vogel", bzw. „Vögelchen" sagen. So nennt man im Franz.
ein zartes, schwächliches Kind gern mauviette und manger
comme une mauviette, essen wie eine Lerche, heißt „wenig
essen". (Deutsch auch: essen wie ein Spatz.) Als Vertreter
der ganzen Vogelklasse erscheint die Lerche femer in dem
engl. Sprichwort: If the shy falls, we shall catch larks, wenn
der Himmel einstürzt, werden wir Lerchen fangen. Ähnlich
im Franz.: Si le ciel tombait, il y aurait bien des alouettes
prises. Im Deutschen und Ital. findet sich dieses Sprichwort
auch, nur mit dem Unterschied, daß für „Lerche" „Vogel"
gesagt wird: Wenn der Himmel zusammenfällt, so sind alle
Vögel gefangen. — Se il cielo rovinasse, si piglierebbero di molti
uccelK Dies Sprichwort wendet man an, um eine absurde
Hypothese durch eine noch absurdere zu übertrumpfen.
Wie schon oben angedeutet, ist die Lerche nicht bloß ein
Liebling des Naturfreundes, sondern sie hat sich durch ihr
wohlschmeckendes Fleisch auch das Herz oder vielmehr den
Magen des Feinschmeckers erobert. Es ist für die Güte
des Lerchenfleisches ein rühmliches Zeugnis, daß gewisse
Speisen, gleichsam der Eeklame halber, „Lerchen" genannt
werden, wie z. B. eine Art Würstchen die Bezeichnung Stol-
berger Lerchen*) führen. Hiermit läßt sich vergleichen
im Franz. der Gebrauch von aloyau, Dim. von altfrz. aloe, als
Bezeichnung für den Lendenbraten, Nach Tobler (Sitzungsb*
der Berl. Akad. d. Wiss., philos.-hist. KL, vom 13. Jan. 1893)
ist das tertium comparationis allerdings nicht der Geschmack,,
sondern die Zubereitung des Fleisches. Er erklärt aloyau
als „eine Fleischschnitte, welche wie ein kleiner Vogel (ein
Lerchlein) am Spieße gebraten wird".**) Daß in Italien^
wo täglich Tausende von Singvögeln hingeschlachtet werden^
die Lerche als kulinarischer Artikel eine bedeutende Rolle
spielt, darf nicht wundernehmen. Wie hoch der Italiener das
krank stellt, um im Spital bleiben zu können, calandria. Die Scheuheit
dieses Vogels erklärt die Bezeichnung calandria für einen Feigling.
*) Die Leipziger Lerchen sind ein vielbegehrtes Gebäck.
**) Ein Analogen hierzu bietet deutsch ,. Spitzvogel-, womit man zu-
nächst einen am Spieß gebratenen Vogel, dann auch mit Speck gespicktes,,
am Spieß gebratenes Ealbfleisch bezeichnet.
Die Lerche. 165
Lerclienfleisch schätzt, erhellt aus der Redensart dare carne
di lodola oder kurz dare lodola, jemd. Lerchenfleisch geben,
d. h. ihm schmeicheln, wohl mit wortspielerischer Bezugnahme
auf lodare „loben". Demgemäß sagt man von einem, der sich
gern loben hört : Mangia carne di lodola, er ißt Lerchenfleisch.
Ebenso gilt den Franzosen die Lerche als ein besonderer Lecker-
bissen. So entspricht unserem Spruche: „Ohne Fleiß kein
Preis" im Franz. das Sprichwort: Les alouettes röties ne se
trouvent pas sur les haies, die gebratenen Lerchen flnden sich
nicht auf den Hecken. Einen ähnlichen Sinn hat das Sprich-
wort: 11 attend que les alouettes lui tombent ioutes roties, er wartet,
daß ihm die gebratenen Lerchen (deutsch: Tauben) ins Maul
fliegen. Daß auch der Engländer das Lerchenfleisch zu
schätzen weiß, geht hervor aus dem Diktum : Om leg of a
lark is worfh the tvhole hody of a kite, ein Lerchenbein ist einen
ganzen Geier wert.
Auf die Vorliebe der Lerche für sandiges Terrain bezieht
sich im Franz. die Bezeichnung terre ä alouettes „Lerchenland"
für eine Sandwüste. Hiermit läßt sich im Deutschen ver-
gleichen die bei Sanders angeführte Redensart: Land, das
die Lerche mistet, d. h. unfruchtbares Land. Da die
Lerche auf der Erde nistet, ist ihr Nest besonders gefährdet.
Sobald sie sich beobachtet sieht, entfernt sie sich von ihrem
Neste, um den Glauben zu erwecken, daß es sich in einer
anderen Richtung beflndet. Hierauf beruht die frz. Redens-
art donner la bourde de Valouette {boiirde = Lüge, Täuschung),
den Lerchenschwindel aufführen, d. h. die Aufmerksamkeit
einer Person von einer Sache, die man ihr verbergen will,
ablenken. (Vgl. Rolland, Faune pop., II, pag. 243.)
Mit Bezug auf das plötzliche Herabschießen der Lerche
aus der Luft sagt man in der deutschen Sportsprache von
einem, der vom Pferde fällt: Er schießt eine Lerche.
(Vgl. einen Purzelbaum, einen Bock schießen.) Die Lerche
wird häufig mit Spiegeln gefangen, durch welche der Vogel
geblendet wird. Daher im Franz. se laisser prendre au miroir
comme Valouette, sich wie die Lerche mit dem Spiegel fangen
lassen, d. h. sich durch Schmeicheleien betören lassen. (Vgl.
Rozan, Les animaux dans les proverbes, II, pag. 76.)
166 I>er Fink.
Der Fink.
Die germanischen und romanischen Namen dieses Vogels
sind onomatopoetisch (nach dem Lockmfe pink oder fink) und
zeigen daher eine grofie Ähnlichkeit. Das deutsche Fink
geht zurück auf mhd. vinke, ahd. fincho. Hiermit ist verwandt
engl, finch aus altengl. finc. Für die romanischen Benennungen :
ital. pincione, frz, pinson, span. pincon, pinchön, nimmt Schuchardt
als Grundwort ein supponiertes pincio an. Lat. fringuillus
ist erhalten in ital. fringuello, filmigtiello, frz. fringille. Der
Name des Vogels ist sehr wenig ergiebig für die Metaphoro-
logie, was wohl seinen Grund darin haben mag, daß der Fink
vom Volke sehr häufig mit dem Spatzen — der übrigens ins
Finkengeschlecht gehört — verwechselt wird und er daher
stillschweigend an den auf den Spatzen bezüglichen Metaphern
partizipiert.
Geradeso wie im Span, der Sperling als häufigster Vogel
durch Bedeutungserweiterung zum Vertreter der ganzen
Gattung wurde (span. pdjaro „Vogel" = lat. passer „Sperling"),
so wird im Dialekte von Helgoland „Fink" ganz allgemein
für „Vogel" gebraucht. Derselbe Bedeutungswandel hat sich
in dem Worte finken oder finkein vollzogen, das soviel
als „Vögel fangen" bedeutet. Auch in der studentischen
Bezeichnung Fink für einen Studenten, der keiner farben-
tragenden Verbindung angehört, erscheint der Fink als Vogel
not* €^oxi]v, indem das tertium comparationis wohl der Zustand
der Freiheit ist.
Spatz und Fink erscheinen als identisch, wenn man
das deutsche Sprichwort: Ein Sperling in der Hand ist
mehr wert als eine Taube auf dem Dache vergleicht mit
dem ital. Sprichwort: Meglio e fringuello in mano che tordo
in frasca, besser ein Fink in der Hand als eine Drossel auf
dem Zweig. Auf der nahen Verwandtschaft der beiden Vögel
beruht ferner das deutsche Sprichwort: Spatzenarbeit,
Finkenlohn, d.h. wie die Arbeit so der Lohn. In einigen
Gegenden Deutschlands wird der Sperling Mistfink ge-
nannt, wohl deshalb, weil er, namentlich im Winter, seine
Nahrung sich aus dem Kote der Tiere hervorsucht. Im über-
Der Fink. 167
tragenen Sinne wird Mistfink, dafür auch Dreckfink
oder Schmutzfink, für einen unreinlichen Menschen ge-
braucht. Mistfink ist gleichfalls eine scherzhafte Bezeich-,
nung des Landmanns. Im älteren Deutsch wurde Fink, in-
dem von der physischen auf die psychische Schmutzigkeit ge-
schlossen wurde, allgemein auf einen ausschweifenden Menschen
angewendet.
Auf die Munterkeit des Vogels beziehen sich im Franz.
die Redensart elre gai comme un pinson, fröhlich sein wie ein
Fink (deutsch: wie eine Lerche), sowie die Verba fringuer
und fringoter „tanzen und springen". (Vgl. ital. fringuellare.)
Mit Bezug auf die Sangesfreudigkeit des Finken sagt der
Italiener von einem guten Sänger: Canta come un filunguello,
er singt wie ein Fink, oder auch verstärkt : come un filunguello
cieco, wie ein blinder Fink, womit auf die barbarische Sitte
angespielt wird, die Singvögel zu blenden, wodurch ihr Gesang
angeblich gewinnt.
Als Symbol der Einfalt — zwar mit Unrecht — er-
scheint der Fink in der engl. Redensart to pull a fimh,
einen Finken rupfen, d. h. jemd. übervorteilen, namentlich
in pekuniärer Beziehung. Die Federn, die man dem Vogel
ausrupft, sind in diesem Falle die Geldstücke, die man
jemandem ablockt. Der Deutsche gebraucht dieselbe Redens-
art, nur mit dem Unterschiede, daß er anstatt des Finken
im allgemeinen eine bestimmte Art desselben, nämlich den
Gimpel, setzt (einen Gimpel rupfen). Der Gimpel er-
scheint im Deutschen überhaupt als Sinnbild der Dummheit,
wegen der angeblichen Leichtigkeit, mit der er ins Garn gelockt
wird. (Daher einen Gimpel fangen = jemd. betrügen.)
Was den Namen des Gimpels anlangt, so ist über dessen
metaphorische Verwendung in den übrigen Sprachen nichts
zu sagen, wohl aber ist es interessant, die Benennungen dieses
Vogels im Deutschen und in den romanischen Sprachen mit-
einander zu vergleichen. Im Deutschen ist nämlich für den
Gimpel auch die Bezeichnung Dompfaff üblich. In analoger
Weise wird der Vogel im Ital. monachino (Dim. von monaco
„Mönch") „Mönchlein", im Span, frailecillo (Dim. von fraik
„Klosterbruder"), im Franz. prelre „Priester" genannt. Zu dieser
Bezeichnung mag wohl die gedrungene Gestalt des Vogels, die
168 Der Zeisig.
ihm das Aussehen der Beleibtheit verleiht, sowie der schwarze
Scheitel, der entfernt an die Kopfbedeckung der Ordensgeist-
lichen erinnert, Anlaß gegeben haben. (Vgl. Rolland, Faune
pop., n, pag. 167.)
Der Zeisig.
Deutsch Zeisig beruht auf mhd. jsi^ec, ztse*) Letztere
Form ist noch erhalten in dem Dim. Zeischen und Zeis-
lein. Verwandt mit dem deutschen Worte ist engl, siskin.
(Vgl. deutsch - dialekt. S i s c h e n.) Die romanischen Be-
nennungen dieses Vogels zeigen keine Einheitlichkeit. Ital.
lucherino geht wahrscheinlich zurück auf lat. ligurinus (von
Ligtir) „ligurinisch, genuesisch", welche Etymologie semasio-
logisch allerdings unklar ist. Span, verderöl oder verderon
kommt von verde (lat. viridis) „grün", bezeichnet den Vogel
also nach seiner Farbe. (Vgl. deutsch „Grünling".) Die Her-
kunft von frz. serin ist noch nicht sichergestellt, wahrschein-
lich ist das Etymon lat. serenus „heiter". ^Seriai^ wäre dem-
nach eine Scheideform zu serein und der Zeisig der „lustige
Vogel", welche Benennung zu dem Wesen des Tierchens vor-
züglich paßt. Das Etymon von frz. tarin „Erlenzeisig" vßt
mutet man in einem supponierten lat. tenerinus von tener
„zart". Tarin wäre demnach der „zarte Vogel".**)
Der Zeisig hat ein ziemlich buntes Gefieder, an dem die
vorherrschenden Farben Gelb und Grün sind. Hierauf beruht
die Mehrzahl der auf den Zeisig bezüglichen Metaphern.
So nennt man in Österreich Zeiserlwagen diejenigen
Eisenbahn Waggons , die erst- und zweitklassige Coupes
enthalten, indem häufig die ersteren gelb, die letzteren
grün angestrichen sind. (Vgl. span. cangrcjo „Krebs" als
Bezeichnung der rot angestrichenen Straßenbahnwagen in
Madrid.) Nur auf das Grün im Gefieder des Zeisigs be-
*) Winteler, Naturlaute und Sprache, pag. 22, bezeichnet das Wort
als Schallvergleichungsname und bringt es in Zusammenhang mit lat.
tintinulare (lautverschoben zinzinulare), einer Ableitung von tinnire.
**) Nach Heeger, Tiere im pfälzischen Volksmund, 2. Teil, pag. 11,
nennt man ein zartes, schmächtiges Kind Zeiserle, wozu das Ad j. z e i s e r -
lieh „zierlich, schmächtig".
/
Der Zeisig. 169
zieht sich der in den ital. Gegenden Österreichs für den
sich gern in Grün kleidenden Steirer übliche Spitzname
Jucherino (dialektisch lughero). Ebenso berjihl, wie gezeigt
wnrde, im Span, die Bezeichnung des Vogels auf der grünen
Farbe. Wenn hingegen der Pariser den Gendarmen scherz-
weise sertn nennt, so vergleicht er hierbei dessen gelbes
Lederzeug mit den gelben Streifen au den Flügeln des
Zeisigs. Daß bald das Gelb, bald das Grün als die ausschlag-
gebende Farbe am Gefieder des Zeisigs erscheint, zeigt sich
auch darin, daß Italiener und Franzosen von giallo lucherino,
bzw. serin jaune sprechen, während Deutsche und Engländer
den Ausdruck zeisiggrün, bzw. siskin-green gebrauchen.
Unter den Finken ist der Zeisig entschieden der leb-
hafteste. Sein Treiben macht den Eindruck ausgelassener
Lustigkeit, daher man im Deutschen einen fröhlichen Kumpan
gern einen lustigen Zeisig nennt. (Zu dieser Metapher
stimmt vortrefflich die Etymologie serin = serenus „heiter".)
Hingegen hat tadelnden Sinn der Ausdruck lockerer Zeisig,
womit man einen leichtsinnigen Menschen bezeichnet. Die
Charakteristik, die Brehm von dem Vögelchen gibt, bestätigt
die in dieser Metapher zum Ausdruck kommende Auffassung.
Er sagt nämlich vom Zeisig, er sei bis zu einem gewissen
Grade „leichtsinnig" zu nennen! ^
^Wege n der großen Leichtigkeit, mit der sich der Zeisig
fangen läßt, gilt er dem Franzosen als Symbol der Einfalt,
spielt also im Franz. dieselbe Rolle, wie im Deutschen der
ihm so nah verwandte Gimpel, und zwar liegt die Ent-
stehung dieser Metapher klar vor Augen, indem serin als
Adjektiv zunächst „leicht zu fangen" bedeutet. Der Ge-
brauch des Wortes für einen einfältigen Menschen beruht
somit auf Metonymie. (Die Folge [das Überlistetwerden]
wird für die Ursache [Dummheit] gesetzt.) Da der Zeisig
leicht abzurichten ist und sogar Melodien nachpfeifen lernt,
so wird im Franz. ein von serin abgeleitetes seriner für das
Abrichten von Vögeln im allgemeinen gebraucht: seriner un
oiseau heißt wörtlich „einen Vogel zum Zeisig machen" oder
„ihn wie einen Zeisig behandeln", d. h. zum Nachpfeifen
abrichten. Dann wird das Wort infolge von Erweiterung
des Bedeutungsumfanges im Sinne von „jemd. etwas ein-
170 I^er Sperling.
trichtern^ gebraucht, und da die Abrichtang rein mechanisch
geschieht, nämlich durch fortwährendes Vorpfeifen einer und
derselben Melodie, so nimmt das Wort metonymisch die
Bedeutung von Jemd. etwas beständig vorleiern" an. Dem-
entsprechend bezeichnet serinette sowohl das mechanische Ein-
trichtern wie auch das Instrument dazu, die Vogelorgel.
Der Sperling.
Deutsch Sperling*) beruht auf mhd. sperlinc, das eine
diminutive Ableitung aus mhd. spar, ahd. spare ist. Hiermit
ist verwandt engl, sparrow aus altengl. spearwa. Dasselbe
Wort ist erhalten in deutsch Sperber aus mhd. sp^rwoerey
sparwcere, d. i. wörtlich „Sperlingsaar". Der zweite Bestand-
teil des Wortes ist ari = Aar. Man vgl. damit die engL
Bezeichnung für „Sperber", sparrow-harh , altengl. spearhafoe
„Sperlingshabicht". Neben Sperling ist Spatz gebräuchlich^
was die Koseform zu mhd. spar ist.
Was die romanischen Sprachen betrifft, so ist lat. passer
erhalten in ital. passera, passero, sowie in den davon gebildeten
Diminutiva passeroUo, passerino, ferner im frz. Dim. passereau
sowie in span. pdjaro, das infolge Bedeutungsgenerali-
sierung den Vogel im allgemeinen bezeichnet. (Vgl. die um-
gekehrte Bedeutungsentwicklung [Verengung] in ital. span.
oca, frz. oie „Gans" aus avica „Vögelchen".) Bezüglich des
Span, sei noch bemerkt, daß Tolhajasen in seinem Wörterbuch
bei pdjaro „Vogel" auch noch die ursprüngliche Bedeutung
„Sperling" angibt, während das Wörterbuch der Akademie
von dieser zweiten Bedeutung nichts weiß. Auf jeden Fall
ist das Bewußtsein der ursprünglichen Bedeutung noch nicht
ganz geschwunden, da pdjaro vorzugsweise auf kleinere Vögel
angewendet wird. Übrigens hat auch im Rumänischen pdsere
*) Nach Winteler, Natur] ante nnd Sprache, pag. 14, schallnachahmend
(vom Wamongsrnfe terrj ter, ter, wofür man auch sper setzen könne).
Wenn jedoch Winteler in dem deutschen Dialektnamen Dieh eine voUu-
etymologische Umdeutnng eines Rufnamens sieht, so scheint mir dies zu
weit gegangen, heißt doch der Haussperling in einigen Gegenden Portugals
pardal ladro {ladro = Dieh).
Der Sperling. 171
die allgemeine Bedeutung von „Vogel" angenommen. Der
gewöhnliche Name des Sperlings im Franz. ist moineau, ein
semasiologisch interessantes Wort. Als Etymon hierfür wird
ein von musca „Fliege" abgeleitetes, supponiertes muscio an-
genommen. Das Wort würde also offenbar soviel bedeuten
als „kleiner Vogel". (Oder sollte damit ursprünglich der
„Fliegenfänger" bezeichnet worden sein?) Wenigstens hat
mouchon im Hennegauschen die Bedeutung „kleiner Vogel"^
moisson hingegen heißt im Normannischen mit Bedeutungsver-
engung „Sperling", was ein interessantes Gegenstück zu span.
pdjaro bildet. Frz. moineau beruht auf dem Dim. von moisson^
ffKmnel, wobei das Wort jedenfalls volksetymologisch von moineau
(Dim. von maine) „Mönchlein" beeinflußt wurde. Tertium com-
parationis ist hierbei wohl die Farbe. (Die Mönchskutte ist braun.)
Ein Analogon hierzu bietet der portug. Name des Sperlings^
pardal (von pardo „braun"), der übrigens auch im Span, neben
gorrion gebraucht wird. Man vgl. im Deutschen die Bezeichnung
„Mönch" für das Schwarzblättchen sowie die Benennungen
des dem Sperling so nah verwandten Gimpels im ItaL
(monachino) und im Span. (fraileciUo). Einen zweiten Namen
für den Spatzen besitzt das Frz. in pierrot, dem Dim. von
Pierre „Peter". In den meisten Wörterbüchern wird das Wort
im Zusammenhange mit pierrot „Hanswurst" angeführt, gleich-
sam als wäre es eine bildliche Verwendung letzteren Wortes.
Nach unserer Auffassung ist es jedoch davon zu trennen
und direkt von dem Taufnamen Pierre abzuleiten, wie über*
haupt die Benennung von Tieren nach Personennamen eine
ganz gewöhnliche Erscheinung ist. So leitet man span.
perro „Hund" von lat. Petrus ab und wahi'scheinlich ist dies
Wort auch das Etymon von perroquet „Papagei". (Vgl. span.
pericOj bezw. Perico „Papagei" und „Peterchen".) Man denke
ferner an den Petersvogel (die Sturmschwalbe) und den Peters-
fisch (ital. pesce San Pietro). Überdies findet sich in der
Gegend von Lübeck für den Sperling der Name Dakkpeter
„Dachpeter". (Vgl. Korrespondenzblatt für niederdeutsche
Sprachforschung 1892, XVI, pag. 83 und Glöde, Der Sperlings-
name, in Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 1894,
pag. 267 f.) wo auch andere niederdeutsche Sperlingsnamen
besprochen werden.) Eine dritte, landschaftlich beschränkte
172 I^er Sperling.
Bezeichnung des Sperlings im Franz. ist gtiüleri, was zunächst
das Gezwitscher des Sperlings und dann metonymisch den
Sperling selbst bezeichnet. Dabei ist es gewiß nicht not-
wendig, Entlehnung aus schwedisch qvittra „zwitschern" an-
zunehmen, sondern man kann das Wort als direkte Schall-
nachahmung auffassen. Von guilleri „Spatz" ist jedenfalls
das Adjektiv guüleret „lebhaft, ausgelassen" abzuleiten (fehlt
bei Körting), wenigstens stimmt seine Bedeutung ganz zum
Wesen des Spatzen. Ein Analogen hierzu bietet friquet, die
Bezeichnung des Feldsperlings, aus altfrz. frique „munter,
lebhaft" (verwandt mit deutsch „frech").*) Die gebräuchlichste
Bezeichnung fiir den Sperling im Span, ist das etymologisch
noch nicht aufgeklärte gorrion. Daneben wird pardal ge-
braucht (s. oben). Es wäre demnach der Spatz der „braune
Vogel". Benennung von Vögeln nach der Farbe ihres Ge-
fieders kommt auch sonst vor. (Vgl. deutsch „Grünling", engl.
Uackbird „schwarzer Vogel" für „Amsel".)
Wegen seiner Häufigkeit — er ist wohl überhaupt der
verbreitetste und numerisch am stärksten vertretene Vogel
in Europa — erscheint der Sperling in gewissen Metaphern
und metaphorischen Redensarten als Vertreter der ganzen
Vogelklasse überhaupt, welche Funktion — wenn man so
sagen darf — er mit der gleichfalls sehr häufigen Krähe teilt.
Ein Analogen hierzu bietet die Bedeutungsentwicklung von
passer im Span, und Rumänischen, in welchen Sprachen, wie
bereits erwähnt, das Wort heute die Bedeutung „Vogel" hat.
Auch im Frz. wird moineau volkstümlich auf kleine Vögel im
allgemeinen angewendet. (Vgl. Rolland, Faune pop., II, pag. 156,
Anmerkung.) Die im folgenden zu besprechenden Metaphern
kennzeichnen sich eben dadurch, daß sie sich auf Eigenschaften
beziehen, die der Sperling mit anderen Vögeln teilt und die
daher für ihn nicht charakteristisch sind. Von Metaphern,
die sich auf das Äußere des Sperlings beziehen, sind zunächst
anzuführen die Spatzen (schwäbisch: Spätzle) als Be-
nennung einer Mehlspeise (ein Mittelding zwischen Nudeln
und Klößen). Im Wasser eingekocht, heißen sie W asser -
*) Vgl. die Redensart Ure gai comme un pierrotj lustig sein wie
ein Spatz.
Der Sperling:. 173
Spatzen. Das tertinm comparationis ist ganz allgemein
die Gestalt. (Vgl. ital. toppini als Bezeichnung von kleinen
Klößen, deutsch „Mäuschen" für eine Mehlspeise.) Hierher
gehört femer Spatzenwaden als scherzhafte Bezeichnung
dünner Waden, (Vgl, frz. pattes de coq „Hahnenwaden".) Als
Vertreter der ganzen Vogelklasse erscheint der Spatz auch in
der franz. Redensart manger comme un moineau, essen wie ein
Spatz, d. h. wenig essen. (VgL deutsch „essen wie ein Vögel-
chen", franz. appStÜ eCoiseau „Vogelappetit", itaL mangiare
quanV un canarino, essen wie ein Kanarienvogel.) Ganz die-
selbe Bolle spielt der Spatz in der frz. Redensart coucher ä
l'hotel des trois moineaux, im Hötel der 3 Spatzen übernachten,
d. h. im Freien schlafen. Hierher zu ziehen ist ferner die
spezifisch deutsche Redensart Sperlinge unter dem Hnte
haben, d. h. ungern grüßen, gleichsam als fürchte man,
durch das Lüften des Hutes den Sperlingen Gelegenheit zu
geben zu entkommen. Daß schon bei den Römern der Spatz
der Vogel xav i^o/jjv war, ergibt sich aus dem Gebrauch von
passercida (Dim. von passer) im Sinne unseres „Vögelchen"
als Liebkosnngswort für ein junges Mädchen. Hierin zeigt
sich übrigens eine sehr optimistische Auffassung vom Wesen
des Spatzen im Gegensatz zu den modernen Sprachen, die
an diesem Vogel nur Mängel entdecken. Auffallend ist der
Ausdruck einsamer Spatz als Bezeichnung eines einsam
lebenden Menschen, denn er steht im direkten Widerspruch
zur Wirklichkeit, da die Spatzen im Gegenteil äußerst ge-
sellige Vögel sind und immer in S<^hwärmen vorkommen. Der
Sachverhalt ist nämlich der, daß einsamer Spatz ur-
sprünglich eine volkstümliche Bezeichnung der tatsächlich
in einsamen Gegenden vorkommenden Blauamsel ist. (Vgl.
„Rohrspatz" für „Rohrdrossel".) Dem Laien allerdings ist
der Ursprung der Redensart nicht bewußt und er denkt dabei
natürlicherweise an den Sperling. Analog wird im Ital. nnd
Span, die Blauamsel mit passera solitaria, bzw. päjaro .
bezeichnet. Für das Spanische ist diese Benennuu
übrigens wie im Deutschen auch metaphorisch gel
wird, besonders lehrreich, da sie in päjaro den Überga
der Bedeutung „Sperling" zu der von „Vogel" deutl
kennen läßt Im Franz. ist gleichfalls ein oiaeau solitaire
174 I^er Sperling.
bei Sachs findet sich jedoch hierbei die Bemerkung, daß es
einen jetzt nicht mehr bekannten Vogel bezeichnet. Die Blau-
amsel heißt im Frz. metzle de montagne.
Wegen seiner stark erotischen Veranlagung ist der Spatz
in den meisten Sprachen das Symbol der Geilheit. Naumann
sagt von dem Sperling, es sei kein Vogel bekannt, der ihm
an Ausdauer in der Ausübung physischer Liebe zuvorkomme.
Er ist sozusagen der Don Juan unter den Vögeln. Daher war
er der Venus geheiligt, die ihren Wagen von Sperlingen
ziehen ließ. Bei den alten Autoren finden sich Stellen, in
denen ausdrücklich diese Eigenschaft des Sperlings betont
wird. So spricht z. B. Cicero irgendwo von der voluptas, quae
passeribus nota est otnnibus. Dementsprechend sagt man im
Deutschen von einem in erotischer Beziehung sehr leistungs-
iUhigen Menschen: Er kann wie ein Spatz, im Ital.: iJpiü
liissurioso che le passere^ im Span, und Franz.: Es was ardiente
que un gorriön, bzw. il est pltis chaud qu'un moineau, er ist
hitziger als ein Spatz. Hierher könnte man auch die engl.
Slangredensart ziehen io go out sparrow - catching , auf den
Sperlingfang ausgehen, wenn man es nicht vorzieht, hierin
ein Analogen des deutschen „Gimpelfangs" zu erblicken.
Das unstete Wesen des Spatzen, der trotz seiner ver-
hältnismäßig plumpen Gestalt*) eine große Beweglichkeit verrät,
hat ihn in den Ruf des Leichtsinns gebracht. Da Leichtsinn
auf Mangel an Überlegung beruht, so wird Spatzenkopf
im Deutschen zur Bezeichnung eines unüberlegt oder töricht
handelnden Menschen gebraucht. (Vgl. frz. tete de linotte
„Hänflingskopf".) Analog sagt der Italiener von einem solchen
Menschen: Ha cervello qtuinto un passero, er hat nicht mehr
Hirn als ein Spatz. Hierauf beruht die auf den ersten Blick
befremdende Bedeutung „Fehler, Schnitzer", die das Wort
unter Umständen annehmen kann. Die Bedeutungsentwick-
lung ist jedenfalls metonymisch vor sich gegangen. (Spatz
— Handlungsweise eines Spatzen. Ursache für Wirkung.)
Allerdings stellt sich hierbei die Sprache in Gegensatz zur
Naturgeschichte, die uns den Spatzen als einen äußerst
*) Auf den großen plampen Schnabel des SperUngs bezieht sich engl.
^parrow-mouthed „spatzenmänlig" für „großmäulig".
Der Sperling. 175
intelligenten und mit einem merkwürdigen Gedächtnis be-
gabten Vogel schildert. (Vgl. jedoch ital. piü furbo cPuna
passera, schlauer als ein Spatz.) Allein die Sprache macht
das Volk und dieses kümmert sich — was wir im Laufe
unserer Untersuchung schon oft zu konstatieren Gelegenheit
hatten — wenig um die Ergebnisse wissenschaftlicher Be-
obachtung, sondern urteilt nur nach dem äußeren, oberfläch-
lichen Eindruck. Scheinbar gehört auch hierher die ital.
Eedenart: NeUa stm testa c'^ andato covare un passer o, in seinem
Kopf hat sich ein Sperling eingenistet, d. h. er ist geistig
nicht ganz normal. In Wirklichkeit ist passero hier in ganz
anderem Sinne gebraucht. Der Sperling erscheint hier nämlich
als Symbol der hin- und herschwirrenden Gedanken. (Vgl.
frz. avoir des moineatix dans la fete, avoir une hirondelU dans le
soliveauj deutsch: einen Vogel haben.) Hierher zu ziehen ist
ferner die Redensart cacdar U passere, die Sperlinge, d. h. die
lästigen Gedanken verjagen.
Der Spatz gilt aber nicht bloß als Symbol harmlosen
Leichtsinns, er wird auch als Sinnbild der Liederlichkeit ver-
wendet, wozu seine erotische Unersättlichkeit nicht wenig
beitragen mag. Dementsprechend nennt der Spanier einen
Schlupfwinkel für liederliches Volk gorrionera, was wörtlich
einen Ort bedeutet, wo viele Spatzen hausen. So sagt auch
der Franzose zu einem Individuum, das sich in moralischer
Beziehung eine starke Blöße gegeben hat, ironisch: Tu es
v,n jöli moineau , Du bist ein netter Spatz. (Vgl. ital. : Tu
sei un bei merlo,) Neben seinen sonstigen schlechten Eigen-
schaften hat der Spatz noch eine sehr unangenehme, da-
bei aber kräftige Stimme, die er mit großer Unermüdlicli-
keit erschallen läßt. Es ist sehr begreiflich, daß das un-
harmonische, jeder Melodie entbehrende Gezwitscher des
Spatzen den Eindruck des Schimpfens machen konnte. Dies,
verbunden mit der in Vergleich zu anderen Vögeln großen
Kühnheit des Sperlings, erklärt zur Genüge die Metaphern,
in denen dieser Vogel als Bild der Frechheit erscheint. So sagt
man im Deutschen von einem dreisten Menschen geradezu:
Er ist frech wie ein Spatz, und mit Bezug auf das fort-
währende Gezwitscher des Vogels gebraucht man Spatzen-
zunge im Sinne von „Lästermaul". Hingegen bezieht sich
176 I^er Sperling.
die im Deutschen sehr gebräuchliche Hedensart schimpfen
wie ein Rohrspatz nicht auf unseren Sperling, sondern
auf die zur Gattung der Schilfsänger gehörige RohrdrosseV
die vom Volke auch Rohrsperling genannt wird und eine
unangenehm knarrende, entfernt an das Froschgequak er-
innernde Stimme besitzt. Die Spatzenfrechheit wird auch im
Franz., wo man den Sperling gern gamin de Paris,*) Pariser
Straßenjunge, nennt, metaphorisch verwendet, wie erhellt aus
der Redensart itre hardi comme un pierrot, dreist sein wie ein
Spatz. Hierher zu ziehen ist ferner ital. passeraio „Sperlings-
gezwitscher", welches Wort metaphorisch auf das Durchein-
anderreden vieler Leute angewendet wird. Wenn man im
Deutschen sagen will, daß ein Geheimnis in aller Munde ist,
so bedient man sich häufig der Redensart die Spatzen
pfeifen's auf den Dächern, wobei das Gezwitscher der
Spatzen mit dem böswilligen Geklatsch der Leute ver-
glichen wird. (Vgl. im Normannischen pierrotter von pierrot
„Sperling" = havarder „schwatzen".)
Der Spatz repräsentiert keinen großen Wert, da er weder
als Zimmervogel gehalten noch auch kulinarisch verwendet
wird (außer in Italien, wo alle Vögel gegessen werden).
Deswegen wird er, namentlich im Französischen, zum Aus-
druck des Wertlosen, Unbedeutenden verwendet, so z. B. in
der Redensart appelez-vous cela des moineaux? nennen Sie das
Sperlinge? d. b. Ist denn das nichts? (Vgl. ital. che son
mosche? sind denn das Fliegen?) Demgemäß sagt der Franzose
von einem, der sein Geld auf Kleinigkeiten vergeudet: 11
tire sa poudre aux moineaux, er verschießt sein Pulver auf
Sperlinge. Hingegen bedeutet die deutsche Redensart mit
Kanonen nach Sperlingen schießen: zur Wider-
legung leicht zu bekämpfender Behauptungen das ganze
Rüstzeug der Logik ins Feld führen. Desgleichen erscheint
der Sperling als Bild des Wertlosen in dem deutschen Sprich-
wort: Ein Sperling in der Hand ist besser als eine
Taube auf dem Dache, wofür man auch sagt: Besser
ein Sperling in der Hand als ein Kranich, der
*) Im Deutschen bezeichnet man den Sperling als den „Gassenjongeik
unter den Vögeln".
Die Wachtel. 177
fliegt Über Land. Ebenso wird im Franz. dem Sperling
der Kranich gegenübergestellt in dem Sprichwort : Un moineau
dans la main vaut mieux qu'une grue qui vole, während im
Engl, der Fasan an Stelle des Kranichs tritt: A sparrow in
the hand is worth a pheasant flying by. (Vgl. itaL Meglio h
fringuello in mano che tordo in frasca\ span. Mas vale päjaro
in mano qae buitre (Geier) volando, wo päjaro die ursprüng-
liche Bedeutung von „Sperling" bewalu-t hat.) Schließlich
-sei noch aus dem Engl, sparrow-grass „Spatzengras" als
volkstümliche Bezeichnung des Spargels erwähnt. Es ist dies
jedoch nur scheinbar eine vom Spatzen hergenommene Me-
tapher, in Wirklichkeit ist das Wort nichts anderes als eine
scherzhafte auf Volksetymologie beruhende Verballhornung
von asparagus „Spargel".
Die Wachtel.*)
Deutsch Wachtel beruht auf mhd. wahtelj ahd. tvaktakij
quaktela**) worauf die romanischen Bezeichnungen: ital.
-qucylia, frz. caille, altfrz. quaille, zurückzuführen sind. Letzteres
ist wiederum das Etymon zu engl quaß. Der lateinische
Name der Wachtel, coturnix, ist erhalten in ital. coturnice,
'Cotornice (seltener gebraucht als qaaglia), und in span. codorniz.
Die Wachtel liefert unserer Betrachtung nur spärliches
Material. Auf das Äußere des Vogels, und zwar auf seine
Wohlbeleibtheit, bezieht sich im Ital. und Frz. die Eedensart
^ssere grosso come una quaglia, bzw. etre gras comme une caiUe,
fett sein wie eine Wachtel.
Wenn im Deutschen der Name des Vogels für „Ohifeige"
verwendet wird, so beruht diese Metapher auf derselben Art
von Bedeutungswandel wie der Ausdruck Schwalbe (siehe
pag. 137), womit dieselbe körperliche Züchtigung bezeichnet
wird. Von dieser Metapher ist ein Verbum gebildet, nämlich
*) Vgl. was Lorentz in seiner Abhandlung „Kulturgeschichtliche Bei-
träge zur Tierkunde des Altertums" (Jahresbericht des königl. Gymnasiums
2U Würzen) 1903/04 über die Wachtel sagt.
**) Onomatopoetisch nach dem Ruf des Vogels. (Vgl. Winteler, Natur-
laute und Sprache, pag. 17.)
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 12
178 I>ie Wachtel.
wachtein, das durch Erweiterung des Begriftsumfangs zur
Bedeutung „zflchtigen" gelangte.
Mit Bezug auf die Unersättlichkeit der Wachtel in der
Befriedigung des Geschlechtstriebes nennt der Franzose ein
Weib, das seine Verliebtheit in unzweideutiger Weise zu er-^
kennen gibt, caüle coiffie, verliebte Wachtel, oder er sagt wohl
auch von ihr: Elle est chaude comme une caille, sie ist hitzige
wie eine Wachtel .*) Hierauf beruht der Gebrauch von engL
quail (daneben callet) für eine Dirne (jetzt wenig mehr ge-
bräuchlich). Ebenso kann quail auf eine alte Jungfer an-
gewendet werden, insofern sie nicht darauf verzichtet hat,,
einen Mann zu finden. (Namen von Vögeln aus dem Hühner-
geschlechte werden überhaupt sehr häufig zur verächtlichen
Bezeichnung von weiblichen Wesen gebraucht. Vgl. deutsch
Gans, Schnepfe, frz. oie, dinde, grue usw.)
Während die Sprache häufig Namen von Tieren, die von
der Naturgeschichte als intelligent geschildert werden, als^
Symbole geistiger Beschränktheit verwertet, gebraucht sie
merkwürdigerweise den Namen der intellektuell minder be-
gabten Wachtel zur Bezeichnung eines schlauen Menschen,,
so wenigstens im Ital. : Essere una qtiaglia sopraffina bedeutet
soviel als „sehr schlau sein^. Semasiologisch interessant ist
der Gebrauch des Wortes „Wachtel" für den zum Wachtel-
fang abgerichteten Hund (allerdings mit Geschlechtswandel:
D e r W a c h t e 1). Es läßt sich diese auf Metonymie beruhende
Begriffsentwicklung vergleichen mit dem in itaL cucula
(Kuckuck - Vogelnetz) zutage tretenden BedeutungswandeL
(Die zum Fangen eines Tieres dienende Vorrichtung mit
dem Namen dieses Tieres bezeichnet.) Allerdings wäre es
denkbar, daß „Wachtel" für „Wachtelhund" eine einfache
Kürzung ist.**) (Vgl Nyrop, Leben der Wörter, pag. 174, wo
für diese sprachliche Erscheinung eine Reihe von Beispielen
aus dem Dänischen angeführt wird.)
Zum Wachtelfang bedient man sich auch einer Lockpfeife,
*) Im Patois von Valenciennes ist carcaillon „Wachtel" Bezeichnung:
des Penis.
**) Vgl. „Dachs" für „Dachshund".
Der Kranich. :t79
die den schnarrenden Ruf*) des Weibchens genau nachahmt,
daher im Engl, im Volksmunde quailrpipe „Wachtelpfeife^ so-
viel als „Weiberzunge" bedeutet, wobei das tertium compara-
tionis der schnarrende Ton ist.
Der Kranich.
Deutsch Kranich beruht auf mhd. kranech, ahd. chranuk^
chranih. Neben Kranich kommt eine kürzere Form Kr ahn
vor, die im Nhd. nur metaphorisch gebraucht wird und zu-
rückgeht auf mhd. krane, altniederdeutsch krano. Die altengl.
Form ist cran, woraus neuengL crane „Krahn" und „Kranich".
Das Wort ist noch erhalten in Krammetsvogel, mhd.
kranewitvogel. Kranewit ist im Mhd. die Bezeichnung des
Wacholders (heute noch im bayrisch - österreichischen Dia-
lekte in der Form „Kronaweta" gebräuchlich).**) Der zweite
Bestandteil des Wortes ist ahd. loüo „Holz" (vgl. engl. wood).
Kranewit bedeutet demnach „Kranichsholz". (Vgl. engl, crane-
berry, cranberry „Moosbeere".)
Die romanischen Benennungen des Kranichs gehen sämt-
lich auf lat. grtis***) bzw. gruicula^ gruiculus zurück, das mit
griechisch yiqavog und ahd. chreia stammverwandt ist. Sie
lauten : ital. grue^ gr% span. gm, gruoj grulla, gruUo, frz. grue.
Was beim Kranich am ersten auffällt, ist sein ungemein
langer Hals, daher engl, crane-necked „kranich = langhalsig",
dem frz. cou de grue, ital. collo del gru „Kranichhals" als
Bezeichnung eines langen Halses entsprechen. Auf diesem
physischen Merkmale beruht die allen Sprachen gemeinsame
Bezeichnung einer allbekannten Hebevorrichtung mit dem
Namen dieses Vogels. Dieselbe besteht aus einer Säule und
einem an oder mit dieser drehbaren, meist schräg aufwärts
gerichteten Balken, von welchem eine zum Tragen bestimmte
Kette herabhängt. Dieser Balken ist es nun, der mit dem
*) Auf diesen Huf bezieht sich frz. caiüette „ Schwätzerin '', wovon
cailletage „Geschwätz".
**) Analog wird der Erammetsvogel in Istrien gineprone genannt
(von ginepro == juniperua „Wacholder").
***) Onomatopoetisch nach dem Rufe des Vogels (kruuh).
12*
180 ^cf Kranich.
ausgestreckten Halse des Kranichs oder vielmehr mit der von
Hals und Schnabel gebildeten Linie verglichen wird. Dies
ersieht man ganz deutlich aus der für den Balken üblichen
Bezeichnung „Schnabel^. Im Deutschen wird als Benennung
der ganzen Maschine die kürzere Foim „Kran" verwendet,
die heute nur mehr in dieser übertragenen Bedeutung
gebraucht wird. (Dialektisch auch „Kranich".) Im Engl.,
Ital., Franz. und schon im Altgriechischen werden Vogel und
Maschine mit demselben Worte bezeichnet. Im Span, hin-
gegen sind wie im Deutschen Doppelformen vorhanden, von
denen die eine, grua^ auf die Hebevorrichtung, die andere,
grülla (aus lat. gruicula, Dim. von grus), heute nur mehr auf
den Vogel angewendet wird. Das Portug. besitzt sogar drei
Scheideformen : grou, grua, grülha. Grou bezeichnet den Vogel,
grua den Kran, grulha wird mit Bezugnahme auf das fort-
währende Piepen der jungen Kraniche im Sinne von „Schwätzer"
gebraucht: davon grulhar „lärmen, schwätzen" und jrrwZ-
hada „Lärm". Hierher gehört noch frz. grue als ehemalige
Bezeichnung eines als militärisches Strafinstrument dienenden
Halseisens {mettre qn. ä la grue).
Auf die Eigenheit des Kranichs, beim Fliegen seinen
Hals lang auszustrecken, beziehen sich die engl. Redensart
to crane one's neck, den Hals vorstrecken, und to crane at a
thing als Terminus der Hetzjagd. Damit bezeichnet man
nämlich das vorsichtige und ängstliche Ausspähen des Beiters
nach kommenden Hindernissen und allgemein überhaupt ein
Innehalten, Zögern. Der Vergleich ist treffend, da die Kraniche
äußerst vorsichtige Vögel sind und auf ihren Wanderungen
durch die geringste Gefahr beunruhigt werden. Man be-
zeichnet daher im Engl, mit craner einen allzuängstlichen
Menschen, dessen Vorsicht an Furchtsamkeit grenzt. Absolut
gebraucht erscheint to crane in der Wendung to crane down
„sich niederbeugen".
Auch vom Schnabel des Kranichs sind einige Meta-
phern hergenommen. So gebraucht man im Lat, Span, und
Franz. den Namen des Vogels metonymisch für einen im
Altertum bei Belagerungen verwendeten Sturmhaken (häufiger
allerdings nach dem Schnabel des Baben benannt). Hierher
gehört ferner crane^s-bill „Kranichschnabel" als chirurgischer
Der Kranich. 181
Terminus für eine lange Zange. (Vgl. frz. bec-de-corbin, deutsch
„Babenschnabel'^.)
Wie alle Stelzenvögel sind die Kraniche gewandte Läufer
und bewegen sich mit derselben Sicherheit auf der Erde wie
in der Luft. Auf den mit langgestrecktem Halse daher-
stolzierenden Kranich, der stets den Eindruck macht, als ver-
folge er unentwegt ein bestimmtes Ziel, bezieht sich die engl.
Redensart to crane at the girls, den Mädchen nachlaufen. (Vgl.
„nachsteigen^ in der deutschen Studentensprache.)
Da die Kraniche wie die Störche oft stundenlang regungs-
los verharren, wobei sie manchmal nur auf einem Beine stehen
(vgl. provenz. pata „Bein" = Kranich), so sagt man im Franz.
von jemand, der lange Zeit an einer Stelle wartend verweilt:
Tl fait le pied de grue, er macht das Kranichbein, oder nur:
II fait Ja grue, er macht den Kranich.*) Hiermit mag es zu-
sammenhängen, wenn im Pariser Argot grue auf eine gewisse
Art von Dämchen angewendet wird, die auf offener Straße
oder in Caf6s auf zahlfähige Klienten passen.
Mit Bezug auf die schlanke Gestalt des Vogels nennt
man in einigen Gegenden Englands einen mageren Menschen
crane-gutted „kranichbäuchig", während man im Franz. ein
großes, linkisches Frauenzimmer gern mit grm bezeichnet,
da in der unsymmetrischen Gestalt des Vogels tatsächlich
etwas Unbeholfenes liegt. (Vgl. chameau.)
Schließlich wird grue häufig auf ein beschränktes weib-
liches Wesen angewendet und entspricht als Schimpfwort
unserer „dummen Gans". (Vgl. frz. dinde.) Auch adjektivisch
wird grue in diesem Sinne gebraucht. Von grue abgeleitet ist
gruerie „Dummheit". Hiermit geschieht dem guten Kranich
allerdings bitteres Unrecht, denn dieser Vogel gehört nach dem
übereinstimmenden Zeugnis aller Ornithologen zu den klügsten
Tieren. Übrigens steht der Kranich nicht bloß im Franz.
in solch üblem ßuf, sondern er wird auch im Span, ge-
legentlich als Sinnbild geistiger Beschränktheit verwendet.
So ist in der span. Literatur Pero OruUo „Peter Kranich",
ein Seitenstück zum frz. Priid'homine, der Typus des bornierten
*) Über das Spiel pied de gnte, das so heifit, weil die Hauptperson
auf einem Beine stehen mnfi, vgl. BoUand, Faune pop., 11^ pag. 370.
182 Der Kranich.
Philisters, der sich in hohlen Phrasen und lächerlichen
Gemeinplätzen (perogruUadas) gefällt. Demnach steht es
außer Zweifel, daß das ital. Adjektiv grtdlo „dumm, albern'^
identisch ist mit span. grüllo „Kranich^ und somit auf lat.
gruiculus beruht und nicht auf einem supponierten corrotulus
„zusammengerollt", wie Pascal (Studi di fll. rom. Vn, 94) will.
Im Altertum hatte man trotz der sonst höchst un-
klaren naturhistorischen Begriffe eine richtigere Vorstellung
von dem wahren Wesen des Kranichs. Man denke nur an
die Kraniche des Ibykus und an die Rolle, die diese Vögel
als elbische Tiere in der germanischen Mythologie spielten.
Als kluges oder wenigstens vorsichtiges Tier erscheint der
Kranich in dem span. Sprich worte: Dos d uno, tornarme he
grtdlo, wörtlich: Zwei gegen einen, ich werde mich in einen
Kranich verwandeln, d. h. davonfliegen, womit gesagt wird,
daß es ein Gebot der Klugheit ist, dem Stärkeren zu weichen.
Tatsächlich ist es äußerst schwer, diese Vögel, die an Vor-
sicht das Größtmögliche leisten, zu fangen.
Auf den geselligen Charakter der Kraniche, die ihre
Wanderungen stets in großen Schwärmen unternehmen, be-
zieht sich span. gruWada als Bezeichnung einer größeren Ge-
sellschaft, die freundschaftlich zusammengeht. Auch wird das
Wort auf einen Trupp alguaciUs angewendet, der nachts die
Kunde macht. Hierher zu ziehen ist femer das span. Sprich-
wort: Grtdla trasera pasa d la delanfera, d. h. der im Zuge
letzte Kranich wird mit der Zeit der erste sein, was unserem
deutschen „Eile mit Weile" entspricht.
Im Mittelalter wurde der Kranich, dessen Fleisch auf
keiner fürstlichen Tafel fehlen durfte, eifrig gejagt, und zwar
wie sein Verwandter, der Reiher, mittelst Falken. Den zu
dieser Jagd abgerichteten Falken nannte man span. halcön
grullero oder auch nur gruUero, frz. famon gruyer „Kranichs-
falke". Da in der Regel die Forstmeister mit der Falken-
beize betraut waren, so nannte man sie nach ihrer Beschäfti-
gung gruyers, während der Forstlehnherr frz. seigneur gruyei%
span. senor grullero hieß. Hiermit wird die von Diez aufge-
stellte Etymologie, nach welcher frz. gruyer auf mhd. gruo
„grün, Wiese" zurückgehen soll, von selbst hinfallig.
Schließlich sei noch erwähnt, daß in einigen Gegenden
Die Schnepfe. 183
Englands infolge von Bedeutungsgeneralisiernng dem Kranich
verwandte Vögel, wie Keiher und Störche, mit crane bezeichnet
werden. So heißt z. B. die bei uns unter dem Namen „Storch-
schnabel" bekannte Pflanze engl. crane's-biU „Kranichschnabel^.
Die Schnepfe.*)
Der Name dieses Vogels ist semasiologisch insofern inter-
essant, als alle Sprachen ihn nach demselben Merkmal, nämlich
seinem langen Schnabel, benennen. Was zunächst deutsch
Schnepfe betrifft, so geht das Wort zurück auf mYA.snepfe,
ahd. snepfa und ist verwandt mit „Schnabel". In der Forms^w^ppa
ist es in ital. Dialekte eingedrungen. Verwandt mit dem
deutschen Worte ist engl, snipe aus mittelengl. snipe. Eben-
so beruhen die gebräuchlichsten romanischen Bezeichnungen
dieses Tieres (ital. beccaccia, span. becaisa, becada, frz. bicasse)
auf lat. beccus „Schnabel". (Vgl. ital. becco, frz. bec) Hierbei
ist nicht zu übei*sehen, daß das Suffix aceus dem Worte
eine pejorative Nuance verleiht. (Vgl. itaL omaccio, donvaccia
usw.) Es ist demnach beccaccia „der Vogel mit dem häß-
lichen Schnabel", wie ja tatsächlich die unverhältnismäßige
Länge des Schnabels der Schnepfe ein häßliches Aussehen
verleiht. Hierher gehört auch span. pitorra, ein Synonym von
iecaza, wenn man den dem Worte zugrunde liegenden Stamm
pit identifizieren darf mit dem Stamme pic, der ursprünglich
den Schall bezeichnet, den das Hacken gewisser Vögel mit
dem Schnabel hervorbringt, dann aber durch Übertragung der
Gehörsempfindung auf andere Sinnessphären die Bedeutung
des Stechens und Spitzseins annimmt. (Vgl. lat. picus „Specht'',
pica „Elster"; ital. pkco, frz. pic „Bergspitze"; span. pico
^,Schnabel" ; ital. piccare, span. picar, fi'z. piqtier „stechen".)
Daneben gibt es allerdings noch einige andere Namen für
die Schnepfe, wie z. B. engl, wood-cock „Waldhahn". (Das
Tier benannt nach seinem Aufenthaltsort.) Im Ital. heißt eine
Schnepfenart {gallinago maior) coccohne (croccohne) mit Bezug
auf ihren geduckten Gang {coccohrsi „sich ducken"). Im Span.
'*') In NiederöBterreich der Schnepf.
184 I>ie Schnepfe.
wird der Vogel wegen seiner (mehr scheinbaren als wirklichen)
Dummheit perniz chocha „dummes Rebhuhn^' oder mit Weg-
lassung des Substantivs einfach chocha genannt. Ein anderer
span. Name der Schnepfe ist gaUina ciega „blindes Huhn^^ Der
Umstand, daß der Vogel seine Nahrung durch Tasten findet^
verleitet das Volk zu dem Glauben, er sei blind. (VgL
Holland, Faune pop., 11, pag. 355, 8.) Endlich ist noch
eine ital. Bezeichnung für die Schnepfe anzuführen, nämlich
das landschaftlich beschränkte, auf ein dunkles lat. acceia zu-
rückgehende acceggia, dem span. arcea entspricht.
Die metaphorische Verwendung des Wortes, das eigent-
lich selbst eine sehr durchsichtige Metapher ist, steht ink
innigsten Zusammenhange mit seiner Etymologie. Wenn einer-
seits die Schnepfe das „geschnabelte Tier'* genannt wird, so
werden andererseits spitze Ausladungen von Objekten gern
mit dem Namen der Schnepfe bezeichnet. So wendet man
z. B. im Deutschen den Ausdruck S neppe (niederdeutsche
Nebenform zu „Schnepfe") auf den spitz zulaufenden Teil
einer weiblichen Kopfbedeckung oder einer Kleidertaille*) an;
in gewissen Gegenden wird die Schnauze einer Kanne mit
Sneppe bezeichnet Im Engl, gebraucht man von spitz-
schnauzigen Hunden gern den Ausdruck snipe-nosed „Schnepfen-
nasig". Hierher zu ziehen ist auch der engl. Slangausdruck
snijpe als Spitzname eines Advokaten. Was hat aber der
Advokat mit dem Schnabel der Schnepfe gemein? Nur auf
Umwegen läßt sich dieser anscheinend rätselhaften Metapher
beikommen. Der Ausdruck snipe wird zunächst auf eine
lange Rechnung angewendet, wobei das tertium compara-
tionis die Länge ist. Man kann sich sehr gut vorstellen, da&
jemand, der Vergleiche aus dem Tierreiche liebt (z. B. ein
Jäger), bei dem Anblick einer langen Rechnung ausruft:
„Die ist ja lang wie ein Schnepfenschnabel!" (Vgl. die
frz. Redensart avoir le nez long comme une becasse) Da die
Advokaten wegen ihrer langen Rechnungen — man denke
an gewisse endlose Prozesse — berüchtigt sind, so wird dieser
Ausdruck hauptsächlich mit Bezug auf Advokatenrechnungen
*) Nach Heeger, Tiere im pfälz. Volksmimde, 2. Teil, pag. 12, heißt
eine Mütze mit Schild Schneppenkappe.
Die Schnepfe. 185
gebraucht. (Bedeutungsspezialisierung.) Von „Advokaten-
rechnung" zu „Advokat" ist nur mehr ein Schritt. Es findet
hier nämlich eine ganz einfache und regelrechte Metonymiie
statt, indem die Bezeichnung für das Hervorgebrachte auf den
Hervorbringer übergeht. Hierher gehört ferner das ital. Sprich-
wort: ^0 sempre si riconosce Facceggia äl becco lungo, nicht
immer erkennt man die Schnepfe am langen Schnabel, d. h.
nicht immer macht das Kleid den Mann. Deutsch heißt es
umgekehrt: Man erkennt den Vogel an seinen Federn.
Wie so viele andere Vögel wird auch die Schnepfe als
Symbol der Dummheit verwendet. Wenngleich dieser Vogel
sich nicht durch besondere Intelligenz auszeichnet, so ist er
doch immerhin besser als sein Buf und er verdankt diesen
wohl seinem überlangen Schnabel, der ihm ein albernes Aus-
sehen gibt. So wird becasse im Franz. zur Bezeichnung eines
törichten Frauenzimmers gebraucht und analog wird im Engl.
woodcock (seltener snipe) auf geistig beschränkte Individuen
angewendet. Weil man die Schnepfe für ein dummes Tier
hält, so wird angenommen, daß man ihrer leicht habhaft
werden kann.*) Wenigstens kommt dies zum Ausdruck in der
frz. hyperbolischen Redensart tendre le sac aux becasses, den
Schnepfen den Sack hinhalten, d. h. jemanden anfuhren. Daß
auf eine so kindlich-naive Weise sich auch der dümmste Vogel
nicht fangen läßt, ist selbstverständlich. Auf den Schnepfen-
fang bezieht sich femer die Redensart brider la bicasse^ die
Schnepfe zäumen, zügeln, d. h. einen überlisten. In ähnlicher
Weise bezeichnet Shakespeare hinterlistige Nachstellungen als
springes to catch woodcocks, Schlingen, um Schnepfen zu fangen.**)
Wie im Engl, die Wachtel, im Franz. der Kranich, so ist
im Deutschen, namentlich in studentischen E[reisen, die Schnepfe
das Symbol der galanten Dame. Das tertium comparationis
ist hierbei die Art der Bewegung; die Schnepfe hat einen
*) Auf dem Umstand, daß die Schnepfe erst auffliegt, wenn der Jäger
in ihrer unmittelbaren Nähe ist, beruht der frz. Vergleich saurd comtne une
hecdssef taub wie eine Schnepfe. (Vgl. RoUand, Faune pop., U, pag. 35ö, 10.)
**) Im Ital. bedeutet pigliar Vacceggia, die Schnepfe fangen, „sehr lange
auf jemd. warten müssen^. Diese Redensait spielt auf die ünberechenbar-
keit der Schnepfe au, da der Jäger weder Ort noch Zeit des Durchzugs
dieses Vogels sicher vorausbestimmen kann.
ISß Der StruiS.
waekelniva Gang, wotnit wobi das Sicfawiegen in den Höften
vei^Iicben werden soll, das man bei dieser Art von Weibern
beobacbteo JtaoD. Hit dieser Hetapber hBngt aoch die Redens-
art aaf den Strich gehen zasammen, womit man das
atlabendliche Auf- und Abpatroaillteren dieser GieschSpfe in
gewissen Strafien bezeichnet (Vgh was Naumaiin in seiner
„Naturgeschichte der Vögel", IX, pag. 167ff., über den
Schnepfenstrich sagt.)
8chlie6lich tet ans der älteren deutschen Studentensprache
noch der Glebranch des Wortes „Schnepfe" fSr gemünztes Geld
anzuführen. Hierbei ist das tertinm comparationis das Fort-
fliegen; es erscheint hiermit die Schnepfe als Vertreter der
ganzen Vogelklasse, wie man ancb fDr goldene Mfinzen Üea
Aosdrnck „goldene Vögel" gebraucht und z. B. si^: „Das
Geld hat Flügel" oder „es fliegt nur so". (Vgl. span. moaea
„Fliege" in der Bedeutung „gemünztes Geld".)
Der Strauß.
Wie die Nauieii der meisten exotisclien Tiere, gehen auch
die BenennuDgeu des Stranfies auf das Griechische, bzw.
Lateinische zurtkck. So beruht ital. strtizzo auf lat. struÜw)
aus griech. mfov&iuiv, span. avestruz and frz. autruehe ist je-
doch ans Btntthio „Vogel Strauß". Engl, ostrich ist aus altfrz.
oatriche hervorgegangen, welches Wort das altengl., direkt auf
struihio beruhende Btryia verdrängt hat. Dieselbe Herknnft
wie atri'iia scheint ahd., mhd. strüz aufzuweisen, worauf nhd.
Strauß beruht. Allerdings wäre es möglich, daß strüz
nung aiifi dem Ital. (slruzzo) ist. Meist setzt man
/■orte verdeutlichend „Vogel" voraus. Es entspricht
:h unser Vogel Strauß genau span. avestrue, frz.
f. (Vgl. deutsch „Kameltier".) Zu erwähnen ist noch
Engl, vorkommende Bezeichnung „Kamelvogel" (eamel
lie wohl auf einer gewissen Ähnlichkeit beider Tiere
md Beine) und vielleicht auch auf der gemeinsamen
; beruht. Übrigens ist stmthio camebis die wissenschaft-
lezeichnung des Vogels,
iben dem Papagei ist der Strauß unter den ezotiscben
Die Schildkröte. 187
Vögeln der einzige, der für die Phraseologie der modernen
Sprachen einige Bedeutung hat. Die Ausnahmsstellung, die
der Strauß infolge seiner abnormen Gestalt und seiner merk-
würdigen Lebensweise unter den Vögeln einnimmt, macht es
begreiflich, daß er die Aufmerksamkeit der abendländischen
Völker frühzeitig auf sich zog. Besonders auffallen mußte er
durch seine große Gestalt — ist er doch der größte Vogel
überhaupt. Hierauf beruht das span. Sprichwort: Ea, sus, y
traga el avestruz, wohlan, verschlucke nur den Vogel Strauß.
So sagt man nämlich zu jemand, der die kleinsten Fehler
des Nächsten bemerkt, selbst aber viel größere begeht. (Vgl.
die Bedensart: „Mücken seigen und Kamele verschlucken'^,
die sich im Deutschen, Engl, und Franz. findet.) Auf die
Gestalt des Straußes bezieht sich auch frz. autruche als Be-
zeichnung eines lang aufgeschossenen Menschen mit der Neben-
vorstellung geistiger Beschränktheit, wobei auf die bekannte,
von der Naturgeschichte bestätigte Dummheit des Vogels an-
gespielt wird.*)
Der Strauß hat wohl unter allen Tieren den stärksten
Magen; es scheint überhaupt für ihn nichts Unverdauliches
zu geben. Steine und Eisenstücke verschlucken ist ihm eine
Kleinigkeit. Darauf beruht die Bezeichnung Straußen-
magen für einen äußerst kräftigen Magen, wobei man aller-
dings ebensosehr an die Quantität als an die Qualität der
Nahrung denkt. Dieselbe Metapher findet sich im Ital. (stomaco
di struzgo) und im Franz. {estomac d'autruche).
Die SchUdkröte.
Im Deutschen verdankt die Schildkiöte ihren Namen dem
eigentümlichen Panzer, der wie ein Schild den Rumpf des
.Tieres einschließt. Darauf ist auch zurückzuführen die Be-
nennung der Schildkröte im Lateinischen. Testudo kommt von
iesta „Scherbe, Schale" und lebt in ital. testudine, testuggine
*) Der Ausdruck Vogel-Strauß-Politik, den man auf jemd. an-
wendet, der meint, er werde nicht gesehen, weil er niemand sieht, beruht
4iuf der vermeintlichen Eigenheit dieses Vogels, bei einer Verfolgung den
Kopf in den Sand zu stecken.
188 I>ie Schildkröte.
fort. Daneben kommt botta sctdeUaia vor, was wörtlich denr
deutschen „Schildkröte" entspricht*) (boUa = Kröte, scxtdo =^
Schild.) Gebränchlicher ist tartaruga^ das mit span. torttiga, frz.
Uniue auf ein supponiertes lat. tartma aus tortus „gekrümmt^
gewunden" zurückgeht. Es ist demnach die Schildkröte das
„gekrümmte Tier", wohl mit Bezug auf den gewölbten Rücken-
schild. Desselben Ursprungs sind engl, turtle und tortoise. Noch
nicht erklärt ist span. gäldpago.
Die auffallende Erscheinung der Schildkröte, ihre bizarre,
von der anderer Tiere völlig abweichende Gestaltung, mußte»
entschieden auf die Phantasie des Volkes wirken und tat-
sächlich gibt es eine Beihe von Metaphern, die sich auf die
Gestalt der Schildkröte, d. h. auf die gewölbte Form ihre»
Bückenpanzers beziehen. So bezeichneten die Bömer mit
testudo das hölzerne, bei Belagerungsarbeiten errichtete Schutz-
dach, wie auch das Schilddach, das die Soldaten aus den über
den Köpfen zusammengefügten Schilden bildeten. Analog^
nennt der Engländer die Überdachung eines Dampfers am
Bug turtle-back „Schildkrötenrücken", während der Franzose
ein Fährschiff mit dachförmigem Deck geradezu mit tortue
bezeichnet. Femer wurde der Name der Schildkröte im Lateini-
schen in poetischer Diktion auf gewölbte Saiteninstrumente,,
wie z. B. die Lyra, angewendet und auch ital. testtiggine findet
sich bei einigen Dichtem so gebraucht. Ebenso gehört hierher
span. gaUpago als Bezeichnung eines leichten Sattels ohne
jegliche Erhöhung. Dasselbe Wort bezeichnet verschiedene
Gerätschaften, die zur Aufnahme anderer Objekte bestimmt
und daher hohl und gewölbt sind, wie z. B. die bei der Ziegel-
fabrikation verwendete Form oder die eiserne Presse der
Büchsenmacher, die zum Festhalten der Gewehrläufe dient^
wenn dieselben gereinigt werden, u. a. m.
In allen Sprachen ist die Schildkröte, die sich nur äußerst
langsam fortbewegt, Symbol der Langsamkeit und Trägheit*
Er ist langsam wie eine Schildkröte (häufiger:
Schnecke) sagt man im Deutschen von einem in seinen Be-
wegungen allzu bedachtsamen Menschen, während der Eng-
länder in diesem Sinne den Ausdruck turtle- footed „Schildkröten-
*) Vgl. im galizischen Dialekt aapo concho (sapo = Kröte, concha =
Schild).
Die Eidechse. 189
fiißig" gebraucht. Analog sagt der Italiener von einer lang-
sam gehenden Person: Cammina come una tartaruga^ er geht
wie eine Schildkröte, und ebenso der Franzose: 11 marche ä
pas de tortm. Der Spanier geht noch weiter, er schließt
nämlich von der langsam schleichenden Bewegung auf heim-
tückische Gesinnung und bezeichnet mit galäpago einen bos-
haften, hinterhältigen Menschen. (Vgl. deutsch „Schleicher".)
Die Metapher erfährt noch eine Steigerung in der Eedensart:
Tiene mos conchas que un galäpago^ er hat mehr Schalen —
damit sind die Homplatten des Eückenschildes gemeint — als
^ine Schildkröte.
Auf der Eigentümlichkeit der Schildkröte, monatelang
jegliche Nahrung entbehren zu können, beruht im Franz. die
volkstümliche Redensart faire Ja tortm^ die Schildkröte spielen,
d. h. fasten.
Alles in allem ist die Schildkröte ein häßliches Tier und
4er Pariser Arbeiter will seiner Frau daher gewiß kein Kom-
pliment machen, wenn er sie „meine Schildkröte" {ma tortue)
nennt. Ein Analogen hierzu bietet portug. tartaruga als
Schimpfwort für ein altes, häßliches Weib.
Semasiologisch interessant ist im Deutschen die Bezeich-
nung der hornartigen Materie des Panzers als Schild-
patt. Es bedeutet dieses Wort ursprünglich nichts anderes
als „Schildkröte", denn Schildpad (vgl. nid. padde, engl.
paddock) ist die niederdeutsche Bezeichnung der Schildkröte.
Schildkrot (Kröte = dial. Irot) wird gleichfalls in diesem
Sinne gebraucht und schließlich bietet auch ital. tartart4ga, das
„Schildkröte" und „Schildpatt" bedeutet, ein Analogen hierzu.
Es liegt in allen diesen Fällen eine einfache Metonymie vor,
indem das Ganze für den Teil gesetzt wird.
Die Eidechse.
Das deutsche Wort Eidechse (mhd. ^gedehse^ ahd. ^gidehsa)
hat den Sprachforschem viel Kopfzerbrechen gemacht. Von
den vielen Deutungen, die man zur Erklärung des Wortes
versucht hat, kann keine befriedigen. Interessant sind die
dialektischen Umgestaltungen des Wortes, wie tirol. kegedex,
^gerex, schlesisch hädoxy edox usw., die unverkennbar An-
190 Die Eidechse.
lehnnng an „Hecke'' zeigen, semasiologisch also jenen Tier-
namen zuzuzählen sind, die das Tier nach seinem Aufenthalts-
orte bezeichnen. Mit dem deutschen Worte verwandt ist alt*
engl, äpesce, das ein neuengl. asJc, asker ergab, dessen Oebrauch
jedoch landschaftlich beschränkt ist. Die in der Naturgeschichte
für die Ordnung der Saurier übliche Bezeichnung Echsen ist
eine junge Bildung und beruht auf willkürlicher Worttrennung.
Nach ihren vier Beinchen ist die Eidechse im Dänischen
(firebeen) und Schwedischen (fyrfota) benannt, wozu sich in
fränkisch - hennebergisch fircheU ein Analogen findet. Im
amerikanischen Engl, wird für eine gewisse Art von Eidechsen
smft gebraucht, was von Hause ein Adjektiv ist und „flink,
hurtig'' bedeutet. Beiläufig sei bemerkt, daß auch Vögel, die
sich durch schnellen Flug auszeichnen, wie z. B. die Mauer-
schwalbe, ferner eine Taubenart so bezeichnet werden. Dem
engl, smft entspricht die wissenschaftliche Bezeichnung der
grauen Eidechse^ lacerta agilis „flinke Eidechse".
Die romanischen Benennungen dieses Tieres gehen auf
lat. lacerta^ bzw. lacertus zurück: ital. lacertola, häufiger lucer*
tola, Dim. eines älteren, nicht mehr gebräuchlichen lucerta^
(aus lacerta wohl durch volksetymologische Einmischung von
Itice ,. Licht" entstanden), span. lagarto*) frz. lezard (altfrz. auch
laissarde). Semasiologisch interessant ist, daß im Portugiesi-
schen lagarto „Eidechse", lagarta aber „Kaupe" bedeutet. Im
Ital. ist für die Smaragdeidechse die Bezeichnung ramarr(y
üblich (wahrscheinlich von rame „Kupfer" — Benennung des
Tieres nach der Farbe; vgl. schweizerisch Eupferschlängeli
als Name der Smaragdeidechse).
Bei der Eidechse fallt in linguistischer Beziehung zunächst
auf, daß sie in den Sprachen des Südens eine bedeutend
wichtigere Holle spielt als in denen des Nordens, was seinen
Orund darin hat, daß die Eidechsen als licht- und wärme-
liebende Tiere häufiger in südlichen als in nördlichen Ländern
vorkommen.
Was die Verwendung der Eidechse in der Metaphorologie
betrifft, so bezieht sich auf die schlanke Gestalt des Tieres^
frz. Uzarde als Bezeichnung eines Bisses in der Mauer; davon
*) DaraoB «ntstellt span. aligador, portug. aUigaior, der Name de»
amerikanischen Krokodils.
Die Eidechse. 191
ist verbal gebildet se lezarder „rissig werden". Bei der Bil-
dung dieser Metapher mag der Umstand mitgewirkt haben,
daß die Eidechsen sehr gern an Mauern herumklettem.
Wenn man im Ital. in volkstümlicher Sprache von einem
magern Menschen sagt: Pare ehe mangi le laceriole, er sieht
aus, als esse er Eidechsen, so beruht diese Redensart auf der
naiven Vorstellung, daß man durch den Genuß des Fleisches
magerer Tiere selbst mager werden könne. (Vgl. secco
came una lucerfda, mager wie eine Eidechse.) Ital. lacertOj
span. lagarto „großer Armmuskel" gehören streng genommen
nicht hierher, da sie auf ein gleichbedeutendes lat. lacertus
zurückgehen. Allerdings steht es außer Zweifel, daß lat
lacertus „Oberarmmuskel" nur eine Metapher von lacertus
„Eidechse" ist. (Vgl. musculus „Mäuschen" als Benennung
des Muskels im allgemeinen.) Hingegen ist ital. lucertöh
„Eeulenstück" — wohl hergenommen von einer minder
schlanken Eidechsenart — eine diminutive Bildung von lucerta
und als Scheideform zu lucetiola aufzufassen. Auf die grüne
Färbung der Smaragdeidechse bezieht sich im Ital. der
Vergleich verde come un ramarro, grün wie eine Eidechse
(von der Gesichtsfarbe). Hingegen schwebt dem Spanier eine
buntgefärbte Eidechsenart vor, wenn er lagartado im Sinne
von „buntscheckig" gebraucht. Das lebhafte Auge der Ei-
dechse hat gleichfalls metaphorische Verwendung erfahren. Ha
Tocchio dt ramarro^ sie hat ein Eidechsenauge, sagt man von
einem Mädchen, das ein ausdrucksvolles Auge hat. Auch
sonst wird die Eidechse zu Vergleichen mit jungen Mäd-
chen herangezogen. So nennt man im Ital. mit Bezug auf
die außerordentliche Behendigkeit der Eidechse ein flinkes
Mädchen lucertolina oder lucertoletta, während der Spanier noch
origineller sagt: Estä hecka de rabos de lagarto^ sie ist aus lauter
Eidechsenschwänzchen zusammengesetzt (fehlt in den mir zu-
gänglichen Wörterbüchern). Tatsächlich ist es der lange
Schwanz, der der Eidechse zur Erhaltung des Gleichgewichts^
dient und ihr eine so große Behendigkeit verleiht. Des-
gleichen nennt man im Ital. den Zugordner bei einer Pro-
zession ramarrOj weil er durch das fortwährende Hin- und
Herlaufen die Vorstellung einer Eidechse erweckt. Hierher
gehört femer frz. Uzarde, der Name eines kleinen Flüßchens
192 Die Eidechse.
in der Normandie, wobei das tertium comparatioDis speziell
die sclilängelnde Bewegung ist.
Da die Eidechsen eine besondere Vorliebe für altes Ge-
mäuer haben, nennt man im Span, ein altes, verfallenes Schloß
gern lagartera „Eidechsenhöhle^ und analog sagt der Franzose
von einem einsam lebenden Menschen : II vit comme un Uzard,
er lebt wie eine Eidechse.
Mit Bezug auf das Wärmebedttrfnis des Tierchens, das
sich an sonnigen Plätzen am wohlsten fühlt — im Altertum
war die Eidechse dem Sonnengott geheiligt — gebraucht man
im Deutschen die Redensart sich sonnen wie eine Ei-
dechse, ital. siar dl sole come le Iticertole, frz. se chauffer au
soleil comme un Uzard*) (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 10.)
Im Franz. ist auch der Vergleich paresseux comme un lezard,
träge wie eine Eidechse, üblich.
Wenn man bedenkt, daß die Eidechse infolge ihrer voll-
kommenen Wehrlosigkeit ihren Feinden, zu denen namentlich
die Schlangen gehören, schutzlos preisgegeben ist und daß sie
ferner in nördlichen Ländern von der Kälte viel zu leiden
hat, so begreift man, daß sie dem Menschen als ein bedauerns-
wertes Geschöpf erscheint, was auch im Franz. zum Ausdruck
kommt, indem pauvre Uzard „arme Eidechse" im Sinne von
„armer Kerl" gebraucht wird. Von dem engl. Sprichwort:
Ifs beUer to he head of a Uzard than tail of a lion und seinem
ital. Analogen : ^ meglio esser capo di lucertola che coda di Uone,
worin die schwache Eidechse in Gegensatz zu dem mächtigen
König der Tiere gebraucht wird, war bereits beim Löwen,
pag. 24, die Rede.
Wenn der Italiener einen habgierigen Menschen bocca di
ramarro „Eidechsenmaul" nennt, so denkt er dabei jedenfalls
an die Eigentümlichkeit der Eidechse, ihre Beute im Sprunge
zu erhaschen, was den Eindruck großer Gier macht. Da das
Tier das einmal Gefaßte nicht mehr losläßt, wird ramarro auch
*) In Btirgund gebraucht man in diesem Sinne lizarder, prendre un
hain de Uzard, ein Eidechsenbad nehmen. — Da die Sonne die Eidechsen
ans ihren Verstecken hervorlockt (vgl. Schweiz, sunneheggi für „Eidechse"),
sagt man im Ital. mit Bezug auf die Freiheitsgeltiste junger Leute: Le
lucertole comindano a senHr il söle^ die Eidechsen fangen an, die Sonne
zu spüren.
Schlange, Natter. 193
auf einen eigensinnigen Menschen angewendet (bocca di ramarro
che piglia e non laacia andare),*)
Die verhältnismäßig hochentwickelte Intelligenz der Ei-
dechse rechtfertigt den Gebrauch von span. lagarto für einen
schlauen Menschen. (Vgl. portug. lagarteiro „verschmitzt".)
Im span. Rotwelsch wird das Wort auf einen geriebenen
Dieb angewendet, der öfter die Kleider wechselt, um uner-
kannt zu bleiben. Man hat darin eine Anspielung auf die
mehrmalige Häutung der Eidechse zu sehen. Ebenso sagt
der Pariser von einem; der seinen Anzug alle Augenblicke
versetzt: B fait le lezard^ er macht's wie die Eidechse, was
auch heißen kann: Er bummelt, mit Beziehung auf das un-
stete ümherwandern der Eidechse.
Schließlich bedarf noch die itaJ. Redensart aver la lucer-
icia da due code, die Eidechse mit den zwei Schwänzen, d. h.
Oliick haben, einer Erklärung. In gewissen Gegenden Italiens
schreibt das Volk der doppelgeschwänzten Eidechse prophetische
Gaben zu, wie überhaupt schon der Besitz eines Eidechsen-
schwänzchens als glückbringend gilt. (Vgl. Rolland, Faune
pop., ni, pag. 12.)
Schlange, Natter.
Deutsch Schlange beruht auf mhd. slangef, ahd. slango
und ist Ablautsbildung zu schlingen, mhd. dingen ^ ahd.
slingan, das die Bedeutung von „schleichen'^ hatte. Englisch
heißt die Schlange snake, das auf altengl. snaka zurückgeht
(von einer deutschen Wurzel snak^ erhalten in ahd. snahhan
„kriechen"). Deutsch Natter kommt von mM.nätery n&tere^
ahd. nätara, dem altengl. nceddre entspricht, das in neuengl.
odder das anlautende rt verloren hat (Vgl. ostdeutsch Otter
als Bezeichnung der Natter.)
Die romanischen Benennungen der Schlange gehen auf
lat. serpens (part. praes. von serpere „kriechen") zurück: ital.
serpej serpenUj span. sierpe^ serpiente^ frz. serpent^ das auch ins
*) Im Franz. des 16. Jahrhunderts war langue de ISzard „Eidechsen-
xnnge'' im Sinne von „böse Zunge*" gebräuchlich. (Vgl. Rolland, Faune
pop., m, pag. 10.)
Riegle r. Das Tier im Spiegel der Sprache. 13
194 Schlange, Natter.
Engl, (serpent) eindrang. Auf das Diminutiv von serpensj
serpetUicula, führt Parodi span. sabandija „Geschmeiß, Gewürm"
zurück.
Als Bezeichnung giftiger Schlangen ist in den romanischen
Sprachen lat. vipera üblich, das im Ital. vipera, im Span, viborüj
im Franz. vipire (gelehrtes Wort) ergab. Deutsch Viper,
engl, viper sind Lehnwörter. Lat. colubra^ die Bezeichnung
einer kleinen ungiftigen Schlangenart, lebt fort in span ctdebra^
frz. couieuvre. Ln Schriftital. existiert dieses Wort nicht, wohl
aber findet es sich in itaL Dialekten, wie sard. cohra, sizil.
culovria beweisen. Ein von colubra gebildetes cöluhrimts ist
das Etymon von ital. coluhrina, span. ctdebrina, frz. couleuvrinCy
engl, culverin „Feldschlange".
Lat. aspis „Natter" ist erhalten in ital. aspide, span. äspid^
äspide, frz. aspic und in engl, asp oder aspic (bei Körting nur
als ital.-dialektisch fortlebend angegeben).
Semasiologisch interessant ist, daß lat. bestia „Tier" neben
der ursprünglichen Bedeutung, die es in ital-span. bestia, frz»
bSte bewahrt hat, auch derivata mit der Bedeutung „Schlange"
aufweist: ital. biscia, altfrz. bisse, span. bicha „Schlange in der
Heraldik", bicho „Wurm, Gezücht".
Schließlich ist noch ital. lucia „giftige Schlange, Natter"
anzuführen, wohl identisch mit dem in Italien sehr ge-
bräuchlichen Taufnamen Lucia. Wenn man bedenkt, daß
die Schlange häufig als Symbol des Weibes verwendet wird,
so darf es nicht befremden, daß ihr ein weiblicher Name bei-
gelegt wird. (Vgl. altgermanische Frauennamen wie Ger-
lind, Siglind, Alflind, deren zweiter Bestandteil lind
„Schlange" ist.)
Die große Bedeutung, die die Schlange für die Meta-
phorologie hat, erklärt sich aus dem kollektiven Charakter
des Wortes. Zahlreich sind die Metaphern, die sich auf das
Äußere der Schlange beziehen. Gibt es doch eine Unzahl
von Objekten, die mit dem langgestreckten, walzenförmigen
Körper der Schlange größere oder geringere Ähnlichkeit
aufweisen. Allen Kultursprachen gemeinsam war ehedem
die Bezeichnung „Schlange" (deutsch Feldschlange, da-
neben Natter) für ein Geschütz mit langem Rohr, wobei
letzteres Veranlassung zur Metapher wurde. Die Nebenvor-
Schlange, Natter. 195
Stellung des Gefährlichen — man denke an den feuerspeien-
den Drachen — mag dabei mitgewirkt haben. (Englisch hieß
die Feldschlange culverin, serpent oder aspic, ital. coluhrina^
serpente, span. culebrina, serpentina, frz. couleuvriney portug. hin-
gegen lagartixa „Mauereidechse".) Wenn der Italiener sagt:
Le cose Junghe diventan serpi, die langen, d. h. langwierigen
Dinge werden zu Schlangen, so verknüpft er hierbei die
Vorstellung der Länge mit der der Gefährlichkeit. Er will
damit sagen, daß es gefährlich ist, gewisse Dinge, wie z. B.
die Heilung einer Krankheit, hinauszuschieben.
Von der sich windenden Schlange hergenommen ist die
Bezeichnung einer Art Eakete mit schlängelnder Bewegung
im Engl. {serpent\ Ital. {serpentello = Dim. von serpente) und
Franz. (serpenteau). Ebenso war im älteren Deutsch hierfür die
Bezeichnung „Schlange" üblich, jetzt gebraucht man in diesem
Sinne den Ausdruck „Schwärmer". Auf demselben Bilde be-
ruht das im älteren Englisch für lange Perückenlocken ge-
bräuchliche snakes, wie auch deutsche Dichter dunkle Locken
braune Schlangen nennen. Überhaupt bezeichnet man
im Deutschen eine gewundene Linie als Schlangenlinie,
der im Engl. Serpentine line, im Ital. linea serpeggiante, span.
linea serpentina, frz. ligtie Serpentine entsprechen. Auch wurde
manchmal im älteren Deutsch für Schlangenlinie kurzweg
„Schlange" gebraucht. So sagt z. B. Wieland von einem
Flüßchen, es ziehe sich in langen Schlangen
hinunter. Analog spricht man von Schlangenweg,
Schlangengang, Schlangenwindung. Hierher ge-
hört ferner engl. - amerik. sndke-fence oder serpent - fence
„Schlangenzaun", für eine sich schlängelnde Einfriedigung
gebraucht. Treffend ist die frz. Bezeichnung serpent für die
Geldkatze,*) denn diese ist ein langer Geldbeutel, der wie
ein Gurt um den Leib geschnallt wird. (Vgl. im span.
Rotwelsch ciUebra = Gürtel.) Wenn der Italiener den Sitz
hinter dem Kutscherbock serpe nennt, so vergleicht er
nicht den Sitz selbst mit einer Schlange, sondern die ge-
wundenen Eisenstangen, die ihn tragen. (Metonymie; Teil
*) Diese Bezeichnung beruht auf einer Metonymie, da die Geldkatze
meistens aus KatzenfeU gefertigt ist.
13*
196 Schlange, Natter.
f&rs Ganze.) So wurde auch im älteren Span, ein eiserner
Jagdspieß wegen seiner gewundenen Gestalt serpentina ge-
genannt. Hierher zu ziehen ist femer span. culdmUa (Dim.
von ctddfrd), die Bezeichnang der Flechte, einer Hautkrank-
heit; die sich im Auftreten von gewundenen Linien auf der
Haut äußert. Ohne weiteres einleuchtend ist im Ital. der
Gebrauch von lucia „Natter" für einen Tanz mit schlangen-
ähnlichen Bewegungen. Von einer Tänzerin, die diesen aus-
führt, sagt man : Fa la lucia, sie macht die Natter. (Vgl. den
Ausdruck „Serpentintänzerin".) Beiläufig sei hier erwähnt,
daß man im Ital. von einem Kinde, das schläfrig wird, sagt:
Ha la lucia, es hat die Natter, welche Redensart wohl darauf
beruht, daß die Schlangen nach eingenommener Mahlzeit vom
Schlafe befallen werden. Ein Seitenstück zur Serpentintänzerin
ist der Schlangenmensch, d. L ein Akrobat, der mit seinem
Körper höchst komplizierte, schlangenähnliche Windungen und
Drehungen ausfuhrt (itaL uomo serpente, frz. homme serpent).
Mehr auf die Länge der Schlange als auf die Art ihrer Be-
wegung spielt an die im franz. Schülerargot gebräachliche
Redensart faire un serpent, eine Schlange machen, d. h. im
Gänsemarsch gehen. Wenn im span. Botwelsch der Dietrich
mit sierpe bezeichnet wird, so liegt hier nicht ein Vergleich
mit der Gestalt der Schlange vor, sondern diese Metapher
bezieht sich vielmehr auf die außerordentliche Geschmeidigkeit
des Reptils, mit der e^s in Löcher und Erdspalten eindringt
Auf das geistige Gebiet übertragen, wird die sich windende
Schlange zum Sinnbild des Ärgers. So wenigstens im Engl.,
wo it gives htm a snake (wörtl.: es gibt ihm eine Schlange)
soviel bedeutet als „es ärgert ihn". (Vgl. deutsch: es wurmt
ihn.) Der quälende Gedanke ist gleichsam eine Schlange, die
der Mensch in seinem Innern trägt und die ihm durch ihre
Windungen Unbehagen oder gar Schmerz verursacht.
In allen Eultursprachen existieren verbale und adjek-
tivische Weiterbildungen von „Schlange". Was die ersteren
anlangt, so ist zunächst aus dem Deutschen zu verzeichnen
schlängeln, das jetzt im eigentlichen Sinne nur reflexiv
gebraucht wird, im 18. Jahrhundert aber allgemein intransitiv
verwendet wurde. (Z. B. heißt es bei Voß: Ein Drache fuhr
schlängelnd empor.) Im Engl, wird snake in vulgärer Sprache
Schlange, Natter. 197
verbal gebraucht, (im Am. -Englisch jedoch allgemein), be-
sonders mit Bezug auf fließende Gewässer : A rwer snaies alüngj
ein Fluß schlängelt sich dahin. In transitiver Verwendung
hat to snake along oder to stiake out die Bedeutung „mit einer
Kette winden, holen" und dann verallgemeinert „herausziehen".
Neben to snaJce kommt — allerdings selten — to serpent
vor, u. zw. intransitiv und transitiv gebraucht. Im Ital. ist
von serpe serpeggiare gebildet, im Span, von serpiente serpentear
und von culehra synonym cukbreary wovon dann wieder das
Verbalsubstantiv culdtreo abgeleitet ist. Daneben ist um-
schreibend hacer culebra gebräuchlich. Im Frz. schließlich
liegt ein von serpent gebildetes serpenter vor. Adjektivisch©
Ableitungen sind aus allen Sprachen mit Ausnahme des
Deutschen zti verzeichnen. So im Engl, maky, Serpentine;
daneben wird serpent adjektivisch gebraucht, davon abge^
leitet serpentry „Schlangenwindung". Im Ital. ist serpentino
in der Bedeutung „ineinander verschlungen" nicht mehr ge-
bräuchlich, wohl aber werden serpentino im Span, und Serpentin
im Franz. in der Bedeutung „sich schlängelnd" gebraucht.
Auf der Färbung der Haut gewisser Schlangen beruht
die Bezeichnung Serpentinstein (ital. pietra serpentina,
Span. Serpentin^ serpenfina, frz. Serpentin, engl. Serpentine) für
eine marmorähnliche Gesteinart, die durch mehr oder minder
dunkle Adern und Flecken charakterisiert ist und so an die
Zeichnung gewisser Schlangen erinnert.*)
Vom Zischen der Schlange hergenommen ist ital. bisciolo
(von biscia), das auf Personen angewendet wird, die beim
Sprechen mit der Zunge anstoßen, sowie portug. bichanar (von
bicho), das „zischeln, flüstern" bedeutet. Nach einem im Mittel-
alter allgemein verbreiteten Volksglauben galt die Natter
fBr taub. Allerdings war diese Taubheit eine freiwillige,
da die Sage zu berichten weiß, daß die Natter, um den
lockenden Tönen des Bezauberers zu widerstehen, sich das
eine Ohr mit Schlamm füllt, während sie in das andere
ihren Schwanz steckt. Diese Tierlegende geht auf die
heil. Schrift zurück, denn schon in den Psalmen heißt es von
den ungerechten Richtern : „Sie haben Gift, gleich der tauben
*) Nach Plinias heifit der Stein so, weil er den Schlangenbiß hdlf.
198 Schlange, Natter.
Natter, die ihr Ohr verstopft und nicht hört auf die Stimme
des zauberkundigen Beschwörers." Auch von den Kirchen-
vätern wurde diese Tiersage häufig symbolisch verwertet (Vgl.
EoUoff, Die sagenhafte und symbolische Tiergeschichte des
Mittelalters in Kaumers bist. Taschenbuch, 1867.) Noch zu
Shakespeares Zeiten glaubte man an die Taubheit der Natter,
wie hervorgeht aus verschiedenen Stellen seiner Dramen, so
z. B. in Heinrich VI. (A. 3, Sz. 2). What art thou like ihe
adder waxen deaf? was, bist du wie die Natter taub geworden?
So auch in Troilus und Cressida (A. 2, Sz. 2) pleasure and
revenge have ears more deaf than adders, Vergnügen und Each-
«ucht haben Ohren tauber als die Nattern. — Diese „Tier-
fabel" mag dem Umstände, daß bei den Schlangen der
Gehörgang nicht unterscheidbar ist, ihre Entstehung ver-
danken. Übrigens ist nach der Ansicht einiger Naturhistoriker
der Gehörsinn bei den Schlangen tatsächlich wenig ent-
wickelt.
Aus der deutschen Studentensprache wäre der Ausdruck
Schlangenfraß anzuführen, der mit Bezug auf den Nahrungs-
erwerb der Schlangen — nähren sie sich doch zum größten
Teil von Eidechsen und Fröschen — ein ekelerregendes Ge-
richt bezeichnet Auf die feste Haut der Schlange bezieht
sich der ital. Vergleich aver la peUe piü dura d'un serpente, eine
härtere Haut haben als eine Schlange.
Die Schlange, die bereits in der Symbolik der Alten eine
bedeutende Rolle spielte, ist bei den modernen Völkern das
Sinnbild der Falschheit, Tücke und Bosheit. Der instinktive
Abscheu des Menschen vor allem kriechenden Getier wird
noch gesteigert durch die Giftigkeit mancher Schlangen, deren
Biß den sofortigen Tod zur Folge haben kann. Durch die
christliche Symbolik, die den Satan als Verführer in der Ge-
stalt der Schlange erscheinen läßt, erfuhr diese Auffassung eine
Bekräitigung. Daher die auffallende Übereinstimmung der
modernen Kultursprachen in der metaphorischen Verwertung
dieses Tiernamens. Im Altertum war indes das Verhältnis
des Menschen zur Schlange kein durchaus feindseliges. Wenn
die Schlangen auch einerseits die unzertrennlichen Attribute
der Eumeniden, der Göttinnen der Rache und des Neides,
waren, so galten sie doch andererseits als Sinnbilder der
Schlange, Natter. 199
Klugheit und Heilkunst. Daß sie auch den Germanen
nicht durchweg antipathisch waren, erhellt aus der Ver-
wendung von Und „Schlange" zur Bildung weiblicher Eigen-
namen, worauf schon pag. 194 hingewiesen wurde. Bei
einigen Völkern wnrde ihnen sogar göttliche Verehrung zu teil,
wie es heute noch bei den Indiem Schlangenanbeter gibt
Freilich ist in letzter Linie das Motiv dieses Kultus die
nngemessene Furcht, die die Schlange dem Menschen einflößt.
Im Mittelalter verlieh die Phantasie des Volkes der Schlange
Flügel und schuf so die Gestalt des Drachen, der in der
mittelalterlichen Sagenwelt — besonders als Wächter ge-
fangener Prinzessinnen — eine hervorragende Rolle spielt.
Es steht wohl außer Zweifel, daß die Metaphern, in denen
die Schlange als häßliches Tier erscheint, sich nicht auf die
Schlange schlechthin, sondern auf den Drachen beziehen,
der der Sage nach mit allen Attributen abschreckender
Häßlichkeit ausgestattet ist. So entspricht dem deutschen
„Drachen" als Bezeichnung eines häßlichen Weibes ital. serpente,
span. sierpe, wogegen „Drache" in den romanischen Sprachen
und im Engl nur für ein böses, zänkisches Weib gebraucht
wird, welche Bedeutung das Wort auch im Deutschen haben
kann. (Vgl. die scherzhafte Bezeichnung „Hausdrache".)
Am zahlreichsten sind unter den auf die Schlange bezüg-
lichen Metaphern jene, in denen sie als Symbol der Falschheit
und Bosheit erscheint Daß diese Auffassung zum großen
Teil auf der biblischen Versuchungsgeschichte beruht, wurde
bereits gesagt. In der Kirchensprache ist „Schlange" und
namentlich „alte Schlange" geradezu ein Synonym von „Teufel".
Aus der Bibel rührt auch die Redensart her der Natter
den Kopf zertreten, d. h. einen gefährlichen Gegner
unschädlich machen. (Gott prophezeit Eva, einer ihrer
Nachkommen werde der Natter den Kopf zertreten, d. h.
Christus werde Satan vernichten.) Ein falsches Herz nennt
man im Deutschen häufig ein Schlangenherz und eine ver-
leumderische Zunge eine Schlangenzunge. Letztere
Metapher findet sich in allen übrigen Kultursprachen: engl.
viperous {viperisK) tongue, ital. lingua serpentina^ lingua di
inpera, span. lengua serpentina {viperina), frz. langtie de vipire,
langue d'aspic. Im ähnlichen Sinne gebraucht man im Deut-
200 Schlange, Natter.
sehen kollektiv Schlangenbrut, Schlangengezflcht^
bzw. Natternbrnty Natterngezücht, im Franz. racede
vipire^ engeance de vipire. Ebenso wendet man auf eine falsche^
verleumderische Person schlechtweg den Ausdruck Schlange^
bzw. Natter an, u. zw. nicht bloß im Deutschen, sondern auch
in allen übrigen Kultursprachen. Einen falschen Freund nennt
der Engländer a snake in the gross, eine Schlange im Gras,,
was an das lateinische Sprichwort : Ixxtet änguis sub herMsy im
Grase ist die Schlange verborgen, erinnert, das den Kontrast
zwischen dem äußeren Schein und dem wirklichen Wesen ver--
sinnbildlicht. Auch in den modernen Kultursprachen findet sich
dieses Sprichwort. So im Deutschen : D a ist eine Schlange
unter dem Laube versteckt, im Engl.: Look before you
leapj for snakes awong sweet flotoers do ereep, sieh' zu, bevor
du springst, denn zwischen lieblichen Blumen kriechen
Schlangen, im Ital.: Ne' fiori com la serpe, unter den Blumen
liegt die Schlange verborgen, im Franz.: Le serpent est cache
80US les fleurs (wie ital.).
In einigen Sprachen erscheint die Schlange als Symbol
unedlen Zornes, welcher der Ausfluß gehässiger Gesinnung
ist und darauf ausgeht, den Gegner tödlich zu verletzen.
Tatsächlich ist das Auffahren und Zischen der gereizten
Schlange ein treffendes Bild des Jähzornigen. Im Ital. sagt
man von einem solchen: Pare una vipera, er gleicht einer
Natter. Femer gebraucht man die Redensart rivoltursi a uno
come una vipera, gegen jemd. wie eine Viper losfahren. Den-
selben Sinn hat das von vipera gebildete inviperire. Ebenso
wird im Span, sierpe auf einen zornmütigen Menschen angewendet
und im Franz. sagt man von einem, der seinen Zorn verbeißt: R
avale des couieuvres, er verschluckt Nattern. Zorn und Haß sind
nahverwandte Begriffe und es darf nicht wundernehmen, daß
die Schlange im Engl, auch Symbol des Hasses ist Adder-
hate „Nattemhaß** bezeichnet den höchsten Grad des Hasses.
Dementsprechend bedeutet adder-like „haßerfüllt, rachsüchtig".
Motiv des Hasses ist sehr häufig der Neid, wie auch nach
christlicher Vorstellung die Feindschaft des Satans gegen die
ersten Menschen auf dem Gefühle des Neides beruht, den ihre
Glückseligkeit ihm einflößt Daher die Schlange auch den
Neid versinnbildet, wie z. B. hervorgeht aus engl, snak^proofy
Schlange, Natter. 201
das wörtlich ^gegen Schlangengift gefeit" und übertragen
soviel als „gefeit gegen Neid" bedeutet. Im Deutschen und
Franz. spricht man in poetischer Diktion von den Schlangen
des Neides (les serpents de Tenvie).
Da die Schlange an und für sich das Prinzip des Bösen
verkörpert, so kehrt sie sich selbst gegen den, der ihr Gutes
erwiesen hat, sie ist daher Symbol des Undankes, wie her-
vorgeht aus der Redensart eine Schlange am Busen
nähren, d. h. einen Undankbaren mit Wohltaten überhäufen.
Der Ursprung dieser Redensart ist in einer Fabel Äsops zu
suchen, wo von einem Bauer die Rede ist, der auf der Straße
eine halb erfrorene Schlange erblickt und sie mitleidig an
seinem Busen erwärmt. Ins Leben zurückgerufen, lohnt die
Schlange ihrem Wohltäter, indem sie ihm einen Biß versetzt^
der ihn ums Leben bringt. Übrigens findet sich obige Redens«
art schon im Lateinischen: viperam stU) ala nutricare. Von den
modernen Eultursprachen ist sie außer dem Deutschen noch
geläufig dem Engl.: to cherish a serpent in one^s bosom, dem
Ital. : dUevarsi una serpe in seno, dem Franz. : nourrir une vipire
dana son sein oder mit unmittelbarem Anschluß an die Fabel :
richauffer un serpent dans son sein^ eine Schlange an seinem
Busen erwärmen.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich, daß
die Schlange als Sinnbild des bösen Prinzips verwendet wird
zur Symbolisierung aller jener Leidenschaften, in denen ein
feindliches Verhältnis zum Mitmenschen und somit das Be-
streben, diesem zu schaden, zum Ausdruck gelangt.
Daneben gibt es aber eine Reihe von Metaphern und
metaphorischen Redensarten, in denen die Schlange schlecht-
weg als das gefährliche Tier erscheint und somit
eine ähnliche Rolle spielt wie Löwe, Wolf, Bär u. dgl. Raub-
tiere. So sagt der Engländer von einem, der mutwillig eine
Gefahr heraufbeschwört: He tmkes snäkes, er weckt Schlangen
auf. Viel Phantasie verrät die Redensart to have snakes in
one's boots, Schlangen in seinen Stiefeln haben, d. h. sehr
aufgeregt sein. Daß einer, der plötzlich in seiner Fußbeklei-
dung eine Schlange verspürt, in große Aufregung gerät, ist
begreiflich. (Metonymie: Ursache für Wirkung.) Analog sagt
man im Span, von einem, der unversehens in eine gefährliche
202 Schlange, Natter.
Lage gerät : Una culehra se le lia, eine Natter ringelt sich nm
ihn. Auf den gefährlichen Charakter der Schlange spielt auch
an das deutsche Sprichwort: Den einmal die Schlange
beißt, der fürchtet sich vor jedem gewundenen
Seil. Genau so heißt es im Engl.: He that hos been bitten
hy a serpeni is afraid of a rope. Ein Analogen findet sich im
Ital.: Chi dalla serpe i punto ha paura delle lucertdU^ wer von
der Schlange gebissen ist, fürchtet sich vor den Eidechsen,
d. h. wer sich in eine große Gefahr begeben hat, wird so
vorsichtig, daß er auch die kleinste Gefahr scheut — oder
besser gesagt — selbst dort Gefahren sieht, wo keine sind.
(Vgl. frz. Chat echaudi craint Peau froide) Obiges Sprichwort
findet sich noch in anderer Form: Äl tempo delle serpi le
lucertole fanno paura, zur Schlangenzeit fürchtet man sich vor
den Eidechsen.
Auf dem Volksglauben, daß alle Schlangen giftig seien,
beruht das ital. Sprichwort: Ogni serpe ha ü suo veleno, jede
Schlange hat ihr Gift, wozu sich im Franz. ein Analogen
findet: 11 rCy a si petit serpent qui ne porte son venin^ es gibt
keine noch so kleine Schlange, die nicht ihr Gift hätte, d. h.:
Auch dem Sanftmütigsten geht die Geduld einmal aus. Auf die
Tatsache, daß früher Schlangengift zu Heilzwecken verwendet
wurde, spielt an das ital. Sprichwort: La biscia morde il dar-
latano, die Schlange beißt den Quacksalber, was von einem
Geschäftsmann gesagt wird, der, anstatt etwas zu verdienen,
auch noch Schaden an der Sache hat.
Speziell von der Wassernatter, die vorzüglich schwimmt
und sich von Fischen nährt, ist die itaL Redensart her-
genommen metter la serpe fra TanguiUe^ die Schlange zwischen
die Aale setzen, wofür man deutsch sagt „den Wolf unter die
Schafe hetzen". (Vgl. die ital. Redensart mettere le pecore in
guardia dl lupo) Hierher zu ziehen ist femer span. culebrazo,
womit das plötzliche Inschreckenversetzen einer Person be-
zeichnet wird. Ursprünglich ist damit der durch den Anblick
oder den Biß einer Schlange verursachte Schrecken gemeint^
dann aber wird das Wort infolge Bedeutungserweiterung auf
jede Art plötzlichen Schreckens angewendet.
Während die Schlange in all diesen Metaphern und
Redensarten dem Menschen gegenüber als angreifender und
Schlange, Natter. 203
siegreicher Feind erscheint, spielt sie in der ital. Redensart
andarci come la serpe aW incanto, irgendwohin gehen wie die
Schlange zur Bezauberong (d. h. nicht ohne Argwohn und
Widerwillen) die Rolle des Opfers. Damit wird angespielt
auf den in ünteiitalien von den sog. incantatori*) betriebenen
Schlangenfang. (Die Schlangen werden durch die lockenden
Töne eines Musikinstruments in eine Art Extase versetzt und
lassen sich in diesem Zustand leicht fangen.)
Schließlich muß noch jener Metaphern gedacht werden,
in denen die Schlange als Symbol der Klugheit erscheint,
welche Auffassung eine gewisse Sympathie für das Tier durch-
blicken läßt. Aber auch hierin trifft die Sprache, wie so oft,
nicht das Richtige, da die Schlangen nach dem Urteil
der Tierbiologen nicht bloß „stumpfsinnig'', sondern auch
„stumpfgeistig" sind. Der biblische Spruch: „Seid klug wie
die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben" beruht
also keineswegs auf getreuer Naturbeobachtung, wenigstens
was die erste Hälfte des Diktums betrifft. Übrigens galt die
Schlange auch bei den Griechen und Römern als kluges Tier. Die
auf die vermeintliche Klugheit der Schlangen Bezug nehmenden
Metaphern sind jedenfalls unmittelbar auf obigen Spruch zu-
rückzuführen. Dem Deutschen schlangenklug enspricht
engl, snaky und im Span, gebraucht man das Augmentativ
von cülebra, culebrön, für einen besonders klugen Menschen.
Auch sagt man von einem solchen: Sabe mos que las
culebras, er weiß mehr als die Schlangen. Ein Gegenstück
zu culebron ist das österreichische Schlangerl, namentlich
als liebkosender Ausdruck schalkhaften Kindern gegenüber
gebraucht und dem schriftdeutschen „Schelm" entsprechend.
Hierher zu ziehen ist noch ital. occhio serpentino „Schlangen-
auge" für „kluges Auge".
Eine hervorragende Rolle spielt die Schlange in Märchen
und Sage, was wohl zurückzuführen ist auf ihre Bedeutung
in der altgermanischen Mythologie. (Vgl. engl, snahe-story
„Schlangengeschichte" für „fabelhafte Geschichte".) In vielen
deutschen Gauen glaubt man an Hausschlangen oder Unken,
die Goldkrönchen auf dem Haupte tragen, die Kinder be-
*) Im Franz. wird enäormeur de couUwwres „Schlangenbezanberer"
anch im Sinne von „Schmeichler" gebraucht.
204 ^^ FroBcli.
Bchfltzen und mit diesen sogar aus einem Napfe Milch trinken.
Es macht sich hierbei bezüglich des Wesens der Schlange
eine durchaus optimistische Auffassung geltend, die im Wider*
sprach steht mit der sonstigen metaphorischen Verwertung
der Schlange. In das Gebiet des Märchens gehört auch die
riesenhafte Seeschlange, von der phantasievoUe Seefahrer ab
und zu zu berichten wissen.'*') Hierauf beruht die meta-
phorische Verwendung von Seeschlange, engl, sea-snäke^
frz. serpent de mer für eine Ifigenhafte Zeitungsnachricht
Oanz vereinzelt steht der originelle Gebrauch von itaL
biscia in der adv. Redensart a biscia „in Menge''. Diese
Metapher bezieht sich auf die Eigenheit der Vipern und
Ereuzottem, dutzendweise in einem Knäuel zusammengerollt,
den Winterschlaf zu halten. Bei dem außerordentlichen
Schlangenreichtum Italiens ist es nicht zu verwundern, daß
die Schlange im Italienischen eine viel ausgiebigere meta-
phorische Verwendung erfahr als in anderen Sprachen.
Wenn der Pariser in seinem Argot ein schwangeres Weib
catdeuvre „Natter'' nennt, so schwebt ihm hierbei jedenfalls die
Ringelnatter vor, die ihre Beute lebend verzehrt und diese
ganz wieder ausspeit, wenn sie in Schrecken versetzt wird.
Der Frosch.
Deutsch Frosch beruht aaf mhd. vrosch, ahd. frosk. Im
Altengl. wurde frosk durch Metathese zu /brsc, neuengl.-
dialektisch lautet es wie im Ahd. frosk, schriftsprachlich frog^
Lat. rana ist erhalten in ital.-span. rana, frz.-dialektisch raine^
Auf ein sapponiertes D«m. ranuculm gehen zurfick ital. ranocchio
(häufiger als rana), altfrz. renouille, neufrz. grenouüle. (Das g
erklärt sich darch Angleichung an graisset „Laubfrosch", von lat
crassm „dick".)**) Hingegen ist das belegte Dim. ranunculus
erhalten in ital ranunculo „Hahnenfaß". (Vgl. frz. grenouüleUe
„Hahnenfuß", grenouiUet „Froschbiß".) Diese Benennung be-
*) Die längste Seeschlange erreicht nach Brehm eine Länge von zwei
Metern.
**) Im Altfranz, heißt der Laubfrosch mit Anspielang auf die Farbe
verdier {vert = grün).
Der Frosch. 206
ruht auf dem Vorkommen der Pflanze in sumpfigem Terrain,
das die Domäne der Frösche ist.
Was zunächst die auf das Äußere des Frosches bezüg-
lichen Metaphern betrifft, so ist im Deutschen von den her-
vorstehenden Augen des Frosches hergenommen die Metapher
Froschaugen, die sich auch im Franz. findet (avoir les yeux
comme la grenouüle; vgl. span. ojos de sapo „Krötenaugen"). —
Mit Anspielung auf die kugeligen Schaliblasen des Frosches,
die beim Schreien anschwellen, nennt man im Deutschen einen
«ingebildeten Menschen einen aufgeblasenen Frosch.
(Vgl. ital. gonfio come un ranocchio.) Es ist dies eine Re-
miniszenz an die auch von Lafontaine behandelte Phaedrus-
fabel vom Frosch, der groß werden wollte wie ein Ochs und
sich solange aufblähte, bis er barst. Übrigens sagt schon
Petronius von einem Großtuer : Inflat se tamquam rana, er bläht
sich auf wie ein Frosch. (Vgl. Borchardt- Wustmann, Sprich-
wörtliche Redensarten, pag. 31.) — Auf die nackte Haut des
Frosches bezieht sich die span. Redensart: Cuando la rana
tenga pelos, (etwas wird geschehen), wenn der Frosch Haare
haben wird, d. h. nie und nimmer.*) (Vgl. engl, to be fuU
of money as a toad of feathers; frz. Hre fourni (Pargent comme
le crapaud de plumes.) Gleichfalls im negativen Sinne be-
zieht sich auf das Äußere des Frosches die deutsche Redens-
art: Er kann nichts dafür, daß die Frösche keine
Schwänze haben, die im Sinne von „Er hat das Pulver
nicht erfunden" gebraucht wird und sich genau so im Franz.
findet: II rCest pas cause que les grenouiUes n'ont pas de queue.
Nach Rozan (Les animaux dans les proverbes, II, pag. 289)
beruht diese merkwürdige Redensart darauf, daß das Schwinden
des Schwanzes beim Frosche vom Volk als eine Art Wunder
betrachtet wird. — Mit Bezug auf die Froscharten, die der
Zähne ermangeln — andere haben Hakenzähne — gebraucht
■der Italiener das Sprichwort: II ranocchio non morden percM
non ha denti, der Frosch beißt nicht, weil er keine Zähne hat,
4. h. mancher tut nur deshalb nichts Böses, weil ihm die
Macht dazu fehlt. — Auf der Ähnlichkeit mit der Gestalt
*) Dafür sagt man anch: Cuando la rana crie^ wenn der Frosch
säugen wird.
206 ^er Frosch.
eines Frosches bernht im Engl, die Bezeichnung frog für den
Schnurverschluß eines Mantels, bestehend aus einem mit Posa-
menten besetzten großen Knopf und einer Schlinge. Im Plural
wird das Wort mit Bedeutungserweiterung für die Ver-
schnürungen der Bockbrust überhaupt gebraucht (Daher
to frog = mit Schnüren besetzen.) Hierher gehört auch
der franz. Argotausdruck grenouille als Bezeichnung einer
Vereinskasse. Diese auf den ersten Blick rätselhaft scheinende
Metapher wird sofort verständlich, wenn man sich daran er-
innert, daß in Frankreich für Kinder Sparbüchsen in Frosch-
gestalt üblich sind. Geht der Kassierer mit der Vereinskasse
durch, so sagt der Franzose logischerweise : 11 a fait sauter la
grenouille, er hat den Frosch springen lassen, oder wohl auch :
II a mavge la grenouille, er hat den Frosch gegessen. (VgL
Rozan, Les animaux dans les proverbes, II, pag. 287 ff.) Was
übrigens die Redensart faire sauter la grenouille betrifft, so
wäre man beinahe geneigt, sie in Zusammenhang zu bringen
mit der im Verbrecherargot üblichen Verwendung von crapaud
„Kröte" im Sinne von „Vorlegeschloß", zumal auch in süd-
slavischen Dialekten das Vorlegeschloß mit zabica „Fröschchen"
bezeichnet wird. (Tertium comp.: das Aufspringen.) Auf
soliderer Basis ruht jedoch zweifelsohne die erste Erklärung.
— Schließlich wird im Franz. nach der gesprenkelten Färbung
des Frosches eine Art ähnlich gefärbter Apfel reinette „Frösch-
chen" genannt. (Dim. von dial. raine „Frosch", angeglichen
an reine „Königin".) Darauf beruht auch die im Argot übliche
Bezeichnung grenouilles für „Sommersprossen".
Daß der Frosch als häßliches Tier gilt, geht hervor aus
dem frz. Sprichwort: II n'y a pas de grenouille qui ne trouve
pas son crapaud, es gibt keinen Frosch, der nicht seine Kröte
fände, d. h. es gibt kein Weib, das so häßlich wäre, daß es
nicht einen noch häßlicheren Mann fände, der froh ist, wenn
es ihn erhört.
Charakteristisch für den Frosch ist die Art der Fort-
bewegung, die in einem ruckweisen Springen besteht. Daher
wird der Frosch in Westfalen geradezu höpper „Hüpfer" *) ge-
*) Ober die plattdentschen Froschnamen höpper, padde, pogge, lorkf
ütschCf quäk nsw. vgl. Schwartz, Die yolkstüml. Namen für Kröte, Frosch
Der Frosch. 207
nannt. Vom Hüpfen des Frosches hergenommen ist ferner die
Bezeichnung Froschspringen (vgl. engl. feap-Zrogr „Spring-
frosch") für ein Hüpfen in gebückter Stellung. Analog wird
im Waadtland das sonst franz. saut-de-motdon „Bocksprung"
genannte Kinderspiel mit jeu de la grenouiUe „Froschspiel"
bezeichnet. (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 73, 17.) Wenn
im Deutschen und Engl, in der Pyrotechnik ein mit Pulver ge-
fülltes Papier, das angezündet umherspringt, Frosch, bzw. frag,
genannt wird, so ist das tertium comparationis gleichfalls
das Hüpfen. Der Franzose gebraucht hierfür analogerweise
grenouüUre „Froschquappe". Ebenso beruht auf dem Vergleich
mit der stoßweisen Fortbewegung des Frosches die im engh
Cant gebräuchliche Bezeichnung frog's-march „Froschmarsch"
fär die Beförderung eines widerspenstigen Arrestanten.
Ähnlich sagt man im Ital. von einer Person mit hüpfender
Gangart: Va a sdlti come i ranocchi, sie geht sprungweise wie
die Frösche. (Vgl. deutsch hüpfen wie der Frosch
im Mondschein.) Die im frz. Argot übliche Bezeichnung
grenouiUe für „Fehler" dürfte sich ebenfalls auf das Springen
des Frosches beziehen. Fehler beruhen meist auf Gedanken-
sprüngen. (Vgl. Redensarten wie „etwas überspringen", „eine
sprunghafte Darstellung".) Die ital. Redensart aver delle
rane nella tesfa für „nicht ganz normal sein" gehört ebenfalls
hierher. Die wirren Gedanken werden mit umherspringenden
Fröschen verglichen. (Vgl. engl. -franz. „Ratten im Kopfe
haben".) Auch viele Insektennamen werden so gebraucht.
Vom Froschgequake hergenommen ist die Redensart einen
Frosch in der Kehle haben, d. h. heiser sein, wozu
sich im amerikanischen Engl, ein Analogen findet: to have a
frog in iJie Üiroaf. Davon ist abgeleitet froggy „heiser". Analog
sagt der Italiener von einem, dem der Magen knurrt : Pare che
dbhia tma rana nel corpo, er scheint einen Frosch im Leib zu
haben. Wenn in der deutschen Soldatensprache der falsche
Ton* des Hornisten „Frosch" genannt wird (vgl. frz. couac =
quak), so beruht diese Bezeichnung auf Metonymie, indem
der Name des Tieres für dessen lautliche Betätigung ge-
nnd Begenwurm in Norddentschland nach ihren landschaftl. Gruppierungen
in Zeitschrift des Vereins f. Volkskunde, V, pag. 246 ff.
208 I)«r Frosch.
setzt wird. (Vgl. im amerikauischen Engl, tiger für „Tiger-
gebnill^.) Schließlich wird im Pariser Argot ein geschwätziges
Weib häufig als grenouüle bezeichnet. (Über grenouiUe =
Dirne siehe pag. 210)
Die besprochenen Metaphern und Redensarten beziehen
sich auf den ITrosch im allgemeinen; doch hat der Wasser-
frosch speziell der Sprache einige Redensarten und Metaphern
geliefert. So nennt der englische Matrose die Holländer frag-
landers „Froschländer'^ mit Anspielung auf die morastige Be-
schaffenheit ihres Landes. Wo viel Moräste sind, gibt's viel
Frösche.*) Hierher gehört femer das itaL Sprichwort: Bana
di palude sempre salva, solange der Frosch im Teiche bleibt^
ist er sicher, d. h. wer Gefahren scheut, der bleibe zu Hause.
Daß der Sumpf die Heimat des Frosches ist, besagt auch das
deutsche Sprichwort : Setz' einen Frosch auf gold'nen
Stuhl, er hüpft doch wieder in den Pfuhl. Hierzu
bieten das Engl, und Ital. Analoga: The frog cannot out of
her bog, der Frosch kann nicht aus seinem Sumpf. — Non i
possibile cavare il ranocchio dal pantano, es ist nicht möglich,
den Frosch aus dem Sumpf herauszukriegen. Als Wassertier
xaT* €§oxr]v erscheint der Frosch im franz. Argot. Wenn
jemand zu viel Wasser trinkt, ruft man ihm warnend zu: Tu
attraperas des grenouilles, du wirst Frösche (im Magen) be-
kommen, und läßt sich im Unterleibe eines begeisterten Wasser-
trinkers ein verdächtiges Glucksen vernehmen, so sagt man
von ihm : II a des grenouilles dans le venire, er hat Frösche im
Hauch. Demgemäß nennt der Franzose das Wasser scherz-
weise sirop de grenouilles „Froschsyrup". (Vgl. deutsch „Gänse-
wein".) Einen Wassertrinker nennt er grenouiUard. (VgL
ioire comme une grenouüle,**) trinken wie ein Frosch, d. h. zu
viel Wasser trinken.) Grenouillard wird ebenfalls auf einen
Liebhaber von Flußbädern angewendet, wie denn auch für
eine Badeanstalt der Ausdruck grenouülere gebraucht wird.
*) Vgl. im Franz. die scherzhaften Benennungen des Frosches:
roBsignol des marais „Sumpfnachtigall'', rossignol de Hollande „holländische
NachtigaU".
**) Auch grenouiller; Rolland, Faune pop., III, 66, 3, zitiert femer
faire le metier de grenouille, das Froschgeschäft betreiben. Diese Redensart
wendet man auf Zechbrüder an, die trinken und schwatzen wie die Frosche.
Der Frosch. 209
Da die Frösche wie alle Lurche kaltes Blut haben und
sich daher kalt anfühlen, gebraucht man im Deutschen den
Vergleich kalt wie ein Frosch.
Auf die kulinarische Verwendbarkeit des Frosches —
Froschkeulen gelten als Leckerbissen — bezieht sich der
Spottname frog-eater „Froschfresser", den die Engländer, die
keine Froschliebhaber zu sein scheinen, den Franzosen bei-
gelegt haben. Bekanntlich werden die Spitznamen der
einzelnen- Völker gern von ihren Lieblingsspeisen entlehnt.
(Vgl. Jack Pudding, Pickelhering, Jean Potage, Maccaroni,
Hans Wurst.) Hiermit ist nicht zu verwechseln der alte
Spottname frogs (franz. Jean Grenouille), mit dem seinerzeit
die Franzosen und speziell die Pariser mit Bezug auf die drei
Frösche oder Kröten im alten Wappen der Stadt Paris benannt
wurden. (Vgl. Brewer, Dict. of Phrase and Fable, pag. 320.)
Daß die Frösche auf dieselbe Weise wie die Fische, nämlich
mit einem Köder, gefangen werden, erhellt aus der ital. Redens-
art pigliar älcuno dl boccone come la rana, jemd. wie den Frosch
mit dem Köder fangen, d. h. jemd. durch Versprechungen und
Geschenke berücken.
Der Frosch ist infolge seiner vollständigen Wehrlosigkeit
ein sehr furchtsames Tier und gerät bei dem geringsten An-
zeichen von Gefahr in größten Schrecken; daher ist er das
Symbol zunächst der Feigheit und dann der moralischen oder
sozialen Minderwertigkeit überhaupt. So sagt z. B. schon
Petronius von einem Mann, der aus niederem Stande zu hohem
Ansehen gelangte : Qui fuit rana, nunc est reXj der ein Frosch
war, ist jetzt König. Auch der Spanier meint von einem,
dessen Tüchtigkeit man unterschätzt : No es rana, er ist kein
Frosch, d. h. es steckt mehr hinter ihm als man glaubt Im
Deutschen sagt man zu jemd., der bei einem Unternehmen,
das Mut oder mindestens Energie erfordert, nicht mittun will :
Sei doch kein Frosch! Ähnlich drückt der Wiener
„Strizzi" seinen Gegnern seine Geringschätzung aus, indem er
ihnen herausfordernd zuruft : „Da müssen Leut' kommen,
aber keine Frosch'". Analog bezeichnet der deutsche
Universitätsstudent im Gefühl seiner Vollwertigkeit den
armen Pennäler als „Frosch". Als Symbol der Schwäche und
Ohnmacht wird der Frosch zum mächtigen Adler in Gegen*
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 14
210 I>ie Kröte.
Satz gebracht im ital. Sprichwort: L'aquik non fanno guerra
ai ranocdd*) die Adler fuhren nicht Krieg mit den Fröschen,
d. h. der Starke hält es unter seiner Würde, den Schwachen
zu bekämpfen. Im selben Sinne sagt man im Ital.: II hone
non piglia mosche^ der Löwe (deutsch: Adler) fängt keine Fliegen»
Im Franz. erscheint grenouüle als verächtliche Bezeichnung
für intellektuell oder moralisch niedrigstehende weibliche Wesen.
Namentlich wird das Wort auf Kokotten angewendet, wozu
das altgriechische g)Qvvr] „Kröte" als Hetärenname ein inter-
essantes Analogen bietet. Treffend nennt der Pariser die von
solchen Damen besuchten Kaffeehäuser aquariums.
Die Kröte.
Deutsch Kröte beruht auf ahd., mhd. krota, welche Form
sich in oberdeutschen Dialekten als Krot erhalten hat. Das
Englische besitzt zwei Ausdrücke für „Kröte": toad aus alt-
engl, tddie und paddock aus altnordisch padda, wovon nieder-
deutsch Padde.**) Was die romanischen Sprachen betrifft,
so ist auffallend, daß lat. bufo in keiner derselben weiterlebt^
und daß sie überhaupt keine gemeinsame Bezeichnung für das
Tier besitzen. Ital. rospo führt man auf ein von ruspare
„kratzen" gebildetes hypothetisches rüspidus „rauh, kratzig"^
zurück. Somit wäre rospo „das Tier mit der rauhen Haut".
(Vgl. frz. peau de crapaud „Krötenhaut" = peau rugmuse „rauhe
Haut".) Dazu stimmt die Ableitung des span. escuerzo „Kröte"
von suppon. lat. excortkare „abrinden, abschälen", aus cortex^
„Binde". Das häufiger gebrauchte span. sapo ist baskischen
Ursprungs. Im Ital. kommt neben rospo botta vor, das man
mit botta „Stoß, Hieb, Stich" zusammengestellt und dem-
gemäß von germ. bötan „schlagen, stoßen" abgeleitet hat. Es^
wäre demnach die Kröte „das stechende, bzw. beißende Tier"
und tatsächlich gilt im Volksglauben die Kröte als giftigea
*) Umgekehrt heißt es: 1 granchi vogliono mordere le balene, die
Krehse wollen die Walfische beißen.
**) Bezüglich der niederdeutschen Krötennamen, die vielfach mit den.
Benennungen des Frosches identisch sind, vgl. pag. 206, Anm.
Die Kröte. 211
Tier, vor deren Biß man sich hüten müsse.*) Frz. crapomd
führt man auf altengl. creöpan „kriechen" zurück.
Die Eröte ist in allen Kultursprachen das Symbol der
absehen- und ekelerregenden Häßlichkeit. Die warzige Haut,
der schwerfällige Gang, namentlich aber der widerliche Geruch,
den das Tier in gereiztem Zustand verbreitet, sind hinreichende
Gründe für diese Auffassung.**) Daß, wie schon oben erwähnt,
die Kröte im Volke für giftig gilt, erhellt ganz deutlich aus
dem Span. Sprichwort: Antano me mordio el sapo, y hogano me
se inchö el papo, wörtl. : Voriges Jahr biß mich die Kröte und
heuer schwoll mir der Kropf an. (Dies Sprichwort wird an-
gewendet auf einen, der zeitlich weit auseinanderliegende Er-
eignisse in kausalen Zusammenhang zu bringen sucht.) Hierzu
stimmt im Engl, die Bezeichnung einer gewissen Art von
Giftschwämmen als toadstool „Krötenstuhl".
Als plumpes, schwerfälliges Tier erscheint die Kröte zu-
nächst in den romanischen Sprachen. So sagt der Italiener
von einer dicken Person : Pare una boUa, der Spanier ebenso :
Parece un sapo, sie gleicht einer Kröte. Mit Bezug auf die
charakteristische, halb hüpfende, halb humpelnde Fortbe-
wegungsart der Kröte***) nennt der Italiener einen Tanz auf
den Fußspitzen und in hockender Stellung (vgl. niederdeutsch
hucksche = Kröte) il hallo delle hotte „Krötentanz". (Vgl. deutsch
Froschspringen, engl, leap-frog, franz. jeu de la grenouüle,) So
heißt es auch im Franz. von einem, der unbeholfen springt:
II saute comme un crapaiid, er springt wie eine Kröte, und
treffend bezeichnet der Londoner die sogenannten wandern-
den Anzeigen als toads. Vom Äußeren der Kröte ist ferner
hergenommen im Franz. der Gebrauch von crapaud für ein
kleines, niedriges Fauteuil, in dem eine lebhafte Phantasie
mit einigem guten Willen eine entfernte Ähnlichkeit mit
*) Im Pfälzischen hört man die Verwünschung: Dich soll aber
doch die Erott petzen (= zwicken). (Vgl. Heeger, Tiere im pf&lz.
Volksmunde, 2. Teil, pag. 13.)
**) Eine gewisse gemütliche Anteilnahme an der hart bedrängten
Existenz der vielgeschmähten Kröte yerrät die im Lothringischen übliche
Bezeichnung dieses Tieres : paure (= pauvre) komme „armer Mann". (Vgl.
KoUandy Faune pop., HI, pag. 47.)
***) Vgl. im Pfälzischen krotteln für „kriechen".
14*
212 I>ie Kröte.
einer hockenden Kröte erkennen kann. Mit mehr Becht
vergleicht der Franzose eine aufgeschnittene, am Bost ge-
bratene Taube mit einer Kröte (pigeon ä la crapaudine). Mit
Bezug auf die breiten Füße der Kröte nennt der französische
Infanterist seine Epauletten pattes de crapaud „Krötenpfoten".
Auf eine andere physische Eigenheit der Kröte, die sie
allerdings mit allen Lurchen teilt, nämlich die feuchtkalte
Haut, bezieht sich der engl. Vergleich as cold as a paddock,
kalt wie eine Kröte (vgl. deutsch: kalt wie ein Frosch),
während auf die Nacktheit der Haut angespielt wird in
der engl, sprichwörtlichen Bedensart to be füll of money
as a toad of feathers. Ebenso sagt der Franzose itre charge
d^argent comme un crapatui de plumes, mit Geld beladen
sein wie eine Kröte mit Federn, d. h. keinen Kreuzer Geld
haben. Vom Äußeren der Kröte hergenommen ist auch im
Span, die Bezeichnung qjos de sapo „Krötenaugen" für her-
vorstehende Augen. (Vgl. deutsch „Froschaugen".) Auf die
Färbung der Augen, die eine glänzend orangerote Begenbogen-
haut haben, bezieht sich der frz. Argotausdruck ml de crapaud
„Krötenauge" für Goldstuck. (VgL ital. occhio di civetta.) Wenn
im Deutschen (provinziell) „Kröte" selbst für „Geld" gesagt
wird, so hat man darin eine Metonymie (Ganzes für den Teil)
zu erblicken.
Die Häßlichkeit des Tieres sowie sein Verweilen an un-
reinen Orten erklären das franz. Schimpfwort vilain crapaud^
garstige Kröte, womit im Engl, dirty toad, schmutzige Kröte,
als Bezeichnung eines schmutzigen Weibes sowie das Adjektiv
toady in der Bedeutung „häßlich" zu vergleichen sind. Hier-
her gehört femer frz. crapaudiire „Schmutzloch". Keines-
wegs appetitanregend ist daher die engl. Bezeichnung toad in
a hole „Kröte in der Höhle" für eine Fleischpastete.
Die Kröte dient auch als Symbol moralischer Häß-
lichkeit. So nennt der Deutsche eine boshafte Person gern
eine giftige Kröte und gebraucht das Adj. krötig im
Sinne von „boshaft". Analog bezeichnet der Engländer einen
gemeinen Menschen mit nasty toad, ekelhafte Kröte, und
wendet auf einen, der seinen Zorn in giftigen Worten ausläßt,
die Bedensart an: He swells like a toad, er schwillt an wie
eine Kröte. Der Franzose sagt mit Bezug auf die einsame,
Die Kröte. 213
menschenscheue Lebensweise des Tieres von einem knickerig
und duckmäuserig lebenden Menschen: II fait crapaud^ er
macht's wie die Kröte. Hierher gehört auch die im franz.
Kasernenargot übliche Kedensart boire en crapaud, nach Kröten-
art, d. h. allein trinken. Analog bezeichnet man im Ital. einen
unumgänglichen Menschen mit rospo.
Im verächtlichen Sinne, manchmal ohne die Nebenbe-
deutung des Häßlichen, gebraucht man „Kröte^' für Kinder
und schwache Menschen, so namentlich im Deutschen. Im
bayrisch - österreichischen Dialekt ist Krot eines der be-
liebtesten Schimpfwörter,*) im Ital. tituliert man kleine Kinder
gern mit rospäti oder rospacci und auch der Pariser Lehr-
junge muß sich die Bezeichnung crapaud gefallen lassen. Das
Diminutiv von crapaud, crapomsin, wird gleichfalls auf kleine
Kinder angewendet. (Vgl. pfalz. krottig = klein.) Auch der
Spanier bezeichnet mit escuerzo einen feigen oder schwachen
Menschen und der Engländer sagt von einem, der in großer
Angst ist : He is like a toad under the harrow, er gleicht einer
Kröte unter der Egge. Ebenso wird in einem ital. Sprich-
wort die Angst der Kröte vor der Egge metaphorisch . ver-
wertet : Senza ritorno, come disse Ja botta alP erpice, ohne Wieder-
kehr, wie die Kröte zur Egge sagte. Dieses Diktum wendet
man auf einen an, der von einer Person Abschied nimmt, die
er nicht wiederzusehen wünscht.
Der unüberwindliche Ekel, den uns die Kröte einflößt,
kommt zum Ausdruck in der frz. Redensart amier un crapaud,
eine Kröte verschlucken, das dem deutschen „in den sauren
Apfel beißen" entspricht. (Vgl. das deutsche Sprichwort:
Wer eine Kröte fressen will, muß sie nicht lang
besehen.) Ebenso erscheint dem Engländer der Genuß
von Kröten als der Gipfel des Ekelhaften und er wendet
daher toad-eater „Krötenfresser" als härtesten Ausdruck für
Schmarotzer und Schmeichler an. To eat toads for a person,
jemd. zulieb Kröten fressen, entspricht unserem „Speichel-
lecken". Davon toady „Speichellecker" und die Redensart
to toad oneself into favour, sich bei jemd. einschmeicheln.
Ein Analogen hierzu bietet die ital. Redensart dar Ja zampa
*) Heeger, Tiere im pfälz. Volksmnnde, 2. Teil, pag. 13, zitiert Lans-
krott und Arschkrott.
214 ^®f Fisch im aligemeinen.
deUa boüa, die KrStenpfote geben, d. h. sich bei jemd. in
Gunst setzen.
Der Spanier vergleicht Schimpfreden, die jemand in großer
Wut ausstößt, mit Eroten in der Redensart echar sapas y
cuUbraSj Kröten und Schlangen speien,"^) was auch „Unsinn
sprechen" bedeuten kann. (Vgl. portug. dvser aapos e sara-
mantigas contra cdg,, Kröten und Salamander gegen jemd. sagen.
Analog wird im Portug. dizer cobras [Nattern] e lagartos [Ei-
dechsen] gebraucht)
Eine eigentümliche, im Zusammenhange mit dem Vorher-
gehenden jedoch leicht verständliche Redensart liegt vor in
span. pisar sapos, auf Kröten gehen, was man von einem sagt,
der sich aus Furcht vor schlechtem Ausgange nicht in Unter-
nehmungen einzulassen wagt, im besonderen aber auf solche
Leute anwendet, die sich in der Frühe schwer von ihrem
Bette trennen, gleichsam als fürchteten sie, beim Aufstehen
auf eine Kröte zu treten. So pflegt man auch im Patois von
Metz zu einem Spätaufsteher zu sagen : II tCy a aucun danger
que tu marches sur les crapauds, es ist keine Gefahr, daß du
auf Kröten trittst. (VgL Kolland, Faune pop., III, pag. 48, 11.)
Von der stimmlichen Betätigung der Feuerkröte (frz.
crapaud sonnant), die einen dem Gequak der Frösche ähnlichen
Kuf erschallen läßt, hergenommen ist der frz. Argotausdruck
crapavder „schreien".
Der Fisch im allgemeinen.
Deutsch Fisch und engl fish **) gehen beide auf ahd., bzw.
altengl. fisc zurück, das seinerseits wieder auf germ. fiska-z
aus vorgerm. pisko-s beruht. Dieses ist verwandt mit lat.
piscis, das im Ital. pesce, im Span, peis ergab, während frz.
poisson aus dem Augmentativ piscio hervorging.
*) Das Motiv des Erötenspeiens findet sich häufig in Märchen und
Sagen. (Vgl. Sebülot, Le Folklore de France, HI, pag. 296 f.)
**) Fish in der Bedentang „Spielmarke" ist nur volksetymologisch an
den Namen des Tieres angeglichen, in Wirklichkeit ist es das frz. ficht =
Spielmarke. (Vgl. Andresen, Über deutsche Volksetymologie, 5. Aufl.,
pag. 3a5.)
Der Fisch im allgemeinen. 215
Von Metaphern, die sich auf das Äußere des Fisches be-
ziehen, ist zunächst anzuführen ital. pesce als Bezeichnung
des Oberarmmuskels. Der Gebrauch von Tiemamen zur Be-
nennung von Körperteilen, besonders Muskeln, ist in den
romanischen Sprachen nichts Unerhörtes. (Vgl. lat. musculusy
span. lagarto, frz. souri^). — Der Eindruck dummen Glotzens,
den die Augen des Fisches machen (daher neugierig wie
ein Fisch), rechtfertigen den Gebrauch von engl. /isÄ-
eyes „Fischaugen" für blöde, ausdruckslose Augen. Die frz.
Bedensart: Ceia finit en queue de poisson, das endigt in einen
Fischschwanz, die man namentlich auf ein Kunstwerk an-
wendet, dessen Ende dem verheißungsvollen Anfang nicht
entspricht, dürfte auf die märchenhaften Gestalten der Wasser-
nixen zurückzuführen sein, bei denen der berückend schöne
Oberleib in einen Fischschwanz endigt. (Vgl. die Geschichte
der schönen Melusine.) Eine andere Erklärung gibt Bozan,
Les animaux dans les proverbes, II, pag. 337 flF. — Da den
Fischen jede stimmliche Betätigung versagt ist, so ist der
Vergleich stumm wie ein Fisch, engl, mute as a fish, ital.
muto come un pesce, frz. mt^et cmnme un poisson ohne weiteres
klar. — Mit Bezug auf die geringe Intelligenz der Fische
sagt man im Deutschen von einem törichten Menschen, er sei
einfältig wie ein Fisch. (Vgl. im älteren Ital. niwvo
pesce und port. peixote für „Dummkopf" sowie im span. Schüler-
argot p«^ als Bezeichnung eines schlechten Schülers.) — An-
spielend auf das kalte (naturhistorisch gesprochen: wechsel-
warme) Blut der Fische nennt man einen Phlegmatiker fisch-
blütig. (Vgl. engl, cool fish, kühler Fisch = kaltblütiger Mensch.)
Daß das Wasser ausschließlich das Element des Fisches
ist, kommt in verschiedenen metaphorischen Wendungen zum
Ausdruck. So bezeichnet der Vergleich gesund wie ein
Fisch im Wasser, iUA. sano come un pesce nelV acqua, den
höchsten Grad physischen Wohlbefindens. Der Fisch fühlt
sich eben nur im Wasser wohl, da es seine Existenzbedingung
ist. Mit derselben Behendigkeit, mit der der Vogel die Luft
durchschneidet, schießt der Fisch im Wasser dahin. Daher
ital.: svelto come un pesce, flink wie ein Fisch. Bagnato come
un pesce, naß wie ein Fisch, erklärt sich von selbst. Auf das
Ethische übertragen, wird das Bild vom Fisch im Wasser
216 ^^^ Fisch im allgemeinen.
als Symbol psychischen Wohlbefindens angewendet. Wenn
z. B. Heine von Paris sagt, er fohle sich daselbst wie der
Fisch im Wasser, so meint er damit, daß Paiis f&r ihn
als Großstadtmenschen nnd Franzosenfrennd alle die geistigen
Lebensbedingungen vereine, deren seine Seele bedurfte. Auch
den anderen Eultursprachen ist dieses Bild geläufig, allerdings
kommt es häufig negativ zum Ausdruck, indem von jemand,
der sich irgendwo nicht in seinem Element fahlt^ gesagt wird,
er sei wie der Fisch außer dem Wasser; so auch engl:
to he like a fish out of ihe water, ital. : essere come un pesce ftwr
dett'(KqfM. Hierzu positiv span. : estdr como el pez en el agua^
frz.: ^re comme le paisson dans Veau.
Auf den Fisch in seiner Eigenschaft als Wassertier be-
zieht sich femer die Redensart schwimmen wie ein Fisch,
die sich in allen Sprachen findet Hierher gehört auch das
portug. Sprichwort: FiOio de peixe sabe nadar, der Sohn eines
Fisches kann schwimmen, das dem Deutschen „Art läßt nicht
von Art" entspricht. Daß Fisch und Schwimmen zwei un-
zertrennliche Begriffe sind, kommt zum Ausdruck in der
itaL Redensart insegnar nuotar ai pesci, den Fischen das
Schwimmen beibringen, was von jemand gesagt wird, der seine
Weisheit an unrechter Stelle an den Mann bringen will. So
fordert auch der Wirt den Gast, dem er Fische vorgesetzt,
zum Trinken auf, indem er scherzend meint: Der Fisch
will schwimmen. (Vgl. lat. pisces natare oportet) Analog
sagt der Franzose wortspielend : Poisson sans boisson est poison,
Fisch ohne Getränke ist Gift, und der Italiener: Su pesd,
mesd, auf Fische mische (d. h. Wein mit Wasser).*) Hierher
gehört noch die ital. Redensart andar a bastonar i pesci, die
Fische prügeln gehen (von einem, der zur Galeerenstrafe
verurteilt wurde). Mit dem Prügeln der Fische ist das
Rudern gemeint. Ab und zu mag es geschehen, daß ein un-
vorsichtiger Fisch von einem Ruder einen Klaps bekommt.
Ein Seitenstück zur ital. Redensart bietet das Englische. Von
«inem Seekranken, der den Inhalt seines empörten Magens
den Fluten übergibt, sagt der Engländer scherzend: He feeds
{he fish, ex futtert die Fische.
*) Die Italiener, wie alle Komanen, trinken bei den Mahlzeiten den
Wein nur mit Wasser.
Der Fisch im allgemeinen. 217
Die große Bedeutung des Fisches für den Menschen
kommt zum Ausdruck in den auf den Fischfang bezüglichen
Metaphern. MiUionen von Menschen nähren sich ausschließlich
von Fischen und in dem Leben der Strandbewohner spielt
der Fischfang und alles, was damit zusammenhängt, dieselbe
Rolle wie für den Bewohner des Binnenlandes der Ackerbau
oder die Viehzucht. Es ist daher nur natürlich, daß in allen
Sprachen in Hülle und Fülle Metaphern vorhanden sind, die
auf dem Fischfange beruhen. Ebenso ist es erklärlich, daß
diese Tätigkeit mit einem eigenen Worte bezeichnet wird.
So entspricht dem deutschen fischen engl, to fish, ital.
pescare^ span. pescar, frz. pScher. Diese Verba haben in
allen Sprachen analoge Bedeutungsentwicklungen erfahren.
Zunächst ihrem Wortsinne nach nur für das Fangen von
Fischen gebraucht, werden sie durch Begriflfserweiterung
auf andere Tiere oder Dinge und schließlich metaphorisch
auf Gegenstände angewendet, die man durch List in seine
Gewalt zu bekommen sucht. Das Verhältnis vom Fischer
zum Fisch wird sogar auf Personen übertragen. So sagt man
z. B. im Deutschen von dem bevorzugten Bewerber um die
Gunst, bzw. Hand eines Mädchens, er habe sie einem
anderen weggefischt. Mit dieser Redensart hängt zu-
sammen die Bezeichnung Goldfisch für ein reiches Mäd-
chen (mit Anspielung auf eine allbekannte Fischspezies). Mit
Bezug einerseits auf sein Apostelamt, andererseits auf sein
ehemaliges Gewerbe wird Petrus in der heil. Schrift Menschen-
fischer genannt.
Vielfach ist der Fisch Symbol des Gewinnes, so z. B. im
span. Sprichwort: Pescador que pesca un pez, pescador es, ein
Fischer, der auch nur einen Fisch fängt, ist immerhin ein
Fischer, womit man jemand tröstet, der nur einen geringen
Teil von dem Angestrebten erreicht. Auch im Franz. findet
sich dieses Sprichwort : Toujours peche, qui en prend un. Hin-
gegen tadelt der Italiener den Untätigen mit dem Sprichwort:
Chi dorme non piglia pesci, wer schläft, fängt keine Fische.
Der praktische Sinn des Engländers verrät sich in dem Sprich-
wort: AU is fish that comes to net. Alles ist Fisch, was ins
Netz kommt, d. h. man kann aus allem Vorteil ziehen. Einen
ähnlichen Sinn hat das span. Sprichwort: Salga pez o sdlga
218 ^^^ Fisch im allgemeinen.
rana^ d Ja capacha^ beißt ein Fisch oder ein Frosch an, in den
Korb damit. Häufig wird die Redensart im Sinne von „auf
gut Glück^ gebraucht. Auf dem Umstände, daß zuweilen
zum Fangen größerer Fische kleinere als Köder benutzt werden,
beruht die engl. Redensart to venture a smaU fish to catch a
great one, die sich auch im Franz. findet : donner un petit paisson
pour en avoir un gros^ einen kleinen Fisch preisgeben, um
einen großen zu fangen, d. h. einen kleinen Vorteil im Interesse
eines größeren opfern. (Vgl. deutsch: mit der Wurst nach
der Speckseite werfen.) Vom Fischfang mittels Reusen her-
genommen ist der engl. Ausdruck a pretty kettle of fish, eine
schöne Reuse von Fischen (kettle ist hier = kiddk „Reuse"),
d. h. ein „schönes Durcheinander" mit Anspielung auf die in
der Reuse durcheinanderwimmelnden Fische.
Ein Streben nach unlauterem Gewinn wird im Deutschen
bezeichnet mit der Redensart im Trüben fischen, die
sich auch in den anderen Kultursprachen findet: engl, to fish
in troubled water ^ ital. pescar nel torbido, frz. pecher en eau
trouble. Borchardt- Wustmann, Sprich wörtl. Redensarten, pag. 150,
erklärt: „Im Trüben fischen — s. v. w. heimlich seinen Vor-
teil suchen, eine allgemeine Verwirrung benutzen, um unge-
sehen, wie der Fischer, wenn das Wasser trübe ist, etwas zu
gewinnen". Hierher gehört femer die ital. Redensart pescar
per sd, für sich fischen (d. h. die gefangenen Fische für sich
behalten), was auf jemd. angewendet wird, der nur auf seinen
eigenen Vorteil bedacht ist.
Im Ital. und Franz. wird „fischen" auch für ein geistiges
Erlangen gebraucht, so z. B. in der oft gehörten Frage:
Dave hai pescato questa notizia? — Oü as-tu p^chi cette nouvelle?
Wo hast du diese Nachricht aufgefischt? Einem lästigen
Frager antwortet man im Ital. nicht selten: V^atteT a pesca
(dialektisch für pescare), geh dir's fischen ! Ebenso sagt der
Italiener von einer Rede, die ihm unverständlich ist : In questo
discorso non ci pesco nulla, in dieser Rede fisch' ich nichts,
und wenn er von jemand sagt: Pesca a fondo, er fischt bis
zum Grund, so meint er, daß er eine Sache gründlich versteht.
Von dem Gelehrten, der aus Büchern Notizen sammelt, heißt
es, daß er in den Büchern fischt : pesca nei libri. Hierher ge-
Der Fisch im allgemeinen. 219
Mrt auch die engl, ßedensart to fish for compliments, nach
Lob haschen.
Nicht auf den ganzen Vorgang des Fischens, sondern nur
auf einen Teil desselben, nämlich das Eintauchen der Angel
oder des Netzes ins Wasser, bezieht sich der in der ital.
Seemannssprache übliche Terminus pescare, der auf das Ein-
sinken der Schiflfe und anderer fester Körper ins Wasser an-
gewendet wird.
Im Ital. wird häufig das Bild des unerfahrenen Fischers
verwendet. So ist z. B. von dem Fischer, der die Fische nicht
2tt unterscheiden versteht, die Redensart hergenommen non
^aper quello che uno si peschi, nicht wissen, was einer fischt,
4. h. nicht wissen, was man tut. Auf einem Vergleich mit
-dem Fischer, der die Tiefe des Gewässers, in dem er fischt,
nicht genau kennt, beruht die Redensart non saper in quanf
^cqua %mo si peschi, nicht wissen, in wieviel Wasser einer
fischt, d. h. nicht wissen, in welchen Verhältnissen er sich
befindet. (Vgl. die ital. Sprichwörter bei Sachs, Zusammen-
hang von Mensch und Tier in der Sprache. Neuphil. Zentral-
blatt 1903, pag. 356.)
Das Fischerhandwerk ist auf den Zufall angewiesen ; sehr
häufig muß der Fischer unverrichteter Dinge heimkehren,
weswegen im Engl, fisherman's luck, Fischers Glück, s. v. w.
„wenig Glück" bedeutet. Überhaupt ist im Engl, der Fisch
häufig Symbol des Unsicheren, Unzuverlässigen. This looks
fishy, das sieht „fischig" aus, sagt der Engländer von einer
Sache, die ihm verdächtig scheint, und eine unglaubliche
Geschichte nennt er fish-story „Fischgeschichte". (Vgl. den
Gebrauch von portug. caranguejöla „großer Seekrebs" für
„unsicheres Unternehmen".) Damit könnte in Zusammen-
hang gebracht werden die in romanischen Ländern übliche
Bezeichnung „Aprilfisch" für den Aprilscherz, ital. pesce d^aprik,
frz. poissm cPavril, (Vgl. deutsch „in den April schicken".)
Auch sagt der Italiener von einem, der sich ein Märchen hat
aufbinden lassen : Ha pigliato un bei pesce, er hat einen schönen
Fisch gefangen. Nach der gewöhnlichen Erklärung beruht
jedoch die Bezeichnung „Aprilfisch" auf dem altromanischen
Brauch, sich anfangs April gegenseitig mit einem der in diesem
Monat häufigeren Fische zu beschenken.
220 ^^r Fisch im allgemeinen.
Alle Sprachen verwenden das Bild des Eödems als Symbol
des Überlistens. Der Unkluge, der auf trflgerische Lockungen
und Versprechungen hineinfällt, wird mit dem Fische ver-
glichen, der auf den Köder anbeißt und so in sein Verderben
geht Daher wird in allen Sprachen „ködern^ im Sinne von
„überlisten" gebraucht. (Vgl. engL to hau, to Iure, ital. adescare^
span. cebar, frz. appdter, leurrer.)
Demgemäß sagt man von einem, der sich anführen läßt,,
deutsch : Er beißt an, engl. : He tdkes the hait, ital. : Äbhocca
äWamo oier: Va aWesca, span.: (he en el anzuelo oier: Tragael
anzuelo, frz.: II mord ä Vhame^on. Hierher gehört auch das
span. Sprichwort: El pez que busca el anzuelo, busca su dudOj
der Fisch, der die Angel sucht, sucht seinen Schmerz, d. h»
man soll sich durch den Schein nicht täuschen lassen. Speziell
auf das Fischen mit der Angel bezieht sich das span. Sprich-
wort: Pescador de cana mos come que gana, der Fischer, der
mit der Angel fischt, ißt mehr als er erwirbt. Dieses Sprich-
wort ist gegen jene gerichtet, die aus Trägheit einen Beruf
ausüben, der keine Mühe macht, aber geringen Nutzen bringt.
Auf der Bedeutung des Fisches als Genußmittel beruhen
in allen Eultursprachen zahlreiche Metaphern und Redens-
arten. Das Fleisch der Fische wfrd häufig in Gegensatz ge-
bracht zu dem warmblütiger Tiere; beim Volke gilt es
überhaupt nicht für Fleisch, weswegen es heißt, man dürfe
Freitag „wohl Fisch, aber nicht Fleisch essen". Hierauf be-
zieht sich die allen Eultursprachen geläufige Redensart nicht
Fisch, nicht Fleisch, d. h. nichts Ordentliches sein. EngL
to he neiiher fish nor flesh, ital. essere ni came ni pesce, span.
no ser uno carne ni pescado, frz. ^re ni chair ni poisson. (Vgl.
Borchardt -Wustmann, Sprich wörtl. Redensarten, pag. 149.)
Auf dem Gegensatz von „Fisch" und „Fleisch" beruht auch
die engl. Redensart io make fish of one and flesh of another^
aus dem einen Fisch, aus dem andern Fleisch machen, d. h.
die Leute ungleich behandeln, parteiisch sein. Als Fasten-
speise erscheint der Fisch in dem engl. Sprichwort: Ifs good
fasting, when the tahle is covered with fish, es ist gut fasten,
wenn der Tisch mit Fischen besetzt ist, das dem deutschen
„Neben dem Schiff ist gut schwimmen" entspricht. Speziell
dem Deutschen eigentümlich ist die Bezeichnung faule
Der Fisch im allgemeinen. 221
Fische für unwahrscheinliche Ausreden, die niemand an-
nimmt, ebensowenig wie faule Fische. Der Ausdruck be-
zeichnet im weiteren Sinn verdächtige Handlungen, wie
überhaupt „Fäulnis" metaphorisch häufig auf moralische Ver-
derbtheit oder Wertlosigkeit angewendet wird. Tatsächlich
ist „faul" in der Bedeutung „träge" nichts anderes als eine
Metapher von „faul = in stinkender Zersetzung begriflfen".
Der in Verwesung übergegangene Fisch wird auch sprich-
wörtlich v^erwendet. So sagt man z. B. im Deutschen von
einem Gemeinwesen, das infolge der moralischen Verderbtheit
seiner Leiter seinem Ende entgegengeht: Der Fisch fängt
am Kopfe an zu stinken, d. h. die Verwesung beginnt
zunächst am Kopf. Ebenso heißt es ital.: 11 pesce puzm dal
capo und schon lat. : Pisds primum a capite foetet. Allen Kultur-
sprachen gemeinsam ist der Vergleich eines lästigen Gastes
mit einem faulenden Fisch. Dem deutschen Sprichwort: Ein
Gast ist wie ein Fisch, er bleibt nicht lange
frisch, entspricht im Engl.: Fish and guests smell at three
days cid, Fische und Gäste riechen, wenn sie drei Tage alt
sind, im Ital.: L'ospite ^ come il pesce ^ a capo di tre giorm
puzza, im Span. : El htUsped y el pez d (res dias hiede, im Franz. :
UMte et le poisson aprhs trois jours puent. Von origineller
Drastik ist das engl. Sprichwort: Daughters and dead fish are
no heeping tmres, Töchter und tote Fische sind keine Waren
zum Aufheben.
Der Fisch ist wegen der Gräten kein ganz ungefährliches
Nahrungsmittel, wenigstens erheischt sein Genuß große Vor-
sicht. Darauf bezieht sich das ital. Sprichwort: Chi ha man-
giato il pesce, sputi le lische, wer den Fisch gegessen hat, spucke
die Gräten aus, d. h. wer einen Vorteil gehabt hat, möge trachten,
auch mit dem damit verbundenen Unangenehmen fertig zu
werden. Hierher gehört femer das deutsche Sprichwort : K e i n
Fisch ohne Gräte, kein Mensch ohne Mängel, das
sich analog im Ital. findet : Non c^h pesce senea lisca. — Bedroht
man in Osterreich ein Kind mit Schlägen, so sagt man häufig
ironisch: Du kriegst Fische, aber ohne Gräten. Es
beruht diese Bezeichnung wohl auf dem Brauche, die Eute
ins Wasser zu tauchen, um die Schläge schmerzhafter zu
machen. (Metonymie: Ursache für Wirkung.)
222 I^er Fisch im allgemeinen.
Wenn im Engl. Brote und Fische als Symbol der Nahrang
überhaupt erscheinen, so ist darin eine biblische Reminiszenz
zu erblicken. So wii*d die Eedensart to withhold loaves and
fishes, Brote und Fische zurückhalten, im Sinne des deutschen
„den Brotkorb höher hängen'' gebraucht. Geradezu Sinnbild
des Gewinnes sind die „Brote und Fische" in der Redens-
art to höh after loaves and fishes, nach Broten und Fischen
blicken, d. h. dem Gewinne nachlaufen. Da die Franzosen als
große Liebhaber von Saucen Fische gern mit solchen zube-
reiten, darf es nicht wundernehmen, daß die Fischsauce auch
im franz. Sprichwort eine gewisse Rolle spielt. Manchmal,
wenn der Fisch nicht mehr ganz frisch ist, dient die Brühe
dazu, den verdächtigen, das Alter des Fisches verratenden
Geschmack zu verbergen. Hierauf bezieht sich das Sprichwort:
La sauce fait manger le poisson, die Sauce macht den Fisch
genießbar, d. h. oft werden wertlose Dinge nur durch glück-
liche Beigaben annehmbar gemacht. Dasselbe, nur in anderer
Form, besagt das Sprichwort: La sauce vaut mietix que le
poisson, die Sauce ist mehr wert als der Fisch. (Vgl. span.
Mas vale la salsa que los caracoles, die Sauce ist mehr wert
als die Schnecken.) Von einem, der nicht weiß, wie er sich
einer Beleidigung gegenüber verhalten soll, sagt der Franzose :
11 ne sait ä quelle sauce manger le poisson, er weiß nicht, mit
welcher Sauce er den Fisch essen soll
Auf die Tatsache, daß es auch unter den Fischen Raub-
tiere gibt, die mit Vorliebe ihre kleineren Genossen auffressen,
— man denke an den Hecht — bezieht sich das deutsche
Sprichwort: Große Fische fressen die kleinen, d. h.
der Stärkere unterdrückt den Schwächeren. Analog heißt es
im Ital. : / pesci grossi mangiano i piccini und im Franz. : Le»
gros poissons mangent les petits. Auf die bekannte Fischlieb-
haberei der Katze spielt an das deutsche Sprichwort: Die
Katze frißt gern Fische, will aber nicht ins
Wasser, das man auf jemand anwendet, der einem Ziele
zustrebt, aber nicht die zur Überwindung der im Wege
stehenden Hindernisse nötige Energie besitzt. Dieses Sprich-
wort findet sich auch in anderen Kultursprachen. So lautet
es z. B. im Engl.: The cat doth love the fish, but she will not
wet her footj im Ital. : La gatta vorrebbe mangiare pesci, ma non
Der Fisch im allgemeinen. 223
pescare,*) im Franz. : Le chat aime U poisson, mais il n'aime pas
ä mouiUer les pattes.
Jedenfalls der Znnftsprache der Fischer, die ausschließ-
lich auf Fischnahrung ang^ewiesen sind,**) ist die engl.
Redensart entlehnt to setul a persoti to fry some other fish,
w6rtl.: jemd. andere Fische backen schicken, d. h. ihm den
Laufpaß geben. So sagt man auch : I have other fish to frtfj
ich habe andere Fische zu backen, im Sinne von „ich habe
andere Dinge zu tun^. Hierher gehöil; ferner das engl. Sprich-
wort: DonH hoil your fish tili ihey are hooJced, kocht eure Fische
nicht, bevor sie geangelt sind, wozu sich im Deutschen und
ItaL Analoga finden : Man soll nicht rufen: Holt Fische,
ehe man sie hat. — Non gridar pesci prima di averli presi.
Gebräuchlicher ist die allen Kultursprachen geläufige Variante:
Man soll die Haut des Bären nicht verkaufen, bevor der Bär
nicht erlegt ist. (Siehe bei „Bär" pag. 54.)
Die deutsche BezeichnuDg Backfisch für ein halb-
wüchsiges Mädchen ist der Stadentensprache entlehnt, die
früher auch kurzweg „Fisch" dafür gebrauchte. (Vgl. Kluge,
Deutsche Studentensprache, pag. 55.) Hierbei ist in wenig
schmeichelhafter Weise die Dummheit das tertium compara-
tionis. Allerdings liegt dieser Metapher gleichzeitig die Vorstel-
lung des Ködems zugrunde, indem der Student den Mädchen in
ähnlicher Weise nachstellt wie der Fischer den Fischen. Hin-
gegen bezieht sich Backfisch wohl auf das Lockende,
Appetitliche des Aussehens.***) (Vgl. portug. peixäo „großer
Fisch" als Bezeichnung einer hübschen Frau.) Daß das Wort
„Fisch" auf Personen angewendet wird, dafür liefern uns
auch andere Sprachen Beispiele. So wird namentlich im
Engl, fish im Sinne unseres „Kauz" mit nuancierenden Ad-
jektiven gebraucht. So sagt man a stränge^ odd, cool, queer
fish, ein sonderbarer, seltsamer, kaltblütiger, kurioser Fisch.
*) Eine Variante lautet: Noh si pud pigliar pesci senza immoüarsi,
man kann keine Fische fangen, ohne sich naß zu machen.
**) Vgl. das franz. Sprichwort : Veux-tu apprendre ä fils de pecheur ä
manger poisaon? Willst du den Sohn des Fischers Fische essen lehren?
***) Nach der landläufigen Erklärung bedeutet Backfisch s. y. w. „kleiner
Fisch**, da nur die größeren Fische gesotten, die kleineren aber geback
werden.
224 Hering, Sardine.
Unserem „großen Tier" (= bedeutende Persönlichkeit) entspricht
im Span, pez gordo, dicker Fisch. Ganz allgemein für „Mensch"
wird im Ital. pesce gebraucht in der Frage che pesce sei? was
bist du denn für ein Fisch? womit man einen Unbekannten auf-
fordert, sein Inkognito zu luffcen. (Vgl. den analogen Gebrauch von
„Vogel" in den verschiedenen Sprachen.) Obige Frage kann auch
bedeuten: Was hast du denn für einen Streich gemacht? In diesem
Falle hat pesce tadelnden Sinn und ist in dieselbe Eeihe zu
stellen mit Ausdrücken wie engl, hose fish, loser Fisch, deutsch :
„sauberer Hecht", span. buena pesca. Letzteres Wort bedeutet
eigentlich „Fischfang", dann metonymisch die Gesamtheit der
gefangenen Fische. (Ein Analogen zu dieser Bedeutungs-
entwicklung findet sich in span. venado „Wüd" aus lat. venatus
„Jagd".) Mit buena pesca kann allerdings auch im Gegensatz
zu der in den anderen Sprachen herrschenden Auffassung von
den intellektuellen Fähigkeiten der Fische eine schlaue Person
bezeichnet werden. — Semasiologisch interessant ist die Be-
deutungsentwicklung von span. pescado. Dieses Wort, eigent-
lich das part. perf. von pescar „fischen", bedeutet zunächst
„das Gefischte", dann „Fisch" und mit Bedeutungsverengung
„Stockfisch". Es wird eben die häufigste Gattung der Fische
nach der ganzen Klasse benannt. (Vgl. ital. span. oca, frz.
oie „Gans" aus lat. avica „Vögelchen".) Im amerikanischen
Engl, wird fish ebenfalls häufig auf den Stockfisch einge-
schränkt. (Über den metaphorischen Gebrauch von paisson
im Pariser Kokottenargot vgl. Villatte, Parisismen bei „paisson^.)
Hering, Sardine.
Deutsch H ä r i n g oder Hering beruht auf mhd. haerinc,
ahd. hdring. Die ahd., bzw. mhd. Nebenform hering ist wahr-
scheinlich durch heri „Heer" beeinfiußt, u. zw. mit Bezug auf
das scharenweise Vorkommen dieses Fisches. Im Altengl.
lautet das Woit hdring, woraus neuengl. herring. Die romani-
schen Sprachen haben alle das Wort dem Germanischen ent-
lehnt: ital. aringa, span. arenque, frz. hareng, was ganz natürlich
ist, da der Fisch nur in nordischen Gewässern vorkommt
Für den geräucherten Hering ist im Deutschen das Wort
Hering, Sardine. 225
Bücking und mit Anlehnung an Bückling „Verbeugung"
auch Bückling üblich. Das Wort geht zurück auf ein mhd.
bäcJcinc, verwandt mit nid. bokJdng, das wahrscheinlich auf
nid. bok „Bock" zurückgeht. Der Fisch hieß nämlich wegen
seines unangenehmen Geruches auch bockshärinc. (Vgl. Kluge,
Etym. Wörterbuch d. deutschen Sprache unter „Bücking".)
Pickelhering als Bezeichnung der komischen Figur (ur-
sprünglich nur in Holland) ist von den englischen Komödianten
am Anfang des 17. Jahrhunderts zu uns gebracht worden
(engl, pickle-herring = Pökelhering). Die Benennung des Spaß-
machers im Stegreifspiele nach dem Lieblingsgericht der be-
treffenden Nation ist eine allbekannte Erscheinung. (Vgl.
pag. 209.)
Sind die Bezeichnungen für den Hering germanischen
Ursprungs, so sind die Benennungen für die verwandte Sardine
romanischer Herkunft. Schon im Lateinischen gibt es ein
sarda oder sardina. Letzteres Wort ist dem Ital., Span,
und Franz. gemeinsam. Im Ital. hat sich auch sarda er-
halten, wovon das Diminutiv sardella gebildet wurde. Da-
neben kommt im Ital. ein noch nicht aufgeklärtes acciuga
vor, dem im Span, anchoa, anchova, im Franz. anchoiSj im
Engl, anchovy entsprechen. Im Span, wird außerdem für
„Sardine" noch hoqueron gebraucht, was das Augmentativ von
boquera „Öffnung" ist (mit Anspielung auf das große Maul
des Fisches).
Der Hering hat einen stark zusammengedrückten Leib,
weshalb er oft als Symbol der Magerkeit verwendet wird.
So nennt man im Deutschen und Franz. einen mageren Menschen
gern einen Hering, bzw. hareng^ und im Engl, bedeutet
herring - gutted „heringsbäuchig" soviel als „dünnbäuchig".*)
Mit Bezug auf die enganschließende Uniform nennt in
England das Volk den rotröckigen Infanteristen red- herring
„Rothering", wozu sich in dem franz. Argotausdruck hareng
säur „saurer Hering" als Bezeichnung für einen Gendarmen
ein Analogon findet. (Vgl. Sachs, Zusammenhang von Mensch
und Tier in der Sprache, Neuphil. Zentralblatt, 1904, pag. 35.)
*) Im Pfälzischen wird Hering auch von einem mageren Stück Vieh
gebraucht. (Vgl. Heeger, Tiere im pfälz. Yolksmunde, 2. T., pag. 14.)
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 15
226 Hering, Sardine.
Im Span, und Ital. tritt die Sardine an Stelle des Herings.
So nennt der Italiener ein hochaufgeschossenes, mageres
Mädchen acciughina „Sardinchen", sowie er auch ganz all-
gemein von einem mageren Menschen sagt: iJ secco come utC
accitiga, er ist dfirr wie eine Sardine. Genau so heißt es im
Span.: Parece una sardina, er gleicht einer Sardine. Hierher
gehört femer die Bezeichnung mrdine für „Finger" im Pariser
Argot; so bedeutet z. B. serrer les cinq sardines, die fünf
Sardinen drücken, s. v. w. „die Hand drücken".
Von der silberglänzenden Farbe der Sardine hergenommen
ist die Bezeichnung der Yerschnürungen an Uniformen mit
sardinäes im Span., sardines im Franz., indem damit offenbar
ursprünglich die Siberverschnürungen bezeichnet wurden.
Wenn die Sichelschneide im Franz. mrdine genannt wird, so
ist das tertium comparationis gleichfalls die Farbe. Hin-
gegen enthält die im Pariser Argot vorkommende Metapher
yeux bordSs d'anchois, mit Sardellen beränderte Augen, für
Augen mit geröteten Lidern eine Anspielung auf das rötliche
Fleisch der marinierten Sardellen.
Der Umstand, daß die meisten Heringe während der
Laichzeit gefangen werden, macht den engl. Vergleich dead
as a shoUen herring ^ tot wie ein Hering, der gelaicht hat,
ohne weiteres verständlich. Auf die Art der Versendung der
Heringe, bzw. Sardinen, die massenweise in Tonnen gepackt
werden, bezieht sich im Deutschen der Vergleich gedrängt
wie Heringe. Ebenso sagt der Franzose serris comme
les harengs en caque (caque = Tonne). In den übrigen
Kultursprachen tritt an Stelle des Herings die Sardine. EngL
packed as dose as sardines, ital. stare comme le sardelle, pigiati
come le acciaghe, span. estdr como sardinas en banasta. Hierher
gehört femer aus dem Span. : La ultima sardina de la banasta,
die letzte Sardine aus der Tonne, d. h. das Letzte einer Sache,,
wenn alles andere aufgebraucht ist. Mit Bezug darauf, daß
den Sardinen vor der Einsalzung die Köpfe abgeschnitten
werden, bezeichnet der Italiener einen zerstreuten oder ver-
geßlichen Menschen als senza capo come le acciughe, kopflos
wie die Sardinen. Hingegen bezieht sich auf den geringen
Körperamfang der Sardine die ital. Redensart aver cervello
quanV uri acciuga nicht mehr Hirn haben als eine Sardine..
Hering, Sardine. 227
Vom Eäuchern der Heringe hergenommen ist das engl.
Sprichwort: Let every herring hang by its own tau, laßt jeden
Hering an seinem eigenen Schwänze hängen, d. h. Jeder für
sich". (Vgl. franz. : Ils etaknt pendus comme des harengs ä une
hroche, sie hingen wie Heringe an einem Spieß.) Auf eine
andere Zubereitungsart, nämlich das Einpökeln, spielt an das
franz. Sprichwort : Le hareng sent toujours la caque, der Hering
riecht immer nach der Tonne. Man wendet dieses Sprich-
wort auf Parvenüs an, deren niedere Herkunft sich häufig in
ihren plebejischen Manieren verrät.
Da Hering und Sardine infolge ihrer Häufigkeit nur
geringen Wert haben, so erscheinen sie dann und wann
als Symbole des Wertlosen. So sagt der Franzose von
einem ärmlich lebenden Menschen: II vit d^un hareng, er
lebt von einem Hering, und das Sprichwort: On vend au
marchS plus de harengs que de soles, man verkauft am Markte
mehr Heringe als Seezungen, will besagen, daß man gewöhn-
liche Dinge leichter an den Mann bringt als wertvolle. Von
einem, der um eines größeren Gewinnes willen einen kleineren
opfert, sagt der Italiener: Butta sardeUe, per prendere lucci, er
wirft Sardellen aus, um Hechte zu fangen. Dieselbe Bedens-
art wendet der Spanier an, nur mit dem Unterschied, daß
an Stelle des Hechtes die Forelle tritt: con una sardina
pescar una trucha. (Vgl. engl, to venture a smaU fish to catch a
great one und franz. donner un petit poisson pour en avoir un
gros.) Wenn man im Ital. eine alte Scharteke mit acciugaio
bezeichnet, so will man damit ausdrücken, daß sie nur mehr
zum Einwickeln von acciughe (Sardinen) taugt. Auf moralische
Minderwertigkeit, besonders Engherzigkeit und philisterhafte
Gesinnung, bezieht sich im Deutschen Heringsseele, während
armer Hering ein Ausdruck des Mitleids ist, der sich
wohl auf die Verfolgungen gründet, denen der Hering ausge-
setzt ist.
Gleichsam als wäre das Meer nur zur Züchtung von
Heiingen da, nennt es der Engländer scherzweise herring-pond
„Heringteich".
15*
228 ^er Kabeljau.
Der Kabeljau.
Die Herkunft von deutsch Eabelj au ist ungewiß; soviel
ist sicher, daß das Wort im 14. Jahrhundert aus dem Nieder-
deutschen in die deutsche Schriftsprache eindrang. Auch in
den fibrigen germanischen Sprachen und im Franz. {caiülaud)
findet sich das Wort. Im Niederländischen wurde ursprüngliches
kabeljauic durch Metathese zu baJcefjauw, in welcher Form das
Wort ins Ital. {baccaJa) und Span. (bacälUw, bacdlao) eindrang.
Daneben ist in den romanischen Sprachen noch eine andere
Bezeichnung für den Kabeljau üblich, nämlich ital. merluzzo,
span. merluza, frz. merlache, die nach Joret sämtlich auf lat.
merula „Amsel^ zurückzuführen sind. (Benennung von Fischen
nach Vögeln ist nicht selten. Vgl. deutsch Seehahn, See-
lerche, Meerrabe, Adlerfisch.) Im Franz. ist jedoch die ge-
bräuchlichste Bezeichnung für den Stockfisch morue, dessen
Herkunft noch nicht sichergestellt ist. Die Herleitung von
lat. mutülm „Kragstein, Sparrenkopf" scheint wenig glaub-
würdig. (Es sollten damit ursprünglich die klumpenartigen,
eingesalzenen Eingeweide des Fisches bezeichnet werden.)
Offenbar mit cedna (von lat. supp. siccina aus siccm „trocken")
„getrocknetes Fleisch" bangt zusammen ceciäl, der span. Name
des gedörrten Stockfisches. Im Deutschen und Engl, ist fiir
den gepökelten Kabeljau die Bezeichnung Stockfisch, bzw.
stock 'fish, üblich, weil der Fisch an Stöcken zum Dörren
aufgehängt wird. Andera erklärt das Wort, das auch in
romanische Dialekte, z. B. ins Korsische (stoccafissu), einge-
drungen ist, Rolland, Faune pop., III, pag. 116. Der ge-
räucherte Stockfisch heißt im Deutschen auch Laberdan,
das sich im Engl, in der Form haberdine findet. Dieses
Wort soll auf franz. le Labourdain beruhen, womit ein
Teil des Baskenlandes bezeichnet wird. Über das Franz.
wäre sodann das Wort ins Niederländische und von da ins
Deutsche eingedrungen. Im Engl, ist der gebräuchlichste
Name für den Kabeljau codfish oder kurzweg cod, das identisch
ist mit cod „Hülse, Schale". (Vgl. den deutschen Fisch-
namen Schellfisch, dessen hauptsächlichster Vertreter der
Kabeljau ist.) Das Wort ist niederdeutschen Ursprungs und
Der Kabeljan. 229
bedeutet eigentlich „Schalenfisch^S ™i^ Bezug auf das sich
blätternde Fleisch.
Für die Metaphorologie ist der Kabeljau von keiner be-
sonderen Bedeutung. Auf die ausgerandete Schwanzflosse
bezieht sich im Franz. die Bezeichnung habit ä queue de morue
für einen Rock mit spitzen Schößen. (Vgl. deutsch „Schwalben-
schwanz".) An den gedörrten Stockfisch denkt der Italiener,
wenn er einen mageren Menschen baccalä nennt. In dem-
selben Sinne wird bacälao im Span, gebraucht, während man
im Deutschen einen hölzernen, steifen Menschen mit „Stock-
fisch" bezeichnet, wobei der Stockfisch als Vertreter des
ganzen intellektuell ziemlich niedrig stehenden Fischgeschlechts
erscheint. (Vgl. deutsch dumm wie ein Stockfisch;
frz. bite comme un hareng) Umgekehrt nennt man den Stock-
fisch in Toulouse esixmpido „den Dummen". (Vgl. Rolland, Faune
pop., III, pag. 117.) Dem Italiener ist der Stockfisch Symbol
der Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit auf moralischem
Grebiet; daher wird ein in religiösen Dingen gleichgültiger
Mensch gern mit baccalä bezeichnet.
. Der Stockfisch ist infolge seiner Häufigkeit einer der
wohlfeilsten Fische, es macht ihm in dieser Beziehung nur
der Hering Konkurrenz. Auf der Minderwertigkeit des Stock-
fisches beruht — mit Übertragung auf das ethische Gebiet —
frz. morue als Bezeichnung eines liederlichen Weibes.
Die Wichtigkeit des Stockfisches für den Handel geht
hervor aus dem Spitznamen codfish aristocracy „Stockfischadel",
der im angloamerik. Slang der Geldaristokratie beigelegt wird.
Es wird damit auf die durch den Handel mit Stockfischen er-
worbenen Reichtümer angespielt Ein Beweis für die große
Bedeutung des Stockfisches als Nahrungsmittel ist die Be-
nennung des niederländischen Hanswursts mit dem Namen
dieses Fisches (daneben auch Pikelhering, vgl. pag. 225)
sowie die im Deutschen übliche scherzhafte Bezeichnung
Heringsbändiger für einen Ladendiener in einem Eß-
warengeschäft.
230 I>er A.al.
Der Aal.
Deutsch Aal bemht auf mhd., ahd. dl Hiermit ver-
wandt ist alteng^l. cel, wovon neuengl. eel Die romanischen
Bezeichnungen des Aales: ital. anguiUa, span. anguila, frz.
anguiUe gehen auf lat. anguilla^ Dim. von unguis „Schlange",
zurück*)
Von der schlangenartigen Gestalt des Aales hergenommen
ist span. anguila de cabo „Aal aus Strähnen" als Bezeichnung
der Peitsche für die Galeerensklaven, womit sich engl. saU-eel
„Pökelaal" als ehemalige Benennung des auf Schiffen zum
Prügeln dienenden Tauendes vergleichen läßt. Gleichfalls mit
Beziehung auf die Gestalt des Aales werden im Span, die Bohren
zur Speisung der Schiffspumpen anguilas genannt. Aus dem
Ital. ist anzuführen ein von anguüla abgeleitetes anguillare
als Bezeichnung eines langen, geradlinigen Weinspaliers. Hier-
herzuziehen ist ferner aus dem Deutschen der Gebrauch von
„Aal" für eine Falte in der Hose; auch frz. anguille wird
ähnlich gebraucht.
Zahlreich sind die Metaphern, die sich auf die glatte,
schlüpfrige Haut des Aales beziehen, wie überhaupt dieser
Fisch häufig als Symbol eines Menschen verwendet wird, der
sich allen Versuchen, ihn irgendwie festzuhalten, zu entziehen
versteht. (Vgl. Paul, Deutsches Wörterbuch unter „Aal".)
So sagten schon die Römer von einem schlauen Menschen, dem
schwer beizukommen war: Anguüla est, elabitur (Plautus), er
ist ein Aal, er entgleitet. Dieselbe Metapher findet sich in
den romanischen Sprachen: ital. sguizzare di mano come un'
anguüla, span. escurrirse como un anguüa, frz. khapper comme
une anguille. Auch dem Deutschen ist die Redensart wie
der Aal der Hand entschlüpfen nicht fremd. Von
einem Menschen, dessen übertrieben höflichen Manieren die
innere Gesinnung nicht entspricht, sagt man im Deutschen, er
sei aalglatt, er habe aalglatte Manieren. Am leichtesten
*) Umgekehrt wird in franz. und ital. Mundarten die Schlange, bzw.
Natter, nach dem Aal benannt : franz. anguUle de haiea, anguille de buissons
„Heckenaal", ital. anguiUa di siepe, (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 22 f.)
Der Aal. 231
entschlüpft der Aal, wenn man ihn beim Schwänze hält. Darauf
bezieht sich das deutsche Sprichwort: Wer den Aal hält
bei dem Schwanz, dem bleibt er weder halb noch
ganz. Im Engl, findet sich ein ähnliches Sprichwort: There
is as much hold of a womarCs toord as there is of a web eel by
the taüj es ist ebenso schwer, ein Weib beim Wort zu fassen
wie einen nassen Aal beim Schwanz. Analog sagt der Franzose :
Qui prend Tanguille par la queue et la femme par la Parole^
peut dire qu'il ne tient rien. Wer den Aal beim Schwanz und
das Weib beim Worte faßt, kann sagen, daß er nichts in
der Hand hat. Wörtlich stimmen hiermit uberein die ital.
und span. Analoga: Chi piglia Vanguüla per la coda e la
donna per la parola, pud ben dir che non tien niente. — Quien
prende el anguila por la cöla y la muger por la palabra, bien
ptiede decir que no tien nada. Demgemäß bedeutet ital. tener
VanguiUa per la coda, den Aal beim Schwänze halten, „eine
schwierige Aufgabe auf sich haben". Wie der Deutsche von
einem, der eine Sache verkehrt anfängt, sagt: Er zäumt das
Roß beim Schweif auf, so gebraucht der Engländer in diesem
Sinne die Redensart to sJcin the eel by the tail, den Aal beim
Schwänze abschuppen. Genau so sagt der Franzose: Archer
Vanguille par la queue, (Vgl. Rolland, Faune pop., III,
pag. 102.) Hierher gehört gleichfalls aus dem Franz. die
sprichwörtliche Redensart pour trop presser Vanguille on la perd,
wenn man den Aal zu sehr drückt, verliert man ihn, d. h.
gerade wenn man sich am eifrigsten um etwas bemüht, ver-
liert man es sehr häufig. Vereinzelt steht das franz. Sprich-
wort : Ä bon pecheur echappe anguille, auch einem guten Fischer
entschlüpft manchmal ein Aal, d. h. auch der Tüchtigste kann
einmal fehlen.
Mit Bezug auf die außerordentliche Beweglichkeit des
Aals sagt man im Ital. von einer Person, die an nervösen
Zuckungen leidet : Ha la voglia delV anguilla. Dementsprechend
nennt der Italiener eine kleine, magere, bewegliche Frauens-
person gern anguilla. Ebenso vergleicht der Franzose — mit
Übertragung auf das moralische Gebiet — däsJVeib mit dem
Aal in dem Sprichwort : Femme se retourne" fnieux qu^anguille,
ein Weib dreht sich besser als ein Aal , . d. h. das Weib
weiß sich immer zu helfen. (Vgl. deutsGl\:iSich wie ein
232 I^r Aal.
Aal krümmen.) Auch ein unserem „Plumpsackverstecken'^
ähnliches Spiel bezeichnet der Franzose als anguüle, indem
der zu versteckende Gegenstand mit dem Aal verglichen wird»
der sich mit Vorliebe in den Höhlen und Bitzen felsiger Ufer
verbirgt.
Das Fleisch des Aales ist ein beliebtes Nahrungsmittel,
Aalpastete ist sogar ein gesuchter Leckerbissen, weshalb
man im Franz. mit dem Ausruf toujours du päte cTanguiUel
immer Aalpastete ! ausdrücken will, daß man selbst des Besten
mit der Zeit überdrüssig werden kann. Seiner kulinari-
schen Verwendbarkeit wegen wird dem Aale eifrig nachge-
stellt, u. zw. wird die Aalfischerei besonders in Italien
erfolgreich betrieben. Auf den Aalfang bezieht sich das
Sprichwort: Come Vanguüla ha preso Vamo, bisogna che vada
dove i tirata, sobald der Aal in den Haken gebissen hat, muß
er folgen, wohin man ihn zieht, d. h. wer A sagt, muß auch
B sagen. Da der Aalfang nicht nur gewerbsmäßig, sondern
auch als Sport betrieben wird, gelangt die Redensart pigliar
anguüle, Aale fangen, durch Generalisierung zur Bedeutung
„sich vergnügen, bummeln, faulenzen^^
Der Aal zeichnet sich durch besondere Zählebigkeit aus ;
es ist daher keine Kleinigkeit, ihn umzubringen. Hierauf
bezieht sich die franz. Redensart rompre Tanguille au genou^
den Aal am Knie abbrechen, d. h. die schlechtesten Mittel
zur Erreichung eines Zieles anwenden. Während alle anderen
Fische zum Zwecke kulinarischer Verwendung abgeschuppt
werden müssen, löst sich die Haut des Aales beim Sieden von
selbst, worauf die deutsche Redensart beruht den Aal
schuppen, d. h. Schwieriges und Unnötiges versuchen.*)
Auffallend ist die engl. Redensart to catch a blind eel, einen
blinden Aal fangen, d. h. etwas Wertloses erwischen, als ob
die Genießbarkeit des Aales von seinem Sehvermögen abhinge.
Auf die Lebensweise des Flußaals, von dem behauptet
wird, daß er sich des Nachts auf nah gelegene Felder begebe,
*) Offenbar anf eine einst sehr bekannte Anekdote spielt an die frz.
Eedensart: II est comme les anguilles de Melun qui crient avant qu'on les
horche, er macht's wie die Aale von Melou, die schreien, bevor man sie
mbschnppt. Nach BoUand, Fanne pop., ni, pag. 103, waren die Aale von
Helon ehemals sehr berühmt.
Die Schnecke. 233
bezieht sich das ital. Sprichwort: Banguüla che vuol mangiar
insalata, bisogna che venga a tetra, wenn der Aal Salat fressen
will, muß er ans Land kommen, was ungefähr dem deutschen
„Ohne Fleiß kein Preis" entspricht.
Von dem Meeraal hingegen, der sich gern am Strande,
u. zw. in Felsenritzen*) aufhält, hergenommen ist die franz.
Eedensart : Ily a anguille sous röche, es ist ein Aal unter dem
Felsen, d. h. es steckt ein Betrug hinter einer Sache. Es
spielt hier der harmlose Aal die Rolle der Schlange und für
eine solche mag er von Unkundigen wegen seines schlangen-
ähnlichen Körpers wohl auch gehalten werden. (Man denke
an die Etymologie von lat. anguilla = Dim. von anguis
„Schlange.) **) Auch das frz. Sprichwort : Le serpent est cache
sous les fleurs, die Schlange ist unter den Blumen verborgen,
hat eine dem oben zitierten Sprichwort ähnliche Bedeutung.
Hingegen wird der Aal als Symbol der Einfalt in Gegen-
satz gebracht zu der beim Volke für listig geltenden Schlange
in der ital. Eedensart far la setye tra le anguille, zwischen
den Aalen die Schlange spielen, d. h. ein Schlaukopf sein
unter Einfältigen. Unter diesen Schlangen sind Wasser-
schlangen zu verstehen und die Dummheit der Aale besteht
darin, daß sie ihren Feind nicht erkennen.
Die Schnecke.
Deutsch Schnecke geht zurück auf mhd. sneclce, ahd.
snecJco. Daneben gibt es im Mhd. eine Nebenform sn^gel, die
in hessisch Schnegel weiterlebt. Hiermit ist verwandt alt-
engl. snce^l, wovon neuengl. snaü. Für die nackte Land-
schnecke gebraucht der Engländer snug-snail, d. h. langsame
Schnecke, und mit V^eglassung des Substantivs auch einfach
snug, das infolge Bedeutungsgeneralisierung auf jede Art von
Schnecken angewendet werden kann.
*) Vgl. das itaJ. Sprichwort: Non h si grossa anguüla che non abbia
ü 8U0 bucOy es gibt keinen so großen Aal, der nicht sein Loch hätte, wofür
man im Deutschen sagt: Jede Maus hat ihr Haus.
**) Vgl. die ital. Redensart; Mi vorresti far credere che Vanguüle sian
serpi, du möchtest mir weismachen, daß die Aale Schlangen seien, d. h.
du möchtest mir ein X für ein U vormachen.
234 ^'^^ Schnecke.
Was die romanischen Sprachen betrifft, so beruhen ital.
lumaca, span. limaza, frz. limace, limagon, colimagonj auf lat.
limaceus aas Umax „Wegschnecke^. Im Span, ist die Be-
zeichnung der Wegschnecke babosa, was eigentlich ein Adjektiv
ist (von baba „Schleim, Geifer") und „schleimig" bedeutet. Die
Gehäuseschnecke heißt im Span, caracöl, welches Wort man
als eine Zusammensetzung von cara „Gesicht" und coUum
„Hals" auffaßt. Das Wort würde also gleichsam „Hals über
Kopf" bedeuten (mit Beziehung auf die gewundene Gestalt
des Schneckengehäuses). Es existiert auch im Ital. (caracöllö)
und im Franz. {caracol, caracole) als Lehnwort, allerdings nur
in übertragener Bedeutung (siehe pag. 235). Die altfranz.
Form von escargot „Weinbergschnecke", escargöl, deutet gleich-
falls auf Entlehnung aus dem Spanischen. Durch Metathese
ist aus lat. Cochlea (von griech. xoyxUag) clochea und daraus
ital. (supponiert) chiocchia entstanden, woraus diminutiv gebildet
chiocciola „Weinbergschnecke".
Was die auf die Schnecke bezüglichen Metaphern be-
triflft, so beruht deren Mehrzahl nicht auf einem Vergleich
mit der Schnecke selbst, sondern mit ihrem spiralförmigen
Gehäuse. In allen Kultursprachen werden gewundene Gegen-
stände metonymisch nach der Schnecke benannt. (Vgl. griechisch
Y,oyyiUag „Schnecke" und „Schraube".) So hieß schon im Mhd.
die Wendeltreppe „Schnecke" (jetzt Schneckentreppe) und
analog nennt man einen gewundenen Gang Schneckengang.
In den romanischen Sprachen finden wir für diesen Begriff
dieselbe Bezeichnung: ital. scala a chioccicola, span. geradezu
caracol, frz. escalier en limagon. Ferner wird im Deutschen
„Schnecke" für verschiedene Schraubenarten verwendet, wozu
sich in ital. chiocciola „Schraubenmutter" ein Analogon findet.
Der Gehörgang wird in allen Kultursprachen nach der Schnecke
benannt: deutsch Schnecke, span. caracol, frz. limagon de
Voreille, Im Ital. ist dafür das halbgelehrte coclea, eine Scheide-
form zu chiocciola, im Engl, das ganz gelehrte Cochlea üblich.
Auch die Spielfeder der Taschenuhr wird im Deutschen, Engl.,
Franz. und Span. „Schnecke" genannt. Im Ital. wird in
familiärer Sprache metonymisch die ganze Uhr damit be-
zeichnet {chiocciolina, kleine, chiocciolona, große Taschenuhr).
Weiter wird im Deutschen „Schnecke" auf eine gerollte Haar-
Die Schnecke. 235
locke angewendet. In den übrigen Sprachen findet sich kein
Analogen. Doch scheint span. caracol in Andalusien dialektisch
in diesem Sinne gebraucht zu werden. Wenigstens finde ich
bei Valera, Pepita Jim6nez, pag. 41, dieses Wort gesperrt
gedruckt und mit dem erklärenden Zusatz versehen: rizos
sujelos con sendas horquülas „mit mehreren Haarnadeln be-
festigte Locken^'. Aus dem Deutschen ist noch anzuführen
der Gebrauch von „Schnecke" für die Volute einer Säule
sowie landschaftlich für ein gewundenes Gebäck, wozu sich
in span. caracolülo (Dim. von caracol) „Hohlhippe" ein Analogen
findet. Schuchardt (Eoman. Etymologien II, 23 ff.) leitet
auch romanisch coca, die Bezeichnung einer schneckenft)rmigen
Gebäcksart, von Cochlea „Schneckengehäuse" ab. Auf coca
beruhen ital. cuccagna, span. cucana^ franz^ cocagne „Schlaraffen-
land" sowie das deutsche Kuchen. In der span. Sportsprache
wird metonymisch mit caracol das Herumtummeln des Pferdes
im Kreise bezeichnet. Auch sagt man von einem, der sich
in einer gewundenen Linie vorwärts bewegt: Hace caracoles,
er macht Schnecken. Das Span, besitzt selbst ein Verbum für
diesen Begriff, nämlich caracolear, wovon wieder das Verbal-
substantiv caracoleo gebildet ist. Dem entsprechen ital. cara-
collOy frz. caracole, caracoler, die sich sämtlich als Entlehnungen
aus dem Span, erweisen. Hierher gehört ferner aus dem Ital.
die Redensart fare il chiocdolino, das Schneckchen machen,
d. h. die Beine heraufziehen, wozu sich in franz. se limagonner
(von limagon) ein Analogen findet.
Auf die Schleimabsonderung der Schnecke (vgl. frz. sahy
baveuXj gluant comme une limace, Rolland, Faune pop., III,
pag. 212) bezieht sich im Deutschen die Bezeichnung der
Vagina mit dem Namen dieses Tieres. (Tiemamen werden
nicht selten zur Benennung des weiblichen Geschlechtsteils
verwendet. Vgl. deutsch „Maus", ital. monnaj frz. chat) Als
Nebenvorstellung mag wohl die Ähnlichkeit der Mutterscheide
mit einem Schneckengehäuse mitwirken. Hiermit ist zweifellos
semasiologisch in Zusammenhang zu bringen die im Pariser
Argot für eine Soldatendirne übliche Bezeichnung limace, wozu
wir schon im lat. Umax ein Analogen finden, das Plautus für
«ine Dirne gemeinster Art gebraucht. Da die Schnecke
den zurückgelegten Weg durch einen Schleimstreifen kenn-
236 ^ie Schnecke.
zeichnet, sagt der Italiener von einem unordentlichen Menschen^
der alles wüst umherliegen läßt: Lascia lo sirascico dietro a
si come le lumache, er läßt eine Spur hinter sich wie die
Schnecken; dies kann auch auf einen angewendet werden; der
überall unangenehme Erinnerungen hinterläßt. Mit limace de
la lüerature „Literaturschnecke" bezeichnet Rivarol einen ober-
flächlichen Schriftsteller: II laisse partout une trace argenUe^
mais ce rCest que de Vecume^ er läßt überall eine silberne Spur
zurück, aber es ist nichts als Schaum. (Vgl. Sachs, Zusammen*
hang von Mensch und Tier in der Sprache in NeuphiL Zentral-
blatt 1904, pag. 258.) Mit Bezug auf die weiße Farbe dieses
Schleims wird im Ital. ein von lumaca gebildetes aUumacare
im Sinne von „weiß anstreichen" gebraucht.
An die gehäuselose Wegschnecke, die durch die wohl-
gerundete Form ihres Körpers den Eindruck behaglicher
Körperfülle macht, wird jedenfalls gedacht, wenn man im
Deutschen ein wohlgenährtes Kind ein fettes Schneckchen
nennt. Auch an und für sich wird im Deutschen Schneck-
chen, im Franz. limace, als Liebkosungswort gebraucht.
Speziell auf die Gehäuseschnecke beziehen sich einige
Metaphern. So ist im älteren Ital. chioccidla Bezeichnung für
eine Art Überkleid, in das man sich ganz einwickelte. Hierzu
finden sich Analoga im mexikanischen Span., wo caracol ein
weites, aber kurzes Frauenhemd bezeichnet, sowie im Pariser
Trödlerargot, in dem limace geradezu für „Hemd" gebraucht
wird. Aus der franz. Soldatensprache ist hierher zu ziehen
escargot als Bezeichnung eines Soldaten in seinem Zelte. Von
einem häuslich lebenden Menschen sagt der Italiener mit Be-
zug auf die Fähigkeit der Schnecke, sich völlig in ihr Gehäuse
zurückzuziehen: JE come la chiocciola, er ist wie die Schnecke,
und ähnlich drückt sich der Franzose aus, indem er sagt:
II est retire chez lui comme un limagon dans sa coquille, er lebt
zurückgezogen wie eine Schnecke in ihrem Gehäuse. Kluges
Nachgeben versinnbildet er mit dem Bilde der ins Gehäuse
zurückkriechenden Schnecke: II rentre dans sa coquille. (VgL
Bergmann, Die sprachliche Anschauung und Ausdrucksweise
der Franzosen, pag. 121.) Hingegen vergleicht er einen
Streber, der sich über seinen Stand erhebt, mit der aus dem
Gehäuse hervorkriechenden Schnecke : Cest un limagon qui sort
Die Schnecke. 237
de sa coquiUe. Von einem Vagabunden, der seine ganze Habe
bei sich trägt, sagt der Italiener: Fa come le chiocciole che
portano la casa dietrOj der Franzose : II est comme Vescargot qui
porte sa maisan, er ist wie die Schnecke, die ihr Haus trägt.
{Vgl. EoUand, Faune pop., III, pag. 195.) Auch wird escargot
ohne weiteres für „Lump" gebraucht.
Auf der Hand liegt der Vergleich eines langsam gehenden
Menschen mit der scheinbar sich nur mühsam fortschleppenden
Schnecke. So nennt der Pariser den gemächlich einher-
schlendernden Schutzmann escargot de trottoir „Trottoir-
schnecke". Im Deutschen sagt man schleichen wie eine
Schnecke und im Engl, to proceed at a snaiTs pace oder
to walk at a snail's trot, analog im Ital. andare come le
lumache. Die deutsche Schneckenpost findet sich auch im
Engl. {snaiFs post). SnaiVs gallop „Schneckengalopp" wird
ebenfalls ironisch gebraucht (vgl. franz. adroitj leste comme un
^cargot, gewandt, flink wie eine Schnecke) und snail in to snail
along, wie eine Schnecke dahinschleichen , zeitwörtlich ver-
wendet. (Hiermit läßt sich bayrisch Schnecken oder
«chneckeln für „langsam gehen" vergleichen.) Als Ver-
istärkung des Begriflfe tritt es zu slow (snaü-slow „schnecken-
langsam"). Im Ital. wird das Augmentativ von lumaca, luma-
€one, im pejorativen Sinne gebraucht und entspricht unserem
„Schleicher". (Vgl. Borchardt- Wustmann, Sprichwörtl. Redens-
arten unter „Schneckengang".)
Wie die Maus, der Spatz, die Fliege und andere kleine
Tiere, so erscheint auch die Schnecke hier und da als Symbol
des Wertlosen, Unbedeutenden. No vale un caracol! No importa
un caracol! Das ist nicht eine Schnecke wert! ruft der Spanier
aus, wenn er seiner Verachtung für irgend etwas Wertloses
Ausdruck geben will. (Hingegen ist die häufig gehörte Ver-
wünschung caracoles nichts anderes als ein Glimpfwort für das
qnanständige carajo.) *) Ähnlich dürfte dialektisch Schnecken
zu erklären sein, womit man jemandes Forderung abschlägig
beantwortet. Im Ital. dient chiocciola häufig zur pejorativen
*) Die engl. Beteuerung ^snaüs! gehört nur scheinbar hierher, denn
dieses ^snails hat nichts mit snail „Schnecke" zu tun, sondern erklärt sich
eUiptisch aus his (Chrisfs) naüs, bei Christi Kreuz Nägeln.
238 I>ie Wespe.
Naanciernng. So nennt man z. B. einen unbedeutenden Maler
pUtore da ckiocciola „Schneckenmaler". (Vgl. pittore di code di
topo „Mäuseschwanzmaler".)
Auf die völlige Harmlosigkeit der Schnecke spielt der
Italiener an, wenn er von einem, der aus den unschuldigsten
Dingen Schaden erleidet, sagt: Sino le chiocciok lo cozzanOj
sogar die Schnecken stoßen ihn.
Die Wespe.
Deutsch Wespe beruht auf mhd. w^spe, älter w^fse, ahd.
wf/sa, älter wixfsa. Im Altengl. lautet das Wort uxBfSy tccsps,
wovon neuengl. tmsp. Bezüglich der Metathese vgl. man
österreich.-dialektisch Wepsen für „Wespe". Die romanischen
Benennungen der Wespe : ital. vespa, span. avispa, franz. gu^Cj
gehen sämtlich auf lat. vespa zurück.
Auf einem Vergleich mit dem tiefen Einschnitt, der Brust
und Hinterleib der Wespe trennt und der ganzen Gestalt ein
schlankes Aussehen gibt, beruht die Bezeichnung Wespen-
taille für eine schlanke Taille. Der Ausdruck ist dem
Franz. entlehnt (taük de gtiSpe\ findet sich aber auch im ItaL
(vitina di vespa) und im Engl, (wa^-waisted, waspish, mit dünner
Taille).
Wegen ihres Stachels, mit dem sie empfindlich stechen
kann, war die Wespe von jeher Symbol der Reizbarkeit,
namentlich insofern diese sich in scharfer Replik äußert. (VgL
portug. responder como a bespa, wie die Wespe antworten.)
So wird „Wespe" in allen Kultursprachen auf einen reizbaren
Menschen angewendet. Im Engl, ist von wasp ein Adjektiv
waspish „reizbar" und von diesem wieder das Substantiv
waspishness „Reizbarkeit" gebildet Aber nicht bloß eine bos-
hafte Person (vgl. frz. taquin comme une guepe, Rolland, Faune
pop., III, pag. 271), sondern auch ein boshafter Einfall wird
im Engl, tmsp genannt. (Vgl. „Wespen" als Titel eines
satirischen Witzblattes.) Es liegt hier die in der Semasio-
logie so häufig auftretende Erscheinung der Übertragung
eines Sinneseindrucks auf die innere Empfindung vor. Doch
Die Wespe. 239
kann im Engl, wasp für „Einfall" überhaupt gebraucht
werden. He hos his head füll of tmsps, er hat den Eopf
voll Wespen, heißt „ihm steckt der Kopf voll Einfalle".
(Vgl. hiermit den Gebrauch von „Maus", „Vogel", „Mücke",
„Grille" im Deutschen, von rat, hirondeUe im Franz. für den-
selben Begriff, wobei ganz allgemein das Unstete der Ge-
danken mit dem Hin- und Herschwirren dieser Tiere ver-
glichen wird.)
Kann schon eine einzige Wespe sich sehr unangenehm
bemerkbar machen, so ist es geradezu gefährlich, ein ganzes
Wespennest aufzurühren. Daher ist das Wespennest in allen
Kultursprachen das Symbol der Gefahr, in die man sich ent-
weder mutwillig oder von ungefähr begibt. So sagt man im
Deutschen von einem, der eine gefährliche Sache aufrührt oder
seine Gegner in Menge zum Angriff reizt: Er sticht in ein
Wespennest. Schon im Lateinischen findet sich dasselbe
Bild : irritare crabrones (bei Plautus), die Hornisse reizen (vgl.
frz. il ne faut pas emouvoir les frelons, frelon = supp. fragilio
aus fragüis „gebrechlich"). Übereinstimmend mit dem Deutschen
sagt der Italiener stuzzicare un vespaio, der Spanier meterse
en un avispero, der Franzose tomber dans un guepier, in ein
Wespennest fallen, wobei allerdings die Neben Vorstellung des
absichtlichen Reizens fehlt. Treffend bezeichnet im engl. Cant
tvasp ein venerisches Weib, wobei die beim Beischlaf statt-
findende Übertragung des Krankheitsstoffes mit dem Stiche
der Wespe, die ihren Stachel in der Wunde zurückläßt, ver-
glichen wird. (Vgl. ital. vespaio = Furunkel.) Auf dem Ver-
gleiche der zum Schlage ausholenden Hand mit der heran-
fiiegenden Wespe und des erfolgten Schlages mit dem Stiche
des Insekts, beruht die im Deutschen landschaftlich vor-
kommende Bezeichnung „Wespe" für „Ohrfeige". (Vgl.
„Schwalbe", „Wachtel".) Hierher gehört auch span. avispar
„anspornen, antreiben" (mit Bezug auf Pferde), wobei die
durch die Sporen oder die Peitsche hervorgerufene Schmerz-
empfindung mit der durch den Wespenstich verursachten ver-
glichen wird.
Anspielend auf die außerordentliche Beweglichkeit der
Wespe gebraucht man im Span, das Adjektiv avispado im
Sinne von „fiink". Auf das Summen der Wespen bezieht sich
240 ^^^ Ameise.
im Ital. der Vergleich rumorosi come uno aciame di vespe,
lärmend wie ein Wespenschwarm.
Die Ameise.
Deutsch Ameise beruht auf mhd. ameize, ahd. ameiza,
dem altengl. cemette entspricht, wovon neuengl. emmet, ant.
Dialektische Formen sind im Deutschen in großer Menge vor-
handen. Ihre Erklärung, die viel Schwierigkeiten bietet,
findet man bei Kluge, Etym. Wörterbuch, pag. 12. (Vgl.
femer über die germanischen Namen der Ameise Transact. of
the phil. Soc, 1858, pag. 94.) Im Engl, wird neben emmei
und ant auch mire (aus altengL myre) und ein mit piss „pissen"
zusammengesetztes pissmire gebraucht, wozu sich im nieder-
deutschen sSx-amsen {sexen = pissen) ein Analogen findet.
(Diese Bezeichnungen beziehen sich auf die ätzende Flüssig-
keit, die die Ameisen in gereiztem Zustande ausspritzen.) Die
romanischen Benennungen der Ameise: ital. formica, span.
hormiga, frz. fourmi, gehen sämtlich auf lat. formica zurück.
Was die metaphorische Verwertung der Ameise in
den Kultursprachen betrifft, so wird sie zunächst im Ital.
häufig als Symbol der Kleinheit verwendet. So bedeutet
scrüf>o a formiche, mit Ameisen geschrieben, s. v. w. außer-
ordentlich klein geschrieben. Cervello di formica „Ameisen-
him" nennt der Italiener ein kleines Hirn und bezeichnet
damit einen beschränkten Kopf. Dementsprechend heißt es
von einem, der kleine Schritte macht: Va a passi di formica,
er geht mit Ameisenschritten.*) Im Portug. wird ein von
formiga gebildetes Adjektiv formigueiro im Sinne von „klein,
unbedeutend" gebraucht. So wird ein Dieb, der nur Sachen
von geringem Werte stiehlt, ladräo formigueiro „Ameisendieb"
genannt. Ebenso sind peccados formigueiros „Ameisensünden"
kleine Sünden. Desgleichen ist im Franz. die Ameise das Bild
der Kleinheit, so z. B. in der Bedensail; devenir plus petit qu'une
♦) Im Dialekt von Warwickshire gebraucht man die Wendung <m an
anVs footj auf einem Ameisenfuß, im Sinne Ton: in einem Augenblick.
(Vgl. RoUand, Faune pop., III pag. 275 f.)
Die Ameise. 241
fourmi devant qn., vor jemd. kleiner werden als eine Ameise.
(Vgl. Kolland, Faune pop., HI, pag. 278.) Im Ital. ist die
Ameise auch Symbol der Schwäche: aver forza quanf una
formicttj soviel Ki'aft haben wie eine Ameise, heißt „keine
JKraft haben". Hierher gehört femer das deutsche Sprichwort:
Ameisen haben auch Galle, d. h. auch von einem an-
scheinend schwachen Wesen kann uns Gefahr drohen. Das-
selbe Sprichwort findet sich im Span.: Gada hiyrmiga tiene su
ira und im Franz.: La fourmi a sa coUre. Im Ital. tritt an
Stelle der Ameise die Fliege: Anche una mosca ha Ja sua
coUera.
Von dem Bilde der kreuz und quer durcheinanderlaufenden
Ameisen eines Ameisenhaufens hergenommen ist die Redens-
art wie Ameisen durcheinanderwimmeln, die man
auf eine bunt bewegte Volksmenge anwendet. In den
romanischen Sprachen sind die dem deutschen „Wimmeln"
entsprechenden Zeitwörter von formica abgeleitet : ital. formi-
cölare (vgl. esserci come le formiche, in großer Menge vor-
handen sein), span. hormiguear, frz. fourmüler. Davon sind
wieder gebildet die Verbalsubstantiva : ital. formicolio, span.
hormigueo, frz. fourmülement Diese Verba, bzw. Substantiva
bezeichnen fernerhin das Kribbelu, eben weil diese meistens
durch nervöse Erkrankungen hervorgerufene Sinnesempfindung
vergleichbar ist mit dem Hautreiz, der sich einstellt, wenn einem
Ameisen über die Haut laufen. Hierauf beruht gleichfalls
die franz. Bedensart avoir des fourmis (dans quelque partie du
Corps), Ameisen haben (an irgend einer Stelle des Körpers),
d. h. ein Kribbeln verspüren. Im Span, wird hormigueo
infolge Übertragung auf die innere Empfindung für „Auf-
geregtheit, innere Unruhe" gebraucht. Auf den hastigen Lauf
der Ameise bezieht sich im Ital. die Bezeichnung polso formi-
volare für einen unruhigen Puls, welche Metapher sich schon
im Lat. findet: pulsus formicabilis. Von den Ameisenzügen,
bei denen eine Ameise hinter der anderen einherläuft, her-
genommen ist im Portug. die adverbiale Bedensart ä formiga
nach Ameisenart, d. h. im Gänsemarsch. Da diese Ameisen-
züge oft den Tritten unachtsamer oder böswilliger Wanderer
zum Opfer fallen, sagt der Spanier von einem zu Fuße Beisenden:
Camina matando hormigas, wörtl.: er reist, indem er Ameisen tötete
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 16
242 ^c Ameise.
Ftr den AmeisoihaiifeB besitzen die romanischen Si»tbclim
eine eigene, tob formica abgeleitete Beaeichnang: ital. for^
fmcaiOj span. hormiffuera, frz. faurmilier, welche Wörter aaoh
die flbertrageue Bedentong von „Menschenhaufen^ haben. Im
selben Sinne wie vespaio wird formieaio gebraucht in der ital-
Redensart stuzzkare ü formkaio, einen Ameisenhaufen auf-
stöbern, d. h. groAes Unheil, arge Verwirrung anrichten. Zwar
haben die Ameisen keinen Stachel wie die Bienen, doch können
sie durch die sogenannte Ameisensäure, eine ätzende, stark
riechende Flüssigkeit, die sie ans einem Bläschen am Ende-
des Hinterleibes ausspritzen, unangenehm werden.
Von der Behausung d^ Ameise, die sich selbst ein Loch
in die Ei^e gräbt, hergenommen ist das ital. Sprichwort : O^ni
formiea ama il suo bueo, jede Ameise liebt ihr Loch, d. h.
jeden zieht es nach seiner Heimat zurfick. Auf die m
hohlen Bäumen nistende Ameise bezieht sich die ital. Redens-
art fare la formiea del sorbOj die Ameise des Vogelbeer-
baumes spielen, häufig mit dem Zusatz che non esce per hussctrey
die nicht herauskommt, wenn man auch klopft Man sagt
dies von jemd., der den Einflüsterungen eines anderen nicht
nachgibt oder auf Beleidigungen nicht antwortet. Über-
haupt erscheint die Ameise häufig als Symbol hartnäckiger
Ausdauer, was man wohl begreift, wenn man dem Treibe»
dieser Tierchen zusieht, die mit unermttdlichem Fleiß stunden-
lang Material f&r ihren Bau herbeischleppen. (Vgl. das span.
Sprichwort : Chrono d grano bastece la hormiga su gramro, Eom
auf Eorn fällt die Ameise ihren Speicher.) Sucht man die-
Ameise auch von ihrem Ziele abzubringen, immer wieder
kehrt sie, sobald man sie unbehelligt läßt, zu demselbem
zurück. Auf dieser lobenswerten Eigenschaft beruht die
Etymologie von emsig, das wohl von Ameise, bzw.
dialektisch Emse kommt. Hierher gehört ferner die im
älteren Ital. vorkommende Redensart aver Ja formieoJa d^una
cosa, wörtL: die Ameise nach etwas haben, d. h. hartnäckig
wie die Ameise nach etwas streben. Semasiologisch be^
merkenswert ist, daß hier für die das Tier besonders charakteri-
sierende Eigenschaft der Name des Tieres selbst gesetzt wird^
Der E&fer im allgemeineB. 243
Der Käfer im
Für unsere Untersuchung kommt nur der Gesamtname
Käfer in Betracht, da die Namen der einzelnen Unterarten
für die Metaphorologie kein oder nur geringes Intei'esse bieten.
Was das deutsche Wort Käfer betrifft, so beruht es auf
mhd. keverj ahd. kevar^ chevaro^ dem altengl. Seafor entspricht,
wovon neuengl. chafer. „Käfer^ wird in Zusammenhang ge-
bracht mit mhd. kifen „nag^i^ (heute noch bayrisch - öster-
reichisch „kiefeln^). Ein AnaJogon hierzu bietet die Etymo-
logie von engl, beäle (einem Synonym von chafer), aus altengl.
Utöla^ das wahrscheinlich mit büan „beißen'^ zusammenhängt.
Die romanischen Benennungen des Käfers gehen sämtlich auf
lat scarabaeus^ bzw. scarafaius zurück, das von der speziellen
Bedeutung „Mistkäfer'' durch Generalisierung zu der allge-
meinen von „Käfer" gelangte : itaL scarafaggio, span. escarabo^Oj
frz. scarabee (gelehrt), escarhot (volkstümlich).
Der Käfer gilt häufig als Symbol der Kleinheit, im
Deutschen mit der Nebenvorstellung der Niedlichkeit. So
nennt der Deutsche ein hübsches Mädchen einen netten
Käfer, während der Spanier eine weiß gekleidete, brünette
Frau mit escardbajo en kche, Käfer in der Milch, bezeichnet.
(Häufiger mosca en lecke, Fliege in der Milch.) Von der
Farbe hergenommen ist femer der ital. Vergleich nero come
uno scarafaggio, schwarz wie ein Käfer, oder genauer: Mist-
käfer. Hier ist scarafaggio wie auch escarabajo in der oben
zitierten span. Metapher in der ursprünglichen Bedeutung auf-
zufassen, denn es sind nicht alle Käfer dunkelfarbig. Wenn^^
vielleicht auch nicht der Mistkäfer selbst, so doch eine minder
schön gefärbte Käferart ist mit escarabajo gemeint im folgenden
span. Sprichwort: Dijo el escarabajo ä sus hijos: Venid acd, mis
flores, es sagte der Käfer zu seinen Söhnen : Kommt her, meine
Blumen, was dem deutschen „Jeder Mutter Kind ist schön"
entspricht. Im Span, wird escarabajo auch verächtlich im
Sinne unseres „Knirps" für einen kleinen Menschen gebraucht.
Hierher gehört gleichfalls das span. Sprichwort: Hasta los
escarabajos tienen tos, sogar die Käfer haben Husten, das man
auf Leute aus dem Volke (die „kleinen" Leute) anwendet, die
die zimperlichen Manieren der Vornehmen nachäffen. (Vgl.
16*
244 ^^^ Käfer im aUgemeinen.
das portug. Sprichwort : Ja a formiga tem catarro, die Ameise
hat auch schon Katarrh, womit das altkluge Benehmen von
Kindern getadelt wird.) Wegen seiner Kleinheit wird der
Käfer oft zertreten, worauf sich die engl. Bezeichnung beeile-
crusher „Käferzerquetscher" für einen großen, derben Soldaten-
schuh bezieht, welcher Ausdruck metonymisch auf den mit
einem solchen Schuh bekleideten Fu£ und schließlich auf
die ganze Person angewendet werden kann. Das Pariser
Argot hat sich von escarbot „Käfer" ein Verbum escarbouüler
gebildet, das „zertreten" bedeutet. Da die meisten Käfer,
wenn sie in Bedrängnis geraten, sich sehr ungeschickt ge-
bärden, ja oft blindlings in die Gefahr rennen, so nannte man
im älteren Engl, einen dummen Menschen gern beeile. (Vgl.
frz. bete comme un hanneton, dumm wie ein Maikäfer.) Auch
die Eedensart as blind as a beeile^ blind wie ein Käfer, mag
darauf beruhen.
Im Span, wurde von escarabajo ein Verbum escarabajear
gebildet, das zunächst mit Bezug auf das hastige Hin- und
Herlaufen der Käfer „krabbeln" und dann infolge Übertragung
auf die innere Empfindung „quälen, aufregen" bedeutet. (Vgl.
deutsch „wurmen".)*) Hierher gehört femer escara6q;co „schlechte
Schrift, Gekritzel", sowie escarabajear „unleserlich schreiben".
(Gleichsam als liefe ein mit Tinte benetzter Käfer auf dem
Papiere hin- und her. Vgl. frz. pattes de mouche „Fliegenfiiße".)
Mit Anspielung auf das Hin- und Herschwirren des Käfers
sagt man in einigen Gegenden Deutschlands von einem, der
schlechter Laune ist, er habe einen Käfer (nämlich im Kopf).
Analog bezeichnet der Franzose eine fixe Idee volkstümlich mit
Jianneton „Maikäfer". Es wird gewissermaßen angenommen,
das Umhersummen eines Käfers im Kopfe sei Ursache des Unbe-
hagens. Auch für „Bausch" wird „Käfer" gebraucht, wobei die
größere Lebhaftigkeit in Wort und Geste auf das beunruhigende
Treiben eines imaginären Käfers zurückgeführt wird. (Vgl. in
den versch. Sprachen den metaphorischen Gebrauch von „Grille",
„Eaupe", „Vogel", „Schwalbe", „Sperling", „Maus", „Ratte".)
*) Im Deutschen findet sich ein Anologon in maikäfern, das nach
Behaghel, Die deutsche Sprache, 3. Aufl., pag. 141, bedeutet „sich zur
Rede anschicken, wie der Maikäfer, der die Flügel zum Fluge hebt".
Der SchmetterÜDg. 245
Der Schmetterling.
Schmetterling, ursprünglicli ein obersächsisches
Dialektwort, ist erst im Laufe des 18. Jahrhunderts in die
deutsche Schriftsprache eingedrungen. Die Ableitung des
Wortes von Schmetten „Milchrahm" findet ihre Bekräftigung
in den dialektischen Benennungen des Schmetterlings: Smant-
lecker (Smant = Schmetten), Milchdieb, Molkendieb,
Buttervogel, Butterfliege, wozu engl, btdterfly bms alt-
engl. Mtorfleoge stimmt. Bezüglich dieser auffallenden Namen
vgl. maU; was Mannhardt, Germanische Mythen, pag. 54, dar-
über sagt: „Übertragung des alten Eibenglaubens auf die
Hexen findet statt in der weitverbreiteten Meinung, daß diese
den Kühen die Milch benehmen können oder Milch und Butter
auf zauberische Weise entwenden, woher die Hexe wie der
elbische Schmetterling (Buttervogel), der in der himmlischen
Wolkenregion seine Heimat hat, Molkentöversche, Milchdieb,
Milchzauberin heißt". Hierzu stimmt auch die in einigen
Gegenden Schottlands für den Nachtschmetterling gebräuch-
liche Bezeichnung mich „Hexe". (Vgl. Kolland, Faune pop.,
III, pag. 315.)
Der mittelhochdeutsche Name des Schmetterlings war
vivalter aus ahd. vivaltra, dann aber auch znnfalter, wozu sich
in Dialekten zahlreiche Varianten finden, von denen die
wichtigsten bei Kluge, Etym. Wörterbuch, pag. 104, zusammen-
gestellt sind. Aus vivalter wurde in neuester Zeit falter los-
gelöst, indem man darin eine Zusammensetzung von vi und
valter sah.
Was die romanischen Sprachen betrifft, so zeigen sie
keine durchgehende Übereinstimmung in der Bezeichnung des
Schmetterlings. Auf lat. papilio gehen zurück veraltetes ital.
papiglione (auch parpaglione) sowie franz. papiUon. Scheide-
formen hierzu sind vorhanden in ital. padiglione, frz. pavillon
„Zelt'', wozu sich noch span. pdbelUn in derselben Bedeutung
gesellt. Körting in seinem lat.-roman. Wörterbuch hält es für
möglich, daß auch ital. farfaUa eine Umgestaltung von parpapU
ist, indirekt also auf papilio zurückgeht. Allein, wie ist
der fürs Ital. unerhörte Wandel von p zu f zu erklären ?
246 ^^ Sehmetteriing.
Meyer -Lübke (Ital. Grammatik^ pag. 143, § 250) nimmt für
farfälla ohne weiteres ein Etymon farfaUo an (ans paptlio?),
erklärt aber das Verhältnis der Endungen f&r unklar. Unter
solchen Umständen muß zugegeben werden, dafi die Her-
leitung von farfälla aus papilio mehr als zweifelhaft ist
Sollte in farfaUa nicht ahd. vivaltra zu erblicken sein? Ist
doch auch umgekehrt das roman. papilio ins Germanische
eingedrungen, wie mittelniederländisch pepel, schweizerisch
pipolder, südwestfalisch pipeldm zeigen.'*') Die spanische Be-
zeichnung des Schmetterlings, mariposa, entbehrt nicht eines
gewissen poetischen Beigeschmacks. Mariposa ist nämlich s.
y. w. Maria posa, Maria, setze dich. Eine ähnliche Bildung
ist das portug. der Eindersprache entstammende lousapoma
(von lousa „Schiefertafel" und pousar „sich setzen"). Solche
trauliche Anreden, die das gemütliche Verhältnis des Menschen
zum Tiere trefflich charakterisieren, kommen auch sonst als
Tiemamen vor. (Vgl. franz. -dial. vole-bebS „fliege, Kind" für
„Schmetterling" und ital.- dial. saUamartin „spring, Martin"
für „Heuschrecke".) Analogien aus den germanischen Sprachen
hat Storm, Bomania V, pag. 180, zusammengestellt. Als
spezielle Bezeichnung des Nachtfalters sind ital., span. falena,
frz. phaUne aus griech. wdkatva anzuführen. Eine auffallende
Übereinstimmung weisen dialektische Benennungen des Nacht-
schmetterlings in weit auseinanderliegenden Sprachgebieten
auf So ist dem Engl, (sotrf), dem Franz. (äme), dem Griechi-
schen (ifwxi]) die Bezeichnung dieser Schmetterlingsart als
„Seele" gemeinsam.
In der Metaphorologie spielt der Schmetterling keine un-
bedeutende Rolle. Anspielend auf die zarte, schmächtige Ge-
stalt nennt der Italiener eine magere Person falena. Dasselbe
tertium comparationis liegt zugrunde in engl, btäterfly als
Bezeichnung einer leichten Flußbarke, wobei auch an die
Behendigkeit des Fluges gedacht wird. (Vgl. franz. mouche
„Fliege", hirondelU „Schwalbe" als Bezeichnung von Seine-
dampfem.) Auf einem Vergleich mit den ausgespannten
*) Schuchardt (briefl. Mitteilung) macht geltend, daß bei farfälla wie
bei allen Benennungen des Schmetterlings die Lautsymbolik eine gewisse
EoUe spielt.
Der Schmettetling. 247
Plugein des Insekts beruht die bereits oben erwähnte Be*
^ichnung des Zeltes in den romanischen Sprachen mit dem
Namen des Schmetterlings. Hierher gehört auch der Gebrauch
Ton buUerfly für ^Anknöpfschlips^' im amerik. Engl., wobei
jedenfalls die beiden Zipfel die Vorstellung von Schmetterlings"
flägeln erwecken. (Vgl. franz. cmvate papilhn.) Wenn femer
«der Italiener einen Pfandschein oder Wechsel mit farfalla be«-
seichnety so liegt neben der Metapher Bedentungsverengung
Tor, indem nicht eigentlich der Wechsel, sondern das flatternde
Blatt Papier als solches mit einem Schmetterling verglichen
wird. Ein Analogen hierzu findet sich im Deutschen,
wo „Buttervogel" zuweilen für „Bechnung" gebraucht wird.
Nennt der Spanier ein in Öl schwimmendes Nachtlicht mari'»^
jposa, so vergleicht er hierbei offenbar das unruhige Flackerli
-des Lichtchens mit den Schwingungen von Schmetterlings-
:flügeln.
Auf den in Bewegung befindlichen Schmetterling bezieht
sich ital. /a/6na „Nachtschmetterling" in der Bedeutung „herum-
:fliegende Asche", wobei an die meist aschgraue Färbung der
Nachtfalter angespielt wird. Hingegen nennt der Engländer
mit Bezug auf die farbenprächtigen Tagfalter einen bunt ge-
kleideten Menschen im tadelnden Sinne buUerfly. Einerseits
auf Ironie, anderseits auf Euphemismus beruht die Bezeichnung
des menschlichen Auswurfs als falena im Ital. Dieselbe Art
von Bedeutungswandel macht den volkstümlichen Gebrauch von
farfaUino „kleiner Schmetterling" für „Laus" verständlich.
Es liegt nahe, den von einer Schönen zur anderen
Ratternden Jüngling mit dem Schmetterling zu vergleichen,
4er von Blume zu Blume gaukelt — Spanier und Franzosen
gebrauchen hierfür ein einziges Wort (mariposear, papillonner)
— und so ist auch der Schmetterling in allen Eultursprachen
•Symbol der Flatterhaftigkeit, besonders in erotischer Be-
ziehung. Engl, wird buttetHy adjektivisch im Sinne von
^fiatterhaft" gebraucht und dieselbe Bedeutung hat butterfly-
winged {wing = Schwinge). Ebenso ist im ItaL farfalla, bzw.
•das Dim. farfaUino Bezeichnung eines unbeständigen Menschen,
während das Augmentativ farfaUone speziell auf einen nicht
'ernst zu nehmenden Hofmacher angewendet wird. Hierher
gehört auch die Bezeichnung falena „Nachtschmetterling" für
248 ^6' Schmetterling.
ein nachts nmherstreifendes Mädchen (vgl. deutsch Nacht*
falter) und als Synonym von farfalla für ein lebhaftes Kind,
Desgleichen ist der Schmetterling im Span, und Franz. Sinn-
bild der Unbeständigkeit. So wird im Franz. mit papillonne^
dem Fem. von papillon, die Unbeständigkeit in der Lieb»
(namentlich bei Frauen) bezeichnet. Von den Verben tnari^
posear und papülonner war bereits weiter oben die Rede.
Als ein Bild des mit der Gefahr spielenden Leichtsinns er-
scheint der die Flamme umtanzende Schmetterling in dem
ital. Sprichwort: Tanto va il parpaglione intorno al lume, che
vi s'dbhrucia^ so lange fliegt der Schmetterling ums Licht^
bis er sich daran verbrennt. Im Deutschen tritt die Mücke
an Stelle des Schmetterlings, im (älteren) Franz. die Fliege:
La mouche se brusle ä la chandelle, die Fliege verbrennt sich
an der Kerze.
Auf dem Flattern des Schmetterlings beruht ferner im
Franz. der Vergleich von düsteren Gedanken mit schwarzen
Schmetterlingen (papillons noirs). Auch wird, allerdings ver-
einzelt, papillon für „Laune" schlechtweg gebraucht. (VgL
RoUand, Faune pop., III, pag. 315.) Hierher gehört gleichfaU»
portug. borbetar „phantasieren" von borbeia „Schmetterling".^
Insekten symbolisieren sehr häufig Gedanken oder Launen-
(Vgl. „Grille", „Käfer", „Raupe", „Spinne".)
Wegen seiner kurzen Lebensdauer sowie der Flüchtigkeit
seiner Erscheinung gilt der Schmetterling manchmal als Sinn-
bild der Nichtigkeit. So sagt der Italiener von einem, der
sich mit nichtigen Dingen abgibt : üccella alle farfaUe, er jagt
Schmetterlinge. Dasselbe Bild findet sich im Franz.: courir
aprhs les papillons, den Schmetterlingen nachlaufen. Hierher
gehört auch das von farfaUa gebildete Verbum sfarfallare in^
der Bedeutung „nichtiges Zeug reden, aufschneiden, prahlen"^
sowie farfallone „nichtiges Gerede, Prahlerei". Infolge
Generalisierung gelangt dies Wort zur Bedeutung „Unwahr-
heit" überhaupt und indem es seinen Begriflfsumfang wieder
verengt, zu der von „Irrtum, Schnitzer" (unfreiwillige Un-
wahrheit).
Die Fliege. 249
Die Fliege.
Deutsch Fliege beruht auf mhd. vliege^ ahd. fHuga, dem
altengl. fieoga entspricht, wovon neuengl. fty. „ Fliege*' ist mit
„fliegen" verwandt und bedeutet demnach „die Fliegerin",
Die romanischen Bezeichnungen der Fliege: ital.-span. mosca^
frz. mouche, gehen sämtlich auf lat. musca zurück.
Von allen Insekten ist die Fliege, die im Sommer be-
sonders in südlichen Ländern zu einer wahren Hausplage
wird, dem Menschen am vertrautesten, weshalb sie in der
Metaphorologie eine hervorragende Rolle spielt. Wir müssen
uns darauf beschränken, von den die Fliege betreffenden
Metaphern die gebräuchlichsten anzuführen. Eine nicht
geringe Anzahl derselben bezieht sich auf die äußere Er-
scheinung der Fliege. So wird im Deutschen, Ital. und
Franz. ein kleines Kinnbärtchen „Fliege" genannt. Mit mehr
Recht bezeichnen Italiener und Franzose ein Schönheits-
pflästerchen als mosca, bzw. mouche. Auch auf ein behaartes
Muttermal oder eine Warze wendet der Italiener mosca an,
während der Franzose das (gewöhnlich schwarze) Zentrum
einer Schießscheibe (vgl. faire mouche^ das Ziel treffen) sowie
den Kotfleck auf dem Kleide mit der Fliege vergleicht.
Beruhen die genannten Fälle auf Vergleichen mit der im
Zustand der Ruhe befindlichen Fliege, so gibt es auch solche
Metaphern, die von der im Fluge begriffenen Fliege her-
genommen sind, wie z. B. im Span, der Gebrauch von mosca
für „Sprühfunke". Nach Parodi sind moscella „kleiner Funke"
sowie die Verba chamtiscar, charamuscar „sengen" gleichfalls von
musca abzuleiten. Ebenso nennen Italiener und Spanier die
Schneeflocken gern mosche bianche, bzw. moscas blancas, weiße
Fliegen, der Franzose sagt mouches cPhiver „Winterfliegen" —
ein interessantes Beispiel von volkstümlicher Naturbeseelung.
Ferner sind einige Metaphern zu verzeichnen, bei denen
das tertium comparationis lediglich das Fliegen ist, wie im
Engl, fly als Bezeichnung eines Einspänners. Der Kutscher
heißt Aemnaidi fly-driver „Fliegentreiber". Nach Brewer (Dict. of
Phrase and Fable, pag. 307) ist dieses fly jedoch eine Abkürzung
von fly 'by- night „fliege bei Nacht", womit zur Zeit der
250 I>ie Flieg«.
Begentschaft eine Art Sänfte auf Rädern {sedan-chair on
wheels) bezeichnet wurde. Die dem Personenverkehr dienenden
Seinedampfer werden gleichfalls mauches genannt. Dieselbe
Bezeichnung fuhrt im Franz. ein kleines Bekognosziertmgs*
schiff wozu sich in span. mosca als Benennung eines kleinen
Seeschiffes ein Analogen findet. Hierher gehört schließlidi
auch span. mosca in der Bedeutung „gemünztes Geld^. Ffir
„Geld ausgeben^ sagt demnach der Spanier söUar la moscaj
die Fliege loslassen. Daneben findet sich aficjar la mosca,
worin die Metapher nicht mehr gefühlt wird, denn a/2q^
heißt „schlaff machen^ und bezieht sich auf das Öffnen des
mit einer Schnur verschließbaren Geldbeutels. Vgl. die deutsche
Bedensart: „das Geld fliegt nur so'', sowie den Gebrauch von
„Vogel'', speziell „Schnepfe", für „Münze*'. Anspielend auf
die Leichtigkeit, mit der sich die Fliege auf glatten Flächen
bewegt, nennt der Italiener einen Seiltänzer uomo mosca
„Fliegenmensch".
Auf die schwärzliche Färbung der Fliege bezieht sich
im Ital. die Bezeichnung mosca bianca „weiße Fliege" für
etwas Unerhörtes, Seltenes. (Vgl im Deutschen „weißer
Babe", im Engl, white crowj im Franz. merle bianc) Wie
treffend und humorvoll gerade die volkstümlichenMetaphem sind,
beweist die Bezeichnung mosca en leche^ Fliege in der Milch, die
der Spanier aus dem Volke auf ein weiß gekleidetes, brünettes
Mädchen anwendet, dessen dunkler Teint sich unvorteilhaft
von dem Weiß des Kleides abhebt. (Vgl. escarabc^o en leche,
pag. 243.) Dem Franz. {une mouche dam du lait) und dem ItaL
(una mosca cascata nel latte) ist diese Metapher ebenfalls geläufig.
Mit Bezug auf das geringe Gewicht der Fliege sagt
man im Deutschen von einem zartgebauten Mädchen: Sie ist
leicht wie eine Fliege, ebenso itaL: Pare una mosca.
Indem von der physischen Minderwertigkeit auf die moralische
geschlossen wird, wendet man „Fliege" im Deutschen gelegent-*
lieh auf ein leichtfertiges Mädchen an.
Überhaupt wird dieses Insekt gern als Symbol der Wert**
losigkeit gebraucht. Im Pariser Argot übernimmt mouche
geradezu die Funktion eines Adjektivs mit der Bedeutung
„schlecht, wertlos, schwächlich". Im Ital. sagt man von einem,
der das Angestrebte nicht erreicht hat: il rimasto coüe mani
Die Fliege. 2&1
pkne di mosche, ihm sind nur Fliegen in d«r Hand geblieben.
Hierher gehören femer die span. Sprichwörter : Mdsvale una
4befa que mil moscas, eine Biene ist mehr wert als tausend
Fliegen (auch schweizerisch), und ÄremoB, dyo la mosea al
iuey, pflügen wir, sagte die Fliege zum Ochsen, was auf einen
angewendet wird, der sich in törichter Überschätzung sein^
Kräfte einbildet, durch seine Mitwirkung irgend ein Unter-
nehmen beträchtlich zu fordern, während er in Wirklichk^t
infolge seiner Unzulänglichkeit vollständig entbehrlich ist
Im Franz. findet sich ein Analogon in der Redensart faire la
mouche du coche, die Fliege auf dem Wagen spielen. Es ist
dies eine Reminiszenz an die Lafontainesche Fabel von der
Fliege, die sich einbildet, durch ihre Bemühungen ein berg^ui
fahrendes Fuhrwerk ans Ziel gebracht zu haben. In ähnlicher
Weise läßt der Engländer die auf dem Wagenrad sitzende
Fliege (the fly on the coach-wlieeF) zum Kutscher sagen: Was
für einen Staub wir machen I Hierher gehört auch aus dem
älteren Franz. die Bezeichnung disner de mouche „Fliegenmahl'*
für eine ärmliche Mahlzeit. (Vgl. BoUand, Faune pop., III,
pag. 309.) Analog sagt der Italiener von einem mageren
Verdienst: Non ci camperebbe una mosea, es könnte nicht eine
Fliege davon leben. Als Bild des Unbedeutenden, Nichtigen
erscheint die Fliege gleichfalls in dem deutschen Sprichwort:
Adler fangen keine Fliegen, d. h. ein großer Geist gibt
sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Dasselbe Diktum findet sich
auch in den anderen Kultursprachen. So im Engl., bzw.
Schottischen: Eagles catch nae jßies, im Ital.: Vaquila non
mangia mosche, im Franz. : Uaigle ne chasse point aux mouches,
im Lat.: Äquila non captat muscas. Als Symbol physischer
Ohnmacht wird die Fliege dem Elefanten gegenübergestellt
in der engl. Redensart to change a fly into an eJephant, eine
Fliege in einen Elefanten verwandeln, die sich übrigens auch
im Ital., Franz. und schon im Lat. findet: Fare d^una mosca
un elefante, faire d'une mouche un eUfani, elephantem ex musca
faeere. Im Deutschen tritt an Stelle der Fliege die Mücke,
im Span, der Floh {hacer de una pulga un elefante). Im ähn-
lichen Sinne gebraucht der Engländer die Redensart to crush
a fly on a whed, eine Fliege mit einem Rade zerquetschen,
d. h. einen schwachen Gegner mit wuchtigen Waffen be«
252 I>ie Fliege.
kämpfen. (Vgl. im Deutschen: mit Kanonen auf Sperlinge
schießen.)
Mit Anspielung auf den unhörbaren Flug der Fliege sagt mau
im Ital., bzw. Franz. um eine große Stille zu charakterisieren :
Si sentirebbe volare tma mosca, on entendrait voler une mouchey
man könnte eine Fliege fliegen hören. So ist zweifelsohne
der ital. Ausruf mosca! „still"! identisch mit mosca „Fliege*'
und als Ellipse zu erklären. Der voUständige Satz würde
etwa heißen: Che non si senta una mosca! nicht eine Fliege
soll man hören!
Auf die kurze Lebensdauer der Fliege und ihre geringe
Widerstandsfähigkeit gegen die Kälte bezieht sich die Redens-
art fallen wie die Fliegen, wozu sich in anderen
Sprachen, z. B. im Ital., Analoga finden {morire come le mosclie\
Auch gebraucht der Italiener die Fliege geradezu als Symbol
der heißen Jahreszeit, indem er für cominda la State, der Sommer
beginnt — la state i finita, der Sommer ist um, häufig sagt:
Comincian le mosche — le mosche sono finite. (Vgl. das deutsche
Sprichwort: Fliegen und Freunde kommen im Sommer.)
Mit Bezug auf die lähmende Wirkung, die die Kälte auf die
Fliegen ausübt, sagt man im Deutschen, um einen hohen Grad
von Mattigkeit zu bezeichnen, matt sein wie eine Fliege
(zu ergänzen: im Winter).
Auf das massenweise Vorkommen der Fliegen, die nament-
lich in Räumen mit hoher Temperatur schwarmweise auf-
treten, bezieht sich der ital., bzw. frz. Vergleich fitto come le
mosche, dru comme mouches, dicht wie Fliegen, wofür man im
Deutschen „hageldicht" sagt.
Von der Beschafl'enheit des Fliegenschmutzes, der schwarzen
Tupfen gleicht, hergenommen ist ital. moscato, span. mosqueada
„gesprenkelt, gefieckt" sowie franz. moticheter „sprenkeln".
Die Fliege, welcher Spezies sie auch immer angehören
mag, ist dem Menschen stets lästig. Die Stubenfliege um-
schwärmt ihn, setzt sich ihm bald auf die Stirn, bald auf die
Nase und ist durch nichts zu vertreiben. Die Schmeißfliege
belästigt ihn mit ihrem eintönigen Gesumme, die Stechfliege
schließlich saugt sogar sein Blut. Es ist daher natürlich, daß
die Fliege in allen Sprachen Symbol der Zudringlichkeit ist
md zur Versinnbildung alles dessen dient, was den Men-
Die Fliege. 253
sehen ärgert und in Zorn bringt. Schon von den lateinischen
Autoren (Cicero, Plautus) wurde musca als Bezeichnung eines
neugierigen und zudringlichen Menschen gebraucht (vgl.
griechisch ^ivla „Fliege" = Unverschämtheit, Keckheit) und
diese Metapher hat sich in ital.-span. mosca fortgeerbt. Ganz
besonders wird die Schmeißfliege (ital. moscone^ span. moscarda,
moscardon) in diesem Sinne verwendet. So werden z. B. im
Ital. junge Leute, die ein Mädchen in zudringlicher Weise
umschwärmen, mosconi genannt Ähnlich bezeichnet Lafontaine
in einer seiner Fabeln die zudringliche Höflingsschar als
moiiches de cour „Hoffliegen". Der Franzose gebraucht mouche
sogar adjektivisch in der Bedeutung „lästig, unangenehm"
und analog verwendet der Spanier moscas! als Interjektion,
um sich über etwas Lästiges zu beklagen. Auf die Stechfliege
bezieht sich anscheinend die in Frageform gekleidete Redensart:
Welche Fliege sticht ihn? ebenso franz.: Quelle mouche
le pique? die man auf jemd. anwendet, der ohne sichtlichen
örund in Zorn gerät. Möglicherweise ist das Stechen nicht
wörtlich zu verstehen, sondern es ist damit wohl nur das un-
angenehme Gefühl des Kitzels gemeint, das die Berührung
der klebrigen Fliegenfüfle mit der Haut hervorbringt. Daher
sagt man im Franz. von einem, den kleine Unannehmlichkeiten
l)ereits aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen pflegen:
11 est tendre ä la mouche, er ist gegen die Fliege empfindlich.
Im Engl, wird das Stechen der Fliege ganz allgemein zur
Bezeichnung einer Laune, eines Gelüstes verwendet: as the
ßy stings, wie die Fliege sticht, d. h. wie es einem gerade
einfällt. Wenn der Italiener von einem in Zorn geratenden
Menschen sagt: Gli salta la mosca, die Fliege fällt ihn an, so
laben wir neben der Metapher noch eine Metonymie, indem
die Ursache (der Angriff der Fliege) für die Wirkung (das
Wütendwerden) gesetzt wird. Analog sagt der Spanier von
jemand., der schlecht gelaunt und infolgedessen sehr reizbar
ist: Estd con mosca oder va con mosca, er hat .die Fliege, und
ähnlich der Franzose : La mouche lui monte ä la tete, die Fliege
steigt ihm zu Kopf, il prend la mouche, er „kriegt" die Fliege
(ebenso ital. prendere la mosca). Im Span, werden zwei von
mosca gebildete Verba — mosquear und amoscarse — im
Sinne von „wütend werden" gebraucht. Ebenso wird d'
254 I>ie Fliege.
innere Unrnhe im ItaL und Span, gern mit masca bezeichnet.
So sagt der Spanier, wenn ihn ein lästiger Gedanke beständig'
quält: Pica la mosca, die Fliege sticht. Hierher zu zieh^i
ist femer das deutsche Sprichwort: Hnngrige Fliegen
(^Mücken^) stechen scharf, wozn sich im EngL ein Ana^
logon findet: Rungry flies Ute Bore. Aach das Verscheacbea
der Fliege wird im ItaL und Span, metaphorisch verwertet^
und zwar für das energische Abwehren lästiger Dinge. So-
sagt der Italiener von einem, der nicht mit sich scherzai läßt:
Si Teva la masca äfä nasOj er dnldet keine Fliege anf der
Nase,*) und der Spanier gebraucht die Bedensart sacudirse las^
"maseas^ sich die Fliegen abschütteln, im Sinne von „Feinde
gewaltsam aus dem Weg räumen^. Speziell auf die Stech-
fliege, die besonders Pferden und Bindern sdbr unangenehm
wird, bezieht sich das deutsche Sprichwort: Die Fliege
setzt sich immer auf ein mager Pferd, d. h. Aear
Arme mu£ mehr Haare lassen als der Beiche. Hierzu bietem
Analoga die übrigen Kultursprachen. So heißt es im Engl:
Flies go to tean horseSy im Ital. : Äi cavaUi magri vatmo addoss»
le mosdiSy im Franz.: Äux chevaux maigres vani les mouches*
Nur der Spanier sagt abweichend : LI perro flaco todo es pulgas^
der magere Hund ist ganz yoll Flöhe. Von der Stechfliege
hergenommen ist auch die span. Bedensart mosquear las espaldas
(espcUda = Schulter) „peitschen", wobei die von den Peitschen-
schlägen hervorgebrachten Wunden mit den Fliegenstichen
in bezug auf die analoge Wirkung verglichen werden. Ähnlich
bezeichnet der Franzose die Geburtswehen, die sich in stechen-
den Schmerzen äußern, mit mouches. Hierher gehört ferner
das von mosca abgeleitete ital. moscaio „Flieg^oschwarm", das
der metaphorischen Verwendung seines Etymons entsprechend
für eine lästige, unangenehme Sache gebraucht wird.
Im Gegensatz zu den bisher zitierten Metaphern und
metaphorischen Bedensarten, in denen die Fliege durchweg
die Bolle eines lästigen, zudringlichen Tieres spielt, erscheint
sie als Bild der Harmlosigkeit in der deutschen sprichwörtr
'*') Hingegen bedeutet non si lasciar posar le mosche addosso, keine
Fliegen auf sich dulden, s. y. w. „keinen Augenblick rnhig, immer in Be-
wegung sein*'.
Die Fliegre. 255
Hohen Redensart : Die Fliege an der Wand ärgert ihn,
d. h. er ereifert sich über jede unschuldige Kleinigkeit. (VgL
franz.: n suffit 31 WM moudtt pour Vamuser, es genügt eine
Fliege, um ihn zu unterhalten.) Im Grunde steht diese Bedens*
art in keinem Widerspruche zu den oben zitierten, da die
Fliege, solange sie an der Wand bleibt, niemand belästigt.
Höehst drollig sagt der Pariser von einem Mädchen, das sieh
dber alle Anstandsregeln hinwegsetzt : EUe envaie des c&ups de
pkd aux mouchesj sie versetzt den Fliegen FuBtritte, wobei
sie nolens volens ihre Beine hoch heben muß.
Auf die primitivste Methode der Fliegenvertilgung spielt
an die deutsche sprichwörtliche Redensart zwei Fliegen
mit einer Klappe schlagen, d. h. einen doppelten Zweck
durch ein Mittel erreichen. Der Engländer gebraucht die^
selbe Redensart: to MU iwo flies tvUh one ftap^ der Franzose
eine ähnliche: aboHre deux fnouches cFun coup de savate, zwei
fliegen mit einem Schuhklaps niederschlagen. (Vgl. das
Kapitel „Vogel", pag. 104 f., femer Borchardt-Wustmami^
Sprichwörtl. Redensarten, pag. 152.)
Auf der durch große Kälte hervorgerufenen Erstarrung
der Fliege beruht im Span, der Gebrauch von mosca muerta
„tote Fliege" sowie von mascön fttr „Heuchler, Gleißner**.
Hiermit könnte man in Zusammenhang bringen den Gebrauch
von mosearddn und mosca für „Spion", da dieser sich auch
verstellen muß, wenn man es nicht etwa vorzieht, das tertium
comparationis in der Zudringlichkeit zu sehen, mit der Fliege
wie Spion ihre Opfer verfolgen. Hierher scheint auf den
ersten Blick auch frz. mouchard gehörig, das jedoch nur in
der übertragenen Bedeutung „Spitzel" gebraucht wird. Nach
Faß, Rom. Forschungen, HI, pag. 485, ist mouchard nur volks-
etymologisch von mouche „Fliege" beeinflußt, in Wirklichkeit
aber identisch mit mouchard „Schnüffler", das von moucher
„schneuzen" (aus lat. muccare) abzuleiten ist. (Vgl. jedoch im
Pariser Argot mouche = Polizei.) Hierher zu ziehen ist femer
aus dem Franz. die Bezeichnung fine mouche, feine Fliege,
fttr ein gewandtes, listiges Mädchen, besonders aus den unteren
Ständen. Eozän (Les animaux dans les proverbes, II,pag.316ff.)
allerdings bezieht das fln auf die Geschicklichkeit, mit der
die Fliege sich einerseits überall eindrängt, andererseits alleF
256 I>ie Mücke.
Verfolgungen entgeht. (Vgl. ital. egli v'k mosca, er ist darin
gewandt.)
In den meisten Eultursprachen ist das Fliegenschnappen
Symbol des Müßiggangs. Das Bild ist jedenfalls hergenommen
von dem müßig in der Sonne liegenden Haushund, der ab
und zu nach einer Fliege schnappt. (Vgl. engl, to catch flies
— davon subst fly-catcher, ital. pigliar masche, span. papar
moscas, frz. gober des mouches „Fliegen schnappen, Fliegen
fressen", was speziell unserem „Maulaffen feil halten" ent-
spricht. In etwas weiterem Sinne wird im Span, cazar moscas,
Fliegen jagen, gebraucht. Auf ein unfreiwilliges Fliegen-
schnappen spielt an das engl. Sprichwort : A close mouth catches
no flies, ein geschlossener Mund fangt keine Fliegen, d. h. nur
der Schwätzer ist der Gefahr des Fliegenschnappens aus-
gesetzt. Dieses Sprichwort findet sich auch in den romanischen
Sprachen. So heißt es ital.: In bocca chiusa non entrb mai
mosca, span. : En boca cerrada no entra mosca, franz. : En bouche
dose n'entre motiche*)
Auf einem Vergleich mit der Fliege, wobei das tertium com-
parationis das Fliegen ist, beruht der franz. Vogelname moineau
;, Sperling" = altfrz. moisnel aus moisonel, dem Dim. von moisson
(heute noch im Normannischen gebraucht), das auf supponiertes
muscio aus lat. musca „Fliege" zurückgeht. (Vgl. pag. 171.)
Auch der Sperber wurde im älteren Ital. nach der Fliege
benannt {moscardo, moschetto, moschetta). Über die metaphorische
Verwendung dieses Wortes siehe bei „Falke", pag. 112. Franz.
imoxicliet „Sperbermännchen" ist ebenfalls von mouche gebildet.**)
Die Mücke.
Deutsch Mücke geht zurück auf ahd. mucTca, das auch
„Fliege" bedeutet, wie noch heute das Wort dialektisch in
*) Eine beträchtliche Anzahl von italienischen und französischen
Sprichwörtern, die Fliege betreffend, findet man zusammengestellt bei
Kolland, Faune pop., III, pag. 310. — Über ital. mosca cieca „blinde Kuh"
vgl. Sachs, Zusammenhang von Mensch und Tier in der Sprache, in Neu-
phil. Zentralblatt 1904, pag. 357.
**) Möglicherweise sind diese Vögel nach der schwarzgesprenkelten Brust
80 benannt. (Vgl. ital. moscato, frz. moucheti „gesprenkelt", pag. 252.)
Die Mücke. 257
dieser Bedeutung gebraucht wird. Hiermit läßt sich span.
mosquito, trz. moucheron vergleichen, welche Wörter zwar
„Mücke" bedeuten, aber Diminutive von mosca „Fliege" sind.
Mit „Mücke" verwandt ist engl, midge, das altengl. myc§ lautet.
Neben midge gebraucht der Engländer gnat^ das auf altengl.
gncet beruht. In Norddeutschland wird für „Mücke" häufig
Schnake gebraucht, das mhd. snake, ahd. snako lautet.
Die romanischen Bezeichnungen der Mücke gehen teils auf
lat. Culex zurück, wie das seltene ital. culice und franz.
<^otmn (aus cuUdnus, Dim. von cülex), teils sind sie Diminutiv-
bildungen von miisca „Fliege", wie span. mosquito, frz. moucheron,
teils sind sie schließlich onomatopoetische Bildungen wie ital.
zanzara, span. zenzalo und cinife.
Die meisten Metaphern, die von der Mücke hergenommen
sind, drehen sich entweder um die Winzigkeit oder die Blut-
gier dieses Insekts. Was zunächst die ersteren betrifft, so
:finden wir hauptsächlich in den germanischen Sprachen die
Mücke als Symbol des Winzigkleinen und Unbedeutenden
gebraucht. Im Deutschen wird eine schwächliche Person gern
„Mücke" genannt. Eine ähnliche, mehr auf das moralische
Gebiet hinüberspielende Bedeutung hat engl, gnat und dessen
Dim. gnaüing, während midge geradezu „Zwerg" bedeuten
kann. Ein munteres Kind nennt der Engländer midget und
in analoger Weise bezeichnet der Franzose einen kleinen
Jungen als moucheron. Im Ital. nennt man eine schwache
Stimme vocino di zanzara „Mückenstimmchen", wie auch zanzara
selbst für eine kleine, schwächliche Person gebraucht wird.
Hierher gehört ferner aus dem Deutschen der Vogelname
Grasmücke, dem im Span, mosquüa „Mückchen" entspricht.*)
Sehr gebräuchlich ist im Deutschen die Redensart aus einer
Mücke einen Elefanten machen, d. h. Unbedeuten-
des zu Bedeutendem aufbauschen wollen. In diesem Falle
wird im Engl., Ital. und Franz. nicht die Mücke, sondern
die Fliege als Symbol des Kleinen gebraucht. Während in
diesen Eedensarten die Mücke, bzw. Fliege zum Elefanten
*) Winteler, Natnrlaute und Sprache, pag. 27 ff., führt in Unkenntnis
dieser Analogie Grasmücke, bzw. ahd. grasmucca auf ein snppon. gra-smacca
zurück und leitet dieses von der schallnachahmenden Stammsilbe »mack
(wovon auch „Schmätzer'') ab.
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 17
258 ^ie Mtlcke.
in Gegensatz gebracht wird, erscheint in der aus der Bibel
stammenden Bedensart Mücken seigen und Kamele
verschlucken das Kamel als Symbol des Großen. (Nach
Matth. 23, 24 sagt Jesus zu den Schriftgelehrten und Phari-
s&ern: „Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mücken seigt und
Kamele verschluckt^.) Diese Bedensart, die auf einen ange-
wendet wird, der sich in törichter Weise mit Kleinigkeiten
abgibt und dabei die Hauptsache übersieht, findet sich auch
im Franz.: rejeier le moucheran et avaler le chameau sowie im
Engl.: to strain at a gntxt and tx> swaUow a camel^ woher der
engl. Ausdruck gnat-^rainer (deutsch Mückenseiger) stammt*
Daß auch der Kleine und Schwache unter Umatänden zu
fürchten ist, besagt das deutsche Sprichwort: Auch die
Mücke hat ihre Milz, wobei originellerweise nicht die
Galle, sondern die Milz als das Organ betrachtet wird, von
dem die Zomesregung ausgeht Ein Analogon findet sich im
Ital. : La masca ha la stia milea. (Vgl. deutsch : Ameisen haben
auch Galle.)
Daß hauptsächlich in den romanischen Ländern die Mücke
als Symbol der Zudringlichkeit und des Schmarotzertums ge-
braucht wird, ist in den klimatischen Verhältnissen der be-
treffenden Länder begründet. J^ noioso come una zanzara, er
ist lästig wie eine Mücke, sagt der Italiener von einem zu-
dringlichen Menschen. Übrigens findet sich schon im Lat
cükx in diesem Sinne. So nennt beispielsweise Plautus einen
lästigen alten Liebhaber catia culex, grauhaarige Mücke; ähn-
lich spricht man im Deutschen vom Mückenschwarm der
Höflinge. Das franz. cousin wird häufig in der Bedeutung
„Schmarotzer^ gebraucht. So sagt der Franzose von einem^
der sich seiner schmarotzenden Freunde nicht erwehren kann:
II est mange des cousins^ er wird von den Mücken aufgefressen.
Anch existiert im Franz. ein Verbum coimner „schmarotzen^.
Man könnte darin eine Anspielung auf das homonyme cousin
„Vetter^' sehen, denn sehr häufig setzt sich die Schar der
Schmarotzer aus den nächsten Verwandten zusammen. In dem-
selben Sinne wird auch span. dnife gebraucht, obwohl die mir
zugänglichen span. Wörterbücher davon keine Notiz nehmen.
In dieser Bedeutung finde ich das Wort wenigstens bei Galdös
in seinem Bomane El amigo Manso gebraucht, in dem
Der Floh. 269
der Held ein ihn beständig mit Geldfordernngen quälendes
Frauenzimmer wiederholt „mi dnife^y meine Mücke, nennt
Auf die Vorliebe der Mücken für alkoholische Getränke
spielen an der franz. Ausdruck chassen^ousin „Mückenvertreiber"
für einen sauren Wein sowie span. masquäa als Bezeichnung
eines eifrigen Tabemenbesuchers.
Wie der Schmetterling wird auch die Mücke von der
Flamme angelockt. Die das Licht umtanzende Mücke wird
daher zum Bilde des Unbesonnenen, der leichtsinnig die
Gefahr herausfordert: Die Mücke fliegt so lange ums
Licht, bis sie sich versengt. Im Ital. tritt der
Schmetterling, im Franz. die Fliege an Stelle der Mücke.
Der Floh.
Deutsch Floh beruht auf ahd. floh, mhd. vldch (heute
noch so im bayrisch - österr. Dialekt). Hiermit ist verwandt
altengl. fleah, wovon neuengl. flea. Das Wort hängt mit
„fliehen^ zusammen. Seine ursprüngliche Bedeutung ist dem-
nach „Flüchtiger". (Vgl. die deutsche Redensart springen
wie ein Floh, sowie die Benennung sauieme, sautereUe
„Springerin" in vielen franz. Dialekten.) Die romanischen
Bezeichnungen des Flohes : ital. puke, span. ptdga, franz. pme
gehen sämtlich auf lat. pulex zurück.
Wegen seiner winzigen Gestalt erscheint der Floh häufig
als Symbol der Kleinheit. So entspricht der deutschen Redens-
art „aus einer Mücke einen Elefanten machen" (vgl. pag. 257)
im Ital. fare d'una pulce un cavaUo, aus einem Floh ein Pferd
machen (daneben auch : fare d^una mosca un elefanU\ im Span.
haeer de una pülga un camelh, aus einem Floh ein Kamel machen.
Zum Elefanten wird der Floh in Gegensatz gebracht im ital.
Sprichwort: II morso delle pülci no da noia alV elefante*) der
Biß der Flöhe läßt den Elefanten gleichgültig, d. h. ein Großer
braucht die Beleidigungen der Kleinen nicht zu fürchten.
Kleine Augen nennt der Italiener occhi di puke „Flohaugen",
*) Daneben anch : VeUfante non teme ü morso ddla pulce, der Ele-
fant fürchtet den Biß des Flohes nicht.
17*
260 Der Floh.
wofür der Deutsche den Ausdruck „Schweinsäuglein'^ ge-
braucht. So sagt man im Ital. auch lobend von einem
Mädchen, das für feine Handarbeiten besonderes Geschick hat :
Ella sa fare gli occhi alle puld, sie kann den Flöhen die Augen
machen. Bezug auf die Kleinheit des Flohes nimmt ferner
die deutsche Redensart die Flöhe husten hören, die man
auf jemd. anwendet, der sich auf seine intellektuellen Fähig-
keiten allzuviel einbildet, wobei, wie so oft, von der Schärfe
der Sinne auf die Schärfe des Verstandes geschlossen wird.
(Vgl. die Redensart „das Gras wachsen hören",) Nur dem
Ital. eigentümlich ist cohr ptilce „flohfarben", d. i. dunkel-
braun. (Vgl. la noire „der Schwarze" als Bezeichnung des
Flohs in franz. Dialekten.)
Auf die Springgewandtheit des Flohs bezieht sich im
Deutschen die Redensart springen oder hüpfen wie ein
Floh. (Vgl. portug. em passinho de pulga, im Flohschritt,
d. h. „hüpfend, tanzend".) Unserem „Katzensprung" entspricht
im Portug. der „Flohsprung" (n^um salio de pulga = in einem
Nu). Da dieses Insekt infolge seiner Virtuosität im Springen
seinen Verfolgern leicht entkommt,*) verwendet man im Deut-
schen die Redensart Flöhe hüten im Sinne von „Unnützes,
Vergebliches tun". Näheres über die Geschichte dieser Redens-
art bringt Borchardt -Wustmann, Sprichwörtl. Redensarten,
pag. 154. Von einem, der die Zeit mit Albernheiten ver-
trödelt, sagt der Franzose: II tnesure les sauts d!une puce, er
mißt Flohsprünge. Auf der ungemeinen Beweglichkeit des
Flohs, durch die er sich wesentlich von seiner schwerfälligen
Vetterin, der Wanze, unterscheidet, beruht im Span, der Ge-
brauch von pulga in der Bedeutung „Kreisel". (Vgl. im Franz.
den Vergleich degourdi, eveilU comme une puce, munter, lebhaft
wie ein Floh.) Desgleichen bezeichnet der Spanier eine leb-
hafte Person mit pulguillas, während der Deutsche den auf
der Landstraße dahinschießenden Radfahrer Chaussee floh
nennt. Hierher zu ziehen wären schließlich auch ital. pukella,
♦) Daher das deutsche Sprichwort: Nichts mit Hast als Flöhe
fangen, wozu sich Analoga im Engl., bzw. Schottischen {Naething to he
done in haste btit gripping fieas) nnd im Franz. finden: II ne faut se
^oresser en rien^ excepte pour attraper des puces, (Vgl. Holland, Faune pop.,
III, pag. 277 ff.)
Der Floh. 261
franz. pucdle „junges Mädchen, Jungfrau", wenn man Försters
Vermutung, nach welcher diese Wörter als Diminutive von
puce „Floh" und nicht von lat. puella „Mädchen" aufzufassen
sind, Glauben schenken darf. Caix sieht sogar in ital. spiUon-
zara „junge Frau" ein Derivatum von lat. pulicellm „kleiner
Floh".
Zahlreich sind die Metaphern, die sich auf das Schmarotzer-
tum des Flohs beziehen, der sich vom Blute der Menschen
und Tiere nährt und selbst bei größter Reinlichkeit nicht
ganz zu vermeiden ist, weshalb er im Palast des Reichen
ebenso angetroffen wird wie in der Hütte des Armen. Der
Biß des Flohes ist weder besonders schmerzhaft noch auch
gefährlich, weswegen der Engländer mit flea-bite „Flohbiß"
eine unbedeutende Verwundung zu bezeichnen pflegt. Auf
Metonymie (Ursache für Wirkung) beruht der im Ital. übliche
Ausdruck pulce secca „trockener Floh" für einen Kniff in
die Haut. Ebenso setzt der Franzose für „Flohstich" einfach
„Floh", indem er das heftige Hautjucken, welches die in
Taucherglocken Befindlichen befällt, puces nennt. Vom Floh-
stich hergenommen ist ferner die allen Kultursprachen gemein-
same Redensart jemd. einen Floh ins Ohr setzen, d.h.
jemd. eine beunruhigende Mitteilung machen. Engl.: to puta
flea in a person's ear, ital. : mettere a qd, una pulce *) neW orec-
chio, span.: echat' la pulga deträs de la or^a, franz.: mettre la
puce ä Toreille de qn. und dementsprechend avoir la puce ä
Toreille. So sagt der Spanier von einem übertrieben lebhaften
Menschen : Tiene pulgas, er hat Flöhe, indem er hierbei an die
durch die Flohbisse verursachten wetzenden und kratzenden
Bewegungen denkt. Von einem, der sich eine energische Ab-
fuhr geholt hat, sagt der Engländer : He was sent off with a flea
in the ear, er wurde mit einem Floh im Ohre fortgeschickt,
d. h. er lief mit der Schnelligkeit etwa eines Hundes, dem
ein Floh ins Ohr gekrochen. Launig ist die franz. Redensart
charmer les puces, den Flöhen ein Vergnügen machen, d. h.
schwer betrunken sein. Die Folge der Volltrunkenheit ist
gewöhnlich ein tiefer Schlaf, während dessen die Flöhe sich
nach Herzenslust an dem Blute ihres Opfers vollsaugen können.
") Auch zanzara „Mücke" oder caläbrone „Honiiß".
262 Der Floh.
(Vgl. donner ä manger aux puces, den Flöhen zu fressen geben^
für „schlafen".)*) Deutsch sagt man scherzhaft: Ange-
nehmen Flohbiß für „angenehme Buhe". (Vgl. Heeger,
Tiere im pf&lz. Volksmunde, 2. T., pag. 16.)
Daß die Flöhe durch ihre hartnäckigen Angriffe den
Menschen in Wut bringen können, geht hervor aus der span.
Eedensart fester malas pulgas, böse Flöhe haben, d. h. leicht
gereizt werden, keinen Spaß verstehen. (Vgl. weiter oben tener
pulgas.) In ähnlichem Sinne sagt man auch von einem, der
sich nichts gefallen läßt : No aguanta, no sufre pulgas, er ver-
trägt keine Flöhe. Mit dem Blutsaugen der Flöhe vergleicht
der Pariser auch die widernatürlichen Liebkosungen perverser
Weiber, indem er diese als puces travaüleuses bezeichnet.
Überhaupt erscheint der Floh, ähnlich der Fliege, als
Symbol des Lästigen, Zudringlichen, was dem Wesen des
Tieres vollkommen entspricht. So sagt der Italiener von
einem aufdringlichen Menschen: il noioso qimnto le puiä, er
ist lästig wie die Flöhe, und der Pariser nennt den ihn be-
drängenden Gläubiger um puce ä VoreUUy einen Floh im Ohr.
(Vgl. weiter oben die Redensart mettre une puce ä ToreiUe de
qn.) Wenn der Engländer sagt : Lei that flea stick on the wall,
laß diesen Floh an der Wand, so meint er damit eine heikle
Geschichte, an der man nicht rühren soll. Aber nicht nur
der Mensch, auch Tiere haben unter Flöhen zu leiden. Auf
die Vorliebe dieser Insekten für Hunde bezieht sich das
deutsche Sprichwort: Wer mit Hunden zu Bette geht,
steht mit Flöhen wieder auf, d. h. wer sich in an-
rüchiger Gesellschaft bewegt, wird selbst nicht makellos bleiben.
Dies Sprichwort besitzt Analoga in den übrigen Kultursprachen.
Es lautet engl.: He that lies doum unih dogs, will get up with
fleas, ital. : Chi si corica cai can% si leva colle pulci, span. : Quien
con perros se echa, con pülgas se levanta, franz.: Qui se couche
avec des chiens, se Uve avec des puces.
Daß der Mensch so unangenehme Gäste, wie es Flöhe
*) Originell ist das franz. Sprichwort: 11 ne faut pas laiaaer de dormir
potir les puces, der Flöhe wegen darf man das Schlafen nicht lassen, d. h.
die kleinen Unannehmlichkeiten des Lehens dürfen den Menschen nicht aus
seiner Buhe hringen.
Der Floh. 263
sind, losznwerden sucht, ist begreiflich. Besonders das
schöne Geschlecht, auf das es die Flöhe namentlich abgesehen
haben, lebt auf beständigem Kriegsfuß mit diesen kampfes-
Instigen Tierchen. Die elementarste, allerdings nicht erfolg-
reichste Art, sich von Flöhen zu befreien, ist das Ausschüttein
und Ausklopfen der von diesen Insekten bewohnten Kleidungs-
stücke. Hierauf beruht die span. Redensart sacudirse las pulgas,
sich die Flöhe abschütteln, d. h. unleidlich, empfindlich sein.
Auch sagt der Franzose von einem, der Prügel bekommen hat,
man habe ihm die Flöhe abgeschüttelt, on lux a secouS Jes puoes.
Mit Bezug auf die Gewohnheit mancher Weiber, unmittelbar
vor dem Schlafengehen eine Flohjagd abzuhalten, sagt der
Franzose ironisch von einer viel beschäftigten Frauensperson :
EUe n'a mSme pas le temps de chercher ses puces, sie hat nicht
einmal zum Flohsuchen Zeit Hierher gehört femer das span.
Sprichwort: Coda uno tiene su modo de matar ptdgas, jeder hat
seine eigene Manier, Flöhe umzubringen, d. h. jeder nach
seiner Art. Daß aus der Art und Weise, wie der Mensch
kleine, unbedeutende Vemchtungen des menschlichen Lebens
erledigt, Schlüsse auf seinen Charakter gezogen werden, ist
keine Seltenheit. (Eine Reihe origineller auf den Floh be-
züglicher Sprichwörter findet man bei Rolland, Faune pop.,
ni, pag. 2ö8ff.) Übrigens besitzen alle Kultursprachen ^ür
den BegriflF „Flöhe fangen" ein eigenes Verbum. Deutsch :
flöhen, engl.: ioflea, ital. : spuJciare*) span.: espulgar^ franz.:
epucer. In den romanischen Sprachen werden die betreffenden
Verba auch metaphorisch gebraucht im Sinne von „ST^^^U}
nach allen Richtungen untersuchen".
Da Flöhe dort besonders gedeihen, wo viel Staub und
Schmutz ist, bezeichnet der Italiener eine schmutzige Be-
hausung als pulciaio „Flohnest". Hiermit läßt sich vergleichen
im Pariser Argot pucier für „Bett".
*) Der Italiener sagt: Vatti far sptUciarCj laß dich flöhen, im Sinne
des deutschen: Laß dich heimgeigen.
264 Bie GrUle.
Die GriUe.
Was die Benennung dieses Insekts anlangt, so ist sie in
allen Knltnrsprachen mit Ausnahme des Englischen dieselbe:
ital.-span. grillo, franz. mit dem Diminutivsuffix on grülon^
deutsch Grille. Das gemeinsame Etymon ist griechisch
yqvXXog, das zunächst ins Lateinische (gryllus) und von da in
die romanischen Sprachen eindrang. Diesen entlehnte es das
Deutsche, das übrigens in Heimchen einen eigenen Namen
für dieses Insekt besitzt. „Heimchen" ist Diminutiv von gleich-
bedeutend Heime (pfälz. Heimel), das auf mhd.^im^; ahd.
heimo beruht und von „Heim" abgeleitet ist. Der Name spielt
auf das Vorkommen der Grille in menschlichen Behausungen
an. Dem ahd. heimo entspricht altengl. hama, das sich jedoch
nicht erhalten hat. Im Neuengl. wurde es ersetzt durch cricket
aus franz. criquet, das auf Schallnachahmung beruht.*) Noch
deutlicher tritt der onomatopoetische Charakter hervor in frz.
cri'Cri, einer volkstümlichen Bezeichnung des Heimchens. Ein
anderes Synonym von grülon ist gresillon, das Diez als Dimi-
nutiv von grülon auffaßt, das aber wahrscheinlich auf lat.
gracüis „schlank" beruht und das Insekt nach seiner Gestalt
benennen würde. Für die Baumgrille haben die romanischen
Sprachen eine eigene Bezeichnung: ital. cicala, cigala, span.
cigarra, chicharra, franz. cigaU^ die sämtlich auf lat, ckada
beruhen.**)
Die Sprache verdankt der Grille eine beträchtliche An-
zahl von Metaphern. Von den auf das Äußere des Insekts
bezüglichen Sprachbildern ist in erster Linie zu nennen span.
dgarro „Zigarre", welches Wort in die übrigen Kultursprachen
eindrang (ital. sigaro, franz. cigarre, engl, sigar). Tatsächlich hat
ein Tabakröllchen sowohl in Bezug auf Gestalt als auch auf Farbe
eine gewisse Ähnlichkeit mit der Cicade. (Vgl. Körting, Lat.-
romanisches Wörterbuch, 2. Aufl., pag. 238, Art. 2161.) Hierher
*) Vgl. die bei Heeger, Tiere im pfälz. Volksniunde, 2. T., pag. 17,
angeführten Dialektformen vorderpf. Eriksei, Ereksel, eis. Grecker^
Grickerle, niederrh. hrechel, ndl. krekeh
**) Besondere Erwähnungen verdient die im Loiret übliche Bezeichnung
der Grille: cheval du hon dieu „Pferd des guten Gottes".
Die Grille. 265
gehört ferner ital. cicalino (Dim. v. cicala) als Bezeichnung
einer Hohlhippe. Als Symbol der Kleinheit, meist mit dem
Nebenbegriflf der Zartheit, erscheint die Grille namentlich im
Ital. : E fine come un grillo, sie ist schmächtig wie eine Grille,
sagt man von einer zart gebauten Person und mangiare quanto
un grillo, essen wie eine Grille, heißt „wenig essen". (Vgl.
deutsch „essen wie ein Vögelchen".) Von einem beschränkten
Menschen sagt der Italiener : Ha cervello quanto un grillo^ er hat
nicht mehr Hirn als eine Grille, wofür es auch heißt: Ha cervello
quanto un passerotto. (Siehe bei „Sperling", pag. 174.) Ebenso
sagt der Ital. von einem Kleinmütigen : Ha il cuore d^un grillo,
er hat ein Grillenherz. Hiermit hängt der Gebrauch von
grillino als Kosewort für Kinder und Frauen zusammen.
Hierher gehört ferner franz. criquet als Bezeichnung eines ab-
gerackerten Pferdes oder einer schwächlichen Person, wobei
ein Bedeutungswandel in malam partem zu konstatieren
ist. Einen weiteren Schritt in dieser Begriffsentwicklung tut
das Wort, wenn es, wie in franz. petit vin criquet, schlechter
Landwein, geradezu als Synonym von mauvais, „schlecht"
gebraucht wird.
Mit Bezug auf das unermüdliche Gezirpe der Grille, das
ein Ausdruck der Fröhlichkeit zu sein scheint, sagt der Eng-
länder von einem sangeslustigen Mädchen: She is as merry
as a cricJcet, sie ist heiter wie eine Grille.
Wie unter den Vögeln die Elster, so ist unter den In-
sekten die Grille Sinnbild der Geschwätzigkeit, wobei zu be-
achten ist, daß in den anzuführenden Metaphern das Grillen-
gezirpe als etwas Lästiges erscheint, während in dem oben
zitierten engl. Vergleich die stimmliche Betätigung dieses
Insekts eine wohlwollende Beurteilung erfahrt. So nennt der
Italiener einen lästigen Schwätzer gern cicala, welche Metapher
zahlreiche Sproßen getrieben hat, wie cicalare „schwätzen",
cicalata, cicalamento, ciccUeccio, cicdlio „Geschwätz", dcalatore,
cicalino, dcalone „Schwätzer". Auch der Spanier sagt von
einem redseligen Menschen: Es una chichara, hdbla como una
chichara, er ist eine Grille, er spricht wie eine Grille. Origi-
nell ist die gleichfalls hierher gehörige ital. Redensart grattare
la pancia alla cicala, der Grille den Bauch kratzen, was soviel
bedeutet wie Jemd. zum Reden bringen". Daß das Grillen-
266 I>ie ÜriUe.
gezirpe vom Ohr durchaus nicht als angenehme Musik emp-
funden wird, beweisen femer ital. ciccUino als Bezeichnung eines
verstimmten Klaviers sowie franz. ciffäle, das gelegentlich auf
Straflensängerinnen angewendet wird, die sich bekanntlich
nicht durch wohltönende Stimmen auszeichnen.
Da sich die Grille nur im Hochsommer hören läßt, er-
scheint sie manchmal geradezu wie die Fliege als Sinnbild
der heißen Jahreszeit, so z. B. bei dem lat. Dichter Juvenalis,
der cicada ohne weiteres für „Sommer" setzt. Auch in
folgender ital. Bauernregel erscheint das Grillengezirpe als
Charakteristikum der Sommerhitze: Quando canta la cicala di
sette^nbre, non comprar grano per vendere, wenn die Grille im
September zirpt, d. h. wenn es im September sehr warm ist,
dann soll man kein Getreide kaufen, um es wieder zu ver-
kaufen. Canta la chicharra, es zirpt die Grille, sagt der
Spanier häufig, wenn er ausdrücken will, daß es sehr heiß ist,
nnd analog bedeutet chicharrero einen „sehr heißen Ort". In
Frankreich gilt die Grille als Symbol des provenzalischen
Südens, daher nennen sich die F61ibres gelegentlich „cigaliers^.
Wie andere Insekten (siehe „Mücke", „Käfer", „Schmetter-
ling", „Spinne" usw.) werden auch die Grillen als Symbole
der im Kopf umherachwirrenden Gedanken gebraucht, nament-
lich wenn dieselben als Ausfluß melancholischer oder phan-
tastischer Naturanlage zu betrachten sind. So sagt man im
Deutschen von einem, der trübsinnigen oder wunderlichen
Gedanken nachhängt, er fange Grillen. (Vgl. ital. awrfare
alh caccia dei grilli) Denselben Sinn haben die Redensarten
seine Grillen füttern oder sich mit Grillen plagen.
Die Melancholie wird daher geradezu die Grillenkrank-
heit genannt. Ebenso sagt der Italiener von einem launen-
haften Menschen: Ha il capo pieno di grilli (cicale), er hat den
Kopf voll Grillen, und analog der Franzose : II a des grillons
dam la Ute, (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 289.) Äd
uno monta il grilloj einem steigt die Grille in den Kopf, be-
deutet s. V. w. er hat einen wunderlichen Einfall.*) Wer
einem Melancholiker die trüben Gedanken zu verscheuchen
*) Dagegen heißt gli Balta ü griUo {saltare = springen) „er ger&t
in Zorn".
Die Heuschrecke. 267
sucht, von dem heißt es, er vertreibe die Grillen, wozu
sich in der ital. Redensart levare i griUi dal capo ad unOj ein
Analogen findet. Einen ähnlichen Sinn wie in den eben an-
geführten Redensarten hat grüloj bzw. grüla im Span. Wenn
der Spanier nämlich die Wahrhaftigkeit einer Erzählung be-
zweifelt, so sagt er gern: Esa es grilla, das ist eine Grille,
d. h. ein „Hirngespinst^.
Daneben ist aber die Grille im Span. Symbol der Wertlosig-
keit, wie erhellt aus der Redensart andar a griUos (nach Analogie
von andar a cdballo) auf Grillen reiten, d. h. sich mit unnützen
Dingen beschäftigen. Auch sagt der Italiener von einer wert-
losen Sache: Non väle una cioalay das ist keine Zikade wert.
Auf die Lebensweise der Grille, die sich unter der Erde
Löcher gräbt, bezieht sich itaJ. andar a sentir cantar i grüli,
dorthin gehen, wo man die Grillen singen hört, d. h. unter
die Erde, sterben, sowie non saper cavar un grülo (auch ragno
^Spinne^) da un bucoj nicht imstande sein, eine Grille aus
ihrem Loch herauszukriegen, d. h. zu nichts taugen.
Schließlich sei noch erwähnt, daß im Ital. grülo ähnlich
wie im Deutschen „Kuckuck" oder „Fuchs" als Glimpfwort
für „Teufel" gebraucht wird. So bedeutet z. B. trovala griUo!
find's, Grille! „das möge der Teufel erraten!"
Die Heusohreoke.
Da bei der Heuschrecke das Springen die hervorstechendste
Eigentümlichkeit ist, begreift man, daß dies Insekt danach be-
nannt wird, u. zw. zeigen hierin alle Eultursprachen eine auf-
fallende Übereinstimmung. Das deutsche Heuschrecke be-
deutet „Heuspringer", indem in diesem Worte die ursprüngliche
Bedeutung von schrecken", d. i. „springen" (nicht „schreien",
wie Brehm angibt) sich erhalten hat. ( Ahd. h^td-skrekko, mhd. äöw-
schrecTce)*) Der deutschen Bezeichnung „Grashüpfer" ent-
spricht 9l\AiLg\.g(erS'hoppa^ woraus neuengL^ros^Aopp^- Auch nid.
sprinkhaan „Springhahn" ist hierher zu ziehen. Eine Parallele
zu den germanischen bieten die romanischen Benennungen,
*) Heeger, Tiere im pfälz. Volksmnnde, 2. T., pag. 17, führt au
Heuhnpser, Hanspring und Hanpert « Hanper (Haohapper).
268 ^^6 Heuschrecke.
die gleichfalls die Heuschrecke als „Springerin^ bezeichnen.
So heiBt sie im Ital. sältabecca {sciUare = springen, heccare =
beißen), im Span. saUön, saltarin, saltamontes (monte = Berg),
säUamatos {mato = Gebüsch), sdltacapas {capa = Mantel), salta-
pericoj wörtl.: „spring, Peterchen"! womit sich itaL-dialektisch
saltorfnarfin „spring, Martin" ! vergleichen läßt. Auch im Frz.
ist die gebräuchliche Bezeichnung für die Heuschrecke sautereUe
{sauter = springen). Da der Kopf der Heuschrecke eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit der Form eines Pferdekopfes hat, wird
das Insekt in einigen Sprachen nach dem Pferde benannt.
So ist im Deutschen neben „Heuschrecke" auch „Heupferd" *)
üblich und im Ital. und Span, wird das Diminutiv von cavallOy
bzw. caballo „Pferd" für „Heuschrecke" gebraucht: ital. cavalletta,
span. cabalkta.**) Neben diesen Neubildungen hat sich in
einigen Kultursprachen lat. locusta erhalten, so in ital. locmtaj
span. langosta, altfrz. langouste (neufrz. nur in der Bedeutung
„Seekrebs"), engl, lomst. Da die Gestalt der Heusehrecke
einigermaßen an den Seekrebs erinnert, wird in einigen Sprachen
dieser nach jener benannt. (Siehe bei „Krebs", pag. 282.)
Über die metaphorische Verwendung der Heuschrecke
ist nicht viel zu sagen. Mit Bezug auf ihre Springgewandt-
heit sagt der Italiener von einem, der über seine Mitbe-
werber den Sieg davongetragen: Ha fatto la cavälletta a tutti
i competitori, er ist über alle Mitbewerber weggesprungen.
(Vgl. Wiese in seiner Besprechung von Heckers Ital. Um-
gangssprache, Literaturbl. f. germ. u. rom. Philologie, XIX,
pag. 303.) Die in manchen Gegenden massenhaft auftretenden
Wanderheuschrecken, die häufig auf Äckern und Wiesen große
Verheerungen anrichten, werden nicht selten als Symbol blinder
Zerstörungswut verwendet. So pflegt man z. B. im Deutschen
von den Hunnen zu sagen, sie seien wie einHeuschrecken-
schwarm über Europa hereingefallen. (Vgl. ital. cälarono
*) „Heupferd" als Schimpfwort für einen dummen Menschen hat wohl
nichts mit dem Insekt zu tun, sondern ist vielmehr eine scherzhafte Bildung
nach Analogie von „Heuochs" = heufressender Ochs.
**) Nach dem Bock, hzw. der Ziege wird die Heuschrecke in zahl-
reichen franz. Dialekten henannt. So heißt sie z. B. in der Haute-Auvergne
houquet^ in den Vogesen houcha de fouau „Heuhock", in der Gegend der
Haute-Loire chhre, (Vgl. Bolland, Faune pop., III, pag. 293 ff.)
Die Wanze. 269
come cavaUette su quel paese.) Ähnlich vergleicht der Spanier
die eine Speisekammer plündernden Kinder mit einem Heu-
schreckenschwaim, indem er sagt : Los muchachos son langosta
de las despensas. Auf die Gewohnheit der Kinder, sich gegen-
seitig mit Heuschrecken zu necken, bezieht sich die ital.
Redensart fare una cavalleita a qd., wörtL: jemd. eine Heu-
schrecke machen, A. h. ihm hinterrücks eine Heuschrecke auf-
setzen, welche Redensart metaphorisch gebraucht wird im
Sinne von: jemd. einen bösen Streich spielen, ihn begaunern.
Semasiologisch interessant ist, daß im Span. „Heuschrecke" (ton-
gosta) geradezu für „Gauner" gebraucht wird. Hierher gehört
auch der Gebrauch von satUerelle im Argot der Pariser Laden-
diener für eine Kundin, die sich stundenlang die verschieden-
sten Waren vorlegen läßt, aber nichts kauft und so gewisser-
maßen den Verkäufer zum Besten hält. Auch ist sautereUe
im Pariser Literatenargot die Bezeichnung einer Kokotte.
Alle diese Metaphern beruhen auf dem Eindruck der Unbe-
ständigkeit und Leichtfertigkeit, die die immer sprungbereite
Heuschrecke hervorbringt.
Die Wanze.
Deutsch Wanze taucht erst im 13. Jahrhundert auf und
ist Kurzform zu älterem wantlüs „Wandlaus", das sich im
Hessischen und Nordpfälz. erhalten hat. Ein Analogon findet
sich im Dänischen, wo die Wanze vaeggelus {vaeg = Wand)
heißt. Kluge zieht zur Vergleichung czechisch sUnice heran,
das von stena „Wand" gebildet ist. So wird auch in einigen
Gegenden der romanischen Schweiz für „Wanze" parianna
oder pariola aus lat. paries „Wand" gebraucht. Im Engl, heißt
die Wanze bog, welches Wort Skeat für identisch hält mit
dem landschaftlich gebrauchten btig „Kobold". Das tertium
comparationis liegt wohl im Begriff des Quälens. Was die
romanischen Sprachen betrifft, so gehen ital. dtnice^ span.
chinche auf lat. dmex zurück, wogegen franz. punaise von
puer „stinken" abzuleiten ist, wovon auch puiois „Iltis" und
putain „Hure". (VgL die franz. Redensart piier comme une
punaise^ stinken wie eine Wanze.)
270 Die Wanse.
Von den Metaphern, die sich auf das Äußere der Wanze
beziehen, ist vor allem anzuf&hren die Anwendung dieses
Tiemamens auf die Zwecke in den romanischen Sprachen.
Das tertinm comparationis ist hierbei die flache Gestalt Hier-
auf spielt der Franzose an, wenn er von einem, der einen
leeren Magen hat, sagt : B ale venire piat comme une punaisey
sein Bauch ist flach wie der einer Wanze. Dabei mag auch
an die Fähigkeit dieses Insekts, monatelang zu fasten, gedacht
werden. Auf das ethische Gebiet fibertragen bedeutet plat
comme un punaise s. v. w. „erbärmlich, kriechend^. Hingegen
bezeichnet der Engländer ans dem Volke mit big hugs^ dicke
Wanzen, yomehme Leute die sich satt essen und daher ihren
Wänsten eine gewisse Fülle verleihen können. Von der
Färbung der Wanze hergenommen ist im Ital. die Bezeichnung
cimiei ffir die rotbraunen Flecke auf den Blättern der Orangen*
und Zitronenbäume.
Der üble Geruch der Wanze erklärt die Anwendung dieses
Tiemamens auf das Stinktier im amerikanischen Spanisch
(chinche) ; auch liegt im Franz. eine allerdings selten gebrauchte
Weiterbildung von ptmaise, nämlich punaisie in der Bedeutung
„Gestank" vor. Hierher gehört femer der semasiologisch be-
merkenswerte Gebrauch von franz. punaise für „Hure", wobei
neuerdings darauf hingewiesen werden möge, daß putain wie
punaise etymologisch dasselbe besagen. Ganz besonders ist
aus dem franz. Soldatenargot pimaise de caserne „Easemen-
wanze" für „Soldatenhure" anzuführen. Eine Hurenkneipe
heißt dementsprechend punaisiire.
Mit Bezug auf die im Vergleich zu anderen verwandten
Insekten, z. B. dem Floh, auffallende Langsamkeit der Wanze
in den Bewegungen, pflegte man im Ital. des 16. Jahrhunderts
von einem trägen Menschen zu sagen: iJ piü poUrone Wuna
dmice, er ist fauler als eine Wanze.
Was die Wanze besonders verabscheuenswert macht, ist
ihre Vorliebe fär Menschenblut, von dem sie sich nächtlicher-
weile nährt. Auf diese Eigentümlichkeit spielt der Irländer
an, wenn er die Engländer, seine Unterdrücker, bugs „Wanzen"
nennt. Aus dem gleichen Grande bezeichnet der Pariser im
Argot ein böses Weib mit punaise. Da sich dieses Insekt nur
sehr schwer vertreiben läßt, wird es häufig als Symbol der
Die Wanze. 271
Zudringlichkeit verwendet. So sagt der Spanier von einem
aufdringlichen Menschen: Tiene sangre de chinche, er hat
Wanzenblut (daher chinchoso „zudringlich"), während der
Deutsche eine solche Person kurzweg als „Wanze" bezeichnet (be-
sonders von Zuschauem beim Kartenspiel gebraucht = Kiebitz).
In ähnlichem Sinne wurde schon im Lat. dmex verwendet Um-
gekehrt nennt der Portugiese die Wanze persevejo „Verfolger".
Da die Wanze hauptsächlich dort üppig gedeiht, wo die
Qebote der Beinlichkeit außer acht gelassen werden, so nennt
man im Deutschen eine unreinliche Wohnstätte Wanzen-
nest, wozu sich in ital. dmiciaio und in franz. trou de punaise
„Wanzenloch" Analoga finden. Auf die ungeheure Vermehrung
der Wanzen, die dort, wo sie geduldet werden, ganze Kolonien
bilden, nimmt Bezug die span. Redensart caer como chinches^
wie Wanzen, d. h. haufenweise fallen. (Vgl. portug. cahir
como tordos, wie Drosseln fallen, anspielend auf das plötzliche,
massenweise Herabsturzen dieser Vögel.) Der Aufenthaltsort
der Wanze wird schon durch die Etymologie des deutschen
Wortes angedeutet. (Siehe pag. 269.) Sie hält sich tat-
sächlich mit Vorliebe in Mauerritzen auf, weswegen der Eng-
länder den Tapezierer scherzweise bug - destroyer „Wanzen-
vernichter" nennt. Mit Bezug auf ihr Vorkommen in Schlaf-
stätten bezeichnet man im Slang das Bett als httg-walk „Wanzen-
promenade", im Pariser Argot analog als punaisier. (Vgl.
puder von puce „Floh" in derselben Bedeutung.) Hierher ge-
hört femer die span. Redensart: No hay mos chinches que la
manta Uena, es sind nicht mehr Wanzen da als auf dem Lein-
tuch Platz finden, d. h. es ist Überfiuß an lästigen Dingen
vorhanden. Daß das Bett ein Lieblingsaufenthalt der wärme-
liebenden Wanze ist, geht auch hervor aus dem aus lauter
assonierenden , bzw. reimenden Wörtern bestehenden engl.
Vergleich as snug as a bug in a rug^ so behaglich wie eine
Wanze in einer Bettdecke, womit ein hoher Grad von Wohl-
befinden bezeichnet wird.
Schließlich sei noch erwähnt, daß in einigen Gegenden
Englands und Nordamerikas bug infolge Bedeutungsgenerali-
sierung für „Käfer" gebraucht wird. Aus dem Schriftengl.
ist hier may-bug „Maiwanze" als die gebräuchlichste Bezeich-
nung des Maikäfers anzuführen.
272 Die Latts.
Die Laus.
Die Etymologie dieses Wortes bietet keine Schwierig-
keiten. Es ist gemeingermanisch. Deutsch Laus wie engl.
Jofise gehen auf ahd., bzw. altengl. Ins zurück. Eine dialek-
tische Bezeichnung der Laus ist Wibel, Wubel, zum
Verb wibeln, wubeln, aus mhd. wibelen „wimmeln".
(Vgl. Heeger, Tiere im pfälz. Volksmunde, 2. Teil, pag. 18.)
Die romanischen Benennungen der Laus: ital. pidocchio,
Span, picjo, franz. pou (Dim. von pes „Fuß", bedeutet also
wörtlich „Füßchen"),*) sämtlich auf lat. pedicultis zurückzu-
führen.
Die Lebensbedingungen dieses ekelhaften Insekts, dessen
Element der Schmutz ist (vgl. franz. laid comme un pou, garstig
wie eine Laus), erklären den metaphorischen Gebrauch des
Wortes in deutschen Zusammensetzungen wie Lausbub und
Lauskerl. Im Franz. findet sich ein Analogon hierzu in
morpion „Filzlaus" (aus pion = pou und mordre „beißen"), das
man im Argot ungezogenen Kindern gegenüber als Schimpf-
wort gebraucht. Die Läuse sind sehr häufig das Attribut der
untersten Volksschichten und ganz besonders der Bettler (vgl. die
deutsche Redensart etwas im Griffe haben wie der
Bettler die Laus und das engl. Sprichwort: A heggar pays
a henefit mih a louse, ein Bettler bezahlt eine Wohltat mit
einer Laus); daher ist es begreiflich, daß das Wort „Laus"
zur Bezeichnung des Schmutzigen und Gemeinen dient. (Vgl.
franz. se laisser manger aux poux, sich von den Läusen fressen
lassen, d. h. im Schmutze leben.) Damit hängt auch der Ge-
brauch von „Laus", bzw. „lausig" für „karg, spärlich" (vgl.
frz. Champagne pouüleuse) und, auf Personen angewendet, für
„knickerig, geizig" zusammen, eine Metapher, die allen hier
in Betracht kommenden Sprachen gemeinsam ist. Die Er-
klärung ist nicht schwer: der (mit Läusen behaftete) Bettler
ist gezwungen, mit dem mühsam erbettelten Almosen zu
*) Auf die Farbe bezieht sich die altfranz. Bezeichnung grison (von
gris „gran"), daneben kommt auch puce de meiisnier „MüUerfloh" vor. (Vgl.
Rolland, Fanne pop., III, pag. 352 f.)
Die Laus. 273
Mickern. Da man nun häufig ein knickeriges, geiziges
Wesen bei Individuen trifft, die mit den Attributen des
Schmutzes, den Läusen, behaftet sind, so wurden diese Tiere
ohne weiteres zum Symbol des Geizes. In dem engl. Vergleich
-OS mean as a louse, knickerig wie eine Laus, werden sie
4Sielbst zu Trägern dieser Eigenschaft gemacht. (Die Kichtig-
keit dieser Erklärung wird bestätigt durch den Gebrauch des
Wortes „schmutzig" für „geizig", den wir auch in den übrigen
Sprachen antreffen: ital.-span. sordido, franz. sordide, engl.
^sordid.) Demnach nennt man im Deutschen einen filzigen
Menschen einen Lauser und lausen bedeutet „filzig sein".
Im Engl, finden sich in gleicher Bedeutung lousy und lousi^
•ness, im Ital. pidocchioso und pidocchieria. Im span. piqjeria
aeigt sich deutlich der Entwicklungsgang der Metapher, da
-das Wort neben „Knickerei" noch „Bettelvolk, Bettelherberge,
:äußerste Armut" bedeutet. Im Franz. bezeichnet man mit pou
-affame, hungrige Laus, weniger einen geizigen als einen ge-
winnsüchtigen Menschen. Dafür hat das Adjektiv pofMeux
•dieselbe Bedeutung wie die Analoga der Schwestersprachen
nnd pouUier bedeutet wie span. piqjeria „Bettlerherberge".
Die Winzigkeit der Laus erklärt das deutsch-studentische
nicht die Laus für „gar nichts" sowie den Gebrauch von
pidocchio in ital. carattere pidocchino, womit eine sehr kleine
vSchrift bezeichnet wird. Auch sagt man im Deutschen von einem
Geizigen: Er würde die Laus schinden um des Balges
willen, wozu sich in den übrigen Kultursprachen Analoga
^finden. So heißt es im Engl. : I£e*d skin a louse, and send the hide
to market, er würde eine Laus schinden und den Balg auf den
Markt schicken, im Ital. : Scorticherebbe il pidocchio per vendere
Ja pelle, er würde die Laus schinden, um den Balg zu ver-
kaufen, im Franz. ebenso : II ecorchermt un pou pour en avoir
Ja peau. (Vgl. die ital. Variante: Scannerehbe una cimice per
heverne il sangue, er würde eine Wanze schlachten, um ihr
Blut zu trinken.) Diese Redensart betrachtet Kolland, Faune
pop., in, pag. 254, als Ausgangspunkt für die oben angeführten
Metaphern, indem er auf deutsch Knicker = Läuse-
knicker hinweist. Mir scheint jedoch die oben gegebene
Erklärung natürlicher zu sein. Möglicherweise haben zur
Bildung bewußter Redensart die Bedeutungsbeziehungen mit-
Biegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 18
274 ^^ Laus.
gewirkt, die zwischen den Begriffen „Geiz" und „Laus" be-
stehen.
Von pedantischen Leuten, die allzusehr auf Kleinigkeiten:
herumreiten, sagt man im Deutschen: Sie klauben Läuse.
(Vgl. hiermit im Portug. den Gebrauch von bichinho „Läuschen"
für „Kleinigkeit" sowie das von bicho abgeleitete Adjektiv
bicheiro = kleinlich. Dem deutschen „Läuse klauben" ent-
spricht im Franz. eplucher des icrevisseSj Krebse ausklauben.)
Hierher gehört femer die franz. Redensart cherdier des pcmax
sur la Ute de qn^ auf jemds. Kopfe Läuse suchen, d. h. ihm
Kleinigkeiten vorwerfen. Davon wurde dann das Verbum se
pouiüer „sich schelten" und von diesem wieder das Substantiv
les pouiUes „Scheltworte" gebildet. Auch im Deutschen kann
lausen in der Bedeutung „jemd. derb vornehmen" gebraucht
werden. Parvenüs, die sich aus kleinen Verhältnissen empor-
geschwungen haben und sich darauf etwas zugute tun, nennt
der Italiener treffend pidocchi rivestiti, neugekleidete Läuse,
der Spanier picjos resucitadosj zu frischem Leben erweckte
Läuse.
Ohne Analogien in den übrigen Sprachen ist die Bezeichnung
eines zudringlichen Menschen als piqjo pegadizo (pegadizo =
klebrig) im Span, eine treffende Metapher, da die Läuse, wenn sie
sich einmal festgenistet haben, sehr schwer wegzubringen sind.
(Vgl. das deutsche Sprichwort: Wenn die Laus einmal
im Pelz ist, so ist sie schwer wieder herauszu-
bringen.) (Im ähnlichen Sinne wird „Wanze" im Deutschen
und Span, gebraucht.) Auf die Kleiderläuse, die sich in den
Nähten einnisten, bezieht sich die span. Redensart estar como-
piojos en costura, gedrängt sein wie Läuse in der Naht (im
Deutschen „wie die Heringe"), sowie das ital. Sprichwort: La
roba va älla roba, e i pidocehi alle costure, das Gut geht zum
Gut und die Läuse zu den Nähten. Dieselbe Art von Läusen
ist gemeint in der deutschen Redensart jemd. eine Laus
in den Pelz setzen, wofür man häufiger und gewählter
sagt „jemd. einen Floh ins Ohr setzen", was bedeutet: in
jemd. Gedanken erwecken, die ihm keine Ruhe lassen. Derb,,
aber treffend ist die Redensart : wie die Laus im Schorfe^
sitzen, d. h. in seinem Elemente sein, sich sehr behaglich
fühlen. Ähnlich sagt der Franzose von einem, der aus ge-
Die Spinne. 275
wissen, dem körperlichen oder moralischen Beinlichkeitssinne
widersprechenden Neigungen kein Hehl macht: 11 se carte
comme un pou sur une gale, er brüstet sich wie die Laus im
Schorfe. Ironisch hingegen ist gemeint die Bedensart sicher
sein wie eine Laus zwischen zwei Nägeln, frz. itre
comme le pou entre deux ongles, die auf einen angewendet
wird, dem von zwei Seiten Gefahr droht.
Mehr für die metaphorische Verwendung des Wortes
„Leber" als für die des Wortes „Laus" ist von Belang die
deutsche Bedensart j e m d. ist eine Laus über die Leber
gelaufen, was von einem gesagt wird, der plötzlich in Zorn
gerät. Um diese Bedensart zu verstehen, muß man wissen,
daß bei den Bomanen allgemein, bei den Germanen zum Teil^
die Leber als Sitz der Leidenschaften galt. So wird im Span.
Mgado, im Ital. fegato geradezu für „Mut" gebraucht, im franz.
Botwelsch bezeichnet man mit foie blanc „weiße Leber" einen
feigen Menschen. Übrigens gibt man der Bedensart — jeden-
falls um das unappetitliche Wort „Laus" zu vermeiden —
gern die Form einer Frage und fragt einen Zornmütigen:
Was ist dir denn über die Leber gelaufen? Im Ital. sagt
man von einem, der gleich zuschlägt, geradezu: J^ un fegato^
er ist eine Leber.
Nicht ersichtlich ist, warum man (nach deutscher Auf-
fassung) vom vielen Wassertrinken Läuse bekommen soll, wo-
gegen das im selben Sinne gebrauchte franz. attraper des
grenouiUes, Frösche kriegen, ohne weiteres verständlich ist.
Die Spinne.
Deutsch Spinne, mhd. ebenso spinne, ahd. spinna, ist von
dem Verbum „spinnen" abgeleitet, bedeutet also die „Spinnerin",
während unser Sprachgefühl eher geneigt ist, „spinnen" als
ein Derivatum von „Spinne" zu betrachten. Ebenso beruht
engl. Spider, mittelengl. spither, auf altengl. supponiertem spinnere
aus spinnan = neuengl. spin „spinnen". Analoga hierzu finden
sich im Ladinischen und in franz. Dialekten, in denen der
Name der Spinne von filare „spinnen" abgeleitet wird. (Vgl.
BoUand, Faune pop., in, pag. 236.) Die Benennungen des
18*
276 ^^ Spinne.
Insekts in den romanischen Sprachen : ital. aragna^ ragno^ span.
arafia^ altfrz. araigne^ gehen sämtlich aaf lat. aranea zurück.
Im Nenfranz. ist der semasiologisch merkwürdige Fall einge-
treten, daß für „Spinne" anstatt araigne araignie ans lat.
araneata gebraucht wird, was ursprünglich „Spinnengewebe"
bedeutet. (Metonymie: Wirkung ftr Ursache.) Übrigens be-
deutet schon im Lat. aranea „Spinne" und „Spinngewebe".
Für „Spinngewebe" sagt das Nenfranz. umschreibend ioüe
cParaignSe analog dem ital. tela di ragno {ragnatelo, ragnaUla)
und dem span. telarana.
Die Sprache konnte an der so auffallenden Erscheinung
der Spinne, die noch dazu sehr häufig ist, nicht achtlos yor-
übergehen. Tatsächlich liefert dieses Insekt der Sprache eine
stattliche Anzahl von Metaphern. Besonders charakteristisch
für die Spinne sind die acht langen, dünnen Beine, die ihr
ein unbeholfenes Aussehen verleihen. Hierauf beruht im Engl,
die Metapher spider - shanked „spinnenschenklig", d. h. dünn-
beinig. Analog vergleicht der Franzose lange, dürre Finger
mit Spinnenbeinen und nennt jene somit pattes d^araignee. Lange,
dünne Buchstaben werden gleichfalls so bezeichnet. Des-
gleichen finden sich in einigen Sprachen Metaphern, die sich
auf die Gesamterscheinung der Spinne bezieben, wobei immer-
hin die langen Beine das Hauptcharakteristikum bilden. So
fühlt sich der Engländer beim Anblick einer dreifüßigen Brat-
pfanne an die Spinne erinnert und dieselbe Vorstellung er-
weckt in ihm der hochrädrige Schlauch wagen der Feuerwehr;
er bezeichnet daher beide Objekte mit spider, wie auch der
Franzose für einen auf zwei hohen Rädern ruhenden Wagen
araignSe gebraucht. Ebenso nennt der Spanier einen Arm-
kronleuchter arana, indem er die Arme des Leuchters mit
den Beinen der Spinne vergleicht. Femer wird eine Krabben-
art, die maia squinado der Zoologen, die sich durch besonders
lange Beine auszeichnet, Meerspinne genannt, u. zw. außer
im Deutschen, noch im Engl, (sea-spider) und im Span, (arana
de mar). Hierher gehört schließlich auch portug. aranhigo
„Spinnchen" als Bezeichnung einer mageren Person mit dünnen
Armen und Beinen.
Der unvorteilhafte Eindruck, den das Äußere der Spinne
auf den Menschen macht, wird zur Abscheu gesteigert durch
Die Spinae. 277
ihre Giftigkeit, die sich übrigens nur an kleineren Insekten
als wirksam erweist. (Vgl. das deutsche Sprichwort: Die
Spinne sangt Gift, die Biene Honig aus allen
Blumen.) Dies erklärt die in einigen Gegenden Deutsch-
lands beliebte Interjektion Pfui, Spinne! Im Deutscheu
und Franz. nennt man eine bösartige Person, namentlich
weiblichen Geschlechts, „Spinne", bzw. araignee, wobei
die Giftigkeit das tertium comparationis bildet. (Vgl. das
Kapitel „Schlange".) Der Biß der Spinne ruft beim Men-
schen nur eine leichte, kaum merkliche Verletzung hervor.
Hierauf beruht im Span, das von arana abgeleitete Verbum
aranar, das soviel bedeutet wie „die Haut durch einen Ritz
leicht verletzen", somit unserem „kratzen" entspricht. (Vgl.
portug. aranha „Gewissensbisse".) Von aranar ist wieder ab-
geleitet das Substantiv arano „leichte Verletzung, Kratzer".
Die Abneigung des Menschen gegen die Spinne kommt be-
sonders kräftig zum Ausdruck in der deutschen Redensart
jemd. wie eine Spinne hassen.
Auch in ethischer Beziehung stehen die Spinnen in keinem
guten Ruf. Sie sind untereinander höchst unverträglich und
bekämpfen sich gegenseitig aufs heftigste, worauf im Deutschen
der Superlative Ausdruck spinnefeind beruht. Auf das
feindselige Verhältnis der Spinnen untereinander bezieht sich
femer ein span. Sprichwort in Dialogform, in dem die Zu-
sammengehörigkeit von arana und aranar recht deutlich zum
Ausdruck gelangt: Arana^ gqtiien te aranö? Otra arana como yo.
Spinne, wer hat dich gekratzt? — So eine Spinne wie ich.
Daß hiermit die Unverträglichkeit unter Kameraden getadelt
virird, ist ohne weiteres klar. Aus dem Deutschen ist ferner
hierher zu ziehen das Sprichwort: Nur bei scharfem
Hunger frißt eine Spinne die andere. Das Aggressive
im Charakter der Spinne erklärt den Gebrauch von span.
aranero (von arana) im Sinne von „wild, störrisch, nnlenksam"
(Jagdterminus). Möglicherweise ist auch altfranz. hargner
„zanken" sowie neufrz. hargnetix „zänkisch" von aranea, bzw.
araneare, araneastis abzuleiten. (Vgl. RoUand, Faune pop., in,
pag. 238. Körting, Lat.-rom. Wörterbuch, unter hargneux
verzeichnet die Diezsche Etymologie hargner = altndfränk.
harmjan)
278 I>i« Spinne.
Da die Spinne mit der in den Spinnwarzen enthaltenen
Flüssigkeit, die ihr zur Hervorbringnng der Fäden dient, sehr
haushälterisch umgehen maß, so wird im Span, häufig eine
knickerige Person mit arana bezeichnet (davon aranar „zu-
sammenscharren^).
Im Yolksaberglauben spielt die Spinne gleichfalls eine ge-
wisse Bolle. Am Morgen verkfindet sie Unheil, am Abend Glück.
Dies besagt im Deutschen folgender Spruch: Spinne am
Morgen macht Kummer und Sorgen, Spinne am
Abend erquickend und labend. Ähnlich heißt es im
Franz.: Araignie de matin, chagrin; araignee de soir, espoir,
Morgenspinne — Kummer, Abendspinne — Hoffnung. (Vgl.
Solland, Faune pop., III, pag. 241.) Ohne Bezugnahme auf
eine besondere Eigenheit, sondern ganz allgemein in ihrer
Eigenschaft als Insekt wird die Spinne im Deutschen ver-
wendet in der Bedensart jemd. eine Spinne, d. h. einen
beunruhigenden Gedanken in deuKopf setzen, womit sich
im Pariser Argot vergleichen läßt die Bedensart avoir une
araignie dans Je plafondj eine Spinne an der Zimmerdecke
haben, d. h. geistig nicht ganz normal sein. (Im Deutschen
gebraucht man spinnen im selben Sinn.) In beiden Fällen
werden die wirren Gedanken mit dem unsteten Hin- und Her-
krabbeln der Spinne verglichen. Von analogen Bedensarten,
in denen an Stelle der Spinne ein anderes Insekt oder auch
ein Vogel tritt, war im Laufe dieser Abhandlung schon
öfters die Bede, ihre Wiederholung ist daher an dieser Stelle
überflüssig. Wohl aber muß die engl. Bedensart to have got
cobwebs in one^s brain, Spinnweben in seinem Hirn haben, er-
wähnt werden, da hier bezeichnenderweise das Spinngewebe
an Stelle der Spinne tritt, wie man im Deutschen in ähnlichem
Sinne von einem sagt, er stecke voller Hirngespinste.
(Genau unserem „Hirngespinst" entspricht im Engl, cobwehbery.)
Überhaupt spielt das Spinngewebe in der Metaphorologie
der modernen Sprachen keine minder bedeutende Bolle als die
Spinne selbst. Wenn im Ital. und Span, ein vereinzeltes,
weißes Wölkchen mit ragnatelo, ragnatura, bzw. telarana be-
zeichnet wird, so liegt das tertium comparationis einerseits in
der Farbe, andererseits in der Form. Den Ausdruck ragnature
wendet der Italiener auch auf fadenscheinige Stellen eines
Die Spinne. 279
Kleiderstoffes an, indem er diese mit Spinnweben vergleicht.
Von ragno liegt femer eine verbale Weiterbildung ragnare
vor, die in Übereinstimmung mit der metaphorisclien Bedeutung
von ragnatelo im Sinne von „sich umwölken" und „fadenscheinig
werden" gebraucht wird. Hierher zu ziehen ist noch die span.
Redensart teuer iehranas en los qjos, Spinnweben in den Augen
haben, d. h. etwas nur flüchtig, gleichsam durch ein Spinn-
gewebe ansehen.
Das Spinngewebe ist äußerst zarter Struktur und daher
ieicht zerstörbar. (Vgl. ital. leggero come un ragnatelo, leicht
wie ein Spinngewebe.) Daher sagt der Italiener von einem
«ich vergeblich Abmühenden: Fa opera a tela dt ragno und
der Franzose: II tisse des toiles d'araignSe, er arbeitet mit
Spinngeweben. (Vgl. Rolland, Faune pop., III, pag. 328.) Im
Engl, wird cobweb adjektivisch geradezu für „fein, zart" ge-
braucht. Von einem Geizigen sagt der Franzose : Sa poche est
pleine de toiles d'araignieSj seine Tasche ist voll Spinngewebe, d. h.
«r greift nicht gern in die Tasche (vgl. ital. im selben Sinne
<xvere il granchio in scarsella, die Krabbe in der Tasche haben).
Infolge seiner leichten Zerstörbarkeit ist das Spinngewebe
in einigen Sprachen Symbol des Wertlosen. So sagt der
Italiener von einem, der an einem geringfügigen Hindemisse
scheitert: Indampanei ragncUeli, er stolpert über Spinnweben,
und der Spanier meint von einer ungefährlichen Wunde : Eso
se cura con una telarana, das heilt man mit einem Spinngewebe.
Tatsächlich herrscht unter dem Landvolke der Brauch, bei
leichten Verletzungen Spinngewebe auf die Wunde zu legen.
Im Franz. und Engl, wird das Wort in ähnlicher Weise meta-
phorisch verwertet.
Naheliegend ist der Vergleich des Spinngewebes mit einem
Netz, um so mehr als es der Spinne zum Fangen von Insekten
-dient. Und in der Tat wird in allen Kultursprachen mit
Ausnahme des Deutschen „Spinngewebe" im Sinne von „Netz"
gebraucht. So zunächst engl, cobweb, das auch verbal ver-
wendet wird — to cobweb bedeutet „mit einem feinen Netz
bedecken". Im Ital. wird das Fem. von ragno, ragna (bei
Dante auch „Spinne") zur Bezeichnung eines feinen Vogel-
netzes gebraucht und ebenso wird in Katalonien und Valencia
Tirana zunächst auf ein Amselnetz, dann auf das Wurfhetz
280 ^' Krebs,
der Fischer angewendet. Dieser Gebrauch von ragno, bzw.
arana ist semasiologisch insofern interessant, als sich hier
Metonymie (Ursache fux Wirkung) und Metapher paaren. (Vgl.
den entgegengesetzten Bedeutungswandel in frz. araignee.y
Auch wird das weiter oben bereits in anderer Bedeutung er-
wähnte ragnare im Sinne von ,,yogelnetze stellen'' gebraucht.
Als Metapher zweiten Grades ist zu bezeichnen der Ge-
brauch von ital. ragna im Sinne von „List". Ebenso erscheint
im Franz. die Redensart tisser des toiles d^araignee^ Spinngewebe:
weben, häufig in übertragener Bedeutung und entspricht dana
unserem „Fallstricke legen". Und in der Tat eignet sich daa
Vorgehen der in ihrem Netze auf Beute lauernden Spinne vor*
z&glich zur Charakteristik hinterhältigen Handelns. So werden
in verschiedenen Sprachen Personen, deren mehr oder minder
anständiges Gewerbe es mit sich bringt, auf Kunden zu lauern^
mit der Spinne verglichen, namentlich wenn es in der Absicht
geschieht, dieselben auszubeuten. Hierher gehören engl, spider
als Bezeichnung eines Individuums, dessen Geschäft es ist^
Passanten in ein Spielhaus zu locken, femer aus dem Pariser
Argot araignee de bastringue „Kneipenspinne" (jetzt häufiger
araignee de ptssoiUre, pissotiere = Pißwinkel) für eine Dirne,,
die in Kneip- und Tanzlokalen ihre Galans sucht, wozu da»
amerikanische Spanisch in aräna „Freudenmädchen" ein Ana«
logon bietet. Minder anrüchig ist die Bezeichnung araignee
de comptair ,Jiadenspinne" für einen Schnittwarenhändler, der
am Eingang seines Ladens durch marktschreierisches An-
preisen seiner VtTaren die Kauflust der Passanten zu erregen
sucht. Ähnlich wird araignie de trottoir „Trottoirspinne" für
einen umherziehenden Spielwarenhändler (camelot) gebrauchte
Der Krebs.
Deutsch Krebs, das ganz allgemein sowohl die im Süß-
wasser als auch im Meere lebenden Krustentiere bezeichnet,
beruht auf mhd. kr'ebezej Jerebez, ahd. krebae, Icrebiz, Wie weiter
unten gezeigt werden wird, ist das Wort früh ins Romanische
eingedrungen. Auch das Lateinische unterscheidet nicht
zwischen Fluß- und Seekrebs, sondern bezeichnet beide wX
Der Krebs. 281
Cancer. In übertragener Bedeutung wird das Wort gerade so
wie das deutsche „Krebs" für gewisse bösartige Geschwüre
gebraucht. Nach Sanders ist das tertium comparationis in den
rings um das Geschwür stockenden Ädern, die das Aussehen
von Krebsfüüen darbieten, zu suchen. Schließlich bezeichnet
man damit eines von den zwölf Zeichen des Tierkreises. —
Die romanischen Sprachen unterscheiden genauer zwischen
den verschiedenen Krebsarten. Was zunächst das Italienische
betrifft, so hat in dieser Sprache cancer die Bedeutung „Fluß-
krebs" an gambero aus griech. Tcdfifiagog abgetreten. In den
übrigen Bedeutungen hat es sich erhalten, aber immerhin mit
lautlicher Differenzierung, indem canchero oder cancro als medi-
zinischer und astronomischer Terminus, granchio (aus dem
suppon. Diminutiv canGricuhis) für die Meerspinne gebraucht
wird. Schließlich hat man auch in ganghero „Haken, Tür-
angel" Cancer erblickt, wogegen weder lautlich noch begrifflich
etwas einzuwenden ist. Die Metapher beruht auf einem Ver-
gleich der gekrümmten Krebsenschere mit einem Haken. (VgL
portug. caramäo „Krabbe" und „Haken" für den Kronleuchter.)
Im Span, liegt der umgekehrte Fall vor. Da lebt cancriculus
als cangrejo nur in der Bedeutung „Flußkrebs" weiter, während
mit gämbaro (auch cdmbaro oder cambaron) eine Krabbenart
bezeichnet wird. Daneben existiert als gelehrtes Wort cancer
in übertragener Bedeutung. Das Franz. hat drei Vertreter
von lat. Cancer: das volkstümliche chancre in der Bedeutung
„Geschwür" und „Krebsschaden", das halbgelehrte cancre, die
Bezeichnung einer Krabbenart, und schließlich das ganz ge-
lehrte Cancer als medizinischen terminus technicus. Für „Fluß-
krebs" hat das Franz. das ahd. krä>iz entlehnt, das in der
neufranz. Form ecrevme lautet. Aus dem Altfranz, ist das
deutsche Wort in der Form crevice in das Engl, eingedrungen^
wo es durch volksetymologische Anlehnung an fish zu crayfishy
crawfish, crab-fish*) wurde. Für den kurzschwänzigen „See-
krebs" gebraucht der Engländer crab, der Deutsche Krabbe,
ein Wort niederdeutschen Ursprungs, das mit „Krebs"
*) Gleichzeitig erinnern diese Wörter an craw „Kropf", crawl „krabbeln**,
erah „Krabbe**. (Vgl. Andresen, Über deutsche Volksetymologie, 5. Aufl.,
pag. 521.)
282 I>er Krebs.
stammverwandt ist und sich auch im Franz. (crabe) findet.
„Krebs" und „Krabbe" beruhen wahrscheinlich auf der Wurzel
von „krabbeln". Übrigens finden wir lat. Cancer als gelehrtes
Wort auch im Engl. Daneben gibt es ein volkstümliches
cankerj das „Geschwur" und „Krebsschaden" bedeutet. Eben-
so ist chancre als medizinischer Terminus dem Franz. ent-
lehnt.
Für eine gewisse größere Art von langschwänzigen See-
krebsen wird im Deutschen das Wort Hummer gebraucht,
das mit griech. Ttd^fiagog „Krebs" stammverwandt zu sein
scheint und das wir im franz. homard wieder erkennen. Der
Engländer gebraucht hierfür lobster aus altengl. hpust, das
dem romanischen locusta „Heuschrecke" nachgebildet ist und
in der Bedeutung „Hummer** auch in franz. Jangouste, span.
langosta fortlebt, welch letzteres Wort auch in der ur-
sprünglichen Bedeutung von „Heuschrecke" gebraucht wii'd.
(Vgl. venez. grülo de mare „Meergrille" für „Hummer**.) Eine
gewisse Ähnlichkeit in der Gestalt beider Tiere ist nicht
zu verkennen.
Für die Metaphorologie ist vor allem der Flußkrebs von
Interesse. Bei diesem Tiere fällt zweierlei auf: erstens das
Eückwärtsschwimmen (nicht Bückwärts g e h e n), sodann
die hellrote Farbe, die die Schale annimmt, wenn der Krebs
gesotten wird, welche Eigentümlichkeit er allerdings mit den
im Meere lebenden Krustentieren teilt. Hierauf beruhen die
meisten der auf den Flußkrebs bezüglichen Metaphern.
Was nun zunächst das vermeintliche Eückwärtsgehen an-
langt, so wird im Deutschen die Redensart den Krebsgang
gehen besonders in moralischer Hinsicht gebraucht, z. B.
von einem faulen Schüler, der einst bessere Leistungen auf-
zuweisen hatte. Auch bezeichnen die Buchhändler solche
Bücher, die sie unverkauft an den Verleger zurückschicken
müssen, treflfend als „Krebse", während der Franzose hierfür
weniger leicht verständlich den Ausdruck ours „Bär" ge-
braucht. (Siehe pag. 55.) Ebenso sagt der Italiener fare
(andare) come il gamberOj fare il viaggio del gamberOj es machen
(gehen) wie der Krebs, die Krebsreise machen, der Franzose
aller comme um ecrevisse, der Spanier andar como un cangr^o
oder ironisch adeJantar como un cangr^o, Fortschritte machen
Der Krebs. 283
wie ein Krebs. Der Portugiese sagt für andar de caranguejo,
wie ein Krebs gehen, auch mit einem eigenen Verbum caran-
gueoar. Im selben Sinne gebraucht der Angloamerikaner to
cratofish it, was dann weiterhin „einer Sache untreu werden,
tsich aus der Klemme ziehen" bedeuten kann. Femer be-
zeichnet man im amerik. Englisch mit crawfish einen politi-
schen Überläufer, welcher Bedeutungswandel wohl so zu er-
klären ist, daß das Rückwärtsgehen für jede Art des Verrats,
somit auch für den Übertritt zu einer anderen Partei ge-
braucht wird, gerade so wie der Soldat die Sache des Vater-
landes verrät, indem er entweder vor dem Feinde flieht oder
1ZU ihm übergeht. Nach Analogie von „rücklings" sagt man
im Deutschen auch krebslings gehen, ja geradezu krebsen,
welches Verbum jedoch häufiger die Bedeutung von „Krebse
fangen", dann mit Begriffserweiteruug die von „fangen" über-
haupt hat.*) (Vgl. „fischen'-.) Schließlich wird „krebsen" im
Sinne von „krabbeln" gebraucht. Mit Angleichung an letzteres
Verbum heißt es auch krebsein. Im Pariser Argot sagt
man von einem Faselhans: II a une ecrevisse dans la tourte,
er hat einen Krebs im Schädel, und will damit ausdrücken,
^aß es mit seinen geistigen Fähigkeiten bergab geht. Aller-
dings könnte man diese Metapher auch zu jenen stellen, die
auf einem Vergleich der wirren Gedanken mit dem ümher-
schwirren von Insekten im Kopfe beruhen. Hier würden also
^ie konfasen Gedanken mit dem Herunikrabbeln des Krebses
verglichen werden oder es könnte das Herumkrabbeln als
Ursache der Gedankenverwirrung gedacht werden.
Von der roten Farbe des gesottenen Krebses hergenommen
ist der Vergleich rot wie ein Krebs, den man namentlich
auf einen anwendet, dem das Blut infolge irgend einer Ge-
mütsbewegung zu Kopfe steigt. Genau so heißt es im Ital.
rosso come un gambero, im Franz. rouge comme une ecrevisse.
Von einem Errötenden sagt der Pariser: II fait cuire son
homard, er siedet seinen Hummer. Ferner bezeichnet das
franz. Argot verschiedene, ganz oder teilweise rot ge-
*) Vgl. das deutsche Sprichwort: Ist es nicht gefischt, so ist
«s doch gekrebst, d. h. istes auch wenig, was man erreicht hat, so
ist es immerhin besser als nichts.
284 I>er Krel».
kleidete Personen mit homardsj so z. B. einen Bedienten m
roter Livree, sodann den rothosigen Infanteristen, der von deft
Kavalleristen ecrevisse de rempart „Wallkrebs" genannt wird
(vgl. engl, boiled lobster „gesottener Hummer*^ gleichfalls für
den Infanteristen wegen des roten Eockes), schließlich anch
den Spahi wegen des roten Bomns. Ebenso wird im franz.
Botwelsch der Kardinal wegen seines roten Mantels icremsse
genannt. Analog bezeichnet ihn der Newyorker Slang als
IcSbster „Hnmmer". Umgekehrt nennt Viktor Hngo den Hummer
Cardinal de la mer. (Vgl. Sachs, Zusammenhang zwischen
Mensch und Tier in der Sprache, NeuphiL Zentralbl. 1904,
pag. 36.) Ebenfalls gehört hierher aus dem span. Argot can-
grejo als Bezeichnung eines rot angestrichenen Pferdebahn»
Wagens.
Die Metaphern, die der Krebs sonst der Sprache geliefert
hat, sind nicht zahlreich. Im Deutsch des 15. Jahrhundert»
bezeichnete man den Brustharnisch als „Krebs'', u. zw. wegen
der Ähnlichkeit mit der Schale dieses Krustentieres. Die
langen Scheren des Krebses,*) die sich an das vorderste Bein-
paar anschließen, erklären die metaphorische Bedeutung von
ital. gamherone (Augmentativ von gamhero) „langbeiniger
Mensch" (wohl ein Wortspiel mit gamha „Bein"). Ein Analogon
findet sich im eQgl. Slang, das für die Füße geradezu crabs^
gebraucht. Auf der Wehrhaftigkeit des Krebses, der gleichsam
mit Schutz- und Trutzwaffen ausgerüstet ist, scheint der
Gebrauch von Krebs für „tüchtiger Kerl" im älteren Deutsch
(z. B. bei Goethe : das ist eine andere Art von Krebsen) zu
beruhen. Hoferer, Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht, VHI^
pag. 850, fuhrt diese Redensart auf folgendes holländ. Sprich-
wort zurück : Dat i$ eene andere soort van kreeften, zei de hoety
en hij brogt hiJcvorschen ter marit, das ist eine andere Art von
Krebsen, sagte der Bauer, und er brachte Frösche zu Markt.
Von den Wörtern, die die Krabben bezeichnen, bietet
hauptsächlich das ital. granchio phraseologisches Interesse..
Sehr gebräuchlich ist die Eedensart pigliar un granchio (auch
gambero oder pesce) eine Krabbe fangen, d. h. einen Schnitzer
machen. Verständlich wird der Sinn dieser Redensart erst
") Vgl. frz.-dialektigch taÜleur „Schneider" = Hammer.
Der Krebs. 285
durch den Zusatz in seceo „im Trockenen". Oranchio in seeco
l)edeutet auch die Quetschung eines Fingers, wobei an den
Xrebs gedacht wird, der das Glied mit den Scheren packt.
Femer sagt der Italiener von einem Geizigen: Ha il granchio
in searsdla, er hat die Krabbe in der Tasche, gleichsam als
fürchte er, von dem Tier gezwickt zu werden, wenn er in die
Tasche griffe. Ebenso kommt im Deutschen die Kedensart vor
einen Krebs im Beutel haben, allerdings landschaftlich
beschränkt. Der Franzose wendet das Wort cancre auf den
Geizigen selbst an (Metonymie), gerade so wie der Spanier
mit mona „Affe" ebensowohl die Trunkenheit als den Trunkenen
selbst bezeichnet. Es wäre noch eine andere Erklärung denk-
har. Darf man annehmen, daß die Eigentümlichkeit der
Krabben, Nahrungsvorräte im Sande zu vergraben, dem Volke
bekannt ist, so würde das Tier selbst als Symbol des Geizes
gebraucht werden, wie tatsächlich span. cdncer eine tadelnde
Bezeichnung für Geiz oder Selbstsucht ist (Metonymie). Auch
einen faulen Schüler nennt der Franzose cancre, welche
Metapher durch die Redensart aller comme une ierevisse erklärt
wird. Merkwürdig ist nur, daß in diesem Falle cancre für
ecrevisse eintritt. Aus dem Deutschen ist hier anzuführen der
metaphorische Gebrauch von „Krabbe" für ein kleines Kind,
das noch auf allen Vieren auf dem Boden „herumkrabbelt".
{Vgl. engl, shrimp „Gameele" in derselben Bedeutung.)
Von ital. granchio gibt es einige Weiterbildungen, so
das Verbum grgkndre „anpacken" (wie der Krebs mit den
Scheren), sodann sgranchirsi (veraltet sgranchiarsi) „sich recken,
sich dehnen", femer aggranchiarsi, aggranchirsi von den Gliedern
gebraucht, die vor Kälte steif und krumm werden wie die
Krebsscheren, daher granchio „Krampf ^ Mit Bezug auf die
eigentümliche Gangart der Krabben, die sich nicht geradeaus,
sondern von der Seite fortbewegen, sagt man im Ital. von
einem Betrunkenen: Ckxmmina per fraverso come i granchi, er
geht schief wie die Krabben. Auf diese komische Eigenheit
der Krabben bezieht sich offenbar die Redensart esser piü
lunatico dei granchi, launenhafter, wunderlicher sein als die
Krabben. Von der Lebensweise der Landkrabben, die sich
vorzugsweise in Löchern aufhalten, ist hergenommen die ital.
Redensart cavare il granchio daUa httca, die Krabbe aus dem
286 I>er Wurm.
Loch heranskriegen, d. i. jemd. ans seinem Versteck hervor-
holen. (Vgl. das ital. Sprichwort : Dov^ i la buca, i il granckiOy
wo das Loch ist, ist die Krabbe.; Anch sagt der Italiener
im Sinne des deutschen „für jemd. die Kastanien ans dem
Feuer holen^ levare il granchio deüa huca colla mano d'aüri, die
Krabbe mit der Hand eines anderen ans dem Loche holen.
(Vgl. cavar Ja castagna cölla zampa del gatto)
In semasiologischer Hinsicht bemerkenswert ist itaL
canchero, das zunächst ,^ebsgeschwür^' bedeutet, dann seine
Bedeutung zu „Krankheit, Siechtum^ erweitert und endlich
eine von Krankheit befallene Person bezeichnet. Die Krank-
heit kann auch moralischer Natur sein und so kommt schließ-
lich canchero zur Bedeutung „böswilliger Mensch". Dasselbe
Wort wendet man auf Gegenstände an, die mit irgend einem
Fehler behaftet sind, z. B. auf Maschinen, die den Dienst
versagen. (Vgl. deutsch Krebsschaden.)
Daß in dem ital. Fluche: Ti mangi il canchero! oder ti
venga il canchero! die Krebskrankheit gemeint ist, unterliegt
wohl keinem Zweifel.
Der Wurm,
Deutsch Wurm (ebenso mhd. und ahd.) ist urverwandt
mit lat. vermis. Bezüglich des ahd. Wortes ist jedoch zu be-
merken, daß es überhaupt jedes kriechende Tier, also auch
Schlange und Drache bezeichnet. Gotisch waürms und alt-
engl, wurm (wovon neuengl. worm) bedeuten ausschließlich
„Schlange". Diese Bedeutung hat sich noch erhalten in
Lindwurm, welches Wort eigentlich eine Tautologie ist,
da ahd. lind = Schlange ist, „Wurm" also in diesem
Falle nur zur Verdeutlichung des ersten, nicht mehr ver-
standenen Wortes hinzugetreten ist (Vgl. Maultier, Dam-
hirsch, Windhund usw.) Im Mhd. bezeichnete man sogar ein
Säugetier, nämlich den Maulwurf, mit Anspielung auf sein
unterirdisches Dasein als molttcurm „Erdwurm". (Siehe bei
„Maulwurf" pag. 13.) Die romanischen Bezeichnungen des
Wurmes: ital. verme, span. verme, franz. ver, gehen sämtlich auf
lat. ve}*mis zurück. Ebenso hat sich das Diminutiv von vermiSy
Der Wurm. 287
vermkulm, in den romanischen Sprachen erhalten, u. zw. in ital.
vermiglio, franz. vermeil, span. bermejo „hochrot". Der auf-
fallende Bedeutungswandel von „Würmchen" zu „hochrot"
findet seine Erklärung in der Bedeutungsverengung des Wortes,
das speziell auf den Scharlachwurm angewendet wurde und
dann metonymisch die Farbe desselben bezeichnete. Eine
WeiterbilduDg dieses Wortes finden wir in der Benennung
des Zinnobers in den modernen Kultursprachen (ital. vermi-
glione, span. bermellön, franz. vermeiUon, engl, vermilion). —
Auf ein suppon. lat. verminem geht zurück ital. vermine^
dessen Plural vermini die populäre Bezeichnung der Einge-
weidewürmer ist, ferner franz. vermine, das kollektive Be-
deutung hat und wörtlich unserem „Gewürm"*) entspricht.
Doch bezeichnet das Wort infolge Bedeutungserweiterung jede
Art von Ungeziefer. Aus dem Franz. ist vermine in derselben
Bedeutung ins Englische eingedrungen {vermin). Im Span,
ist das entsprechende Wort Ucho^ das man vom lat. Adj.
hesüus (von bestia „Tier") ableitet. Baist bestreitet diese Ab-
leitung (Grundriß der rom. Philologie, 2. Aufi., pag. 901),
ohne jedoch eine andere Etymologie aufzustellen. Auch
sabandija, in dem Parodi lat. serpenticula (Dim. von serpens
„Schlange") erblickt, wird in dem kollektiven Sinne von „Un-
geziefer, Gewürm" angewendet. Der Italiener gebraucht häufig
baco (aus bombaco von lat. bombax durch Aphärese entstanden),
welches Wort ursprünglich nur den Seidenwurm bezeichnet,
für den Wurm überhaupt.
Wie die meisten Tiernamen kollektiver Natur (vgl. Vogel,
Fisch, Schlange) spielt auch der Wurm in der Metaphorologie
eine wichtige Rolle. — Was beim Wurm zunächst auffällt,
ist die Art der Fortbewegung, die er mit der Schlange gemein
hat, daher die auf den Wurm bezüglichen Metaphern sich
häufig mit den die Schlange betreffenden berühren. So ge-
braucht z. B. der Engländer für „sich schlängeln, sich
krümmen" neben to snake dlong (snake = Schlange) to worm
oder to worm one^s way dlong. Ebenso sagt der Angloameri-
kaner für snaJce-fence „Zickzackzaun" auch worm-fence. Von
*) Lnther gebraucht Geschwürm, was eine Kontamination yoü
„Gewürm" und „Geschwür" ist. (Vgl. Scheu, Die Tierwelt in Luthers
Bildersprache, pag. 26.)
288 I>er Wurm.
den sich windenden Bewegungen des Wurmes ist ferner her-
genommen engl, worm-screw „Wurmschraube" als Bezeichnung
des Schraubenziehers. Aus dem Ital. ist anzuführen der Ge-
brauch von verme fftr die Windungen des Schneckenhauses.
Auf eine Mehrheit von Würmern bezieht sich span. gtssanear
^wimmeln", ein Synonym von hormiguear (von hormiga
^Ameise"), sowie portug. Ucharia „Gewimmel". Auffallend
ist im Ital. die Bezeichnung poho vermicolante für einen rasch
gehenden Puls, da die Bewegungen des Wurmes langsam
sind. Übrigens gebraucht der Italiener daneben passender
poko formicölante {formica = Ameise).
Von Metaphern, die sich auf die Gestalt des Wurmes be-
ziehen, ist nur anzuführen ital. vermicelli „Wurmchen", womit
die Fadennudeln, eine in Italien sehr beliebte Suppenspeise,
bezeichnet werden. Der Franzose hat mit der Sache auch
den Namen adoptiert {vermtcelle). Ebenso nennt der Spanier
eine Art von Nudeln bermeUetas. Zu bemerken ist ferner, daß
das Volk, das zwischen den einzelnen Tierklassen nicht genau
unterscheidet, häufig Insekten als Wllrmer bezeichnet. (Vgl.
portug. bicho „Wurm" und „Laus*^. Im Bayrischen wird
die Eaupe Graswurm (ahd. grasawurm) oder Kraut-
wurm genannt, im Schwäbischen kurzweg „Wurm". In
der Mundart von Com wall heißt die Küchenschabe black-
worm „schwarzer Wurm". Analog wird neben „Seidenraupe"
Seidenwurm gebraucht, u. zw. nicht bloß im Deutschen,
sondern auch im Engl, {sük-worm), im Span, (gusano de seda)
und im Franz. {ver ä soie). Das Leuchtkäferchen muß sich
eine ähnliche Degradierung gefallen lassen. Im Deutschen
wird es häufig Glühwürmchen genannt, ebenso im Engl.
(glow'WOrm), im Span, gusano de luz, im Franz. ver luisant.
Auch auf Säugetiere wird das Wort „Wurm" angewendet. So
bezeichnet man im Portug. einen jungen Kater mit bichano
(von bicho „Wurm") und bicho selbst gebraucht man für wilde
Tiere. {C(xsa dos bichos = Menagerie.) Von mhd. möltumrm
war schon pag. 286 die Eede.
Daß im menschlichen Körper vorhandene Würmer die
Ursache von Krankheitserscheinungen sein können, ist eine
von der Medizin erwiesene Tatsache. (Man denke an die
Eingeweidewürmer der Kinder, den Bandwurm usw.) In
Der Wunn. 289
früheren Zeiten jedoch, wo man sich ein Krankheitssymptom
ohne greifbare Ursache nicht denken konnte, führte man die
verschiedensten Krankheiten auf das Vorhandensein eines
Warmes in irgend einem Organe des menschlichen Körpers
zurück. So sprach man von einem Fingerwurm, einem
Hautwurm, einem Knochenwurm, einem Ohrwurm,*)
einem Haarwurm, einem Tollwurm, den man für den
Erreger der Wutkrankheit hielt. Auch an einen Herzwurm
glaubte man und machte ihn für das Herzklopfen und
andere Arten von Herzstörungen verantwortlich. Hierzu
stimmt auffallend der Gebrauch von span. gusanera (von gusano
„Wurm") „empfindliche Stelle im Herzen", welches Wort man
figürlich verwendet in der Redensart le dio en la gusanera,
man traf seine empfindliche Stelle, den wunden Punkt. Auf
einem ähnlichen Volksglauben beruht der noch heute im
Deutschen und Engl, übliche Gebrauch von „Wurm" für
„Marotte, fixe Idee". (Davon im älteren Deutsch wurmi-
sieren, herumwurmisieren, wurmein im Sinne von
„grübeln".) Man dachte sich eben wieder einen im Gehirne
lebenden Wurm als Ursache von Geistesstörungen. Analog
sagte man im älteren Italienisch von einem hochgradig ver-
liebten Menschen : Ha il verme, er hat den Wurm. Überhaupt
wird im Ital. der Wurm häufig als die causa movens ver-
schiedener Betätigungen des menschlichen Geistes betrachtet.
So spricht man von einem baco del poeta^ baco del critico, haco
del polüico und bezeichnet hiermit — meistens ironisch — ver-
schiedene Geistesrichtungen. Ganz allgemein bedeutet aver i
bachi^ die Würmer haben, „unruhig, unstet, schlechter Laune sein".
Die einfachste Erklärung der Redensart ist die, da£ hier mit
„ftacAi" die Eingeweidewürmer gemeint sind, die den damit Be-
hafteten begreiflicherweise in eine nervöse, krankhafte Stimmung
versetzen. Hiermit läßt sich vergleichen das bei Lessing im
Sinne von „verdrießlich" gebrauchte Adjektiv würmisch.
Auch von der Existenz eines Hungerwurms war man
überzeugt. Eine Spur von diesem Aberglauben findet sich
*) Der Glanbe an einen Ohrwurm, der Schlafenden in die Ohren kriecht
(daher: geschmeidig wie ein Ohrwurm), ist heute noch verbreitet.
(Vgl. die portug. Bedensart matar o bicJio do ouvido a alg., jemd. den
Ohrwurm töten = ihm die Ohren voUschreien.)
Riegler, Das Tier im Spiegel der Sprache. 19
290 I>er Wurm.
noch im Pariser Argot, u. zw. in der heute nur mehr scherz-
haft gebrauchten Redensart tuer le ver, den Wurm töten, d. h.
das durch Nüchternheit hervorgerufene Gefühl des Unbehagens
im Magen mit einem Gläschen Schnaps vertreiben. (Vgl
portug. matar o bicho,)
Daß man von der operativen Entfernung des Wurms als
Krankheitserreger Heilung erhoffte, ist klar. Solche Wurm-
operationen mögen früher wohl öfters vorgenommen worden
sein. Dies gibt uns den Schlüssel zur Erklärung der bizarren
Redensart j e m d. die Würmer aus der Nase ziehen im
Sinne von Jemd. ein Geheimnis entlocken^. Ebenso heißt es
span. : sacar el gusano de la nariz ä alg., frz. : firer ä qn. les vers
du neZj engl schon etwas abgeblaßt : to worm a secret otU of a
person. Hingegen sagt der Italiener abweichend und minder
verständlich tirar le passere (auch maccheroni) dal nctöo di qd,,
jemd. die Sperlinge, bzw. Maccaroni aus der Nase ziehen.
Wenn man jemand, ein Geheimnis entlocken will, so muß man
dabei ebenso vorsichtig und behutsam zu Werke gehen wie
bei einer schwierigen chirurgischen Operation. Goethe, der
bei uns die Redensart in Schwung gebracht hat, ist sich ihres
Ursprungs voll bewußt, wie sich ergibt aus einer Stelle des
Faust, wo er (in der Szene in Auerbachs Keller) Frosch
mit Bezug auf die anwesenden Studenten sagen läßt:
Laßt mich nur gehen! Bei einem vollen Glase
Zieh* ich, wie einen Kinderzahn,
Den Barschen leicht die Würmer ans der Nase.
(Vgl. Borchardt -Wustmann, Sprichwörtl. Redensarten, pag. 501.)
In innigem Zusammenhang mit den oben besprochenen
Metaphern, in denen dem Wurm eine pathologische Bedeutung
zugeschrieben wird, steht die Verwendung dieses Tieres als
Bild für langsam und unsichtbar zerstörende Einflässe physi-
scher und psychischer Natur. Allerdings muß der arme Wurm
auch hier wieder vieles auf seine Rechnung nehmen, was nicht
er, sondern andere verschulden. So ist der Holzwurm (engl.
wood-wortHj frz. ver du bois), der grimmige Feind des Holzes,
der so recht die Zerstörungswut versinnbildet , seinem
Namen zu trotz kein Wurm, sondern ein Käfer. Das Ital.
und Span, bezeichnen den Holzwurm allerdings mit einem
eigenen Worte {tarlo, bzw. carcomä), wovon tarlado, bzw. car-
Der Wurm. 291
comido „wurmstichig" vom Holze. (Vgl. das ital. Sprichwort :
Ogni legno ha il suo tarlo und das deutsche Analogon : Jedes
Holz hat seinen Wurm.) Ebensowenig ist die Obstmade,
diese Plage der Obstgärten, ein Wurm, sondern die Raupe
eines Schmetterlings, des sog. Apfelwicklers. Gleichwohl
wendet man das Wort wurmstichig (engl, worm- bitten^
uvrm-eaten, worm-holed, toormed, frz. vireux, vermoülu) auf Holz
wie auf Früchte an. Desgleichen sagt der Italiener von
wurmstichigen Früchten bacato (von baco\ der Spanier agmanado
(von gmano), wie überhaupt im Ital. und Span, zwischen Wurm
und Made nicht unterschieden wird. Für vermoülu gebaucht
der Franzose auch umschreibend piqu^ de vers, und wenn er
von einer Sache sagt: Cela rCest pas pique de vers (daneben:
Cela n^est pas piqui de mouches, de hannetom, hanneton = Mai-
käfer), das ist nicht wurmstichig, so meint er damit, daß sie
ganz vorzüglich sei. Denselben Sinn hat die ital. Redensart :
Qitesto non ha i bachi, das hat keine Würmer. Hierher gehört
ferner der Gebrauch von baco für „Irrtum, schädliches Grund-
prinzip". So heißt scoprire il baco in una dottrina, den Wurm
in einer Lehre entdecken s. v. w. „das Schädliche einer Lehre
aufweisen".
Für den von den Motten angerichteten Schaden werden
ebenfalls die Würmer verantwortlich gemacht, so wenigstens
in der dem Pariser Argot angehörigen Redensart avoir des
vers dans son manchon, Würmer in seinem Muffe haben, d. h.
kahle Stellen auf seinem Kopfe bekommen. Ebenso nennt der
Franzose die Raupe der Rebenmotte ver coquin, den „bösen
Wurm", womit auch der Drehwurm der Schafe bezeichnet
wird. In übertragener Bedeutung wird ver coquin im Sinne von
„marotte^ gebraucht, so in dem Sprichwort: Chacun a son ver
coquin, wofür man auch sagt: Chacun a sa maroite. (Vgl.
deutsch: Jeder hat seinen Wurm.)
Häufig wird das Bild des nagenden Wurmes auf psychische
Vorgänge, namentlich solche, die auf das Gesamtseelenleben
eine zerstörende Wirkung ausüben, angewendet. So spricht
man z. B. in allen Kultursprachen von einem Gewissens-
wurm (engl, ivorm of conscience, ital. verme della coscienjsaj
tarlo del rimorso, span. gusano de la conciencia, frz. ver rongeur).
Das Deutsche kennt außerdem einen Wurm des Neides
19*
292 I>er Wurm.
and des Hasses. Analog spricht der Italiener von einem
boux) deW invidia, deW adio. Metonymisch wird haco (oder auch
tarlo) geradezu für „Haß** gebraucht in der Redensart aver
un haco {tarlo) con qd., gegen jemd. einen Wurm haben, d. h.
Haß gegen ihn fühlen. Ebenso wird das Gefühl des Ärgers
im Deutschen mit einem nagenden Wurm verglichen. Wenn
einen etwas ärgert, so sagt man: Es wurmt mich. (Vgl.
frz. asticoter „ärgern, schikanieren" und asticcieur „ärger-
licher Mensch" von asticot „Regenwurm" sowie span. escara-
hajear „ärgern" von escarabajo „Käfer".) Interessant ist es,
die syntaktische Entwicklung dieser Redensart zu verfolgen.
Im 18. Jahrhundert wurde „wurmen" intransitiv gebraucht,
z. B. heißt es bei Schiller: „das wurmte beim alten Karl".
Derselbe Autor gebraucht das Verbum auch mit dem Dativ,
z. B.: „und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin".
Doch taucht bereits im 18. Jahrhundert die heute gebräuch-
liche Konstruktion mit dem Akkusativ auf. Heine gebraucht,
wohl mit scherzhafter Tendenz, ein diminutives wtirmeln,
u. zw. ohne abhängigen Kasus. (Vgl. Paul, Deutsches Wörter-
buch, pag. 558.) Im Engl, hat to twrm im übertragenen Sinne
die Bedeutung „heimlich wirken, wurmen, nagen". Von einem
Streitsüchtigen sagt der Engländer: He hos a worm in his
tongue, er hat einen Wurm in seiner Zunge, gleichsam als
würde diese von einem nagenden Wurm in Bewegung gesetzt.
Auf Volksetymologie beruht der Gebrauch von wormwood
(wörtl. : Wurmholz) in der Redensart : It is galt and toormwood
to him. Das altengl. wermod „Wermut" wurde vom Volke zu
wormwood umgedeutet. Mit Bezug darauf, daß die Wurmer
im Grabe den menschlichen Leichnam als willkommene Beute
betrachten, werden sie häufig als Symbol des Grabes, bzw.
des Todes gebraucht, so z. B. in dem franz. Sprichwort: Ce
qu'on apprend au bers dure jmqu'atix vers, was man in der
Wiege lernt, dauert bis zu den Würmern, d. h. bis zum Grabe.
Die vollständige Wehrlosigkeit des Wurmes, den jedes
Kind zertreten kann, sowie die scheinbar mühevolle Art seiner
Fortbewegung lassen ihn als Symbol ohnmächtiger Schwäche
erscheinen. So nennt man im Deutschen ein hilfloses Kind
gern einen armen Wurm, früher sächlich ein armes
Wurm, welche Metapher man auch auf Erwachsene, nament-
Der Wurm. 293
lieh weiblichen Geschlechts, anwendete. Analog nennt der
Portugiese den Menschen mit Anspielung auf seine Ohnmacht
den Naturgewalten gegenüber bicho - careta , d. h. Wurm mit
menschlicher Maske. Im Franz. wird speziell der Regenwurm
{ver de terre „Erdwurm") in diesem Sinne verwendet. So sagt
man pauvre comme un ver de terre, arm wie ein Regenwurm.
Dem entspricht im Ital. der Vergleich nudo e bruco come un
verme, arm und nackt wie ein Wurm. Als Bild der Hilflosig-
keit und Schwäche erscheint der Wurm ferner in dem deut-
schen Sprichwoil: Kein Wurm so klein, er krümmet
sich, d. h. der ärmste, unbedeutendste Mensch fühlt eine
Kränkung ebenso schmerzlich wie jeder andere. (Vgl. im
Deutschen s i c h krümmen wie ein Wurm.) Dieses Sprich-
wort findet sich auch im Engl. : Tread on a worm, and it will
tum, tritt auf einen Wurm und er wird sich krümmen, und
im Franz. : II r/y a point de si petit ver qui ne se recoquüU pas,
quand on marche dessus, es gibt keinen noch so kleinen Wurm,
der sich nicht krümmte, wenn man darauf tritt. (Vgl. die
deutsche Redensart j e m d. wie einen Wurm zertreten,
frz. icraser qn. comme un ver.) Hierher gehört auch die franz.
Redensart devenir petit comme un ver devant qn., vor jemd. klein
werden wie ein Wurm, d. h. von jemd. aufs äußerste gedemütigt
werden. (Vgl. ital. essere un verme dinanizi a qd.)
Die Bezeichnung „Wurm" gilt jedoch nicht bloß als Aus-
druck des Mitleids, sehr häufig bedient sich auch die Ver-
achtung dieses Wortes. Im Deutschen und Engl, bezeichnet
man mit „Wurm", bzw. worm (auch earth-twrm „Regenwurm")
einen gemeinen, niedrig handelnden oder denkenden Menschen
und to worm oneself into the favour of a person heißt „sich auf
niedrige Weise in die Gunst jemds. einschmeicheln". Eine
analoge Bedeutung hat das Adjektiv wormy. Der Londoner
Policeman empfindet den Spitznamen trorm als bittere Kränkung
und der französische colUgien nennt seinen Kameraden, wenn
er ihn recht ärgern will, verminard oder vermineux.
Was das Spanische betriflft, so wird bicho^ das kollektiv
„Gewürm, Ungeziefer, Geschmeiß" bedeutet, auf einen unge-
stalteten Menschen angewendet. Ein häßliches Gesicht be-
zeichnet man dementsprechend als cara de bicho „Wurmgesicht"
und in der Tat hat der Wurm nichts in seinem Äußeren, was